Geschrieben am 1. September 2021 von für Crimemag, CrimeMag September 2021

Mary Tudor im Comic

Sonja Hartl über Kristine Gehrmanns „Bloody Mary“

Mary I. von England hat den historischen Beinamen „Bloody Mary“ erhalten, weil während ihrer kurzen Regentschaft von 1553 bis 1558 ungefähr 300 Protestanten in England verbrannt wurden. Vergleicht man das mit den annäherend 57 000 Hinrichtungen ihres Vaters Henry VIII. in seiner 38 Jahre währenden Zeit auf dem englischen Thron, ist es schon erstaunlich, dass man ihr diesen Beinamen gab – allerdings nur bis man sich erinnert, dass Geschichtsschreibung von Männern betrieben wurde.

„Bloody Mary“ heißt nun auch die Graphic Novel von Kristina Gehrmann, die die „Geschichte der Mary Tudor“ erzählt und sehr deutlich macht, dass Marys Leben von Männern, insbesondere ihrem Vater bestimmt war. Sie war die Tochter von Henrys erster Ehefrau Katharina von Aragon und hatte alle Vorzüge, die eine potentielle Thronfolgerin haben sollte – sie war intelligent, sportlich, musikalisch, hatte ein sicheres Auftreten, aber sie war nun einmal ein Mädchen und Henry wollte einen Sohn. Also beschloss er, die Ehe mit Katharina annullieren zu lassen, um Anne Boleyn zu ehelichen. Bekanntermaßen und sehr vereinfacht zusammengefasst spaltete sich daraufhin England von der katholischen Kirche ab (sehr eindrucksvoll nachzulesen in Hillary Mantels „Wölfe“). Mit dieser Annullierung, die Katharina niemals anerkannt hat, wurde Mary offiziell zu einem unehelichen Kind und statt einer Prinzessin war sie nunmehr eine Lady.

© Kristina Gehrmann, Carlsen Verlag, Hamburg 2021

Jedoch hatten Katharina und Mary große Teile der englischen Bevölkerung hinter sich. Sie waren beliebt, Anne Boleyn war die intrigante Ehebrecherin – und nicht alle Untertanen wollten sich von der katholischen Kirche lossagen (auch hier kam es zu zahlreichen Hinrichtungen aufgrund des Glaubens). Indem in „Bloody Mary“ Mary selbst ihre Geschichte erzählt, ist auch klar, auf wessen Seite sie steht: Mary hat sich sehr lange geweigert, die Annullierung und ihre neue Stellung sowie ihren Vater als Oberhaupt der englischen Kirche anzuerkennen. Sie wurde damit auch zur Hoffnungsträgerin der katholischen Vertreter in England. Auch deshalb wollten protestantische Kräfte verhindern, dass sie ihrem Halbbruder Edward VI. (aus Henrys Ehe mit Jane Seymour) nach dessen Tod auf den Thron folgt.

© Kristina Gehrmann, Carlsen Verlag, Hamburg 2021

Diesen familiären und religiösen Konflikte prägten Marys Leben und stehen daher auch im Mittelpunkt von „Bloody Mary“. Es ist die Geschichte einer tapferen jungen Frau, die viel erlitten hat, ehe sie auf den Thron kam, aber sich selbst – und das heißt in diesem Fall ihrem Glauben – treu geblieben ist. Mary hat die Religion über alles gestellt und diesem Schwerpunkt folgt auch die Graphic Novel. Die Schwierigkeiten, die sie hatte, als erste Frau auf dem Thron von England zu regieren, und zwar als Regentin und nicht Ehefrau eines Königs, kommen auch vor, werden allerdings hauptsächlich anhand des Konflikts mit ihrem Ehemann Philipp II. von Spanien deutlich. Aber auch das passt in diese Zeit und zu der Geschichte Englands: an Marys Leben wird sehr deutlich, wie eng vermeintlich private Belange mit den politischen Entscheidungen und Wirken des Königshauses zurückreichen – und mit welchen Spätfolgen von Intrigen Mary noch zu kämpfen hatte. Das zeigt sich sehr deutlich in der stets wichtigen Frage der Thronfolge: Auch Mary hat kein Kind geboren, nun wollte sie verhindern, dass ihre Halbschwester Elizabeth auf den Thron kommt – obwohl diese stets loyal war. Aber sie war Protestantin.

Diese Verwicklungen machen einen Teil des Reizes dieser Geschichten aus – und es ist beeindruckend, wie es Kristina Gehrmann gelingt, diese doch komplexen Verstrickungen zu erzählen, so dass auch jugendliche Leser*innen (der Verlag empfiehlt ab 14 Jahren) zu diesem Comic greifen können. Dadurch gelingt ein guter Einstieg in das Leben von Mary I., der sich auch ohne historisches Vorwissen gut lesen lässt. Besonders gut gefallen hat mir ein kurzes nachgereichtes Kapitel, in dem zu lesen ist, was aus anderen historischen Personen geworden ist.

Offen bleibt indes, wie sich der Beiname begründet. Zwar wird er im Titel genannt, auch ist das Cover in rotbraunen Farben – aber Mary und ihre Taten werden im Bild nicht besonders blutrünstig dargestellt.

© Kristina Gehrmann, Carlsen Verlag, Hamburg 2021

Vielleicht aber kann man darin schon einen Verweis sehen, wie überzogen dieser Name ist. Außerdem lässt sich auch hier wieder anführen, dass Mary selbst die Erzählerin ihrer Geschichte ist. Dadurch bleibt der Tonfall leichtgängig und wird auch auf Psychologisierungen verzichtet, aber es fehlt auch eine analytische Distanz.

© Kristina Gehrmann, Carlsen Verlag, Hamburg 2021

Dennoch wird insbesondere deutlich, dass es für Frauen in dieser Zeit hauptsächlich eine Aufgabe gab: ein Kind zu gebären, einen Sohn zu gebären. Mary hatte Scheinschwangerschaften, die möglicherweise bereits auf die Krankheit hindeuteten, an der sie vermutlich gestorben ist. Aber ihre Regentschaft hat mehr ausgemacht als lediglich die Hinrichtungen: sie hat wichtige Reformen gestartet – für die Finanzen, für die Verbreitung der Flotte – von denen dann ihre Nachfolgerin Elizabeth I. profitieren konnte. Und um sie, so wird am Ende deutlich, wird es dann in einem Nachfolgeband gehen.

Kristina Gehrmann: Bloody Mary. Die Geschichte der Mary Tudor. Carlsen 2021. 336 Seiten, 28 Euro.

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