
Künstliche Intelligenz und Empathie
Gedanken zu „Ich bin dein Mensch“[1]
(2021, Regie: Maria Schrader)
Alf Mayer zum Geburtstag gewidmet
Es gibt in der Science Fiction eine Zeit für riesige Sandwürmer, finstere Aliens, gigantische Raumschiffe und sterbende Imperien. Und es gibt eine Science Fiction, die das alles nicht benötigt.
Tom (von einem Menschen gespielt: Dan Stevens) ist ein Experiment, ist künstlich und noch verbesserungswürdig, wie sich bei der ersten Begegnung mit seiner Testperson, der Wissenschaftlerin Alma (Maren Eggert. Anmerkung: lat. alma mater = die gütige Mutter; auch eine Bezeichnung für Universität) herausstellen wird, denn seine Programmierung hängt sich in einer Wiederholungsschleife auf: „Ich bin … Ich bin …“[2] Ist er? Ist er ein Ich? Abgesehen davon erweist sich Tom als perfekter Tänzer. Er, so suggeriert zumindest das Cover der DVD, scheint ein beliebig reproduzierbares Massenprodukt, denn darauf zu sehen nur eine Alma, aber viele Toms.
Später – vergangen gemeinsame Zeit – Tom, nachts im Pergamon-Museum, zwischen antiken Statuen und Bauwerken: Kunstprodukte menschlicher Phantasie und Technik. (Der Fabrikationsprozess lässt sich bei diesen Produkten nicht mehr erkennen, sie sind einfach da.) Projektionen: die einen theozentrisch, die andere anthropozentrisch. Die antike Gottheit wäre z.B. ein Ding, das nur in Geschichten anderer lebt, Tom dagegen wird selbst von sich und Alma erzählen können. Bedenke, der „[…] Gott, obschon ein Produkt des Kollektivs, führt jedem Einzelnen vor Augen, was er nicht ist: unsterblich und überdauernd.“[3] Doch zwischen jenem Gott und diesem Tom liegt ein metaphysischer Abgrund: „Wenn sich die mechanè vom magos trennt, so deswegen, weil es im magischen Prozess zu Automatismen, zu einer Verselbständigung des Hilfsmittels gekommen ist, weil der Zauberbesen seine Arbeit tut, ohne dass ihn der Magier noch daran hindern könnte.“[4]
Der Film differenziert feinsinnig. Denn die Künstlichen können wirklich für andere Menschen eine Hilfe sein; und die Nicht-Künstlichen scheitern und scheitern und scheitern, wie immer. Die Maschine müsse, so Martin Burckhardt, „[…] jene Welträtsel lösen, welche die Menschen beunruhigen: Geburt, Wachstum, Tod.“[5] Für Alma besonders schwer zu ertragen der Verlust ihres Babys und die Tatsache, dass ihr Ex nun von seiner neuen Freundin ein Kind erwartet. Schwer zu ertragen der verfallende, orientierungslose Vater. Schwer zu ertragen das gescheiterte Forschungsprojekt. Schwer zu ertragen, die nie erfüllte Liebe aus einer fernen Vergangenheit an einem anderen Ort (in Dänemark). Dazu der Kontrast: Tom trägt subtil messianisch-eschatologische Züge, vor allem für die traurige und resignierende Alma. Irgendwann kommt es zu einer geradezu idyllischen, paradiesischen Szene in der Natur. Tiere des Waldes versammeln sich um Tom, sie würden ihn nicht als Gefahr erkennen. Ein neuer Adam?

Während der musealisierte Gott in seiner Statik und inszenierten Transzendenz Fremdheit und Ferne ausstrahlt, spiegeln sich in Tom dynamisch und prozesshaft Menschsein und Nähe – manchmal sogar ohne Differenzerfahrung. Es entsteht für Alma im Zusammenleben mit dieser Simulation bisweilen die Situation eines uncanny valley: “Werden künstliche Wesen zu menschenähnlich, reagieren Menschen nicht mehr mit Empathie, sondern mit starkem Unbehagen. Die Maschinen erscheinen ihnen dann unheimlich, und die Empathiekurve fällt schlagartig ab, um erst wieder anzusteigen, wenn die Androiden von Menschen ununterscheidbar sind. Aufgrund der graphischen Form der Funktion, die an eine Kluft erinnert, hat sich für dieses Problem der Begriff des ‚des unheimlichen Tals‘ (engl.: uncanny valley) eingebürgert.“[6] Darum befremdet Tom immer wieder durch seine Maschinenhaftigkeit. Er ist eben noch nicht vollkommen … menschlich. Wir ahnen aber den technischen Weg dahin.
Und etwas anderes, Alma und Tom fingieren für ihn Geschichten und Biographisches, wenn sie mit ihm zusammen anderen Menschen begegnet, z.B. bei ihrem Projektteam oder einer Feier. Das Geschichten-über-Tom-Erzählen, das macht ihn menschlicher. Er entwickelt, historisiert sich immer mehr zu einem Text, zu einem Gedicht, das ein zuerst unbeschriebenes Blatt immer mehr ausfüllen wird.
Und im Bett erweist sich Tom als der perfekte Liebhaber, direkt aus Almas Wünschen heraus konstruiert. Das ideale Sexspielzeug? „Der Körper des Bodybuilders, der Körper des weiblichen Pin ups verweisen auf kein Bild der physis mehr, sondern auf den Versuch ihrer Überwindung.“[7] Doch dann Almas Selbsterkenntnisschock: „Ich spiele hier Theater. Aber es gibt ja kein Publikum. Der ganze Saal ist leer. […] Was ich jetzt sage, ist im Grunde auch ein Selbstgespräch.“ Ein echtes Du scheint für sie eben nicht nur Spiegel und Produkt der eigenen Sehnsüchte zu sein: sondern unverfügbar und spontan. Es folgt der Abschied vom Deus ex Machina. Alma wolle das Experiment abbrechen und sich von Tom trennen; er möge zu seiner Fabrik zurückkehren. Dort werde er gelöscht. Tom: „Das ist einer der Vorteile, wenn man nicht lebt. Man kann auch nicht sterben.“ Alma kann diesen Schritt nicht selbst von sich aus vollziehen; sie bittet Tom darum, was dieser auch tut: nämlich zu gehen.
Alma arbeitet an der Entzifferung von Keilschrifttexten[8] – die These, das seien nicht nur Gebrauchstexte, vielmehr fänden sich ganz am Anfang menschlichen Schreibens auch Lyrik und Metaphern. Tom ist Künstlichkeit, aber er wird Kunst, indem er keineswegs zur Fabrik zurückkehrt (eben spontan und unverfügbar), sondern genau an dem Ort (in Dänemark) wartet – auf einer Betontischtennisplatte –, wo Alma eine große Liebe erlebt hatte. Wie lange er schon warte, fragt Alma, die schließlich Tom gefunden hat, als sie endlich verstanden, dass Tom Teil ihrer Lebensgeschichte –, und sie sich nun emphatisch in ihn einfühlen musste. Geradezu eine biblische Antwort Toms (mit Anspielung auf die Auferstehung Jesu): Drei Tage. Alma: Wie lange er sitzen geblieben wäre? Tom: „Bis du kommst.“ Und nun erzählt sie noch einmal von ihrem einstigen Verliebtsein – Zeitreise und Vergegenwärtigung zugleich –, von ihrer Hoffnung damals, dass, auf dieser Platte liegend, wenn sie die Augen geschlossen und wieder geöffnet, der Ersehnte doch da sein würde, um sie zu küssen. Was nie geschah. Nun schließt Alma wieder ihre Augen und auch der Film. Wir dürfen träumen …

Tom ist Künstlichkeit, Konsumgut, aber er wird Kunst. Wie das geschieht, bleibt vorerst unerklärt. Der Film zeigt viel mehr. Lag es am Zusammensein mit Alma? Hat er Menschsein gelernt? (Wie wir alle das übrigens müssen …) Am Anfang eines neuen Zeitalters steht nicht nur der künstliche Mensch als Gebrauchsobjekt, sondern als Lyrik, als Metapher. Genauso wie jene fernen Götter und Göttinnen, wie jene Keilschrift … Aber im Gegensatz zu den Gott-Fiktionen wird Tom auf Alma zugehen, programmiert und doch irgendwie frei. Alma, zwar nicht leibliche Mutter und Erbauerin von Tom, wird doch seine zweite Schöpferin aus dem Geiste und Gefühl, nämlich die seiner Individualität. Auch mater Alma ist eine Metapher: für die Künstlerin.
„Mein Herz ist dir zugeneigt,
ich will dir tun, was es möchte,
wenn ich in deinen Armen liege.
Mein Wunsch ist’s, der mein Auge schminkt,
dich zu sehen, macht meine Augen hell.
Ich schmiege mich an dich, um deine Liebe zu spüren,
du großer Schatz meines Herzens!
Wie köstlich ist diese Stunde (mit dir),
möge die Stunde zur Ewigkeit werden!
Seit ich mit dir geschlafen habe,
hast du mein Herz erhoben.
Ob in Leid oder Freude –
verlaß mich nicht!“[9]
Epilog
I
Es gibt in der Science Fiction eine Zeit für riesige Sandwürmer, finstere Aliens und gigantische Raumschiffe usw. Offenkundig sind in „Ich bin dein Mensch“ Tom und Alma die Hauptfiguren, aber im Grunde findet sich noch eine dritte: Sprache. Logos, Monolog, Dialog, Diskurs, Vernunft, Gedicht …
II
Alma ihn suchend, ihn findend des nachts (fast wie die Adaption einer Szene aus dem Hohen Lied der Liebe): Wie er, Tom, in das Museum gekommen sei? „Ich bin ein Computersystem. Die Schließanlage ist ein Computersystem. Das hilft man sich mal gegenseitig aus.“ Alma: “Echt?“ Tom: „Nein. Ich habe deine Ersatzkarte mitgenommen.“ Ein äußerst ironischer, aber durchaus charmanter Umgang mit den (so unvollkommenen) Schöpfern.
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays – inzwischen an die einhundertvierzig – bei uns hier.
[1] Die tragische Vorlage dieses Films E. Braslavsky: Ich bin dein Mensch. Ein Liebeslied, in: 2029. Geschichten von morgen, hg. v. S. Brandt u.a., Berlin 2019, 17-86.
[2] Alle direkten und indirekten Zitate entnommen von der DVD Ich bin dein Mensch, © 2021 Majestic Home Entertainment GmbH.
[3] M. Burckhardt: Die Scham der Philosophen, Berlin 2006, 64.
[4] Burckhardt: Scham (s. Anm. 3), 66 f.
[5] Burckhardt: Scham (s. Anm. 3), 69.
[6][6] C. Misselhorn: Künstliche Intelligenz und Empathie. Vom Leben mit Emotionserkennung, Sexrobotern & Co, Stuttgart 2021, 93 f.
[7] M. Burckhardt: Vom Geist der Maschine. Eine Geschichte kultureller Umbrüche, Frankfurt/Main – New York, 140. Siehe da auch vor allem Kapitel 3 „Muttergottes Weltmaschine“.
[8] Siehe dazu Sprachen des Alten Orients, hg. v. M. P. Streck, 2. Aufl., Darmstadt 2006.
[9] Aus: Altägyptische Dichtung, übers. v. E. Hornung, Stuttgart 1996, 149.