
Konservativ, reichlich erschöpft
Natascha Strobl beobachtet eine Radikalisierung – mit „Faschisierungstendenzen“
Konservative wirken ausgelaugt. Zumal, wenn sie Parteigänger der Unionsparteien sind, man Eindrücke aus dem Wahlkampf nimmt und das Ergebnis schließlich als Dokument des Niedergangs versteht. 16 Jahre Merkel stehen vor allem für pragmatisches Krisenmanagement, die Kanzlerin öffnete ihre Partei für urbane Milieus. Merkel stand damit noch einer politischen Entwicklung konservativer Parteien entgegen, die Natascha Strobl als „radikalisierten Konservatismus“ untersucht.
Als Beispiele dieses Wandels stehen für die Wiener Politikwissenschaftlerin in ihrem aktuellen, kurz vor der Bundestagswahl erschienenen Buch zum „radikalisierten Konservatismus“ die beiden politischen Protagonisten Donald Trump und Sebastian Kurz. Mit ihnen unterstreicht sie ihre These, dass diese Politik unter dem Label „konservativ“ Ausgrenzung betreibe und anstelle der politischen Auseinandersetzung auf Konfrontation setze. Auf gezielte Empörung. Trump habe „die Aufreger-Industrie ins Herz der US-amerikanischen Demokratie gebracht“, beobachtete die Autorin. Sein damaliger Kollege in Wien, Bundeskanzler Kurz, und Trump hätten „das rechtsextreme Spiel mit alten und neuen Medien“ übernommen, um Minderheiten als „die Anderen“ auszugrenzen. „Eine Zuspitzung“, die für Natascha Strobl, bereits hervorgetreten mit einer Studie über „die Identitären“, zur politischen Praxis des „radikalisierten Konservatismus“ gehört.
Sebastian Kurz musste mittlerweile seinen Platz im Wiener Kanzleramt räumen. Ihm hält man vor, mit Inseraten im großen Stil seine Macht gekauft zu haben. Österreichern selbst ist das System als „Inseratenkorruption“ bekannt, zu der man gefälschte Umfragen und gekaufte Berichterstattung zählt. Nach Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und in der Zentrale der ÖVP zog sich Kurz vom Regierungssitz zurück und will zunächst als Fraktionschef seiner Partei im Parlament wirken.
Zumindest vorerst. Denn zum „radikalen Konservatismus“ gehört auch eine gewisse Unermüdlichkeit und ein unübersehbarer Hunger nach Macht. Manche rechnen mit dem 35-Jährigen deshalb schon bald wieder.
„Radikaler Konservatismus“ ist auch der Titel des gerade erschienenen Buches von Natascha Strobl. „Eine Analyse“, wie es im Untertitel mit einigem Anspruch heißt, eine Studie, die dem Bild der lange Zeit als erschöpft gezeichneten Sozialdemokraten nun die ausgelaugten Konservativen an die Seite stellt.
Was aber ist konservativ? Politisches Denken, das sich vor allem gegen liberale Ideen stellte, zunächst aufgerufen im Zusammenhang mit der Französischen Revolution. Seriöses Haushalten, Disziplin, Tugend. Ein Dreiklang, bei dem man in Deutschland an Helmut Kohl, seine „geistig-moralischen Wende“ und den Saumagen denkt. Dann sprechen manche von „Heimat“ und „Leitkultur“.
In ihrem Buch streift Natascha Strobl historische Kronzeugen der Konservativen nur kurz und bietet dann diese Definition: Unter Konservatismus ist „eine antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung (zu verstehen), deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind.“ Strobl sieht den Konservatismus heute in unruhigem Gewässer. Heimatlos wirkten viele in Österreich nicht anders als in der hiesigen Union, ihre Leitidee scheine unbestimmt zu sein. Allerdings sei nicht zu übersehen, dass heute Unmut und Aufregung über Politik in scharfer Tonlage formuliert würden: Strobl spricht dann angelehnt an den Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer von „roher Bürgerlichkeit“.
Ruppige Tonlagen gegen Migranten, verständnisloser Umgang mit politischen Gegnern, „radikalisierter Konservatismus“ eben. Dagegen empfiehlt Natascha Strobl am Ende „konkrete, nachvollziehbare Politik“ und „eine post-kapitalistische Welt sichtbar zu machen“.
Doch reicht das? Und ist „radikalisierter Konservatismus, der keine Berührungsängste vor der traditionellen extremen Rechten kennt“, etwas anderes als rechtsdrehender Populismus? Wenn es um Gefahren für die Demokratie geht, kommt man vielleicht mit Überlegungen des Populismus-Forschers Cas Mudde weiter: Wirklich stärken lasse sich die Demokratie nur, indem man „nicht nur das populistische Angebot zerschlage, sondern auch die populistische Nachfrage schwäche“.
An dieser Stelle darf man gespannt darauf sein, wie lange es Sebastian Kurz noch an der Fraktionsspitze seiner Partei hält. Vor allem aber darauf, was sich die früher einmal große konservative Partei in Deutschland einfallen lässt, um zu der Frage, was eigentlich konservativ heute heißen mag, eigenen Parteigänger wie auch den Abtrünnigen ein Echo zu bieten. Zuallererst jedoch dürfte es darauf ankommen, „rohe Bürgerlichkeit“ durch politikfähige Tugendhaftigkeit als Ressource zu ersetzen. Für Rückbesinnungen dieser Art kann sich die Zeit in der Opposition als ausgesprochen ergiebig erweisen.
Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus – eine Analyse. Suhrkamp, Berlin 2021. 200 Seiten, 16 Euro.