Geschrieben am 1. März 2022 von für Crimemag, CrimeMag März 2022

Markus Pohlmeyer: Gedichte – Rückkehr III

Rückkehr nach Corona III

1

Alles Reden kommt hier
An eine Grenze: Photographien
Des Hubble-Teleskops.[1]
Nimm und schau.

Welcher Weg
Von dort nach hier,
In meine kleine Stadt, in
Mein Zimmer für mich selbst?
Copernicus und Einstein,
Papyrus und Buchdruck.
Eine Reise dorthin
Durch das Sonnensystem
Zu fernen Galaxien,
Zu tiefer Zeit,
Blicke zurück in eine Vergangenheit,
Als noch kein Alphabet erfunden,
Kein Computer, kein Mensch.

Auf nur einer einzigen Seite
All die Punkte:
Sind Galaxien
Mit Milliarden von Sternen,
Mit Milliarden Planeten:
Welche Geheimnisse
Würden auf uns warten,
Wenn wir nicht …

Sieh’ doch, dort, damals
Gravitationssuiten und Sphärenklänge
Aus unwirklichen Farben. Symphonische
Monumente der Schöpfung, wenn es denn
Eine solche gegeben hat. Oder vieler
Schöpfungen. Woher das alles?
Schon immer da? Und wer
Bin ich, dass ich dies frage?

Und welcher Weg zurück?
Von der Urzelle
Über Augen und Hände, die jenen
Fernen, tiefen Bildband halten –
Wie eine verstörende Metapher,
So vertraut.
Wie einen Spiegel, dessen Bild
Ich sehe, verstehe,
Und doch nie sehen, verstehen.

2

Hölderlin?
Ist da leider raus, kaum verstehbar. Der
Stand schon immer irgendwo dort drüben
Und winkt uns hier auf dem Narrenschiff
Von seinem einsamen Turme aus zu.

Vorschlag: Stellen wir doch ein paar
Hofpoeten, Hofmalerinnen und
Hofmusikerinnen im Bundestag ein,
So zur Dekoration, Schwamm
Drüber, nachdem die Politik
Ausdrücklich und nachhaltig ihre
Hochhöchsteüberallemaßenwertschätzung
Von Kultur ausdrücklichst-nachhaltigst
Bekundet hat. Übrigens auch für
Bildung. Tabula rasa.

Schwing’ nur das Zauberwort:
Digital!
Schon sind die Probleme fort:
Fatal.

Sprechen wir über den
Den katholischen Klerikerapparat:
Möglicherweise handelt es sich
(Global und historisch betrachtet)
Um Millionen von Opfern
Körperlichen und seelischen
Missbrauchs.
Was erwarten wir von
Einer Geld-, Macht- und
Titelmaschinerie?, die seit
Jahrhunderten wie geschmiert
Läuft in ihrem Geschäft
Mit der Angst vor Gott/dem Tod;
Hier bürokratisiert, dort abkassiert,
Fröhlich hierarchisiert und
Die Anderen exkludiert.
Alibi: das Evangelium.
(Trage nicht
SEINEN Namen
Zum Trug![2])

Iulius stürmt das Capitol:
Als Cäsar den Bürgerkrieg begann –
das Mittelmeergebiet
(betroffen sind drei Kontinente)
versinkt in einer Katastrophe –,
war das dann auch nur
ein ‚politischer Diskurs
einfacher‘ römischer Soldaten?

Gewissen ins olymp’sche Feuer springt,
Das Geld im Kasten klingt,[3]
Oh du neue Welt: Neo-Mao und Wuhan,
Überwachung digital total. Lager. Taiwan?

3

Das Wie der Erinnerung

Viele, die ich einst gekannt,
Leben jetzt auf Friedhöfen.
Wenn ich sie besuche,
Bin ich unsichtbar.
Sie leben jetzt
Ein anderes Leben.

Darum gehe ich still und
Leise weiter, möchte nicht
Stören, nur wie aus der Ferne
Grüßen – so wie ein Freund,
Den man noch nicht kennt.

4

Wir müssen miteinander reden,
Aneinander verstehen wollen:
In dieser vollen, komplexen und
Fragmentierten Welt, die wir
Erschufen und die droht,
An uns zu sterben.
Es gibt kein anderes Leben
Auf einem anderen Planeten.
Wer auch immer du bist:
Du bist einmalig (Und dazu
Brauchst du keine Ideologie
Oder Religion: schau in den
Sternenhimmel, schau
In dich hinein!)

5

Manchmal weine ich in meinen Träumen
Da darf ich sein was ich hier nicht bin

6

Nach Archilochos

Zwei, dieses Ich und jenes Du,
Das wir einst eines gewesen sind:
O, nicht Wein –, dieser Schmerz
Hat zer mich rissen wie ein Blitz –
Von Schönheit dies’ Gefühl,
Die Erkenntnis Deiner Schönheit.

7

… ein Satz:
‚Ich habe heute mein Kind verloren.‘
Ist das nicht das Ende der Welt?
Auch wenn die Sonne wieder aufgeht?
So wie gestern, so wie morgen.
Nur heute nicht und nie mehr …

8

Gott ertrunken
In den Tränen
Der Kinder

9

Archilochos, das ist:
Nur ein Haufen Fragmente.
Bruchstücke.
Aber so wie in jenem Rilke-Gedicht[4],
Wo ein unvollständiger Torso
Wie Apollons Pfeil dich trifft,
Tödlich, damit ein neues Leben
Beginnen kann. Ein Ruf
Durch die Jahrtausende:
Du musst dein Dichten ändern.

10

Ach Mozart,
In einem verträumten, so
Zauberflötenhaften Rondo
Schreibst du, ganz nebenbei,
Wie aus dem Nichts: eine
Der berühmtesten Tango-Melodien.[5]

11

Also das vorliegende Gedicht
Ist
Für die einen naturromantisch
Für die anderen hocherotisch
Für wieder andere einfach nur blöd
Und für mich
Eine wunderbare Rezeption
Transzendental-philosophischer
Analysen von …
Und vielleicht traf für den
Autor/die Autorin
Nichts von alle dem zu.
Wer weiß?                                   
Wir müssen das aushalten,
Respektieren,
Gut argumentieren,
Und wenn wir uns irren?
Ja, das werden wir.
Scheitern?
Ja, das werden wir.
Daraus lernen!
Auch das werden wir.
Demokratie ist eben
Wie ein Gedicht.

12

Ein Freund wollte sich keinesfalls
Impfen lassen, er wisse ja nichts
Über mögliche Nebenwirkungen.

Das galt es zu respektieren. Wir
Gingen in Achtung miteinander
Um, mit gegenseitigem
Verstehen-Wollen.

Corona ließ ihm keine Zeit,
Antworten zu finden.

Ich
Konnte mich
Noch nicht einmal
Von ihm

Verabschieden.

Diese Welt
Wird leerer. Meine
Welt wird
Leer.

13

Vermehrt sich rasend, tötet
Seinen Wirt. Ich rede von der Menschheit
Und ihrem Planeten. Und nun lasst uns
Über die so richtig, richtig miesen,
Fiesen Viren
Philosophieren.

14

Ich kannte das alles:
Verträumte Schlösser
Kunstvolle Parks aus
Träumen
Verschlungenen
Labyrinthen
Alten Bäumen und
Tausendschön.
Hier,
Die schattige
Waldkappelle, zu einsam,
Auf einem sanften
Hügel, umwogt vom
Wehenden Golde
Der Weizenfelder und
Buntem Herbst
Oder dem zaubergrünen
Frühling oder weiß von
Verschneiten Wintern,
Ich kannte weite Wälder,
In denen unzählbare
Schatten und Gedichte
Sich ständig neu weben
Und sich wieder auftrennten,
Und Birkenalleen
An einem sommerkühlen
Klaren Bach, und
Geheimnisvolles,
Wie aus Welt und
Zeit genommen,
Das, was es war, ich erst
Nach der Reise zurück
Begreifen konnte. Was
Es war, mag nun
In der Zukunft liegen.
Aber: Wie lang
Ist das alles her?
Und:
Werde ich all die Orte
Noch erst besuchen,
An die ich mich
Jetzt erinnere?
Ich wäre gerne gereist
Auf den Olympus Mons
Und zu den Wasserfällen
Des Mars von einst,
Zu Jupiters Monden,
Und zum Juwel:
Den glitzernden Ringen
Des Saturn,
Auf Neptun soll es
Diamanten regnen,
Zu Titan, zu Plutos blau
Funkelnder Atmosphäre,
Und zu den Mondozeanen
Unter Eis:
Voll des Lebens?        

Ich lachte heute mit dem
Frechen Ovid: Bücher für alle
Lebens- und Liebeslagen.
Und gleich vom Autor die Heilmittel
Nachgereicht (nur so für den Fall),
Die gegen Liebesleid.
Horaz, weißt du Dichtung
Zu erklären? Dieses seltsame
Geschenk der Sprache, sich in
Musen zu verwandeln. Dort,
Der Marktschreier in irgendeiner
Schrägen Gasse Roms und Vergils
Verse, von Motten und Unverständnis
Angefressen, doch viel wertvoller
Als alles Gold aller Imperien.
Was ist darin so ewig,
Dass es Ruinen und Gezeiten,
Untergänge, Metamorphosen und
Selbst die Schreibenden
Übersteht, überschreibt,
Überlebt?

Durch unser Sonnensystem
Hallen die Schritte von vier
Göttinnen, eine davon
Gravitation (… natürlich
‚Hallt‘ da draußen nichts).

Und Raumsonden: unsere
Mechanischen KI-
Augen und -Ohren und -Füße
Und -Hände, Dolmetscher
Einer Sprache zu groß
Für die Menschheit,
Und doch
Von uns gebaut:
Träume, die
Wirklich fliegen können,
Boten
Unserer Suche und unseres
Besseren Wesens.
Eines Kosmos,
Der sich selbst erforscht.

Es weint die Welt
Hier unten.
Und doch: morgens,
Mit rosenfarbener
Schönheit entstiegen
Der Barke der Nacht die
Morgenröte.

Epilog

Auch Ovid scheint
Schon „CultMag“
Gekannt zu haben:
„atque aliquis dicet: ‘nostri lege culta magistri
carmina […]!’” (ars amatoria III, 341 f., Fettdruck
und Zeichensetzung von mir.)


[1] Expanding Universe. The Hubble Space Telescope, (Charles F. Bolden, JR. u.a.), Köln 2021 (TASCHEN).

[2] Sieh dazu Die Zehn Gebote, Welt und Umwelt der Bibel 4/2021 (Inhaltsverzeichnis, Tafel 1).

[3] Variation eines Werbeslogans aus dem Ablasshandel.

[4] R. M. Rilke: Archaïscher Torso Apollos.

[5] Beispielsweise in der Aufnahme: Rondo K. 373 (arr. by Nicolai Pfeffer, Clarinet) auf der CD “AFFINTÀ ELETTIVE. Wolfgang Amadeus Mozart (aufgenommen 2020 in Florenz; NovAntiqua Records). Vgl. dazu Carlos Gardels Tango: Por una cabeza.

Anm. d. Red: Während der Corona-Pandemie schrieb Markus Pohlmeyer (nicht nur) für uns Gedichte – seine Corona-Zyklen. Sein Poetischer Werkstattbericht zu den „Corona“-Zyklen

Die einzelnen Lieferungen: Teil 1Teil 2Teil 3Teil 4Teil 5Teil 6Teil 7Teil 8Teil 9Teil 10Teil 11Folge 12 hier.
Seine Shut Down Haikus hier.

Rückkehr nach Corona (1) hier.
Rückkehr nach Corona (2) hier.

Im Frühjahr 2021 erschienen: Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Dritter Teil. Die Corona-Zyklen I-VI. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 22, 1. Aufl., Hamburg 2021.

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