Eine Geschichte der Verzweiflung und des Verfalls
Rezension von Iris Tscharf

Es gibt so Gegenden, die wirken auf den ersten Blick gar nicht mal so übel. Vielleicht sogar schön mit all den Kranichen, Schildkröten und Waschbären, den viktorianischen Häusern und den hölzernen Kirchtürmen. Lebendig mit den „Wagenladungen voller Kids“ und der pulsierenden Bassmusik auf den Parkflächen.
Wenn man genauer hinsieht, ist McComb aber doch nur ein trostloses Kaff irgendwo im Süden Mississippis. Vielleicht wirkt es ein bisschen heruntergekommen mit all den Typen in den Muskelshirts und Jogginghosen, den Zimmern ohne Glühbirnen, den Mittellosen und den „ausgemergelten Versprengten, die zu jeder Tages- und Nachtzeit von allen Seiten des Bürgersteigs angezottelt“ kommen.
Aber das ist bei einem Roman von Michael Farris Smith auch nicht anders zu erwarten. Schon in seinem 2014 bei Heyne erschienen dystopischen Roman „Nach dem Sturm“ waren das Setting düster und die Figuren dem gesellschaftlichen Verfall ausgeliefert.
In „Desperation Road“ herrscht Verzweiflung. Wieder ist der Verfall spürbar und Hoffnung kommt gar nicht erst auf.Russel, dieser Ex-Knacki, der nach elf Jahren Haft zum ersten Mal zurück nach McComb kommt und prompt mit Fäusten empfangen wird, ist so eine Figur, dem das Leben übel mitspielt. Dabei ist seine Geschichte nur ein „Scheißfehler“, etwas Einfaches, nichts was andere Häftlinge so zu erzählen haben, bei dem natürlich immer die anderen Schuld sind. Nein, so eine Geschichte hat Russell nicht zu bieten. Manchmal geht Verfall auch ganz einfach. Von einer Sekunde auf die andere. Und man trägt selbst die Verantwortung. Besonders in den Augen der Angehörigen des Opfers bleibt man schuldig bis zum Tod. Und soll dafür büßen.
Auch Maben und ihre Tochter Annalee sind in ein armseliges Dasein geraten. Maben hatte nie Glück, Gewalt zieht sich durch ihre Jahre, Hungertage und doch gibt es das kleine Fünkchen Hoffnung, der nächste Schritt würde alles besser machen. Um dann zu erkennen, dass sie noch tiefer im Dreck steckt als zuvor.
Auch jetzt ist wieder so ein Fünkchen spürbar, ein Schritt nach dem anderen den Interstate-Highway entlang Richtung McComb. Dieses Fünkchen Hoffnung wird von einem toten Deputy ausgelöscht und nun ist Maben wirklich auf der Flucht.

Diese zwei Menschen, die vom Leben kaum etwas Schönes zu erwarten haben, treffen aufeinander. Michael Farris Smith zeigt, dass es verschiedene Nuancen von Verfall gibt. Zwar bleibt die Lage trist und verzweifelt, aber die Hoffnung ist stärker, treibt an, vorwärts und bei manchen Menschen auch abwärts. Immer weiter bis ganz nach unten auf den Boden. Bäm.
Verfallen ist man dem Roman „Desperation Road“ schon nach wenigen Seiten. Die Atmosphäre ist düster, voll von Verzweiflung, eine Geschichte, die kein positives Ende nehmen kann.
Michael Farris Smith, den Namen sollte man sich merken, wenn man auf düstere Romane steht. Er wird in der englischen Szene nicht umsonst in eine Schublade mit den ganz großen Autoren wie Larry Brown, William Gay oder sogar Cormac McCarthy gesteckt. Im März erscheint sein nächster Roman. „The Fighter“ heißt die englische Ausgabe im Original. Da kann man nur hoffen, dass er bald übersetzt wird.
Eine Geschichte des Verfalls ohne Verfallsdatum.
Michael Farris Smith: Desperation Road (2017). Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Bürger. ars vivendi, Cadolzburg 2018. 350 Seiten, 22 Euro.
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