Geschrieben am 1. November 2008 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Lets Make Money

Lassen Sie arbeiten!

„Finanzkrise“ und ähnliche Worte hören sich immer so putzig nach Naturkatastrophe an. Dabei geht es um Kriminalität sui generis. Im ganz großen Stil. Let’s Make Money, der Film zum Thema von Erwin Wagenhofer, war schon vor der „Finanzkrise“. Warum wohl? Für uns angeschaut von Lena Blaudez

Schön ist das nicht. Es raubt einem fast den Atem, wie uns Erwin Wagenhofer die Ursachen der Finanzkrise in seinem Dokumentarfilm Let’s Make Money mit Bildern um die Ohren haut. Der Film zur Krise also, perfektes timing könnte man meinen, allerdings war Wagenhofer schneller. Nach dem Film fragt man sich, wieso die ganze eklige Blase nicht schon viel früher geplatzt ist. All die Leute, mit denen er gesprochen hat, sagt Wagenhofer, haben die Krise kommen sehen. Dagegen unternommen hat niemand etwas. Noch vermehrte sich das Geld ja.

Nach dreijähriger Recherche rund um den Globus zeigt Wagenhofer anhand in der Finanzwelt ganz normaler – und deswegen extrem haarsträubender – Vorgänge, die entfesselten Kräfte des globalen Raubtierkapitalismus, wie Helmut Schmidt das Phänomen einmal nannte.
Dagegen geschnitten – die Welt der Verlierer … was die Mehrheit der Weltbevölkerung sein dürfte. Und die Umwelt natürlich.

Nahaufnahmen …

Das macht er ganz ausgezeichnet. Wir sind dank seiner Kamera so nah dran am Geschehen, dass wir uns noch den Staub der ghanaischen Goldmine aus den Augen wischen, während wir schon in der klimatisierten Büroluft eines Finanz-Gurus, des „Indiana Jones der Fonds-Szene“, vor Singapurs Skyline zu frösteln beginnen. Wir werden hineingesaugt ins Geschehen, ob wir wollen oder nicht.

Damit macht Wagenhofer mit uns im Kino das, was die Finanzindustrie in der Realität mit uns macht. Wir sind drin im Geschehen. Ob wir wollen oder nicht. Denn so ziemlich jede/r eröffnet ein Konto, schwer einen Job zu finden ohne das. Und dann geht’s los. Das Schlimme daran: Wir blicken nicht durch. Undurchschaubar, was mit unserm Geld auf der Bank passiert oder mit der Altersvorsorge. Lassen Sie Ihr Geld arbeiten – dieser Werbespruch einer Bank hatte Wagenhofer zum Nachdenken über das Thema gebracht.
Lassen Sie Ihr Geld arbeiten? Geld kann nicht arbeiten. Aber Leute können es mit ihm. Manche zumindest. Banken, hören wir, sind organisierte Spieler. Es wird gezockt. Zins ist das Ziel. Mehr Geld, koste es was es wolle.
Und es kostet … wer zahlt, wohnt ja zum Glück weit weg. Noch.

„Wir werden bei Euch einfallen, mit Sicherheit“, warnt Francis Kologo, Manager der burkinischen Baumwollfirma Sofitex. Denn die Überlebenschancen haben wir („der Westen“) ihnen (den afrikanischen Menschen) genommen. „Wenn wir auswandern, können sie ruhig zehn Meter hohe Mauern bauen. Wir werden trotzdem nach Europa kommen.“
Aber dagegen hat Gerhard Schwarz, Leiter der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, einen ganz schlichten Vorschlag: Eintrittspreise! Macht man schließlich in jedem guten Club.

Soviel Brecht war nie …

Nicht, dass wir das alles nicht schon wüssten oder zumindest ahnten. Und in den letzten Wochen noch mal nachgelesen haben. Das Kapital von Marx verkauft sich neuerdings wie geschnitten Brot, in den Tagesthemen wird Brecht zitiert … Aber so knallhart auf den Punkt gebracht wie von Wagenhofer wurde das ungezähmte Finanzgebaren auf dem globalisierten Weltmarkt nur selten, wenn überhaupt. Auch wenn es manchmal etwas weh tut, wenn er das Thema fast propagandistisch anmutend runterbricht auf die Guten da unten und die Bösen da oben.

Aber: So ist das Leben. In den indischen Slums hausen die Menschen dicht gedrängt in Hütten, die illegalen afrikanischen Bauarbeiter in Spanien verdienen einen Hungerlohn und waschen gleichzeitig das Schwarzgeld ihrer Auftraggeber, die Bäuerinnen in Burkina Faso, Obdachlose in den USA … so leben sie tatsächlich. Flüsse sind verseucht, Naturschutzgebiete sinnlos verbaut. Die Montage der Bilder wirkt, es sind prasselnde Ohrfeigen einer aus den Fugen geratenen Welt des gnadenlosen Profitstrebens.

Wie auch bei seinem international erfolgreichen Dokumentarfilm We Feed the World über die Massenproduktion von Lebensmitteln hält sich Wagenhofer selbst ganz zurück. Er trifft Leute – Banker und Bauarbeiter, Bauern und Immobilienmakler –, die er dazu animieren konnte, ohne Filter zu reden und vermittelt seine Ansichten ausschließlich durch den Rhythmus der Schnitte. Nur O-Ton. Das haut hin. Dazu starke eindrucksvolle Bilder – so ergeben sich klassisch gute Schockeffekte.
In einem Interview sagt Wagenhofer, er habe den kindlichen Blick, ein Finanz-Fachmann sei er nicht. Deswegen ist sein Film so deutlich und leicht verstehbar.

Kriminalität?

Die kriminelle Wirklichkeit spielt sich im legalen Rahmen ab.
Die explodierende Erde bei Sprengungen in einer Goldmine in Ghana. Dann die gut gesicherten Tore einer Schweizer Bank. Das Profit-Verhältnis ist 3:97. Drei Prozent bleiben in Ghana … Die Mine entstand übrigens mit Unterstützung der Weltbank.
Die beste Baumwolle der Welt mit den weltweit niedrigsten Produktionskosten kommt aus Burkina Faso – ein bettelarmes Land, das dank der IWF-Auflagen seine Böden unwiederbringlich mit der Monokultur lateralisiert hat. Auf dem Weltmarkt bringt die Baumwolle nichts ein. Ohne US-amerikanische Baumwollsubventionen hätte Burkina Faso eine echte Chance auf Entwicklung. Ein Eselskarren rumpelt über tiefe Erosionsrillen in der unfruchtbar gemachten Erde. Hier wächst nie wieder irgendetwas. Eine burkinische Baumwollpflückerin fuchtelt wütend in die Kamera. Und da kommt es wieder: das IHR! Was IHR macht …

Zynismus pur

Der Ober-Guru der Finanzwelt, Mark Mobius, Präsident von Templeton Emerging Market Funds in Singapur, der den derzeit weltgrößten Fonds der „wachsenden Märkte“ (sprich: Entwicklungsländer) mit 50 Milliarden Dollar höchst erfolgreich verwaltet, ist da ganz cool. Er weiß: „Die beste Zeit, Anteile zu kaufen ist dann, wenn Blut auf der Straße klebt.“
Da kann man richtig Geld machen. Klar, wo Kriege herrschen, es Revolutionen, politische oder wirtschaftliche Probleme gibt, fallen die Aktienpreise und wer am Tiefpunkt kauft, verdient späte jede Menge.

Zur moralfreien Geldvermehrung wird ein Land ausgewählt, in dem die Firma als Körperschaft keine oder wenig Steuern zahlen muss. Das können dafür die einheimischen Angestellten tun. Und Länder, in denen der Staat nichts zu sagen hat, sich zumindest nicht einmischt, etwa in punkto Arbeitsbedingungen oder Umwelt-Auflagen. Die Auswahl ist da gar nicht so klein. Und wenn es woanders billiger klappt, wird weiter gezogen.

John Perkins, Bestsellerautor und ehemaliger „Wirtschaftskiller“ (economic hit man), erklärt das System der US-Regierung: Ein Land mit benötigten Ressourcen wie Erdöl, Holz oder Gold, bekommt riesige Kredite von der Weltbank oder einer ähnlichen Organisation – und … kann sie nicht bedienen. Es kommt auch gar nicht erst dort an, denn das Geld fließt an amerikanische Firmen, die ein großes Infrastrukturprojekt abwickeln, das nur wenigen Reichen etwas nützt. Bei den so entstandenen Schulden ist an Gesundheits- und Ausbildungsprogramme für die arme Bevölkerung schon gar nicht mehr zu denken. Nun macht der Wirtschaftskiller den Regierungen klar: wenn ihr die Schulden nicht zurückzahlen könnt, müsst ihr halt in Naturalien zahlen. So kann das Land dann ausgeblutet werden. Lassen sich Regierungen nicht erpressen, kommen die Schakale. Die stürzen die Regierungen oder räumen deren unkooperative Führer aus dem Weg. Und nur wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht, na dann, dann kommt das Militär. Irak … Beispiele gibt es da jede Menge.

Was an Entwicklungshilfe in die armen Länder fließt, kommt wundersam um das Zehnfache vermehrt zu uns zurück. Erpressung der Regierungen, Privatisierung von sozialen Errungenschaften wie Gesundheits- oder Verkehrswesen (Anlagemöglichkeiten!), das allerdings passiert nicht nur weit weg im Süden, es passiert auch bei uns. Ohnmächtige Politiker im Sog der gelobten freien Marktwirtschaft? Gerade sehen wir, wie verzweifelt versucht wird, das ganze Schlamassel wieder ins Lot zu bringen …

Finanzkrise? Gesellschaftskrise!

Ohne Ton fliegen wir im Hubschrauber über eine menschenleere, langsam vor sich hin rottende Steinwüste aus Ferienhäusern an der spanischen Küste. Ein „Zement-Tsunami“, der die letzten Naturräume verschluckt. Wertanlagen … Die Profitrate für die Immobiliengesellschaften und Banken: gigantische 20 Prozent. Drei Millionen leer stehende Häuser mit 800 Golfplätzen, die, in der Wüste angelegt, soviel Wasser verbrauchen wie eine Stadt mit 16 (!!!) Millionen Einwohnern. Und die instand gehalten oder später gegen Entschädigung abgerissen werden – auf Kosten der Steuerzahler.

Herrmann Scheer, SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Träger des Alternativen Nobelpreises, bringt es so auf den Punkt: „Im neoliberalen Zeitalter ist alles verkürzt auf die aktuelle Erzielung einer höchstmöglichen Rendite, koste es was es wolle!“ Politiker (und Manager) denken im kurzen Karrierezeitraum – nach mir die Sintflut. „Und dieses radikale Kurzzeitdenken, d.h. nicht mehr das Denken in längerfristigen Verantwortungskategorien … ist typisch für das gesamte neoliberale Zeitalter.“

11,5 Trillionen

Hier noch ein Tipp, frei Haus geliefert von einem Insider: „Jersey ist der perfekte Platz, um Geld zu verstecken.“ „Offshore“ – so können Banken über Steueroasen ihre Transaktionen abwickeln und Firmen Steuern vermeiden. Geldwäsche im großen Stil. Ein großer Teil des Welthandels wird so gemanagt. Milliarden Dollar, die den Regierungen vorenthalten bleiben und mit denen man sich beispielsweise den UN-Millenniumszielen wenigstens etwas hätte annähern können …

Heute liest man viel von „Realwirtschaft“ – die Finanzwirtschaft aber ist die „Irrealwirtschaft“. Die verzwickten und groß angelegten Finanzmanöver, das gewinnbringende Geld-Hin-und-Herschaufeln, das mutet äußerst irreal an.

Glasklar zeigen die Bilder und Statements des Films aber: Die politisch akzeptierten Spielregeln der weltweiten Finanzindustrie dienen nur einigen wenigen Mächtigen und Reichen. Mit der Globalisierung werden durch die länderübergreifende Konkurrenzsituation Arbeiter und Angestellte gezwungen, für immer weniger Geld immer mehr zu arbeiten. Und 11,5 Trillionen Dollar Privatvermögen stecken in Steuerparadiesen. Herrmann Scheer sieht ein neues Zeitalter der Barbarei aufziehen – unausweichlich.

Nicht das Geld arbeitet für uns. Jemand anderes arbeitet für uns – und das unter extremen Ausbeutungsbedingungen, die unseren Wohlstand sichern. Und der zerbröselt gerade auch noch … Die USA sind die größte Wirtschaftsmacht – und die am höchsten verschuldete Nation. Alles ein riesiger fake, sagt Wagenhofer.
Die Folgen? Morgen wieder in der Tagesschau …

Let’s Make Money ist ein Dokumentarfilm, aber spannend wie ein knallharter Thriller, wie das Klischee heißt. In diesem Falle ist es nur leider zu wahr, um schön zu sein.

Lena Blaudez

Let’s Make Money. Dokumentarfilm von Erwin Wagenhofer. Österreich 2008. 110 min. mehrsprachig mit deutschen UT. allegrofilm-Produktion.
dt. Kinostart 30.10. 2008. Delphi Filmverleih GmbH

Das Buch zum Film: Dohmen, Caspar: Let’s make money: Was macht die Bank mit unserem Geld? . orange-press 2008. 256 Seiten. 20,00 Euro. Orange-Press