Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Peter Münder über einen wilden Fußball-Roman

Ivo, der kafkaeske Premier League-Kicker

Tonio Schachingers „Nicht wie ihr“

Ivo Trifunovic ist ein erfolgreicher Profi- Fußballer: in den Medien präsent, mit Bugatti und Aston Martin-Status-Symbolen unterwegs, ausgerüstet mit Spieler- und Vermögensberater; die schicke Frau gehört auch zu ihm, nebenher  hat er noch eine feurige Geliebte. Aber warum ist er meistens total genervt und zweifelt an sich? Der österreichische Autor Tonio Schachinger zieht in seinem Debut-Roman „Nicht wie Ihr“ den Leser in einen rasanten Strudel: Er serviert verstörende Impressionen aus dem Leben eines Profi-Kickers, die hinter kurzen Erfolgsphasen das totale Ennui mit den Redundanzschleifen eines Thomas Bernhard und selbstkritischen Zweifeln eines Kafka  umschreiben.  – Von Peter Münder.   

Wenn die große Sinnkrise Spieler, Trainer und Manager erfasst, dann gibt es kein Halten mehr beim Taumel in den Fußball-Orkus: Wochenlang grübelte man beim allzu verzagten BVB verzweifelt über eine Lösung der teuflischen Mentalitätskrise von Mannschaft und Trainer, die sich nach dem resoluten 2:1  Pokal-Befreiungsschlag gegen Mönchengladbach nun offenbar verflüchtigt hat. Das große Kriseln bei den Bayern geht indes munter weiter; auch nach dem ziemlich verkorksten, glücklichen Pokalsieg in Bielefeld mosern die Spieler gegen den Trainer, der sich von den eigenen Kickern distanziert, während der Präsident entsetzt der nächsten Phase bizarrer Spielereignisse entgegen zittert. Alles sehr dramatisch und fast in jedem Verein regelmäßig ebenso virulent – so what’s new, pussycat?

Einen Roman über die  Mentalitätskrise eines einzelnen Fußballprofis hat es – soweit ich sehe – noch nicht gegeben. Handkes „Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (von 1970)  zelebriert ja eher (nach einem Mord-Prozeß) den Total-Kollaps  von Sprache und Leben des Ex-Torwarts Bloch in einem  Selbstentfremdungsprozess statt der Entfaltung  eines  Psychogramms, während  Philip Kerr („Die Hand Gottes“, „ Falsche Neun“) um Fußballspieler oder Vereine  spannende Krimi-Plots aufbaut und David Peace  sein brillantes  Gesamtkunstwerk „Red or Dead“ ganz auf den  genialen Ex-Trainer Bill Shankley (FC Liverpool) und dessen manischen  Club-Fanatismus fokussierte. Pleiten, Pech und Krisen hatte der geniale Peace ja reichlich in seiner phantastischen Trainer- Monographie eingebaut, aber es ist kein klassischer  Roman und schon gar nicht vergleichbar mit diesem originellen Debütroman „Nicht wie Ihr“ des in Wien studierenden Tonio Schachinger. Der Diplomatensohn  ist in Neu Delhi geboren, wuchs in Nicaragua auf und ist  wie sein Protagonist Ivo  27 Jahre alt.  Schachinger studiert Sprachkunst und Germanistik.    

Alle Klischees, die man mit prominenten Profi-Kickern so assoziiert, sind in „Nicht wie Ihr“ reichlich vorhanden – aber sie werden auch kritisch-ironisch demontiert und relativiert: die Protzer-Karren (Bugatti, Aston Martin), das üppige Honorar (100 000 Euro pro Woche), die Klamotten. Ivos Lieblingsmusik sind harte Rapper-Songs, während er für die schöngeistigen Ballett-Interessen seiner Frau Jessy überhaupt kein Verständnis hat. Er spielt beim FC  Everton in der englischen Premier League, ist aber auch österreichischer Nationalspieler und pendelt regelmäßig nach Wien. Ivo hat bosnische Wurzeln und wird von einem Spieler- und Investmentberater über neueste Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten. Er sitzt also eigentlich zwischen mehreren Stühlen und grübelt über seine bosnisch-österreichische Identität nach: Wird er nur als Österreicher anerkannt, wenn er Tore für Austria schießt? Ist er sonst nix? Hat ihn schon die Midlife-Krise erwischt? Wie lange kann er seine success-story noch weiter ausleben?   

Das disruptive Erzähl- Element schätzt und pflegt Schachinger; es sorgt für glänzende ironische Pointen, für Verwirrungen und Überraschungen und ist sein Garantieschein für eine gelungene, originelle Plot-Entwicklung und Struktur. Da will der Berater den Tanz um den goldenen Ball zu neuen Rendite-Rekorden (auch für sich selbst) treiben und seinen Schützling Ivo dazu überreden, endlich dem anvisierten Transfer zu einem chinesischen Verein („Noch mehr Kohle“!) zuzustimmen, was der in Everton ganz zufriedene  Ivo knapp mit der Frage kommentiert: „Was soll ich in China?“ 

Ivo treibt auch die Talent- und Stilfrage um: All die von den Fußball-Akademien dressierten, angepassten und völlig phantasielosen Spieler, die keine neuen originellen Ideen haben, machen ihn rasend: Kommen die alle aus deutschen Drill-Anstalten? Und  wo sind eigentlich die richtigen Stürmer aus der guten alten Zeit geblieben, deren Job jetzt von irgendeinem flukturierenden Kollektiv übernommen wird? Das sind seine Überlegungen, die ihn auch deswegen so extrem aufregen, weil er sich mit Haut und Haar als kämpferischer, klassischer Stürmer in die Schlacht wirft und sich bei Verletzungspausen wie ein Früh-Invalide aus Stalingrad fühlt. Wunderbar ist Ivos Polemik, die auf deutsche Piefkes und abgerichtete eher stumpfsinnige Dribbler abzielt und auch illustriert, dass Ivo zwar für die Mannschaft kämpft, aber eben auch frei von Zwängen agieren und sein eigenes Ding machen will. 

Schachingers Gespür für Psychologie und Taktik, für Phantasie und flüssige Bewegungsabläufe fließt direkt in Ivos Überlegungen ein – sie zeigen damit auch, was Ivo vermisst und worunter er leidet. Streckenweise landet er mit seinen literarischen Grenzüberschreitungen beim geradezu klassisch- lyrischen Lobgesang. Und evoziert etwa, wie weiland Eckhards Henscheid, ein frei nach Hölderlin fabriziertes Loblied auf den koreanischen Bomber Bum Khun Cha. Es ist natürlich auch auch ein Loblied auf Freiheit, Schönheit und Eleganz, die beim Spiel entstehen können.

Wie Eichhörnchen zwischen Nashörnern

O-Ton „Nicht wie Ihr“: „Das Selbstvertrauen holt Ivo sich, so wie immer in seinem Leben, aus seinem Können auf dem Platz, und wie immer funktioniert es  dann am besten, wenn er an was anderes denkt. Er liefert gegen Weißrussland  eine überragende Leistung ab. Das System wird auf ein 4-4-2 umgestellt und Ivo vom rechten Flügel, wo er normalerweise spielt, ins offensive Mittelfeld gestellt, Alaba auf den linken Flügel und Arnautovic auf die linke Sturmposition und plötzlich schwärmt ganz Österreich von seiner neuen linken Seite… Wenn David, Marko und Ivo links spielen, dann geht alles über links, jede Aktion, jede Flanke, jede Kombination und sie mussten das nicht üben. Sie sind Freunde und ihre Freundschaft überträgt sich direkt auf ihr Spiel. Sie spielen, als ob sie ihre eigene Sprache sprechen, die sonst niemand versteht. Sie spielen wie Eichhörnchen zwischen Nashörnern… Sie spielen wie Götter unter Menschen und Ivo ist scheißglücklich, mit seinen Freunden zusammenspielen zu dürfen und ein bisschen traurig, dass er wahrscheinlich nie wieder bei einem Verein spielen wird, wo zehn Spieler mit Davids und Markos Qualität neben ihm am Platz stehen. Ivo schießt zwei Tore, die beide Alaba auflegt, Marko schießt eines und sieht gelb. Österreich gewinnt 3:1 und jubelt, weil die Chance  zur Qualifikation weiterhin besteht..“

Als Schiller („ Über die ästhetische Erziehung des Menschen“) konstatierte, nur der homo ludens sei restlos glücklich und im Spiel ganz bei sich – da hat er wahrscheinlich auch schon an so begnadete Fußball-Kombinationen gedacht, wie Ivo sie durchgespielt und hier beschrieben  hat … Jedenfalls überträgt sich dieser Ball-Enthusiasmus direkt auf den Leser und illustriert, dass es doch noch Freiräume gibt jenseits  profaner Rendite-Maximierung, Trainer- und Transfer-Spekulationen.  

Ivos kafkaeskes Grübeln über sich und die Spielbedingungen, über seine verkorkste Affäre mit seiner Jugendliebe Mirna und über den Frust mit seiner Frau – das alles ist wohl auch Ausdruck seiner eigenen Zerrissenheit: Einerseits will er sich vom gesellschaftlichen Trubel oder von tumben Typen und Alltagssituationen abschotten und lieber – wie in der Eingangsszene des Romans gezeigt – allein im Bugatti hocken, wo er sich als einzelner, unerreichbarer Bewohner eines Elfenbeinturms gerieren kann. Andererseits will er seine Entertainer-Rolle genießen und die Anerkennung als Super-Kicker auskosten. Kurz und gut: Ivo ist eigentlich ein Perfektionist, der zu oft in sich selbst hineinhorcht und spürt, wo er Fehler gemacht hat. Als er schließlich den Transfer nach Rom realisiert hat und sich dort auf dem Platz durchsetzen will, erlebt er ein furchtbares  Debakel: Die Aversionen von Publikum und Mitspielern sind unerträglich, der  Schiedsrichter verhängt gegen ihn gleich einen Elfmeter…Da muss er sich also erstmal wieder zurechtfinden und durchboxen gegen kleinkarierte  Maulwürfe, die beim Wasserball vielleicht besser aufgehoben wären.

Ivos Reminiszenzen an Hamburg und Ernst Happel, an Madrid und  das Mobbing von Trainer und Zuschauern sind impressionistische Bausteine seines eigenen kleinen Stationendramas. Das ist zwar längst abgehakt, aber diese Phase war die Basis für seinen grandiosen Aufstieg  zum Star: „Das wird mal ein ganz Großer“, vermuteten damals die Experten – und so ist es ja auch gekommen: „Er war der Mittelpunkt, die Sonne, um die sich das Universum drehte.“ 

So ein Sonnen-Kicker wie Ivo, direkt im Mittelpunkt des Universums, deutete Tonio Schachinger mal in einem Interview an, wollte er früher auch mal werden – aber als Kind wollte  er auch  Profi-Skifahrer werden – und merkte dann, dass es dazu nicht reichte.  Nun hat er also dieses faszinierende Fußball-Panoptikum fabriziert, in dem der Blick  auf die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse zwangsläufig immer dann verstörend wirkt, wenn er über den Fußballplatz hinaus schweift. Wen wundert es – schließlich bleibt der Fußball trotz aller Krisen, aufgestellten Käfige und Menetekel doch die vielleicht letzte idealisierte Zone, in der immer noch geträumt werden darf.  

Tonio Schachinger ist nun also, wie wir während der Lektüre dieses beeindruckenden Romans feststellen, auf dem besten Weg zum erfolgreichen Sprachkünstler. Wir ziehen aber auch den Hut angesichts des enormen Erkenntnisinteresses dieses jungen Autors: Immerhin hat er es offenbar geschafft, neben Studium, Roman-Recherchen und dem Schreiben noch gynäkologische Fortbildungs-Seminare zu besuchen: Wie sonst kann man seine drastischen Sex-Szenen erklären? Es ist jedenfalls  bemerkenswert,  mit welcher Lockerheit und Sachkenntnis  er das Motto „Es muß doch mehr als alles geben!“ auch in Schlafzimmer-Szenen anstrebt. Ivo im intimen Clinch mit Jessy, das ist ein erzählerisches Oszillieren zwischen existentiellem Zweifel und euphorischer Ekstase, visuell im Großbild-Format als Happy End-Home-Movie mit reichlicher Sperma-Berieselung präsentiert: „Ist Jessy gekommen? Kommt sie dauernd? Kommt sie nie? Wo endet der Schmerz und wo beginnt die Geilheit? Ivos Hände zittern. Er zieht seinen Schwanz raus, schaut ihn an und dann genau in Jessys Augen, während er mit einer Hand Jessys Arsch nach oben drückt und seine Eichel in die Kerbe von ihrem Arschloch legt … Sie schluchzt, und Ivo kommt so schnell, wie eine Welle am Strand bricht. Badummtsch. Sie liegen nackt auf dem Bett, Ivo wie ein Seestern und Jessy wie ein Löffel, vollkommen friedlich, und er nimmt sich vor, ab jetzt jeden Tag so glücklich darüber zu sein, dass seine Familie lebt.“

„Nicht wie Ihr“: Das heißt für diesen Autor eben auch: Schärfer, konkreter, verstörender erzählen als der moderate Main Stream. Total Immersion eben – in jeder Beziehung! 

  • Tonio Schachinger: Nicht wie Ihr. Kremayr & Scheriau, Wien 2019. 304 Seiten, 22,90 Euro.   

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