
Wyatts Vorliebe für Solo-Jobs
Der abgebrannte Wyatt wollte eigentlich mit jungen Typen einen Geldtransporter überfallen, merkte aber rechtzeitig, dass diese Wichtigtuer von behutsamer, genauer Planung keine Ahnung hatten. Nun will er als Einzelkämpfer für hundert Riesen ein altes flämisches Gemälde stehlen – ein Kinderspiel für den ausgebufften Profi? Gary Dishers Krimi „Hitze“ demonstriert, wie ein lässiges kleines Meisterwerk funktioniert: Wenn das filigran gezimmerte Psychogramm des Anti-Helden schlüssig kombiniert wird mit dem analytischen Blick fürstrukturelle Besonderheiten und den ambivalenten Grautönen einer saturierten Gesellschaft. – Von Peter Münder.
Verheißungsvoll klingt schon der erste Satz: „Es lief schon jetzt nicht rund“- das bedeutet für den Außenseiter Wyatt, auf der Hut zu sein. Vor imbezilen Drogenfritzen und Dumpfbacken, die sich einen Plan für einen Geldtransport-Überfall irgendwie zusammen stümpern wollen, aber auch vor Hütern der Staatsgewalt und digitalen Big Brother-Installationen. Nach dem Abschied von den tölpelhaften Pepper Brothers grübelt Wyatt aus der etwas selbstgerechten Perspektive eines Sonntagspredigers über die jungen Männer von heute: „Sie waren ungeduldig; hielten sich für unbesiegbar. Bildeten sich ein, einen Überfall besser durchziehen zu können als ein alter Kerl wie Wyatt. Sie benahmen sich immer wie Hauptdarsteller in einem Film… Waffen, schnelle Autos, Kokain und halbnackte Frauen“.

Er bereitet sich dagegen so akribisch-pedantisch auf seinen nächsten Auftrag vor, als würde es um die Sprengung von Fort Knox gehen. Zur neuen Identität, die er sich zurechtbastelt, gehören frische Papiere samt gefälschter Kreditkarte, eine veränderte Frisur und halbwegs adretten Klamotten – schließlich hat ihm sein befreundeter „Broker“ Minto einen Job in Noosa an der australischen Sunshine Coast vermittelt: Simpler Bruch in eine leer stehende Villa, ein Gemälde klauen und dafür hundert Riesen – was gibt es Schöneres? Aber kann das wirklich so rund laufen? Wyatt mimt also den Touristen im Badeort, quartiert sich in einem angenehm nach Eukalyptus duftenden Apartment ein, mietet sich ein Auto, mit dem er Fluchtwege checkt – aber in diesem spießigen Plansch-Idyll scheint höchstens mal, vermutet Wyatt, ein nicht rechtzeitig abgegebener Tennisschläger aufzufallen oder ein Grillmeister, der versäumte, die Geräte zu säubern.
Gary Disher, 70, in Süd-Australien geboren, hat rund 40 Bücher veröffentlicht und wurde mit vielen Preisen (darunter auch der Deutsche Krimi-Preis) ausgezeichnet. Neben der Reihe um den Polizisten Challis gibt es die Serie mit dem Kriminellen Wyatt. Dashiell Hammetts Motto „Nichts ist so, wie es scheint,“ gilt besonders für Disher, der ambivalente Grautöne jeder eindeutigen Schwarzweiß-Malerei vorzieht.

Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit baldowert Wyatt hier die Geschichte des flämischen Gemäldes (von David Tenier , 17. Jahrhundert) aus: Teniers eher nichtssagende Bauernszene im Kleinformat 1×1 Meter war offenbar von den Nazis während des 2. Weltkriegs beschlagnahmt worden, nun möchte eine Frau aus Israel das Bild zurück haben – also wäre Wyatt dann eine Art barmherziger Samariter, der mit dem Diebstahl und der Rückgabe des Bildes an die wahre Besitzerin ein gutes Werk vollbracht hätte? Er sichert sich jedenfalls nach allen Seiten ab, kontrolliert die Villa, beschattet die dynamisch-zickige Immobilienmaklerin von „River Run Realty“ Leah, die ihm Zugang zum Haus und dem Bild verschafft, aber auch Kontakte zu dubiosen Typen hat. Irgendwas stimmt an der Geschichte nicht, spürt Wyatt, aber er braucht die Kohle und bisher hat er ja noch alles gut im Griff… Doch dann geht natürlich fast alles schief.
Wie Disher die trügerische Idylle des kleinen Badeorts aufmischt und das gut vernetzte System krimineller Machenschaften im Immobilien-Milieu beschreibt, ist schon hohe Kunst: Der „Uhrmacher unter den Krimischriftstellern dieser Welt“ (Thomas Wörtche) zelebriert hier mal wieder die delikate Balance von filigraner, intellektueller Recherche im kriminellen Umfeld mit einer hammerharten Gangreserve, die etlichen Akteuren mit einem brutalem Exit zum Verhängnis wird.

Faszinierend ist aber auch, wie Disher die Grauzonen ausleuchtet: Denn eigentlich sind hier alle Figuren am Rand der Gesellschaft mit irgendwelchen Macken, Neurosen und Defiziten angesiedelt. Der Privatdetektiv Trask, ein ehemaliger Cop, hat die Seiten gewechselt und dealt mit allem, was illegal ist. Außerdem gibt er heiße Tipps an Kriminelle. Für die Immobilien-Mitarbeiterin Leah ist er zwar auch noch der gelegentliche Betthupfer, sonst aber nur der Hiwi. Er hegt daher einen permanenten Groll und möchte auch mal das große Ding drehen. Was die nach größeren Trauben greifende Leah gut nachvollziehen kann. Hinter der bürgerlichen Fassade wartet hier nicht nur die Abrissbirne, sondern auch schon mal die entsicherte Glock mit Schalldämpfer. Da ist Wyatt eigentlich der einzige solide Typ: Er dreht sein krummes Ding, weil er nix mehr in der Portokasse hat, aber er macht den Leuten nicht vor, für die Zeugen Jehovas neue Mitglieder zu keilen.
Banal, aber kongenial: Kleine O-Ton Kostprobe Disher:
Trask beugte seine große Gestalt in den Kühlschrank, peilte pessimistisch die Lage, aber da war eine Dose Bier Cascade Light. Er ließ die Kühlschranktür los, verfolgte, wie sie zuschwang, Magnetdichtung und Rahmen einander lautlos küssten, und zog dabei am Verschluss der Dose.
Diesen Klassiker-Check besteht Disher übrigens auch ganz locker. Denn wer die Kühlschrank-Szenen von Chandler oder Hammett im Kopf hat, bei denen flapsige Dialoge beim Grapschen nach dem Kühlschrank-Bier runtergehaspelt werden, wird angesichts dieser simplen, aber sehr dreidimensional gestalteten Szene zufrieden murmeln „Well done, Garry!“ Und der tollen Übersetzung von Angelika Müller und Ango Laina ein begeistertes „Bravo“! zurufen.
- Gary Disher: Hitze (The Heat, 2015). Übersetzt von Angelika Müller und Ango Laina. Pulp 46. Pulpmaster, Berlin 2019. 277 Seiten, 14,80 Euro.
Garry Disher bei CrimeMag.
Und Peter Münder.