Geschrieben am 15. Juni 2018 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2018, Porträts / Interviews

Neo-Klassiker, wiedergelesen: John Fowles

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Der Dichter im Arbeitszimmer – Aufmacherfoto der deutschen www.fowles-gesellschaft.de

Ruheloser selbstkritischer Revisor

Sind die Verfilmungen seiner Romane „Der Sammler“, „Der Magier“ oder „Die Geliebte des Französischen Leutnants“ inzwischen populärer oder anerkannter als die Romanvorlagen von John Fowles (1926-2005)? Er selbst bezeichnete sich in seinen Tagebüchern als ewig unzufriedener, zwanghafter Revisor: Die meisten Schlußkapitel veränderte er mehrmals. Und in seiner Anfangsphase als Autor schrieb er jahrelang an Texten, die er nicht wagte, irgendwelchen Verlagen anzubieten, weil sie „einfach zu schlecht waren“.  Mit dem vor 55 fowles 3733584b8ba317eeae6420f5f8dJahren verfassten „Collector“ und „The Magus“ (1965) änderte sich seine prekäre Phase emotionaler und ökonomischer Unsicherheit – lukrative Film-Deals ermöglichten es ihm, den Lehrerjob aufzugeben und sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Beim Lesen des Neo-Klassikers Fowles wird schnell offensichtlich, dass seine mächtigen beiden „Journals“ eigentlich viel brisanter, vielseitiger und analytischer sind als seine Romane – Von Peter Münder.

Schon mit zwölf Jahren schrieb der begeisterte Ornithologe und Schmetterlings-Sammler John Fowles einen Essay, „Entymology for a Schoolboy“, in dem er das Geheimnis verriet, wie man Motten fängt: Indem man nämlich reichlich Bier und Honig auf Bäume schmiert. Ein harmloser Tipp eines kleinen Naturforschers, der merkwürdige Tierchen sammelt? Oder steckt dahinter schon der pathologische Sammel-und Besitzwahn des psychopathischen Frederick Clegg im „Collector“ (1963), der die angebetete  Kunststudentin Miranda betäubt, entführt und im Keller seines Hauses einkerkert, weil sie  ihn durch sein weiteres Leben begleiten soll? Er will sie zwar anbeten und sie völlig abhängig machen, aber seine Obsession ist total auf ihre Psyche fixiert. Und er bildet sich ein, eigentlich ein ganz friedlicher, gutmütiger Typ zu sein. Dieses Powerplay-Thema dominiert als Leitmotiv ja auch den „Magus“, wo Nicholas Urfes Begegnung mit dem mysteriösen, unberechenbaren und dominanten Conchis von Anfang an als Psycho-Schachspiel beschrieben wird. 

Als 16jähriger Headboy habe er wie ein brutaler  „Gauleiter“  mit seinen respektheischenden Kohorten für Disziplin unter den 600 Schülern der Public School Bedford gesorgt und natürlich auch die Prügelstrafe angewendet, erklärte John Fowles in einem BBC-Interview mit Melvyn Bragg.  Aber insgeheim sei er immer  ein Gegner dieses gesamten Systems gewesen, trotz der mit Freude und Begeisterung gespielten wunderbaren Cricket Matches. War er also ein „split child“? „Aber sicher“, antwortet Fowles: Ursprünglich wollte er nur

fowles 612x1+az+gS._SL1169_Gedichte fabrizieren, entwickelte aber auch ein Faible für Botanik und Ornithologie, für Schmetterlinge  und Raupen, was er seinem naturverbundenen Onkel verdankte, der ihn auf aufregende, völlig illegale  Poaching-Trips zum Wildern mitnahm. Keine Frage, der in Devon aufgewachsene Naturbursche Fowles war eigentlich immer ein zwischen unterschiedlichsten Interessenfeldern Zerrissener: Als Poet war er auch vom Roman fasziniert, als Student laborierte er lange an seinen ersten eigenen Texten herum und las fast alle gängigen und exotischen Klassiker von Dostojewski, Dickens, EM Forster und Hardy bis zu Joyce oder Montaigne. 

„Ohne das Rauschen im Hintergrund nicht zu ertragen …“

Seine eigenen Arbeiten erschienen ihm jedoch alle zu banal; daher wollte er auch nicht die Schmach riskieren,  Manuskripte anzubieten, die ihm dann wieder zurückgeschickt worden wären. „Mein Geschreibsel ist so naiv und pueril, es stellt ein so unartikuliertes Gestammel dar, dass es schon beängstigend ist – werde ich meine Vergangenheit je bewältigen können?“ So lautete einer seiner ersten Tagebuchvermerke von 1949 aus seiner Studentenzeit am New College Oxford, wo er Englische Literatur, Romanistik und Germanistik studierte. Da er die deutschen Liederabende hasste und ihn die deutschen Tutoren langweilten, gab er die Germanistik schon im ersten Jahr wieder auf. Nach seinem Studium dann die für Fowles typischen Phasen, in denen sein Haß gegen englisches Middle-Class-Biedermaier und selbstgefälliges Spießertum der Eltern überwiegt, diese Wut gegen den banalsten Jargon heimischer  Eigentlichkeit, der ihn beinah an der Menschheit verzweifeln und alle anderen Empfindungen ausblenden läßt: Wie kann man Mozart hören, wenn die Mutter unentwegt über Weihnachtsdekorationen schnattert und der Vater im Ohrensessel schnarcht? Und wie kann man so amöbenartig vor sich hin dämmern, den lieben langen Tag nur aus dem Fenster starren und mit Kreuzworträtseln vertrödeln wie der Vater – und dabei nicht das geringste Interesse am Leben empfinden? Seine manisch-depressiven Phasen, seine Tendenz, sich einzuigeln in der idyllischen Einsamkeit von Lyme fowles419a07f71124aa4d341eRegis/Devon und sich statt dem ewigen Genörgel seiner Ehefrau Elizabeth lieber dem beruhigenden  Meeresrauschen („Ohne das Rauschen im Hintergrund könnte ich das alles nicht mehr ertragen“) oder dem Gezwitscher der Vögel hinzugeben, werden nur durch das gelegentliche Auskosten von Glücksphasen neutralisiert, die sich beim intensiven Schreiben ergeben.

Ein Jahrzehnt lang schreiben, korrigieren, weiterschreiben – und dann endlich zwei Bestseller produzieren  

Als er nach einer verkorksten Liebesaffäre einen Englischlehrer-Job an einer Schule auf der entlegenen Ägäis-Insel Spetsai annimmt, ergeben sich trotz depressiver Einsamkeits-Phasen euphorische Höhepunkte, wenn er auf stundenlangen Märschen durch einsame Pinienwälder keinen einzigen Menschen trifft, im Meer baden und  einige Vögel beobachten kann: Die ideale Symbiose von Kunst und Natur, die er in den Tagebüchern beschwört, hat er hier auf der „Magus“-Insel, dem Schauplatz des 1965 veröffentlichten Romans, tatsächlich gefunden. Und nachdem er in England diese Sehnsucht nach der beinah mythisch gewordenen Insel nicht mehr verdrängen konnte, begann er den „Magus“ zu schreiben. 

In den beiden „Journals“ beschreibt er  die Suche nach seiner künstlerischen Identität (Dichter oder Romancier?), seine Flucht vor dem Provinz-Muff, auch seine Arroganz und seine Selbstzweifel. Fowles  beherrscht eine beeindruckende selbstkritische Distanz, die meistens auch eine scharfsinnige analytische Dimension beinhaltet. Kein melodramatisches Tremolo, kein larmoyantes Selbstmitleid: „Poetry is controlled schizophrenia“ notiert der angehende junge Dichter etwa in seinem Tagebuch. Und er fügt (1951) hinzu: „Wenn ich jetzt getötet werde, gibt es nur zwei oder drei Short Stories und 15-20 Gedichte von mir, die halbwegs haltbar sind – der gesamte Rest ist unreif, nur Müll“.

fowles 6Vb29EqCnJHyrTBXKmJ0RVtyn1aÜber zehn Jahre lang hatte Fowles nach dem Studienabschluß sich auf die Lyrik und seine Romanprojekte konzentriert. Korrekturen und Überarbeitungen fertiger Romane liefen dabei nebeneinander her: Den Entwurf für „The Magus“ hatte er zwar in einem Monat fabriziert, aber bis zur Veröffentlichung waren insgesamt fünfzehn Jahre vergangen,  in denen er auch den „Collector“ verfasst hatte, der sein erster Bestseller wurde und dann auch ziemlich schnell (mit Terence Stamp) verfilmt wurde. Seine philosophisch-literarischen Thesen erschienen unter dem Titel „Aristos“ 1964 – also zwischen dem „Collector“ und „The Magus“. Furore machte er noch 1969 mit „The French Lieutenant’s Woman“ (FLW): als experimentierfreudiger Roman von der Kritik akzeptiert, als Film sehr erfolgreich.

Fowles ist also eigentlich ein Multi-Tasker, der auch mal neben einem Roman einen Essay schreibt oder auch ein Traktat über „The Enigma of Stonehenge“ oder über die Geschichte von Lyme Regis. Damit hatte er endlich  seine lange Durststrecke überwunden – der Lyriker aus dem Elfenbeinturm war plötzlich zum bekannten Bestseller-Autor und Intellektuellen avanciert, obwohl sein Londoner Verleger Tom Maschler (von Jonathan Cape) für den „Collector“ ursprünglich ein Pseudonym vorgeschlagen hatte – was Fowles jedoch ablehnte. Und er bekam plötzlich – vor allem von amerikanischen Filmproduzenten Angebote, bei denen es um exorbitante Summen ging, die er für aberwitzig und beinah unmoralisch hielt. Dieses Milieu der millionenschweren Film-Egomanen und schauspielernden Narzisten fand  Fowles eher abstoßend. Trotzdem tummelte er sich bei seinen Promotion-Tours in New York, LA, San Francisco usw. immer mitten in diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten. 

fowles IMG_0032-4Erfrischend und begeisternd sind seine ebenso scharfsinnigen wie ätzenden Tagebuch-Bemerkungen über die amerikanische Aversion gegen das Denken, seine Häme über die amerikanische Sucht nach „instant living and entertainment“, aber auch seine Bewunderung für die Offenheit und Lässigkeit der Amerikaner.

„Wie von einem intelligenten Kaninchen geschrieben…“

Die von Charles Drazin herausgegeben beiden „Journals“ (Band 1: 1949-1965, Band 2: 1966-1990) ergeben zusammen 1100 Seiten, sind aber, wie Drazin in seinem Vorwort anmerkt, bereits von zwei Millionen Wörtern auf diese „griffige“ Länge eingedampft worden.

Fowles ermöglicht uns den Einblick in seinen Kosmos, auf seine Sicht der Gesellschaft, auf die zunehmende Unwirklichkeit der Großstadt – hier natürlich besonders London – und seine allgemeine Irritation angesichts wachsender sozialer Probleme. Nach einem erholsamen Süd-Frankreich-Trip vermerkt er  nach der Rückkehr in Lyme Regis: „Die Armut hier in der englischen Provinzist einfach schockierend. Hier wirkt alles so, als wären wir im Gulag Archipelago.“ Die verkorkste politische Lage – egal, ob nun Labour-Lemminge oder die Konservativen an der Macht sind – lässt ihn völlig frustriert ein Plädoyer für eine „linksgerichtete Oligarchie“ formulieren. Ein Hochgenuß sind seine drastischen Einschätzungen etablierter Autoren oder die Beckmesser-Verdikte über weltbekannte Stars. EM Forsters „Howard’s End“ hält er für so betulich und tantenhaft, als ob es „von einem intelligenten Kaninchen“ geschrieben wäre.

fowles The-Magus-michael-caine-5118901-500-282Nach der Vorführung der „Magus“-Rohfassung mit Michael Caine bemerkt er: „Caine ist so grauenhaft schlecht, völlig unglaubwürdig als englischer Undergraduate. Dieser bestbezahlte europäische Star driftet durch seine Rolle, die er überhaupt nicht versteht, hat keine Ahnung, wie er reagieren oder überhaupt auftreten soll… Am schlimmsten an Caines Totalversagen ist, dass es den ganzen Film prägt“. Auch am blassen, blasierten Terence Stamp lässt Fowles kein gutes Haar. Ihn kotzt der Rummel um die berühmten Celebrities an, um die fowles The Magus.avi_snapshot_01.55.07_[2011.07.15_22.02.05]Mörderkohle, mit der überall geprotzt wird, die er ja selbst auch verdient, aber völlig unwirklich und degoutant findet. Bezeichnend auch, dass ihn auf seinen USA-Reisen Los Angeles am meisten anwidert, dort sieht er eigentlich nur „Zombies“ und keine richtigen Menschen.

Selbstkritisch geht er aber auch in sich, wenn er erkennt, wie idiotisch er sich  verhält, wenn er als  Mitarbeiter  bei Verfilmungen seiner Romane als Drehbuchschreiber mitarbeitet: Die Diskussionen mit immer neuen, wechselnden Regisseuren, Produzenten und anderen Wichtigtuern kann er einfach nicht mehr ertragen. Immerhin hatte er dann doch noch nach Finanzierungsproblemen und Absagen einiger ausgewählter Regie-Favoriten des FLW-Films, ganz erfreuliche Erfahrungen mit Regisseur Karel Reisz gemacht. Mit Harold Pinter, dem FLW-Drehbuchschreiber, verstand er sich trotz dessen „Neurosen und  Manierismen“  gut. Sein analytischer Blick hatte aber beim mühsamen Spaziergang entlang sperriger Hügel und unwegsamer Küstenwege am Drehort Lyme Regis sofort den unbeholfenen Stadtmenschen identifiziert, der große Angst vor hochgelegenen Hügeln hatte: Pinter hatte Höhenangst und brach den Spaziergang abrupt ab:  „The rough  going was too much – a town fish out of water“, heißt es im Tagebuch.

fowles 1372742Der unentwegte Korrektor Fowles hatte für FLW ja zwei verschiedene Schlußversionen geschrieben, weil er neben den unterschiedlichen viktorianischen und zeitgenössischen Zeitebenen auch  jeden Hauch einer angestaubten Happy End-Version vermeiden wollte. Ihn verblüffte bei den Dreharbeiten dann am meisten, dass dieser experimentelle Dekonstruktions-Versuch so breite Zustimmung bei den empfindsamen  Schauspielern Jeremy Irons und Meryl Streep fand.

Grumpy Fowles hatte übrigens, wie er im „Journal 2“ bekennt, zwei Schwachpunkte: Seine Kettenraucherei (50-60 Glimmstengel täglich) war für ihn  die Grundvorrausetzung für kreatives Arbeiten; sie verursachte aber alle möglichen Bronchialbeschwerden und schließlich auch den tödlichen Krebs. Als er aber für kurze Zeit in den Nichtrauchermodus wechselte, wäre er beinah verrückt geworden, weil er nicht mehr richtig denken und sich auch nicht mehr konzentrieren konnte – also machte er weiter mit der Qualmerei. Und in den letzten Jahren, als er sich nach mehr Mobilität sehnte, bedauerte er zutiefst, keinen Führerschein gemacht zu haben. Für Autofahrten war er immer auf seine Frau oder auf Bekannte aus dem Dorf angewiesen. 

Für den völlig undogmatischen Autor Fowles war übrigens nichts ärgerlicher, als von Lesern oder Kritikern gefragt zu werden, was seine Romane „eigentlich bedeuten“ sollten. Für ihn gab es zu allen Texten immer mehrere Versionen, Alternativen und Meinungen: „Für mich ist ein Roman wie ein Rorschach-Test – jeder kann seine eigene Meinung hineinprojizieren und natürlich auch richtig finden.“ Diese liberale Einstellung vermitteln die beiden „Journals“ auf eine mitreißende, packende Art – trotz seiner ausgeprägten Grumpyness.

fowles2eaf410135115b3fef17674Mein Fazit: Die Romane und auch die FLW-Verfilmung mögen immer noch besonders populär sein, doch der brillante Autor John Fowles kommt erst richtig auf Touren, wenn er in den beiden Journals über die Entstehungsgeschichte seiner Romane berichtet, sein Umfeld ins Visier nimmt und sich dabei selbstkritisch unter die Lupe nimmt. Auch als sozialkritischer Zeitzeuge liefert Fowles über den Wandel der englischen Gesellschaft eminente und verblüffende Einsichten.     

Peter Münder

John Fowles: The Collector, London 1963
Ders.: The Magus, 1965
The French Lieutenant’s Woman, London 1969
The Journals: Vol. I (1949-1965), London 2003, Vol. II (1966-1990), London 2006.
Eine Internetseite für ihn (Englisch).
Die Deutsche John-Fowles-Gesellschaft hier.

Die Texte von Peter Münder bei CrimeMag.

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