Geschrieben am 1. Dezember 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2019

Peter Münder über „Killer’s Choice“ von Louis Begley

Wehe, wenn die Kobra tänzelt und zittert!

Was ist los mit Louis Begley? Der sensible Chronist fataler gesellschaftlicher  Entwicklungen und gefährdeter Figuren, deren Alterungsprozesse er zu beeindruckenden Porträts verdichtete („About Schmidt“, „Mistler’s Exit“), hatte sich 2015 entschlossen, das eher Filigran-Schöngeistige in der Schublade zu versenken und als Quereinsteiger im Krimi-Genre für Furore zu sorgen: Nach „Killer, Come Hither“, „Kill and Be Killed“ (2016) beglückt der 86-Jährige die Trash- und Thriller-Freaks nun mit „Killer’s Choice“. Will er beweisen, dass er als „The Man Who Was Late“ (Begley-Romantitel von 1993) auch im hohen Alter noch eine Killer-Trilogie lässig aus dem Handgelenk schütteln kann? – Von Peter Münder.

Der Ich-Erzähler Jack Dana stellt sich mit seiner Vorgeschichte gleich auf der ersten Seite von „Killer’s Choice“ vor: Er war als Offizier mit einem Force-Recon-Zug in Afghanistan im Einsatz gewesen, als er von einem Taliban-Heckenschützen angeschossen und sein Beckenknochen zertrümmert wurde. Captain Dana ließ sich in den USA wieder zurechtbiegen und begann noch im Militärkrankenhaus, seine Eindrücke vom Einsatz in Irak und Afghanistan aufzuschreiben: Was hatte der Krieg ihm und seinen Männern angetan? Das wollte er festhalten und der Öffentlichkeit mit seinem Buch vermitteln. Es wurde ein Bestseller, die Tantiemen sprudelten, lukrative Filmrechte machten ihn reich, es folgten zwei weitere erfolgreiche Romane: „So wurde ich Schriftsteller, ohne es groß geplant zu haben“, lautet Danas lapidare Erklärung. Er stellt auch fest, dass er ursprünglich eine akademische Karriere anstrebte, die er aber nach den Anschlägen von Nine-Eleven unterbrach, um im Kampf gegen den Terror seinen eigenen Beitrag zu leisten: „Den armen Trotteln, die nicht so privilegiert aufgewachsen waren“ wollte er nicht das Kämpfen überlassen.   

Die implizierte selbstgefällige Upperclass-Arroganz, in der Harvard, Park-Avenue-Apartment und Long Island-Refugien ebenso anklingen wie das Protzen mit Kampfsport-Aktivitäten (Krav Maga), Schießkünsten und dem harten Stich mit dem Kampfmesser, soll den Leser wohl beruhigen und den Schock-Effekt sedieren, den die nun folgenden Greueltaten auslösen könnten. 

Eigentlich geht es ja hauptsächlich um Danas fürsorglichen, uneigennützigen Onkel Harry, einen sehr erfolgreichen Anwalt einer großen, weltweit tätigen Kanzlei mit renommierten Klienten. Harry soll plötzlich Selbstmord begangen haben, weil er wegen seiner plötzlich aufgetretenen Demenz entlassen wurde. Aber präzise Details kann Dana nicht eruieren, weil er längere Zeit auf einer entlegenen Ranch in Brasilien weilte, um dort in Ruhe sein nächstes Buch zu schreiben. Harrys Leiche wurde auch sofort eingeäschert, außerdem war seine Sekretärin in New York von einem Unbekannten vor eine U-Bahn gestoßen worden – auch sie ist verstorben und eingeäschert worden. Das ist natürlich alles Humbug, Harry ist auf brutale Weise umgebracht worden – was der Leser auch sofort ahnt. Im Hintergrund hatte sich ein Enthüllungsskandal um einen kriminellen texanischen Milliardär  entwickelt: Dieser Abner Brown war ein bedeutender Klient in Harrys Kanzlei – aber Harry war dessen Machenschaften – Drogenhandel, Geldwäsche, Waffenschiebereien, Menschenhandel im großen Stil – auf die Schliche gekommen und hatte Dana darüber informiert. Dana hatte einen Showdown mit diesem texanischen Teufel arrangiert und die Enthüllungen gegenüber der Justiz angedroht, was Brown zum Selbstmord mit einer Insulinspritze veranlasste. 

Nun will sich jemand aus Abner Browns Umfeld an Dana rächen und hetzt ihm einen angeheuerten Killer auf den Hals. Dana ist darüber entzückt und will den Killer anlocken, um ihn selbst zur Strecke zu bringen: Mit Messer, Pistole, seinen Kampfsport-Fähigkeiten – egal wie, glaubt der nicht leicht zu verunsichernde Dana, wird er den Killer schon ausschalten. 

Dann hacken Abners Rächer den Laptop von Dana, installieren ihre eigene  Bedrohungs-Szenerie mit widerlichen, aberwitzigen Texten und einer tänzelnden, zitternden Kobra. Dazu senden sie ihm grauenhafte Bilder  vom Fötus eines Behinderten-Embryos. Wie das Kaninchen vor der Schlange entwickelt Dana eine geradezu abartige Faszination – er kann sich von diesem digital verbreiteten  Abschaum nicht abkoppeln, hofft wohl auch auf  eine direkte, zum mysteriösen Rächer führende Spur. Schließlich kommt es noch zu einer Entführung, bei der sich Dana  als Geisel anbietet und  sich sogar brutal foltern lässt, um die entführten Opfer zu retten. 

Nicht nur die groteske Häufung dubioser Zufälle offenbart alle Defizite dieses aberwitzigen Plots, der trotz extremer, schwer erträglicher Mord-und Folter-Sequenzen auch ins betuliche Agatha-Christie-Ambiente abdriftet. Sorry – es ist natürlich Long Island – aber wo ist der Unterschied?  Die französische, ach so gut erzogene  Bulldogge namens „Satan“, dazu noch der Kater „Plato“ bei Begley – da fehlt ja nur noch „Ein Fisch namens Wanda“ von  John Cleese – oder?  

Egal, welchen dieser drei Killer-Bände wir unter die Lupe nehmen: Begley will einfach zu viele Zutaten in diesem Killer-Brei zusammenrühren: die Machenschaften eines Konzerns , die in einer angesehenen Kanzlei  vertuscht werden, die  Vorbehalte gegenüber einem Rechtssystem, das angeblich zu sehr die Täter und viel zu selten die Opfer schützt, die Kritik am egomanischen, Unheil bringenden Präsidenten Trump, der laut Dana (und Begley) korrupt und unfähig ist. „Ich bin nicht in den Krieg gezogen, um Amerika wieder großartig zu machen – ich fand es großartig genug“, bemerkt Dana zu Beginn von „Killer´s Choice“ und fährt fort: „Ich wollte, dass Amerika wieder anständig würde, wieder ein Land, das armen Schluckern eine faire Chance gibt und sich um die Schwachen und die Bedürftigen kümmert“. Wer will dagegen schon Protest anmelden? Aber  dieser verschwiemelte Killer-Hotchpotch, fürchte ich, führt eher  zur  Rundum-Vernebelung als zum Verständnis aktueller Probleme, die Louis Begley umtreiben. Richtig ernst nehmen kann ich diese hypertrophe  Trilogie jedenfalls nicht; für ernsthafte Diskussionen wäre mehr Substanz erforderlich. 

Abgesehen davon: Es setzt sich auch – trotz aller gruseliger Killer-Aspekte-  ein merkwürdiger Grauschleier vor Szenen und  Figuren dieser  Killer-Trilogie: Die Szenerie wird meistens nur skizzenhaft angedeutet, Status-Symbole werden als  Bedeutungs-Chiffren verteilt, Hintergrundinformationen scheinen wie schon in „Erinnerungen an eine Ehe“ die glatte Oberfläche eines snobistischen Ennui nur zu stören. Kaum zu glauben, dass  „Lügen in Zeiten des Krieges“ (1991), dieses einfühlsame, behutsame Sondieren im Leben des jungen Maciek und seiner phantasievollen Tante Tania zwischen polnisch-russischen Fronten mit fiktiven Lebensläufen als Überlebensstrategien – dass dieses bewegende Chronik  von diesem Autor stammen soll!   

Louis Vegley © Jerry Bauer

PS: Die banale Erklärung für Begleys Eintauchen in diesen Killer-Sumpf könnte vielleicht seine Pensionierung, der Abschied von seinem erfolgreichen Wirken als Jurist  in der renommierten New Yorker Kanzlei Debevoise & Plimpton sein. Vielleicht wollte er nun einfach mal die Sau raus lassen und sich seine eigene  Phantasiewelt schaffen, in der er es ordentlich krachen lassen kann?     

  • Louis Begley: Killer’s Choice. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 254 Seiten, 22 Euro. 

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