Wenn Mieselsüchtige kletzeln
„Red’s in a Sackl und stell’s vor die Tür.“ Sabina Naber: Die Lebenstrinker
„’Wir hören den ganzen Tag lang einfach nur zu’, sagte ich patzig.“ Edith Kneifl: Glücklich, wer vergisst
Bei den Wienern dreht sich alles ums Fleischliche. Das ist gleichbedeutend mit dem Weiblichen. Was das bedeutet, hat Freud sein Lebtag lang zu analysieren versucht: „Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: ‚Was will eine Frau?’“ Die beinharte Wolf-Haas-Verfilmung Der Knochenmann weiß es: Liebe. Sie will Liebe und bekommt Tod. Das ist die Tragik des österreichischen Kriminalromans, der eigentlich gar kein Thriller sein mag, sondern ein grantelndes Erotikpaket. Und je näher man Wien kommt, desto mehr geht’s in Richtung hardboiled. Rein psycholinguistisch. Davon kriegt man Kopfschmerz. Das ist nicht nur beim Detektiv Brenner so, der durch den Schauspieler Josef Hader richtig pfundig seine Fleischwerdung erlebt.
Das gilt auch für die gehirnerschütterte Wiener Kommissarin Maria Kouba, deren Libidostruktur von der nach oben offenen Freud-Skala nicht mehr einzufangen ist. Jetzt ist schon wieder was passiert. Genau. Doch nicht mal der verzwickteste Fall bringt ihr bumsvolles Sexualleben durcheinander. Sabina Naber fährt in den Lebenstrinkern Kripoleute auf, die sich durch einen Mordfall in ihrer Triebstruktur nicht drosseln lassen. Sowas wäre in Bottrop oder Friedrichshafen undenkbar. Das funktioniert nur in einem literarischen Landstrich, der mit kryptischen Chiffren arbeitet. Das Wienerische ist eine eigene Sprache, die uns weder meint, noch braucht, dabei aber zutiefst einleuchtet: Die Tschick wird abgeascht und ausgedämpft, bevor die Bim kommt. Und wenn ein mieselsüchtiger Zeuge kletzelt, dann geht sich das gerade noch aus, ohne dass man ihm eine tuschen muss. Alles klar? In dieser aufgeladenen, uns entzogenen, letztendlich unübersetzbaren Poesiewelt ist Maria immer auf hundertachtzig.
Bald entwickelt der Geschehenshergang eine narzisstische Binnenproblematik, die Freud im Hinblick auf den Todestrieb begeistert hätte: Wie soll eine picksüße Kommissarin, die urarg mit sich selbst beschäftigt, hysterisch und bummzu ist, genau hinhorchen? Maria Kouba bleibt nur noch die nackte Intuition; dabei stolpert sie ab und zu über Kommissar Zufall. Ganz im Gegensatz zu Joe Bellini: Die Wiener Autorin Edith Kneifl schickt als Ermittlerin keine Vollneurotikerin, sondern gleich eine Psychoanalytikerin in den Ring. Joe Bellini quatscht nicht, sie lauscht lieber. Der Krimi Glücklich, wer vergisst untersucht manisch das Verdrängte, und dort gibt es keine Zufälle, sondern höchstens Freudsche Versprecher. Leider wienern Kneifls Figuren kaum. Schade. Denn Bellini fasziniert, woran Kouba leidenschaftlich verzweifelt: das Ungewusste. (Nicht zu verwechseln mit dem Unbewussten.) Was der einen ihr Freud, ist der andern ihr Leid.
Uta-Maria Heim
Sabina Naber: Die Lebenstrinker.
Berlin: Rotbuch 2009. 320 Seiten. 19,90 Euro.
Edith Kneifl: Glücklich, wer vergisst.
Innsbruck-Wien: Haymon. 256 Seiten. 17,90 Euro.