Geschrieben am 20. Dezember 2008 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

KOPFSCHUSS N° 2 von Uta-Maria Heim

Rohrkrepierer

„Hilfe! … Er bringt sie um…“
(Friedrich Ani: Wer tötet, handelt, aus der Reihe „Der Seher“)

„Er kann Stimmen sezieren wie ein Pathologe einen Körper“, sagt Friedrich Ani über den schillerndsten Solitär unter den Ermittlern, den würdevoll wankenden Einzelgänger Jonas Vogel. Der Ex-Kommissar ist der Titelheld von Anis Krimireihe „Der Seher“, und Vogel ist ein begnadeter Zuhörer. Also eigentlich ist der „Seher“ eher ein „Lauscher“, und das bereits, ehe er erblindet. Zwei Folgen sind bisher erschienen: Wer lebt, stirbt und Wer tötet, handelt.

Noch vor ein paar Jahren wäre an einem „Seher“ nichts Anstößiges gewesen. Inzwischen jedoch stutzen wir. Und denken – so unsinnig das ist – die weibliche Form gleich mit. Sobald ein Verb substantiviert wird, schlägt die politisch korrekte Quotierung zu. Wo ein Seher ist, muss auch eine Seherin sein. Nur die Tatsache, dass der Seher in erschreckender Alleinheit existiert, legitimiert noch sein Dasein. Sonst drücken wir uns um die männliche Verallgemeinerungsform auf geradezu groteske Weise herum. Statt von Lesern sprechen wir, beispielsweise, von Leserinnen und Lesern, von LeserInnen, von Leser/innen und Lesenden. Und da das leicht unleserlich wird, weichen wir aus auf das theatralische Lesepublikum und die frömmelnde Lesegemeinde.

Aber weil es meistens verkehrt ist, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, kommt die männliche Form wie ein Bumerang zurück. Das ist dem Konservativismus der Sprache zuzuschreiben, die stets nach Vereinfachung strebt und sich für verkrampfte Kopfgeburten bitter rächt. Daher erlebt die maskuline Substantivierung eine inflationäre Renaissance. Nachdem das stur Männliche aus dem allgemeinen Diskurs vertrieben wurde, weil die weibliche Form wie ein verdorbener Wurstzipfel extra hintendran gehängt werden muss, taucht es in der Maske des Sächlichen überall auf, wo es überhaupt nichts verloren hat. Was ein Ärgernis war, ist heute ein Aufreger, was ein Erfolgsrezept war, ein Bringer, ein optimales Vermarktungsergebnis ist ein Reißer, und ein überstürztes verhängnisvolles Konzept ist ultraneudeutsch ein Rohrkrepierer (einst eine militärische Sauerei, älter als der Erste Weltkrieg).

Komischerweise darf man nicht mehr von Shoppern sprechen, aber von Schockern. Nicht mehr von Einbrechern, aber von Brechern. Der Mann, seiner gesetzgebenden Kraft als maskuline Norm beraubt, hat die gesamte Sachwelt erobert und sich untertan gemacht, und die Frau, die blöde Rippe, wehrt sich dagegen kein Stück. Wann fangen wir endlich an, auch hier mit dem Schwert des Sprachfeminismus zu fuchteln? Die Aufregerin, die Bringerin, die Reißerin sollten uns ebenso offen stehen wie die Rohrkrepiererin. Da können wir aus dem Krimi wieder einmal vorausschauend lernen: „Wer tötet, handelt“ – diese alttestamentarische Maxime sorgt vielleicht schon bald für den linguistischen Overkill. Schließlich geht es auch bei Friedrich Ani schon um eine Frau, der alles genommen wird. Und am Ende schreckt sie vor nichts mehr zurück.

Uta-Maria Heim