Geschrieben am 20. November 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Debatte: Lesungen bei der Bundeswehr?


Operation Thriller:

Wenn amerikanische Thriller-und Krimi-Autoren für die Truppenbetreuung angeheuert werden, um die Soldaten mit ihren Lesungen im Kriegsgebiet zu unterhalten und sie moralisch aufzurüsten – ist das dann eine Instrumentalisierung der Autoren für dubiose politische Ziele? Wie würden deutsche Krimi-Autoren reagieren?  Von Peter Münder

Die Marx Brothers und John Wayne taten es, die Busenwunder Jayne Mansfield  und Raquel Welch posierten vor den in Vietnam eingesetzten GIs, und Marilyn Monroe unterbrach sogar ihre Hochzeitsreise mit Joe DiMaggio in Japan, um im Februar 1954 in Korea die US-Soldaten zu unterhalten: „Das war das Beste, was mir je passiert ist“, schwärmte sie, nachdem sie in zehn Shows vor 100.000  begeisterten Soldaten aufgetreten war. Seit die für Truppenbetreuung zuständige USO (United Service Organizations) 1941 gegründet wurde, waren viele hochkarätige Entertainer wie Bob Hope, Sammy Davis Junior, Nancy Sinatra bei den Truppen, um ihnen zu signalisieren: „Wir sind bei euch und wir unterstützen euch!“

Erst Jane Fonda war die erste Top-Prominente, die sich nicht nur während des Vietnamkriegs weigerte, diese unterhaltsamen Solidaraktionen zur moralischen Aufrüstung zu unterstützen, sondern auch mit ihren eigenen aufsehenerregenden Protestaktionen in Nord-Vietnam das Pentagon provozierte und die US-Regierung vehement attackierte. „Hanoi Jane“ wollte sich nicht vor den Karren einer barbarischen US- Kriegsmaschinerie spannen lassen; sie protestierte auch vor drei Jahren auf einer Demo scharf gegen die Irak-Invasion und die Politik des Kriegstreibers George W. Bush.

Embedded: Fünf US-Krimi- und Thriller-Autoren besuchen die US-Truppen

Wenn die USO jetzt also die fünf US-Krimi- und Thriller-Autoren Andy Harp, Steve Berry, David Morrell, Doug Preston und James Rollins  im Rahmen der Tournee „Operation Thriller“ zu den US-Truppen in der Golfregion schickt (Termine und Einsatzorte bleiben aus Sicherheitsgründen geheim), scheint damit auch ein qualitativer Sprung vom eher gedankenlosen Gaudi-Segment zur anspruchsvolleren Unterhaltung erreicht zu sein. Aber verhalten sich diese Autoren nicht systemkonform, unterstützen sie mit ihren Auftritten vor der Truppe nicht einen Krieg, der als Resultat der in Washington fabrizierten Lügenkonstrukte über angeblich vorhandene irakische Massenvernichtungswaffen angezettelt wurde? Muss man also davon ausgehen, dass die im USO-Umfeld eingebetteten Autoren sich als regierungstreue Hurra-Entertainer instrumentalisieren lassen?

Das bleibt erst mal abzuwarten, fest steht nur, dass sich die Autoren natürlich auch einen PR-Effekt erhoffen, ihren Büchern neue Leserschichten erschließen und womöglich auch die Lesebereitschaft der abgestumpften TV- und Video-Konsumenten erhöhen wollen.

Dieses hochkarätig besetzte Quintett setzt sich übrigens aus Vorzeige-Akademikern zusammen: den beiden Rechtsanwälten Steve Berry und Andy Harp, dem Tiermediziner James Rollins, dem Physiker/Mathematiker/Anthropologen und Anglisten Douglas Preston sowie dem Literaturprofessor David Morrell. Der Jurist Andy Harp hat übrigens bei den Marines gedient und als Überlebensexperte in arktischen Zonen Soldaten ausgebildet. Doug Preston („The Monster of Florence“), Steve Berry („The Romanov Prophecy“), Andy Harp („A Northern Thunder“), James Rollins („Indiana Jones“) und David Morrell („Rambo“) werden auf ihrer ersten USO-Tour sicher, wie die USO es sich vorstellt, „über ihre Bücher sprechen, neue Projekte diskutieren und sich über Lesegewohnheiten der Militärs informieren“.  Sie sollen aber, wenn alles nach dem Plan der USO verläuft, „die Truppen aufmuntern und gute Laune verbreiten und  gegenüber den Soldaten ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen“, wie es die USO-Pressemeldung formuliert.

Die Botschaft ist klar: Hier reisen prominente Bestseller-Autoren an die Front, muntern die Kämpfer für Recht und Freiheit auf und nehmen die heldenhaften GIs genauso ernst wie ihre eigenen Romanfiguren. Das umschreibt auch der USO-Pressetext, der übrigens ein Literaturverständnis vermittelt, das  engagierter und enthusiastischer daherkommt als mancher Waschzettel eines deutschen Kulturträger-Verlagshauses. „Jeder Autor verweist auf dieser Tour auf den Stellenwert von Literatur: Das geschriebene Wort hat die Kraft, deinen Tag aufzuhellen, dich Abenteuer erleben zu lassen und für spannende Abwechslung  zu sorgen.“

Für deutsche Nachkriegsentertainer und Autoren dürfte ein Einsatz als „embedded“-Truppenbetreuer immer noch ein ziemliches Novum sein. Gunter Gabriel trällerte zwar schon vor Bundeswehr-Soldaten im Kosovo, auch die  Band  „Pink Mail“  trat im letzten Jahr schon in Afghanistan vor deutschen Soldaten auf. Doch das ist selten genug: Die Situation um Kunduz und Mazar-i-Sharif wird immer gefährlicher, viele Entertainer werden auch immer vorsichtiger und skeptischer. Wird man mit einem Auftritt dort im Krisengebiet etwa als Befürworter einer völlig verkorksten Politik verstanden, die immer nur abnickt, was man vorher in Washington oder im NATO-Hauptquartier beschlossen hat?

Und deutsche Krimiautoren: Lesungen bei der Bundeswehr?

Wie würden sich also jetzt deutsche Krimi-Autoren verhalten, wenn sie von der Bundeswehr zu einer Lesung in der afghanischen Kampfzone eingeladen würden? Zur Zeit hat die Bundeswehr-Truppenbetreuung noch keine Autorenlesungen geplant, aber das kann sich schnell ändern, wenn die Auftritte des US-Autorenquintetts erfolgreich verlaufen.

Frank Göhre

„Na ja, eine Portion Skepsis ist wohl berechtigt, aber mir würde es vor allem darum gehen, mich vor Ort selbst gründlich zu informieren“, meint Frank Göhre, dessen neuester Roman „Der Auserwählte“ (Pendragon Verlag) es gerade auf Platz sechs der Krimi-Bestenliste geschafft hat. „Natürlich kann man den Einsatz in Afghanistan auch pauschal verdammen, aber ich würde gerne mit den Soldaten selbst darüber diskutieren und diese Erkenntnisse dann vielleicht auch später in einem Buch verwerten – dieser Kriegseinsatz gegen den Terror der Taliban besitzt doch auch eine ganz neue, bedeutende Qualität, also muss man sich darüber auch einen Einblick verschaffen.“ Angst vor kritischen Gefahrensituationen hat Frank Göhre übrigens nicht: „Wenn man sich auf so etwas einlässt, dann wird man ja auch gut beschützt. Mich würden auch die psychischen Folgeschäden traumatisierter Soldaten interessieren – kurz und gut, ich würde so ein Angebot sofort annehmen und dort lesen, weil ich das als gutes Informationsangebot und als Diskussionsmöglichkeit verstehe.“

Friedrich Ani

Ähnlich sieht es auch Friedrich Ani, der eine Einladung zu einer Lesung in Afghanistan ebenfalls annehmen würde: „Allerdings ist angesichts meiner Flugangst eine Lesung in Kunduz eher unwahrscheinlich.  Grundsätzlich lese ich vor allen Menschen, die mich hören wollen. Davon abgesehen, habe ich großen Respekt vor allen Männern und Frauen, die als Soldaten im Ausland ihr Leben riskieren, um für Demokratie und Freiheit einzustehen.“

Jürgen Ebertowski

Der Berliner Krimi-Autor Jürgen Ebertowski, dessen letzter Band „Blutwäsche“ auch japanische Schauplätze beschreibt, hat zwar Vorbehalte, weil er sich nicht für eine plumpe PR-Show vereinnahmen lassen will, er sieht in so einer Lesung aber auch die beste Möglichkeit, sich direkt im umkämpften Krisengebiet und in Gesprächen mit Betroffenen zu informieren: „Und auf die journalistischen Aspekte, die präzisen Fakten und die genaue Schilderung der Schauplätze habe ich ja schon  immer großen Wert gelegt“, erklärt er. Ganz angetan ist Ebertowski auch von der USO- Idee, nicht immer nur Musiker oder Schlagerstars einzuladen, sondern auch mal Schriftsteller: „Das wäre sicher auch für deutsche Autoren begrüßenswert und könnte aufgrund der daraus resultierenden kritischen Diskussionen einem solchen Betreuungsprogramm eine ganz neue Qualität verleihen.“

Veit Heinichen, der von Triest aus als mediterraner systemkritischer  Noir-Autor die Machenschaften organisierter Kriminalität ins Visier nimmt, würde eine Einladung zu einer Lesung als groteske Zumutung rundweg ablehnen. In seiner Stellungnahme schreibt er (per E-Mail):

Veit Heinichen

„Ihre Frage amüsiert mich. Sie stellt lediglich eine virtuelle ‚Gefahr‘ dar. Ein Sechser im Lotto ist wahrscheinlicher, als dass das deutsche Verteidigungsministerium auf eine solche Idee kommen würde. Die Vereinigten Staaten haben Kultur schon seit langem als Propagandainstrument eingesetzt (siehe mein Eingangszitat aus meinem letzten Roman), und jeder hat das Foto von Marilyn Monroe vor Augen, als sie 1954 beim Truppenbesuch in Korea war und den Soldaten ein ‚Lili Marleen‘ vorzwitscherte. Nach Vietnam gingen Nancy Sinatra und Raquel Welch, deren Foto in so gut wie jedem Soldatenspind hing. Ich lass den Vortritt gerne Sarah Connor, die’s ja auch bis Afghanistan geschafft hat, um die Bundeswehr zu beglücken. Mariah Carey war im Kosovo, Scarlett Johansson und Angelina Jolie haben die sexuellen Phantasien der Soldaten im Irak beflügelt.

Sie sehen also, weshalb mich keiner fragen wird: So schöne Beine hab ich einfach nicht und silikonfrei bin ich dazu!

Desweiteren gehe ich davon aus, dass die Autoren, welche jetzt im Auftrag der US-Army Truppenbesuche machen, sowieso keine kritischen Töne von sich geben.

Diesbezüglich unterscheidet sich auch das Genre: Petros Markaris, Massimo Carlotto, Bruno Morchio, ich und viele andere sind Vertreter des ‚Noir mediterraneo‘, uns interessiert grundsätzlich mehr der soziale Hintergrund, vor welchem sich Verbrechen abspielen, bzw. deren gesellschaftliche Einbettung, wie auch die zunehmende Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Organisiertem Verbrechen. Damit tendiert die Wahrscheinlichkeit, je eine solche Einladung zu erhalten, bereits unter den Gefrierpunkt. Aber, spielen wir mit dem Teufel: Warum um seiner Willen sollte ich sie annehmen? Die Reise kann ich auch selbst bezahlen. Meine Recherchen betreibe ich grundsätzlich freier, breiter und profunder, als der potentielle Spielraum des Verteidigungsministeriums es zulassen würde. Ich bin kein Märchenonkel in kugelsicherer Weste.“

Dieser kriegerische Anti-Terror-Einsatz ist für die Katz

Ein von der Bundeswehr organisiertes Lese-Programm, mag es auch mit noch so hochkarätigen intellektuellen Autoren bestückt sein, dürfte nichts daran ändern, dass diese kriegerischen Anti-Terror-Einsätze, vor allem in Afghanistan, für die Katz sind. Da wird ein durch und durch korruptes System hochgepäppelt und stabilisiert, werden Drogenbarone toleriert, Dollar-Milliarden ins Land gepumpt und sofort in die Schweiz transferiert, Wahlfälschungen im großen Stil toleriert. Keine afghanische Zentralregierung  hat sich bisher je gegen autonome  Stammesfürsten behaupten können, ausländische Truppen – egal ob britisch oder russisch – wurden am Hindukusch immer pulverisiert und aus dem Land gejagt. Ein Besuch in diesen unübersichtlichen, gefährlichen Kampfzonen ist sicher nützlich und dürfte etliche Informations-Defizite  deutscher Autoren beseitigen. Doch man sollte sich keine Illusionen darüber machen, dass alle US-Kriegseinsätze im Ausland nach dem Vietnam-Desaster fehlgeschlagen sind, weil die Zeit einer imperialistischen Interventionspolitik abgelaufen ist und deutsche Kampftruppen im Ausland auf die Dauer nichts ausrichten können – am deutschen Militärwesen kann die Welt immer noch nicht genesen. Auch wenn es, wie man aus Berlin immer wieder hört, „keine Alternative“ zu diesen Einsätzen geben soll und man sich diesen Forderungen der besorgten Verbündeten angeblich nicht verweigern kann.

Auf eine völlig autonome Selbstbestimmung sind nicht nur die Basken, Schotten, Innuit und Iren erpicht, sondern auch die Afghanen – seit über hundert Jahren schon.

Peter Münder