Sachbücher, besprochen von Alf Mayer:
Clemens Marschall: Tatort Wien. Verbrechen, Mord und Totschlag
Hannes Riffel (Hg.): Vor der Revolution. Ein phantastischer Almanach
Von Albrecht Dürer bis Andy Warhol. Highlights aus der Graphischen Sammlung ETH Zürich
Lisa Schrimpf: „Polizeibeamte! Vergesst nicht!“ Widerständiges Verhalten Frankfurter Polizeibeamter
Handlungsspielräume. Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus
Es folgen noch:
Helena Barop: Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden
Mathias Gatza: Die Himmel über Berlin. Eine historisch-fiktive Spurensuche
Carl-Ludwig Paeschke: Flughafen Tempelhof. Die Geschichte einer Legende
Roberto Saviano, Asaf Hanuka: I’m Still Alive

Auftritt mit Programm
(AM) 1973, also fünfzig Jahre ist es jetzt her, dass herausgegeben von Franz Rottensteiner im Insel Verlag das ansprechend gemachte Taschenbuch „Polaris 1. Ein Science Fiction Almanach“ erschien, mit dem das Genre Science Fiction erstmals im deutschsprachigen Raum ein Periodikum auf seriöser und literaturwissenschaftlicher Grundlage erhielt. Beachtliche 10.000 Exemplare wurden gedruckt, 1974 gab es eine zweite Auflage und dann bald jedes Jahr eine neue Ausgabe, 1986 erschien die zehnte und letzte. „Phaicon“, der von Rein A. Zondergeld betreute Bruder-Almanach zur phantastischen Literatur, brachte es auf fünf Ausgaben. Insgesamt 360 Bände erschienen in der Phantastischen Bibliothek Suhrkamp zwischen 1978 und 1998, immer noch eine verlegerische Großtat.
Mit dem durchaus programmatisch gemeinten Almanach-Titel Vor der Revolution tritt nun ein neugegründeter Science-Fiction-Verlag auf den Markt: Carcosa aus Wittenberge an der Elbe. Eine darin enthaltene Kurzgeschichte von Ambrose Bierce verrät, was es mit diesem Namen auf sich hat. Herausgeber und Verlagsgründer Hannes Riffel, die letzten 30 Jahre bei Argument, Klett-Cotta und S. Fischer aktiv, zitiert als Almanach- wie Verlagsmotto Montesquieu („Mir scheint, solange jemand all die alten Bücher nicht gelesen hat, hat er keinen Grund zu den neuen zu greifen“) und Ionesco: „Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche, sie ist Kühnheit und Erfindung. Denn sich etwas vorstellen heißt eine Welt bauen, eine Welt erschaffen.“
Halbjährlich vier bis fünf Neuerscheinungen sind geplant, vorerst aus dem angloamerikanischen Sprachraum: Neuausgaben klassischer Werke phantastischer Literatur, neu übersetzt und/ oder erstmals vollständig. Bald schon soll sich der Bogen weiter spannen. Schon die ersten Namen lassen alle Dom-Glocken läuten: Als deutsche Erstausgabe kommt mit „Immer nach Hause“ von Ursula K Le Guin der „Werkgipfel“ (Dietmar Dath) dieser großen Autorin, ebenso erstmals das literarische Hauptwerk „Mutter London“ von Michael Moorcock, das bedeutsame „Jerusalem“ von Alan Moore, zwei Kurzromane der vielfach preisgekrönten Becky Chambers und der erste Erzählungsband der schwedischen Phantastin Karen Tidbeck. Unter den ersten fünf Veröffentlichungen befinden sich „Babel-17“ von Samuel R. Delaney und „Das lange Morgen“ von Leigh Brackett. Das Porträt dieser „Königin der Space Opera“ von Helmut W. Pesch aus diesem Almanach haben wir uns für diese CulturMag-Ausgabe besorgt, ebenso einen Textauszug aus dem Roman.
Carcosa arbeitet eng mit dem Berliner Verlag Memoranda zusammen, der sich vor allem auf deutsch-sprachige Science Fiction und Sekundärliteratur zur SF spezialisiert. Der Almanach spannt hier eine Brücke, porträtiert etwa den Autor Erik Simon. Julie Phillips schreibt über Ursula K. Le Guin, die zudem mit drei Kurzgeschichten präsent ist, Christopher Ecker über Gene Wolfe, Alec Pollack über Joanna Russ, Clemens J. Setz über Samuel R. Delany und Dietmar Dath über Alan Moore. Mögen diesem Almanach noch viele weitere folgen …
Hannes Riffel (Hg.): Vor der Revolution. Ein phantastischer Almanach. Erste Folge. Mit Beiträgen von Helmut W. Pesch, Julie Phillips, Ursula K. Le Guin, Christopher Ecker, Clemens J. Setz, Samuel R. Delany, Dietmar Dath, Alec Pollack. Carcosa Verlag, Wittenberge 2023. Klappenbroschur, 278 Seiten, 18 Euro.

Greller Schmäh aus der Nachkriegszeit
(AM) Seit jetzt über 40 Jahren sorgt der in Wien beheimatete Brandstätter Verlag für zuverlässig schöne und bestens ausgestattete Bücher, mir unvergessen etwa Rudi Pallas Buch untergegangener Berufe (meine CM-Besprechung hier). Kulturgeschichte, Gesellschaftspolitik, populäre Wissenschaft und Kulinarik sind die vier Standbeine des Verlags, ihr Fundament aber sind die 2002 gegründeten brandstaetter images, inzwischen eine der führenden Agenturen für historische Bildrechte im deutschsprachigen Raum und das größteildarchiv Österreichs. Dieser Fundus hat wesentlich Anteil daran, dass der Verlag zu den führenden Bildbandverlagen im deutschsprachigen Raum zählt.
Tatort Wien. Verbrechen, Mord und Totschlag stützt sich auf eine zum Bildimperium gehörende besondere Schatzkammer. Die rund 70 abgebildeten Fotografien stammen aus dem Archiv der 1946 gegründeten Fotoagentur Votava, heute Teil der Brandstätter-Sammlung. Dankenswerter Weise nimmt das luftig gestaltete Buch sich den Platz, immer wieder auch die Bildbeschriftungen auf der Rückseite der Fotografien zu zeigen. Die Spezialität von Votava war es, für ihre Agenturfotos nicht nur Bildunterschriften anzubieten, sondern – servierfertig formuliert – auch ein knackiges Kurzmeldungsformat. Heute liest sich das gerade bei den Crime-Fotos wie der Aufregungs-Originalton bei den damaligen Skandalen. In einem True-Crime-Buch von heute bietet so etwas zusätzliche Dimension. Es spricht für den Buchautor Clemens Marschall, Musikwissenschaftler, Randzonen- und Grenzlandforscher, Beobachter und Chronist verschiedener Subkulturen (etwa der Pornoproduktion in Österreich), dass er diese Erzählebene neben seinem ebenso informativem wie süffigem Text zulässt, ja aktiv einbaut.
Schönen Schmäh bieten die Kriminalfälle genug. Da gibt es die Fleischwolf-Mörderin Adrienne Eckhardt (das Eisenteil die Tatwaffe), den Blaubart von St. Pölten, eine Mörderin mit Engelsgesicht, den Frauenschreck von Wien, den Killer mit dem Milchgesicht, den Mädchenmord am Russendenkmal, das Phantom der Wiener Oper, den Mörder mit dem Maurerfäustl, den Hackenattentäter, einen Gasmann als Serienmörder, eine Leuchtgasmörderin, einen spektakulären Gefängnisausbruch, einen Teppich als Schalldämpfer, Schmarzmarktkönige, Prostituierte, Seidenstrümpfe – alles im Wien der Nachkriegszeit.
Ein Verdienst von Clemens Marschall ist es, literarische und populärkulturelle Bezüge herzustellen: wie etwa H.C. Artmann zu seinem Gedicht „Blauboad“ kam. Qualtinger zum „Unternehmen Kornmandl“, Herbert Fux zur Hauptrolle in „Geißel des Fleisches“ oder Georg Danzer zum Song „Die Moritat“. Gerhard Pfiffl, Archivleiter bei Brandstätter, dröselt uns die „Kriminalfotografie zwischen Dokumentation und Lust am Schauen auf“. Und ich habe gelernt, wie selbstverständlich in den 1950ern, kurz nachdem man das alles gründlich mit der jüdischen Bevölkerung gemacht hatte, immer noch von der Polizei amtsprachlich „perlustiert“ wurde: jemanden zur Feststellung der Identität anhalten und genau durchsuchen (Duden).
Clemens Marschall: Tatort Wien. Verbrechen, Mord und Totschlag. Wahre Kriminalfälle. Mit einem Vorwort von Tatort-Kommissarin Adele Neuhauser. Brandstätter Verlag, Wien 2023. Hardcover, 192 Seiten, rund 70 Fotos, 25 Euro.

Radierungen, Zeichnungen, Stiche, Holzschnitte, Drucke – Best of the Best
(AM) Dürers Rhinozerus-Holzschnitt von 1515 liegt als transparenter Umschlag über Andy Warholys Campbell’s-Suppendose von 1968. Das Format ist großzügig, fast quadratisch, das Katalogpapier hat annähernd Büttenqualität, eine großartige Haptik. Selten habe ich all die verschiedenen Gravur- und Zeichentechniken, die von Künstlern im Laufe der Jahrhunderte verwendet und perfektioniert wurden, so perfekt und satt reproduziert gesehen. Ein Katalog zum Hineinhechten, eine Meisterleistung des Zürcher Verlags Scheidegger & Spiess (Koordination Chris Reding) – die dazugehörende Ausstellung Von Albrecht Dürer bis Andy Warhol. Highlights aus der Graphischen Sammlung ETH Zürich läuft noch bis 7. Januar 2024 im MASI Lugano (Museo d’arte della Svizzera italiana).
1867 ursprünglich als klassische Studiensammlung gegründet, ist die Graphische Sammlung der ETH Zürich mit inzwischen über 160.000 auf Papier gedruckten Werken vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart eine der bedeutendsten Sammlungen von Druckgrafik und Zeichnung (nicht nur) in der Schweiz. Jetzt, in Lugano (oder eben im keine Wünsche offen lassenden Katalog) sind die wichtigsten Kernstücke der Sammlung zum ersten Mal einer Öffentlichkeit zugänglich: Meisterwerke von Künstlerinnen und Künstlern wie Lucas van Leyden, Elisabetta Sirani, Rembrandt van Rijn, Maria Sibylla Merian, Francisco de Goya, Giovanni Battista Piranesi, Käthe Kollwitz, Louise Bourgeois, Pablo Picasso, Edvard Munch, Miriam Cahn, Max Beckmann, Egon Schiele, Munch, Félix Valloton, Louise Bourgois, Oskar Kokoscha, Meret Oppenheim – sechs Jahrhunderte Kunstgeschichte auf rund 300 herausragenden Blättern aus dieser Sammlung. Dreizehn Seiten Albrecht Dürer leiten die großartigen Auftritte ein.
Claude Mellans „Schweißtuch der Heiligen Veronika“, von einem Punkt auf ihrer Nasenspitze aus als eine einzige Linie gezeichnet, wird auf einer Ausklappseite im Detail näher nachvollziehbar. Auch die vier Himmelstürmer von Hendrik Goltzius gibt es als Ausklappdoppel, eine weitere XXL-Seite gilt einem Alpenpanorama von Hans Conrad Escher von der Linth. Rund 40 Kurztexte zu ausgewählten Werken und ein einführender Essay zu Entstehung und Entwicklung der Sammlung begleiten die Auswahl. Persönliche Äußerungen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern sowie Forschenden runden den Band ab. Weltklasse sein, das hat sich die ETH als Mission gesetzt. Auf diesem Katalogpapier ist sie es, unbestritten.
Von Albrecht Dürer bis Andy Warhol. Highlights aus der Graphischen Sammlung ETH Zürich. Herausgegeben von Arianna Quaglio, Linda Schädler, Patrizia Keller. Scheidegger & Spiess, Zürich 2023. Broschiert, 312 Seiten, 309 farbige und 7 s/w-Abbildungen, CHF 49,00.
Schaubild der Organisation der Deportationen in Frankfurt/ Main – siehe auch die Anmerkung
Gab es Widerstand in der Polizei?
(AM) „Die große Mehrheit der Polizisten, auch in Frankfurt am Main, ist den Nationalsozialisten ohne Widerstand und meist sogar willfährig gefolgt“, konstatierte 2022 der Frankfurter Polizeipräsident Bereswill. Er sorgte dafür, dass drei Sitzungsräume im neuen Polizeipräsidium an der Adickesallee nach drei verbürgten aufrechten Beamter benannt wurden – meine Besprechung der zugehörigen Broschüre „Die Frankfurter Polizei und drei aufrechte Beamte im Nationalsozialismus“ bei uns hier. Auch sein Nachfolger Stefan Müller hat mit der Aufarbeitung der NS-Zeit und dem durch eklig nazihafte Polizei-Chatgruppen mitten in Frankfurter Revieren, Stichwort NSU 2.0, dauerhaft ramponierten Ruf der Ordnungskräfte anhaltend zu tun. Eine der Maßnahmen ist die vom Studienkreis Deutscher Widerstand erarbeitete Ausstellung Handlungsspielräume. Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus, die seit Juli 23 „in den Liegenschaften des Polizeipräsidiums“ zu sehen ist und dann durch Frankfurter Polizeireviere touren soll. Nicht für die Öffentlichkeit gedacht, nur sozusagen für den internen Dienstgebrauch.

Ich konnte mir den gleichnamigen Katalog besorgen, 70 Seiten stark, der die Schautafeln abbildet. Er ist ein Stück Staatsbürgerkunde, aus einem – auch 70 Jahre später – immer noch zu wenig erschlossenen Sperrgebiet. Teils wurden viele Polizeiakten vernichtet, dem Vergammeln überlassen oder schlicht bis heute nicht genügend erschlossen. Die Fakten- und Forschungslage ist prekär, man darf dazu die Systemfrage stellen. Siehe auch meine Besprechung von „Polizei und Holocaust“. Alleine in Frankfurt liegen, weithin unerschlossen, noch 165.000 Gestapo-Karteikarten.
Die deutsche Polizei war neben der SS, man muss das so hart sagen, das Rückgrat der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihrer Vernichtungspolitik. Polizisten waren bis auf wenige Ausnahmen an allen Formen und Stufen der Verfolgung und später der Vernichtung beteiligt. Das aus Frankfurt stammende Polizeibataillon 306 war in Polen und Belarus an Ausrottungskationen beteiligt. Alleine in Frankfurt wurden mehr als 10.000 als Juden verfolgte Menschen in die Vernichtungslager deportiert. Hier Positives und gar „Handlungsspielräume“ zu finden, Beispiele aktiven Widerstands von Polizeikräften gegen das Nazi-System, ist keine leichte Aufgabe.

Entsprechend heikel (und teilweise hinter den Frankfurter Kulissen heftig debattiert) sind die heutigen Zuordnungen „guter Taten“ oder Beweise von Heldenmut in der Ausstellung. Wobei für mich schlicht schon die Dokumentation der Polizeiverhältnisse im NS-Staat ein zu würdigender Vorgang ist. Das gilt vor allem auch für die Arbeit der Historikerin Lisa Schrimpf, die wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Ausstellung hat. Ihre Forschungsergebnisse sind in der Schriftenreihe für Polizeigeschichte unter dem Titel „Polizeibeamte! Vergeßt nicht!“ Widerständiges und resistentes Verhalten Frankfurter Polizeibeamter im Nationalsozialismus erschienen. Sechs Polizisten-Biografien wird darin näher nachgegangen und dem „Leuchner-Kreis“, zudem der Sicherheitsapparat dargestellt. Der Katalog enthält im Anhang aufschlussreiche Dokumente, Faksimiles von Akten, Anklageschriften, Flugblättern. Besonders haarsträubend: ein, wenn auch erst 1960 gefertigtes Schaubild für den Ablaufplan der Deportation der jüdischen Bevölkerung in Frankfurt (siehe die Anm.) und folgender Brief:

„Lieber Kamerad vom Polizeibataillon 306!
Der Geist des ehemaligen Polizei-Bataillons 306 hat sich trotz vieler Anfeindungen befruchtend auf unsere geliebte Frankfurter Polizei ausgewirkt. Einsatzbereitschaft, Kameradschaft und Treue aus Liebe zum Beruf habe den ehemaligen 306er in Zeiten Deutschlands tiefster Erniedrigung zu einer starken Säule der demokratischen Hüter der Ordnung werden lassen. Nach Schillers Spruch
„Alle Gewalten
zum Trotz sich erhalten –
nimmer sich beugen,
kräftig sich zeigen…!“
hat sich auf vielseitige Anregung – besonders von Kameraden außerhalb von Frankfurt/ Main – ein Komitee gebildet, das beabsichtigt, ein erstes Generaltreffen „Kameraden des ehemaligen Polizei-Bataillons 306“ am Samstag, 1. März 1958 in Frankfurt/M. zu veranlassen… Mit bestem Gruß! (Kuhr) Polizei-Kommissar.“
Anm.: Zu dem Schaubild oben – diesen Hinweis verdanke ich Gottfried Kößler vom Studienkreis Deutscher Widerstand 1933 – 1945 – gibt es eine ausführliche Untersuchung: Alfons Maria Arns und Raphael Gross: „Das Organigramm des Frankfurter Gestapo-Beamten Heinrich Baab – Die Deportation der Juden aus NS-Täter-Perspektive“, in: Raphael Gross, Felix Semmelroth (Hrsg.): Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. Die Deportation der Juden 1941-1945, München 2016, S. 195-209.
Kurz zusammengefasst: Heinrich Baab hatte sich „wegen seines brutalen Verhaltens[…] zur Schlüsselfigur der verbrecherischen Handlungen der Frankfurter Gestapo aufgeschwungen“ (Arns, Groß, 2016, S. 196-7). Nach seiner Verurteilung versuchte sich Baab aus der Strafanstalt Butzbach heraus – wo er auch eine Ausbildung als technischer Zeichner machte – über viele Jahre hinweg auf verschiedenste Art und Weise (Briefe mit Gnadengesuchen, Beiträge in Tageszeitungen, Anträge auf Wiederaufnahme des gegen ihn durchgeführten Schwurgerichtsverfahrens, Memoranden etc.) als „kleines Rädchen und weisungsgebundener Beamter“ zu rechtfertigen, der „unverschuldet in das Getriebe der Judenverfolgungsmaschinerie geraten“ sei und in „untergeordnete(r) Stellung“ nur „gewissenhaft und unbestechlich“ zum Wohle Deutschlands seine Pflicht erfüllt habe […]“ (Arns, Groß, 2016, S. 197).
Zur Einordnung des Organigramms ist entscheidend, dass Baab es erst in den 1960er Jahren anfertigte. Erst in den 1960er Jahren machte er Aussagen über die Deportationen. Zur Zeit seines Gerichtsverfahrens 1950 rückte er damit noch nicht heraus. Er wollte wohl Rache an seinen Vorgesetzten und Kollegen üben, die – anders als er – nicht verurteilt worden waren. Erst aufgrund von Baabs Aussagen in den 1960er Jahren wurden Verfahren gegen weitere Verantwortliche eingeleitet; zu einer Verurteilung kam es jedoch in keinem der Fälle.
Studienkreis Deutscher Widerstand 1933 – 1945 (Hg.): Handlungsspielräume. Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus. Ausstellungskatalog. Frankfurt 1923. 70 Seiten, 8 Euro.
Lisa Schrimpf: „Polizeibeamte! Vergeßt nicht!“ Widerständiges und resistentes Verhalten Frankfurter Polizeibeamter im Nationalsozialismus. Band 26 der Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt 2022. 160 Seiten,24,90 Euro.