Geschrieben am 1. September 2020 von für Crimemag, CrimeMag September 2020

Michael Friederici: Hexenjagd im Hamburger Hafen

HarbourFrontberichterstattung

Das Hamburger Harbour Front Literaturfestival hat alles: Kohle, Personal, einen englischen Namen und jede Menge eingekaufte A, B und C Promis – gepimpt, weil‘s halt sein muss, mit ein paar lokalen Spezln, die sich geehrt fühlen.  Die übliche systemrelevante Melange also. Und als hätte man in Hamburg noch nicht gemerkt, dass die ökonomistische Wachstumsidee  tief in einer Legitimations Krise steckt, zerfleddert sich die Vorlesereihe auf mittlerweile 37 Tage (9.9. – 18.10.). Das Profil des Veranstaltungsmarathons besteht noch nach elf Jahren in einer Ansammlung von Schaufensterveranstaltungen der Verlagsmarketing-Abteilungen, mit der erklärten Absicht, den Hochglanz-Retortenstadtteil HafenCity mit Hochglanz-Events zu beleben. Die Eventisierung der Lesekultur bringt zwar Quote, euphemistisch Publikumswirksamkeit genannt, aber kaum eine  nennenswerte überregionale Beachtung. Das hätte jahrelang so weitergehen können, wie das gleichmütige Ein- und Ausfahren der Kreuzfahrtschiffe. Aber im vergangenen Jahr kündigte der  Hauptsponsor, umstritten wegen seines Umgangs mit der NS-Geschichte seines Unternehmens, an, sich zurückziehen zu wollen. Und jetzt kommt ein weiteres Problem hinzu: Just in der Zeit, als erstmalig der Internationale „Tag gegen den Hexenwahn“ begangen ward, grillten die hansestädtischen Veranstalter einen ihrer Premium-Top-Acts: Lisa (Versace) Eckhart. Sie sei ins Visier militanter „Culture Cancler“ geraten. Vom „Schwarzen Block“ war die Rede, von Sicherheitsbedenken. Deshalb erhielt die Autorin eine Ausladung. Als sich dann herausstellte, dass es, wenn überhaupt, allenfalls Gerüchte, aber keine handfesten Drohungen gegeben hatte, lud Harbour Front sie wieder ein. Die Autorin lehnte ab. – Noch bevor das Festival begonnen hatte, schrieb sich die inter-/nationale  Presse zwar nun endlich die Finger wund über das Harbour Front Literaturfestival, aber nur über den Müll political correctness, die Stadt und ihre cancel-culture und das beschämende Verhalten der Hamburger Literatur-Eventisten. – Eine kleine Geschichte über unternehmensorientierte Kulturpolitik und den literarischen Skandal des Jahres (NDR). 

Als einmal in Japan ein AKW umfiel

Literatur-, Film und sonstige Festivals gibt es in Deutschland so viele, wie heavy Handy-User in der S-Bahn Linie 1 zwischen Ottensen und Friedhof Ohlsdorf. Sie gehören zum touristischen „Claim“ einer Stadt wie der „Hemdglonkerumzug“ zu Hirrlingen. Das „HarbourFront Literaturfestival“ startete im September 2009 als zweiter großer Buch-Act der Hansestadt neben den seit 10 Jahren im Frühjahr laufenden Vattenfall Lesetagen (1).   Die, 1999 von den Hamburgischen Elektricitätswerken ins Leben gerufen,  nach dem Verkauf der HEW an den Energieriesen Vattenfall mit dem neuen Firmenlogo versehen,  standen nach dem Fukushima-Gau (2011) zunehmend in der Kritik. NDR und Kulturzentrum Kampnagel stiegen aus,  in der Stadt stimmte eine Mehrheit dafür, die Energienetze von den an Vattenfall verhökerten HEW wieder zurückzukaufen – und es entstanden Initiativen (2) , die das kulturelle Greenwashing des Unternehmens mit eigenen Lesetagen konterten; die „erneuerbaren“ gibt es bis heute. Die „Vattenfall-Lesetage“ endeten nach 15 Jahren in einem bizarren Eklat: Die Kuratorin versuchte Autoren dazu zu drängen, nicht bei den Kultur-Aktivisten mitzutun. Sie titulierte die Anti-Atomkraft-Konkurrenz u.a. als „linksradikal“, als  „Bündnis aus autonomen Aktivisten, Öko-Saft-Produzenten und Fernseh-Promis„. Sogar Worte wie „Steinewerfer“ und „vom Verfassungsschutz beobachtet“ sollen „gefallen“ sein.  – Vom „Schwarzen Block“ war damals zwar noch nicht die Rede. Aber Harbour Front stieß in die Vattenfall-Lücke, finanziell  gepampert vom Logistik-Unternehmer und Milliardär Klaus-Michael Kühne. 

Kommt Geld, kommt Star, kommt Publikum

Der geborene Hamburger hat als Großinvestor in der Hansestadt seine Spuren (3) hinterlassen. Der Konzernpatriarch steuert sein weltweit agierendes Imperium steuersparend vom Zürisee. Die ebenfalls dort hauptsitzende Stiftung fördert kulturelle Exzellenz-Veranstaltungen. Mit seiner Devise „Mittelmaß gefällt mir nicht“ (4) versuchte Kühne auch  den inzwischen zweitklassigen Hamburger Sportverein stark zu kaufen. Entsprechend starteten die beiden Harbour Front-Gründer Nikolaus Hansen und Heinz Lehmann, zusammen mit  einem dritten Verlagsprofi, Peter Lohmann (5), ihre „Mischung aus Stars, Sternchen und Neuentdeckungen“ (6), um den Norden endlich auch als Literatur-Metropole zu etablieren: „Unser Literaturfestival soll der lit.COLOGNE das Wasser reichen können„, zitierte DER SPIEGEL 2009  Nikolaus Hansen. 

Von Anfang an wurde nicht gekleckert: Das Festival erhielt vom ersten Jahr an 800.000€, 100.000 kamen von der Stadt, 700.000 von der Kühne-Stiftung. CDU-Mann Ole von Beust, der Vater des Kostendebakels Elbphilharmonie (Die Welt), 1. Bürgermeister der Hansestadt von 2001 – 2010, dürfte zu den entscheidenden Strippenziehern dieser kulturellen public-private-partnership zur Belebung des neuen Stadtteils namens HafenCity (durchweg Investorenarchitektur mit der Anmutung eines Würfelhustens) gehört haben. In seinem Grußwort zum Auftakt des Festivals ließ er verlauten:  „Der Hafen … wird … als neuer Anziehungspunkt für Kunst und Kultur, für urbanes Leben und Wohnen erfahrbar.“ 

Der Anfang des Eklats

Der Magnet hat 11 Jahre Massenveranstaltungen geboten, eine immer kreativere Interpretation des Titels Harbour Front und den Festivalkalender aufgebläht.  Ein Profil ist bis heute nicht erkennbar, die zutiefst erwünschte mediale Wahrnehmung auch nicht. Das alles sollte sich im verflixten 12., im Corona-Jahr, ändern. Drei Wochen vor Beginn des Hamburger Harbour Front Literaturfestivals erschien Lisa Eckharts erster Roman, „Omama“: Fester Einband, 384 Seiten. Das passte nicht nur terminlich: Denn während Bücher mittlerweile vor allem die Risikogruppe interessieren, sorgt die TV-präsente Österreicherin, um die 27/28Jahre alt (7), auch in der werberelevanten Zielgruppe für Stimmung. Sie, die mehrfach dekorierte Kabarettistin mit dem unverwechselbaren Markenzeichen der Extravanz gilt als „hot“ – und Harbour Front lud sie ein. Damit begann einer der großen Literatur-Eklats der Republik.

Die Heilige Kuh hat BSE

Die gut bürgerliche Lisa Lasselsbergers (Mutter Pädagogin, erzogen von den Großeltern), inszeniert sich als die mondäne, bis zur Arroganz eloquente Lisa Eckhart. Diese Kunstfigur mit dem Hang zur Extravaganz, tadellos überlangen Fingernägeln und einem näselnd wienerischen „fad-is“-Ton, trägt ihre Sottisen gegen die neuen Sprech- und Denkverbote im leicht gelangweilten „kennen-wir-doch“-Habitus vor. Weil sie das Sprach-, Sternchen- und Gendergedöns zwar immer wieder in ihren Programmen aufgreift, aber allenfalls als  Wundertüte fataler Widersprüchlichkeiten nutzt, sind die quasireligiösen Befreiungsmoralisten  (Christian Schüle), die aus irgendwelchen Gründen noch immer als „links“ gelten, ganz und gar nicht amüsiert. Vor zwei Jahren, am 14. September 2018, auf dem Höhepunkt der MeToo-Debatte, trat Lisa Eckhart in der WDR-Sendung »Mitternachtsspitzen« mit der Diagnose an: „Die Heilige Kuh hat BSE“. In der Nummer stellt sie sich zuerst einige Personenkreise des aktuellen Achtsamkeitsdiskurses zurecht, Neger, Behinderte, Juden, Frauen, verwurstelt das alles mit Sex und Kohle und malt so den „feuchte(n) Albtraum der politischen Korrektheit“ (Eckhart) an die Wand: 

„Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen andere anzutasten?… Da haben wir endlich unsere Schützlinge aus den Fängen der Rechten befreit und dann tun sie so was. Untereinander. Was ist denn das für ein sittlicher Inzest, wenn sich ein Opfer an einem Opfer vergreift? …  Belästigte Frau schlägt … Jude, Jude wiederum schlägt Flüchtling, Flüchtling aber schlägt belästigte Frau … und es bleibt das Rätsel offen, wie kriegt man alle drei über den Fluss?“ 

Und dann traut sich dieser eiskalte Engel auch noch den damals aktuellen MeToo-Aufreger gegen den Strich zu bürsten. In einfacher Sprache: Sind die jungen weißen Frauen von MeToo antisemitisch oder rassistisch, wenn sie „Juden oder Negern“ oder welchen Unantastbaren auch immer nicht gestatten sie anzugrapschen? 

Man mag es gar nicht sagen … Und als sei das  nicht schlimm genug, belästigen sie auch noch Frauen! Weinstein, Polanski, Allen, geborener Allan Königsberg … Finden Sie dieses MeToo nicht auch antisemitisch?  – Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gut zu machen. Ich meine den Juden Reparationen zu zahlen, das ist wie Didi Mateschitz ein RedBull auszugeben. (und nachdem sie anderen Lieblings-Randgruppen eingeschenkt hat:) Aber am meisten enttäuscht es von den Juden. Da haben wir immer gegen diesen dummen Vorwurf gewettert, denen ging es nur ums Geld. Und jetzt plötzlich kommt heraus, denen geht es wirklich nicht ums Geld. Denen gehts um die Weiber. Und deswegen brauchen sie das Geld …“

Die Hatz beginnt

Nach der Sendung passierte nichts (8). Ein Jahr später, als der WDR die BSE-Diagnose sozial medial, gepostet hatte, auch nicht. Denn laut Tagesspiegel (9) bot die ARD –nach deren eigener Aussage-  das gute Stück seit November 2019 nicht mehr nur in der Mediathek an, sondern postete es auch auf facebook (10). Es bleibt also nach wie vor äußerst merkwürdig,  warum die wie koordiniert wirkende Hatz auf Lisa Eckhart erst ein halbes Jahr später, im Mai 2020 (11) losbrach.  Spätestens seitdem jedenfalls aber trägt sie den Stempel umstritten

Der mindestens ebenso umstrittene Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, eine Art selbsternannter Alibi-Netanjahu, adelte die aparten Hinterfotzigkeiten der Lisa Eckhart gegenüber der Jüdischen Allgemeinen (12) als „geschmacklos und kritikwürdig“; Lisa Eckhart überschreite bewusst Grenzen und setze ihre Pointen auf der Basis von Antisemitismus, Rassismus sowie allgemeiner Menschenfeindlichkeit (13); andere schlossen sich an. Der selbsternannte Beauftragte für giftreduzierte Satire und Sprachhygiene, Volker Beck, Ex-Grünen-MdB und langjähriger Leiter der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe etwa konstatierte „ein Potpourri aus antisemitischen Klischees und schenkelklopfendem Humor“ (14) und legte, Pressemeldungen zufolge, Programmbeschwerde ein. Nachdem die Aufregung schnell wieder abebbte, rollte wenige Wochen später die zweite Welle kurioser Ereignisse und Ungereimtheiten um Lisa Eckhart.

SOS aus dem Nochtspeicher

Das Harbour Front Literaturfestival hatte Lisa Eckhart, allen Anfechtungen zum Trotz, eingeladen. Die Autorin sollte im September im Rahmen des  Literaturdebüts um den mit 10.000 € dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis konkurrieren. Das Spektakel lief seit 2010 jährlich im „Nochtspeicher„, einem Festival-Veranstaltungsort unter anderen. Dieser liegt direkt am Hamburger Hafenrand, nur wenige Metervom mittlerweile zum Touristenhotspot und Museum für „schöner anders leben“ verkommenen „Hafenstraße“ entfernt. Bereits im Juli meldeten die Betreiber des Speichers dem Festivaltriumvirat per Mail: „Wir haben in den letzten Tagen bereits aus der Nachbarschaft gehört, dass sich der Protest schon formiert.“ (Whow) Man fürchte, in dem „bekanntlich höchst linken Viertel“ (sic!) könne es nicht nur zu Protesten gegen Eckhart kommen, eine solche Veranstaltung werde dort nicht geduldet, Polizeischutz führe sicher nicht zur Deeskalation.

Es ist unseres Erachtens sinnlos, eine Veranstaltung anzusetzen, bei der klar ist, dass sie gesprengt werden wird, und sogar Sach- und Personenschäden wahrscheinlich sind“. Kurzum: Man könne die „Sicherheit der Besucher und der Künstlerin“ nicht gewährleisten. Und weil es 2016 (!) schon ähnliche Vorgänge  im Zusammenhang mit einer Lesung von Harald Martenstein15 gegeben habe (16), plädierten die Nochtler „auf eine Verlegung der Eckhart-Lesung“.   

Die Weichen der Gewalt

Das Festival-Management bewegte sich dann auf einem noch höheren Kompetenz-Level: Um Kunst und Publikum und Lisa Eckart zu retten, suchten die Frontler wohl zuerst, Lisa Eckhart einen Soloabend zu organisieren, was der Nochtspeicher aus ggb. Anlass wieder ablehnte. (17) Weitere organisatorischen Alternativen wurden nicht erwogen, die Hafenfröntler kontaktierten die Autorin mit der Bitte, freiwillig „auf eine Teilnahme verzichten„.  Die lehnte diese Zumutung ab. Daraufhin lud das Festival sie offiziell aus – und der Blätterwald rauschte: Nikolaus Hansen beschwor gegenüber FAZ und dem Deutschlandfunk ein Drama: Die Drohungen seien wohl vom „Schwarzen Block(davon hatten die Nochtler nie gesprochen) ausgegangen. Das alles erinnere ihn „an Weimarer Verhältnisse“. – „Wir weichen der Gewalt.“ (18) Knut Cordsen sekundierte beim BR: „Der berüchtigte Schwarze Block der Hafenstraße schlägt also den schwarzen Humor, und er muss dafür noch nicht mal randalieren. Das heißt, dass der Mob bestimmt, wer auftreten darf und wer nicht, und dass die Feigheit regiert.“ Tagesspiegel, Welt, alle sprachen über das „Menetekel“ (FAZ) des „linken Terrors“ – und Dieter Nuhr fasste zusammen was zusammengehört: „Der Protestmob auf der Straße entscheidet also darüber, wer hier bei uns seine Kunst ausüben darf.“ – Michael Hanfeld (19) forderte in der FAZ, dass es nun aber an der Zeit sei, endlich „dagegenzuhalten

Wer darf über wen Witze machen?

Die Betroffenheits-, Identitäts- und Authentizitätsfetischisten, die  Tugendbolzen – und Eckhart-Gegner, die  der Kabarettistin rassistische und antisemitische Klischees vorwerfen, meldeten sich dann auch. Dass es in Hamburg nicht mehr um die BSE-Nummer von vor zwei Jahren ging, sondern um Lisa Eckharts Debütroman spielte dabei keine Rolle.20 Den konsequentesten Beitrag dazu lieferte Eliyah Havemann in der taz. Er postulierteallen Ernstes, dass Lisa Eckhart keine Witze über Juden reißen dürfe, weil sie keine Jüdin sei (21)

Notwendiger Zwischenruf 

Mir sind schon immer die Leute auf den Sack gegangen, die drauflosschwadronieren, dass man über Adolf, den Krieg, die Mühseligen und Beladenen,  die Erniedrigten und Beleidigten, die Diskriminierten und Sensiblen, die Namenlosen und falsch Titulierten …  gefälligst die Schnauze  zu halten habe, weil man entweder nicht dabei gewesen oder selbst keiner ist.  Geschenkt. Aber ich hätte da doch noch eine Frage an die „vereinigten Blockwarte des artgerechten deutschen Scherzens“ (Götz Aly, 22): Heißt das jetzt, dass nur noch Adipöse über Adipöse, Schnarchsäcke über Schnarchsäcke, Chinesen über Chinesen und nur noch Leute, die nicht ganz sauber im Kopf sind, über ihre Gesinnungsgenossen schreiben dürfen?  –  Wenn Eliyah Havemann und Konsorten tatsächlich meinen, was er schreibt, dann hätte er gefälligst über Lisa Eckhart (Frau, Österreicherin, Kabarettistin, intelligent …) respektvoll schweigen müssen, und er hätte seine Hakenkreuzphantasien für sich behalten!  

Das Schweigen der Lämmer

Außerdem: Havemann und anderen fiel zwar Lisa Eckhart auf, aber pikanterweise  nicht die Vergangenheit des Sponsor-Unternehmens. Einer der Hauptanteilseigner war 1933 aus dem Geschäft, nun ja, „gedrängt“ worden und starb in Auschwitz. Der große Wachstumsschub kam für das Transportunternehmen mit einem QuasiMonopol auf die  sogenannten „M-Aktion“ des NS-Regimes. Damit wurde der Transport jüdischen Besitzes  aus besetzten westlichen Ländern heim ins Reich umschrieben (23).  Michael Kühne hatte das 1890 in Bremen gegründete Unternehmen in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von seinen Vorfahren übernommen.  Mehr nicht. Aber Meines Wissens verweigert er bis heute Historikern den Zugang zu den Archiven seines Unternehmens. (24)  

Ein – Aus – Ein – Ab

Die ganze Aufregung war allerdings eh umsonst.  Ob es in Hamburg Drohungen, Warnungen, Alarm, Hinweise oder was von wem auch immer gegeben hat oder nicht – nichts Genaues weiß man nicht. Insoweit ist es eh wurst, ob es tatsächlich Literatur-Hooligans, linksradikale Bücher-Ultras, ob es einen Schwarzen Block Poeten oder einen Schwarzen Peter (darf man das noch schreiben?)  der Lyrik-Antifa gab,  „selbsternannte Scharfrichter“ (Tagesspiegel), oder einen gut versteckten „Protestmob“ (Dieter Nuhr) (25). Es gab, wie die Betreiber des Veranstaltungsortes Nochtspeicher in einer Pressemitteilung auf ihrer Homepage schreiben, „einschlägige Erfahrungen“  und „besorgte Warnungen aus der Nachbarschaft“, also unüberprüfbare Behauptungen. Und es gibt schließlich eine weitere seminarreife Posse zwischen den Veranstaltern dem Harbour Front Literaturfestivals und den Betreibern des Nochtspeichers, die zukünftig getrennte Kurse steuern.Es ging um die Ehre Watschenmann sein zu dürfen: In einer abschließenden Stellungnahme zu den Vorgängen ließen die Nochtler wissen, dass es „besorgten Warnungen aus der Nachbarschaft (nicht, wie inzwischen kolportiert, ‚Drohungen‘)“ (26) gegeben habe. Gleichwie „waren (wir)gezwungen, Harbour Front um eine Verlegung der Lesung zu bitten“.  Demgegenübermeldeten die Textexegeten des Festivals: „Das Harbour Front Literaturfestival hingegen unterscheidet, was die Gründe für die Ausladung einer Autorin angeht, sehr wohl zwischen Drohungen und Warnungen.“ Daher hätte man entschieden, den ganzen Michael-Kühne-Debütanten-Kladderadatsch an einen anderen Ort zu verlegen. Der danach gestartete Versuch, Lisa Eckhart doch noch zu ködern, z.B. per Video zuzuschalten, den Ort zu wechseln… scheiterte. Lisa Eckhart und Verlag lehnten ab. (27)

Epilog

Festzuhalten bleibt: Weder Festival noch Veranstaltungsort-Betreiber haben es bislang für nötig erachtet, die  „Warnungen“ zu konkretisieren oder gar sich zu entschuldigen. 

  • Der Nochtspeicher verweigerte die Verantwortung eines Veranstalters gegenüber Lisa Eckhart, beschwor ein Gespenst und erklärte sogar,  man begrüße die Debatte, „um der bedrohlich um sich greifenden ‚Cancel Culture‘ Einhalt zu gebieten“. 
  • Das Harbour Front Literaturfestival machte offenbar nicht einmal den Versuch, sich vor „seine“ Autorin zu stellen und positionierte sich in guter Tradition (s.o.) gegen das, was seine Macher für „links“  halten. 
  • Der Autor Sascha Reh bezog auf seine Art Stellung zum Hamburger Eiertanz: Er sagte seine Teilnahme ab.Und auch Hauptsponsor Klaus-Michael Kühne will von Bord.28 Er möchte  sich  mit  seiner Stiftung fortan vielen anderen Aufgaben widmen. Mittelmaß gefällt ihm bekanntlich nicht. Aber vielleicht liegt ja genau darin die große Chance für ein großes Hamburger Literaturfest.

Michael Friederici – seine Texte bei uns hier.

Anmerkungen:

1…und natürlich dem traditionsreichen, allerdings genreorientierten Hamburger Krimifestival

2 Es gab drei Gegenveranstaltungen zu den Vattenfall Lesetagen, die „Lesetage selber machen – Vattenfall Tschüss sagen“, die HEW-Lesetage (HEW in diesem wortspielerischen Fall = Hamburger Energie Wechsel) und eben „Lesen ohne Atomstrom – die erneuerbaren Lesetage“, die bis heute unkommerziell  zur Energiewende beitragen wollen; Promis demonstrieren ihr Engagement zum Nulltarif und die Veranstaltungen sind eintrittsfrei…

3 u.a. steht die Deutschland-Zentrale der Kühne Logistik in der HafenCity – und fungiert passenderweise auch gleich als Adresse des Festivals:  Harbour Front Literaturfestival e.V.  (c/o Kühne+Nagel (AG & Co.) KG GroßerGrasbrook 11-13);  Klaus-Michael Kühne sorgte maßgeblich für die Rettung von Hapag-Lloyd, baute das Logistikzentrum am Containerterminal Altenwerder, engagierte sich federführend für den Auf- und Ausbau der „Hamburg School of Logistics“, die mittlerweile seinen Namen trägt; der Unternehmer spendete großzügig für die Elbphilharmonie …

4 Ulrich Exner, Kühne – ein Mäzen mit kalter Schnauze, in: Die Welt, 20.07.2014  – www.welt.de/regionales/hamburg/article130321376/Kuehne-ein-Maezen-mit-kalter-Schnauze.html; Der Etat von Harbour Front dürfte heute, konservativ geschätzt, Verlage, Sponsoren, Partner, Förderer, Eintritte, Werbung eingerechnet, bei weit über 1 Mio. € liegen.

5 Diese drei bildeten sie bis Ende 2018 die Festivalleitung. Peter Lohmann stieg aus und Petra Bamberger ein. 

6 HafenCity Zeitung, 2.9.13

7 ..als Geburtsjahr werden 1991, wahlweise 1992 gehandelt, auf jeden Fall aber der 6. September.

8 Kritik, meldete der WDR am 5.5.2020 auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), habe es damals nicht gegeben, vergl. Der Tagesspiegel, 5.5.20, Antisemitismusvorwurf nach WDR-Beitrag  

9 Ibid. „Der WDR bedauerte jedoch Missverständnisse im Zusammenhang mit einer späteren Veröffentlichung von Eckarts Auftritt auf Facebook. Im November 2019 sei das Video anlässlich eines Aktionstags für Frauen in dem sozialen Netzwerk gepostet worden.“ 

10 nach facebook – siehe screenshot – geschah dies allerdings schon am 19. August 2019

11 30.4,/4.5., Jüdische Allgemeine: Judenhass unter dem Deckmantel der Satire;  3.5. taz: Ein ganz altes Lied; 5.5.: Jüdische Allgemeine, WDR verteidigt Kabarettistin Lisa Eckhart; Deutschlandfunk Kultur: Dadaistisch zusammengewürfelte Tabubrüche; FAZ: Geschmacklos und kritikwürdig; DIE ZEIT online 6.5: Die Welt, WDR verteidigt Kabarettistin gegen Antisemitismus-Vorwürfe; Redaktionsnetzwerk Deutschland: WDR und Antisemitismus: Hätte Lisa Eckhart mal ’ne Oma beleidigt … Die Zeit: Sich schön inkorrekt durchamüsieren; 7.5.; Berliner Zeitung: Wird beim WDR mit zweierlei Maß gemessen? 8.5. Deutschlandfunk: Satire ohne Pointe, 

12 Jüdische Allgemeine, ibid.

13 Jüdische Allgemeine, ibid.; 60 Intellektuelle haben sich gegen Klein gewandt. Den Anlass zum Brief bot nicht nur die geplante Annexion von Teilen des Westjordanlandes, sondern auch die Finanzierung einer Veranstaltungsreihe durch Kleins Behörde, in der ein israelischer Ex-Militär und hochrangiger Mitarbeiter in Netanyahus Ministerium auftrat: Arye Sharuz Shalicar, der in seinem Buch Der neu-deutsche Antisemit den Münchner Historiker Reiner Bernstein (u.a. Initiator der Münchener Stolpersteininitiative) als „Judenhasser“ und „Alibijuden“ bezeichnet. Vergl. Neues Deutschland, 04.08.2020, 

14 Der Tagesspiegel, ibid.

15 Harald Martenstein beschrieb später (im Januar 2017) in seiner Kolumne den Vorfall im ZEIT-Magazin selbst: “Fünf oder sechs schwarz gekleidete Teenager tauchten auf und schrien ›Sexistische Scheiße! Schluss! Aufhören!‹ (…) Ich sagte: ‚Toll, dass Sie da sind, Sie erfüllen mir einen lang gehegten Lebenstraum, bitte, kommen Sie auf die Bühne, schimpfen Sie mit mir.‘ Daraufhin zogen sie rätselhafterweise wieder ab.“ 

16 Es wurde, wie es in einer Pressemitteilung des Nochtspeichers heißt, „die Gasflasche unseres Heizgeräts in der – überdachten – Raucherecke sabotiert: Das Ventil rausgerissen, die Flasche aufgedreht. Wir haben es noch rechtzeitig bemerkt“ …

17 Dirk Peitz, Lisa Eckhart: Wie einmal die Cancel Culture nach Hamburg kam, in: Die Zeit, 8. August 202018NDR, 10.08.2020,Sebastian Friedrich, Die konstruierte Debatte um Cancel Culture

19 FAZ Kommentar vom 11.August 

20 Als auch noch bekannt wurde, dass sich zwei Autoren geweigert hatten, gemeinsam mit Eckhart eine Tandem-Lesung abzuhalten – unter Hinweis auf  die „Mitternachtsspitzen“  schrieb Regula Venske,  Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland in einem bemerkenswerten „offenen Brief“, dass es nicht anginge, „dass sich für einen Preis Nominierte ihre Konkurrenten selbst aussuchen. Wer mit einem Kollegen, einer Kollegin nicht auftreten will, muss selbst zu Hause bleiben und kann nicht dem Veranstalter vorschreiben, mit wem er oder sie zu lesen bereit ist oder wer weiter im Rennen bleiben darf.“ 

21 „Wenn Nichtjuden jüdische Witze erzählen, zucke ich innerlich immer ein wenig zusammen. Vor allem, wenn sie mit dem Holocaust spielen …  Wenn ein Nachkomme eines Opfers einen erzählt, kann er befreiend wirken. Wenn aber ein Deutscher denselben Witz macht, dann zeige ich ihn womöglich wegen Volksverhetzung an … Die Bühnenfigur Lisa Eckhart ist jedoch keine Jüdin. Sie (und ihr Publikum, mf)  …goutiert … billige Pointen, die sie auf Kosten der Juden, PoC, Homosexuellen und trans* Menschen sowie anderer Marginalisierter macht…Ja, diese Frau ist wortgewandt und hat Bühnenpräsenz. Aber wenn jemand selbstgeschnitzte Hakenkreuze verkauft, interessiert es mich auch nicht, ob die handwerklich gut gearbeitet sind. Sie soll mit ihren rassistischen, antisemitischen und misogynen Flachwitzen auftreten. wo sie will. Will sagen, wo man sie will. Nur nicht durch öffentliche Gelder finanziert. Lisa Eckhart ist deswegen kein Opfer irgend einer CancelCulture…(taz, 12. 8. 2020)

22 Götz Aly, Dumm-deutsche Hexenjagd auf Lisa Eckhart, Berliner Zeitung, 10.8.2020

23 siehe taz: Kunst gegen das Schweigen der Logistiker und Protest gegen Kuehne-Nagel-Neubau, sowie die Süddeutsche 

24 Es gibt eine offizielle Stellungnahme seitens Kühne & Nagel, in heißt es, dass das Firmenarchiv 1944 abgebrannt sei. Das wird von einigen Autoren und Forschern bezweifelt; es gibt noch Hinweise, schrieb die  Süddeutsche Zeitung, dass das Unternehmen möglicherweise auch als Tarnfirma der Organisation Gehlen, einem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, gearbeitet habe; das sei, so das Unternehmen, eine „abwegige Vorstellung“.

25 Der Landesverband Hessen der AfD veröffentlichte übrigens auf Facebook ein Plakat mit der Aufschrift “Linke zerstören Deutschlands Freiheit“. Lisa Eckhart und der Paul-Zsolnay-Verlag haben rechtliche Schritte dagegen angekündigt. 

26 Mit August 2020 datierte Pressemeldung des Nochtspeichers, ibid. Dort heißt es weiter, dass sich die Nochtler deshalb sicher gewesen seien, „dass die Lesung mit Lisa Eckhart gesprengt werden würde, und zwar möglicherweise unter Gefährdung der Beteiligten, Literaten wie Publikum“.

27 Arno Frank, Harbour Front Literaturfestival Lisa Eckhart schlägt Kompromissvorschlag aus , in: Der Spiegel, 10.08.2020

28 „Das Harbour Front Literaturfestival sollte in Zukunft von einer größeren Zahl von kulturinteressierten Persönlichkeiten und Unternehmen aus der Hafenwirtschaft getragen werden. Damit sich meine Kühne-Stiftung verstärkt ihren vielen anderen Aufgaben widmen kann. Nicht zuletzt sollte sich die öffentliche Hand mit einem maßgeblichen Beitrag engagieren.“ NDR 90,3, 12.09.2019 Harbour Front Festival: 80 Lesungen mit Weltstars

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