Geschrieben am 6. September 2015 von für Crimemag, Kolumne, Kolumnen und Themen

Kolumne: Frank Göhre: Gelesen. Gehört. Gesehen (1)

Frank-Göhre-_FotoEs reicht!

Trommelwirbel, Tusch! Wir freuen uns, Frank Göhre wieder für eine Kolumne für CrimeMag gewonnen zu haben, der uns regelmäßig von seinen Beobachtungen aus Lektüre, Radio, Fernsehen, Kino, Straße, Markt oder Restaurant wissen lassen wird. In seinem ersten Beitrag outet er sich als äußerst unzufriedener Gebührenzahler.

Der Rundfunkbeitrag finanziert das vielfältige Programm von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Dabei gilt für volljährige Bürgerinnen und Bürger die einfache Regel: „Eine Wohnung – ein Beitrag”. Es spielt keine Rolle, wie viele Rundfunkgeräte in einer Wohnung vorhanden sind oder wie viele Menschen dort leben – monatlich sind 17,50 zu zahlen. (ARD ZDF Deutschlandradio, Beitragsservice, Köln)

Es ist ein Dienstag, Anfang August, und „Das Erste“ beginnt nach einem munter moderierten „Morgenmagazin“ mit den Wiederholungen vom Vortag: „Rote Rosen“ und „Sturm der Liebe“. Es folgt eine Episode der Familienserie „Um Himmels Willen“ aus dem Jahr 2005: „Simsalabim“, erster Dialogsatz: „Ich verstehe aber nicht, warum Sie mit Ihrer Tochter nicht selbst darüber reden.“

Also reden wir.

2014, mit dem neuen System von Abgaben, dem sogenannten „Haushaltsbeitrag“, lagen die Jahreseinnahmen bei 8,32 Milliarden Euro. Davon werden 34 Prozent für Personalkosten verwendet.
Tom Buhrow, WDR-Intendant, hat ein Jahresgehalt von 367.232 Euro. Es ist höher als das der Kanzlerin.
Lutz Marmor, NDR-Intendant, 305.417 Euro plus 27.000 Euro aus Nebenverdiensten, u.a. aus Mandaten bei zwei Bankenund einer Versicherung.
Ulrich Wilhelm, BR-Intendant, 309.720 Euro, verzichtet komplett auf Nebenverdienste, u.a. auf die ihm eigentlich zustehenden Bezüge von Tochterfirmen wie Europool oder Bavaria Filmkunst.
Karola Wille, MDR-Intendantin, 247.801 Euro plus 21.888 Euro aus Nebenverdienste.
Jan Metzger, Radio Bremen-Intendant, 246.000 Euro.
Dagmar Reim, RBB-Intendantin, 228.000 Euro, plus 12.000 Euro aus Nebenverdiensten.

 Das Programm an diesem Dienstag geht weiter mit den neuen Folgen „Rote Rosen“ und „Sturm der Liebe“. Dann dürfen wir mitraten: „Wer weiß denn so was?“, moderiert von Kai Pflaume.

Der gelernte Wertpapierhändler und langjährige Moderator der SAT 1-Show „Nur die Liebe zählt“ („Ich gehe mal von 50 Hochzeiten und weit über 100 Babys aus, die im Zusammenhang mit der Sendung stehen“) ist Gesellschafter der Promikativ GmbH . Das Unternehmen hat sich auf die Vermarktung und Vermittlung von Prominenten für die Werbung spezialisiert.

Die „Prominenten“ dieser Sendung sind die Tennisspielerin Sabine Lisicki („Boom-Boom-Biene“, liiert mit Oliver Pocher) und die Kamilla Senjo, Moderatorin des Boulevardmagazins „Brisant“ (MDR): „Die Aufgabe ist für mich sehr spannend. Es geht nicht nur in erster Linie um eine knallharte Aneinanderreihung von Fakten, sondern um Emotionen und um die Menschen dahinter. Außerdem reizt mich der Boulevardbereich ungemein, da ich schon immer einen Faible für Royals, Prominente und High Society hatte. Hier sind wir schon bei der Mischung, die ‚Brisant‘ für mich ausmacht: breit gefächert, von Nachrichten bis hin zum Klatsch und Tratsch, einfach das pure Leben.“

Wir machen ein Programm für alle, das allen gefallen und keinem weh tun soll.
(Elke Haferburg, Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern)

Fernsehen-BullshitEs schließt sich an eine Episode aus dem ARD-Baukasten „Heiter bis tödlich“. Eine Wiederholung aus dem Jahr 2012: „Akte Ex. Der fröhliche Mönch: Bei einer abendlichen Touristenführung durch die GassenWeimars wird der betagte Mönch Antonio angeschossen. Schnell stellt sich die Frage … Es fragen Kommissarin Katzer und Kommissar Hundt: Die Polizeikommissarin Kristina Katzer, die ihren Dienst im Polizeikommissariat Weimar verrichtet, bekommt einen neuen Kollegen zur Seite gestellt, welcher aufgrund einer Liaison mit der Frau seines ehemaligen Vorgesetzten strafversetzt wurde. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem neuen Kollegen Kommissar Lukas Hundt um den ehemaligen Freund von Kommissarin Katzer, mit dem sie vor einigen Jahren eine Affäre unterhielt.

Katzer und Hundt, du verstehen?
Wie Hund und Katze!

Da schlägt sich nicht einmal mehr die Ü 60-Generation lachend auf die dürren Schenkel, obwohl sie doch die Kerngruppe der Öffentlich-Rechtlichen ist.

In keinem anderen europäischen Land erreicht das Staatsfernsehen so wenige Zuschauer pro Million Euro wie in Deutschland: 4131.
Im Vergleich dazu Schweden 8768, Großbritannien 7429 und selbst Dänemark liegt mit 4263 noch darüber, hat zudem mindestens vier hervorragende Fernsehserien produziert: „Borgen“, „Die Erbschaft“, „Kommissarin Lund“, „Die Brücke“.
In Deutschland ist es nach wie vor bei „Im Angesicht des Verbrechens“ und „KDD – Kriminaldauerdienst“ geblieben.

Nach der allabendlichen „Tagesschau“ gibt es an diesem Dienstag noch zwei weitere Wiederholungen:
„Tierärztin Dr. Mertens“ (2013), Kulisse der Leipziger Zoo,
und „In aller Freundschaft“ (2014), Ort der Handlung eine fiktive „Sachsenklinik“ in Leipzig.

Das reicht.
Ende und aus mit dem Adel und den Ärzten als Retter aus jeglicher Not, dem dumpf menschelnden Leipziger Allerlei und den kauzigen oder auch kaputten Kommissaren – 46 neue „Tatort“- und „Polizeiruf“-Krimis am Sonntag werden 2015 produziert, 33 Krimifilme außer der Reihe und 42 neue Krimiserienepisoden –
Schluss mit den Schmonzetten in Endlosschleife –
Neun Stunden an diesem Dienstag nur Wiederholungen –
Schluss mit all der Scheinmoral, dem nationalen Biedersinn,
dem unsäglichen Schwachsinn.

Es mag in den bürgerlichen Feuilletons noch so häufig die fehlende Qualität der Öffentlich-Rechtlichen angeprangert werden, es mag noch so oft konstatiert werden, dass die Programmverantwortlichen der „Öffis“ nicht mehr recht bei Trost seien – solange das Staatsfernsehen als hochsubventionierter Beamten Apparat konstruiert ist, dem Kreativität fremd (oder es für kreativ gehalten wird, Helene Fischer für eine „Tatort“-Rolle zu verpflichten), eigenes Nachdenken suspekt und anspruchsvolles Programm zuwider sind, wird sich nichts ändern.

Staatsfernsehen ist kaputtes YouTube. Fernsehen vergeudet unser Leben. Wir sind gekommen, um NEIN zu sagen.

Gegen die monatliche Abgabe kann und sollte zumindest Einspruch erhoben werden unter:
Musterbrief: „Rundfunkbeitrag“ unter Vorbehalt

göhre stream0_Die kursiv gesetzten Passagen sind dem im Verlag Klaus Bittermann erschienenen und nachdrücklich zu empfehlenden Buch von Berthold Seliger entnommen: I Have A Stream. Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens. 304 Seiten, 16,00 Euro. – All dies hat nichts, aber gar nichts mit Forderungen ins Sachen „Lügenpresse“ vom rechten Rand zu tun. Es geht um Qualität und Programmauftrag.

Frank Göhre

Anm. d. Red.: Ein konstruktiver Vorschlag zur (wenigstens teilweise) besseren Verwendung der Gebühren kommt von Thomas Frickel.
Der Sprecher der AG Dokumentarfilm hat ein Modell vorgestellt, das jenseits der schwerfällig gewordenen „Anstalten“ der Grundidee eines öffentlich finanzierten Informations- und Medienangebots neue Impulse verleihen könnte – und zwar durch die Unterstützung frei produzierter Internet-Projekte wie Blogs, Podcasts, Live-Streams – und natürlich auch von Filmen. (Nur 0,2 Prozent des Gesamthaushalts der öffentlich-rechtlichen Sender und 8,5 Prozent der Sendezeit stehen derzeit für Dokumentationen zur Verfügung.)

göhre ag dok_logoThomas Frickel: „Man stelle sich vor: Nur zehn Prozent des Betrages, der den bestehenden Sendern zufließt, würde direkt an hochwertige, aufregende, kulturell bedeutsame, gesellschaftlich relevante Internet-Projekte vergeben, die dafür dauerhaft, weil fair bezahlt, im Netz verfügbar bleiben. 800 Millionen Euro für Filmvorhaben, Live-Inszenierungen, Blogs, Podcasts, Online-Enzyklopädien. Geld, das eins zu eins in ein völlig neuartiges Programmangebot fließt – direkt und ohne den schwerfälligen Verwaltungsapparat der Sender, ohne Direktoren und ein Dutzend Intendanten, von denen die meisten besser bezahlt werden als die deutsche Bundeskanzlerin. Ohne überteuerte Sportrechte-Käufe, ohne geldgierige Moderatoren – welch ein gewaltiger kreativer Schub könnte unser Land erfassen!
Verfassungsrechtlich, das hat Martin Eifert festgestellt, wäre man dabei wohl auf der sicheren Seite. Denn „grundsätzlich“, so schreibt er in einem 2014 für das Land Berlin erstellten Gutachten in Bezug auf die Verwendung des Rundfunkbeitrags, „kann nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern es können alle auf die Verwirklichung der Rundfunkfreiheit zielenden Ausgestaltungen als Gegenleistung in Betracht kommen“. Auch heute werden ja beispielsweise schon offene Kanäle von den Landesmedienanstalten – also ebenfalls aus der Haushaltsabgabe – bezahlt.“

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