Geschrieben am 19. März 2011 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Markt & Totschlag II: Christophe Dupuis interviewt Aurélien Masson

Kleine Auswahl in schwarz

Die Série Noire aus dem Hause Gallimard gehört seit ihrer Gründung 1945 durch Marcel Duhamel zu den wichtigsten kriminalliterarischen Reihen. Christophe Dupuis, der von nun an regelmäßig für uns aus Frankreich berichten wird, hat Aurélien Masson, den Leiter der Série Noir, über die Aktualitäten befragt.

Ms. Masson, könnten Sie bitte eine kurze Rückschau auf das Jahr 2010 geben, bevor wir über 2011 sprechen ?

Das Jahr 2010 war für mich als Verleger besonders aufregend. Keines der Zugpferde unserer Reihe (Caryl Férey, DOA, Nesbø) kam mit einem neuen Roman heraus.

2010 ist deshalb ein bisschen das Jahr der Verlagsneulinge geworden, die hoffentlich bald zu den Stützen der Série Noire gehören. Ich denke dabei an Ingrid Astier (Quai des enfers) und an Stefan Mani (Noir Océan/Das Schiff). Wir haben von beiden zum ersten Mal einen Roman veröffentlicht, der von der Kritik und von der Leserschaft gut aufgenommen worden ist. Das sieht vielversprechend für die Zukunft aus. Außerdem ist Dominique Manotti zur Série Noire gestoßen. Ich habe diese Autorin schon lange vor meiner Zeit im Verlag immer bewundert. Eine Zusammenarbeit mit Manotti gehörte zu meinen Verlegerträumen.

Das Jahresprogramm 2011, das mit Marcus Malte beginnt und mit Caryl Ferey endet, sieht doch gut aus?

Ja, 2011 sieht für Série Noire hochspannend aus. Marcus Malte stößt neu hinzu und wie Manotti gehört er zu den Autoren, die ich schon früher gelesen habe und mit denen ich zusammenarbeiten wollte. Das ist eine Ehre für mich. Wir werden sehen, ob das neue Buch von Caryl schon 2011 oder erst Anfang 2012 herauskommt. Die schriftstellerische Arbeit läuft manchmal etwas anders als der Kalender, doch auf jeden Fall macht das Buch gute Fortschritte. Sein neuer Thriller spielt in Argentinien und wird die Leser sicher fesseln.

Und wie soll nun die ganze Programmstruktur aussehen ?

Wir werden 2011 elf Titel veröffentlichen. Wichtig für mich ist dabei die Vielfalt. Die Série Noire hat schon immer darauf Wert gelegt, den Kriminalroman in seiner ganzen Bandbreite vorzustellen und dem Leser ein möglichst breit gefächertes Angebot zu präsentieren. So werden wir Politik-Thriller von französischen Autoren vorlegen, die einen bösen Blick auf die Machtverhältnisse in Frankreich werfen (L’honorable société von Manotti-DOA, Préparer l’enfer von Di Rollo. Den Leser werden auch roman noirs à la française mit viel Atmosphäre begegnen (Les harmoniques von Marcus Malte).

Aber auch die ausländischen Autoren kommen nicht zu kurz: zunächst einmal der Norweger Nesbø mit Der Leopard, seinem bislang besten Thriller, der ihn zum Meister des Genres macht. Dann wird es Neuentdeckungen geben wie die Erstlinge der Amerikanerin Atticka Locke und des Mexikaners Elmer Mendoza. Im Herbst 2011 debütiert der Ire Gene Korrigan  mit einem zwielichtigen Thriller über die irische Mafia in der Série Noire. Aber das ist nur ein Teil unserer Projekte …

Wir können uns also auf einen vierhändig geschriebenen explosiven Thriller von Manotti/DOA gefasst machen. Wie kommt es zu diesem Buch?

Aurélien Masson

Für mich als Verleger ist dieses Projekt natürlich das genialste. Ich finde die Idee der beiden, ein Buch zu zweit zu schreiben, hervorragend. Wir kennen das aus dem goldenen Zeitalter des französischen Krimis in den sechziger und siebziger Jahren.

DOA und Manotti haben sich vor Jahren auf Buchmessen und anderen Veranstaltungen kennengelernt und verstehen sich ausgezeichnet. Sie teilen vor allen Dingen die gleiche Meinung darüber, was einen guten Krimi ausmacht. Beide haben den gleichen Sinn für Ultrarealismus, für die kritische, detaillierte und wahrheitsgetreue Beschreibung der derzeitigen politischen und sozialen Wirklichkeit in Frankreich. L’honorable société (Die ehrenwerte Gesellschaft) war ursprünglich für das Fernsehen gedacht. Leider ist das französische Fernsehen nicht das amerikanische Fernsehen. Als die hiesigen Medien immer wieder Rückzieher machten, haben die beiden Autoren ihre Verträge gekündigt und lieber all das, was sie im Fernsehen nicht hätten sagen dürfen, in ein Buch gepackt.

Das Ergebnis: L’honorable société ist ein Politik-Thriller, wie man ihn selbst in Frankreich selten liest – ein Brandsatz, der ein ganz schwarzes Licht auf unsere Politik und Wirtschaft wirft. Als ob Sie Nos fantastiques années fric von Manotti und Citoyens clandestins von DOA  in einem Mixbecher kräftig durchschütteln. Ich bin sicher, dass dieses Buch großes Aufsehen erregen wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Ms. Masson.


Christophe Dupuis ist auf Kriminalliteratur spezialisiert Buchhändler  in Langon in Aquitanien und seit über 15 Jahren mit allem befasst, was Kriminalliteratur angeht. Seine Interviews und Newsletter zum französischen Betrieb wirken weit über Frankreich hinaus. Nur ein Buch hat er noch nicht geschrieben. Zur Buchhandlung geht es hier.

Die Übersetzung besorgte dankenswerterweise Barbara Bonneau vom Goethe-Institut Bordeaux

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