Geschrieben am 20. Juni 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Klaus Kamberger: Übersetzungskritik

Selten ein Ergötzen – vielmals ein Entsetzen – leidiges Übersetzen

Ohne Übersetzer keine Literatur aus aller Welt. Unterbezahlt, oft nicht wahrgenommen. Oft große Könner, hin und wieder Pfuscher. Und ganz sicher geht manche grauenhafte Übersetzung auf die Kappe eines übergriffigen oder schlicht inkompetenten Lektorats. Deswegen tut regelmäßige Übersetzungskritik not. Klaus Kamberger, jahrzehntelang ein Großmeister der Zunft, eröffnet unsere neue Rubrik mit einer historischen Reminiszenz.

Regel Nr. 1: Eine Katze kann auf Deutsch auch mal zum Hasen werden
Regel Nr. 2: Wer übersetzen will, sollte Deutsch können
Regel Nr. 3: Besserwisser kriegen die Rote Karte

Wer nichts wird, wird Wirt, sagen ausgerechnet die Leute, die am liebsten jeden Abend in die Kneipe gehen. Der Wahrheitsgehalt dieses Erfahrungssatzes ist genauso hoch, wie etwa jene Schlussfolgerung stimmt, die da heißt: Wer den Werbeslogan für Nike-Sneakers versteht, kann Englisch, vor allem dann, wenn er den Spruch auch noch mit einem lässigen „Yeah Man“ garniert. (Fragt sich am Ende, was denn ein fucking Tatmensch mit einem Lahmarsch beiläufig zu tun hat …)

So oder so ähnlich funktionieren jedenfalls die meisten Übersetzungen aus den flotten Federn jener Zeitgenossen, die immer mal wieder meinen, ihr genrespezifisches Wissen so illustren Häusern wie Ullstein-Rowohlt-bvb-Lübbe-Knaur-Heyne-etc.pp. zur Verfügung stellen zu müssen. Nein, konkrete Namen werden hier weiter nicht genannt; die schon gefallenen stehen pars pro toto.

Bei Graham Greene speist ein hochrangiger Londoner Polizeibeamter „steak with o­nions“. Nichts besonderes, sollte man denken. Als A Gun for Sale erstmalig in deutscher Sprache erschien (Das Attentat), geschah das in einem Wiener Verlag. Klar, dass der Wiener Verleger seine wienerischen Freunderl hatte, die ihm das Bücherl g’schwind ins Deutsche zu kleiden wussten – und was futterte unser guter Commissioner da in seinem Londoner Beisl? Man lese und staune: „Zwiebelrostbraten“. Wenn das kein Akt gelungenen Eindeutschens, besser: Einwienerns war … (Später knabbert im selben Roman jemand genussvoll „potato crisps“, und die heißen im Wienerischen – was selbst Leute, die einige Lebensjahre in der phäakischen Hauptstadt verbracht haben, aus dem Stand nicht unbedingt wissen müssen – offenbar: „kalte Pommes frites“.)

Von besagtem Buch (wie auch von vielen anderen Greene-Werken) gab es später in einem führenden Reinbeker Taschenbuchverlag eine Pocket-Version, und da stand das alles (bis tief in die 70er des vergangenen Jahrhunderts) immer noch zu lesen: Zwiebelrostbraten und kalte Pommes frites, so speist man in London …

In einem anderen einschlägig vorbelasteten, diesmal Münchner Verlagshaus erschien seinerzeit einer der besten Kriminalromane amerikanischer Provenienz in einer zwar manchmal etwas altertümelnden Übersetzung von Hilde Spiel und Peter de Mendelssohn (auch wenn die beiden, zeitbedingterweise, auch all das einzudeutschen bemüht waren, was sich nicht eindeutschen ließ – aus dem „tramp“ wurde dann der „Stromer“); aber die beiden konnten, auch wenn Hilde Spiel ja bekanntlich Wienerin war, zumindest exzellent Deutsch: Die Rede ist natürlich von James McCains The Postman Always Rings Twice. Auch einen passenden deutschen Titel hatten Hilde und Peter gefunden, und unter dem erschien der Roman auch jahrelang unbeschadet in besagtem Münchner Verlagshaus.

Der Schaden kam dann erst mit der Verfilmung. Au contraire, der Film selbst war absolut erste Sahne. So gut hat man Jessica Lange und Jack Nicholson fast nie wieder gesehen! Aber der deutsche Verleih entblödete sich halt nicht, einen völlig absurden Titel auf das Werk zu kleben – und der Buchverlag beeilte sich gehorsamst, den Roman unter diesem Titel als „Buch zum Film“ erneut unter die Leute zu bringen: Wenn der Postmann zweimal klingelt. Was für ein Quatsch. Nicht nur deswegen, weil es bei uns zwar seit Thurn & Taxis’ Zeiten den Postboten gibt … Doch wo in deutschen Landen hat schon mal ein Postmann den Eilbrief, die Zeitung, das Päckchen mit den Pralinen von Tante Frieda an die Haustür expediert? Zum absurden Quatsch steigert sich die Chose indes mit dem „Wenn“ im Titel. Ja, wenn – was dann? Ist dann statt der Pralinen ein Bömbchen im Päckchen? Immer? Oder nur, wenn er zweimal klingelt? Oder wenn der Adressat vermuten darf, vor der Tür stehe nicht etwa ein Postbote, sondern der Leibhaftige in Gestalt des Postmanns?
Zur Lösung des Problems sei allen angeblichen Englisch-Könnern ins Stammbuch geschrieben: The postman always rings twice ist schlicht eine Redewendung – eine von zehntausend, die selbstverständlich auf ein sinnvolles deutsches Pendant angewiesen sind! Hilde und Peter wussten das damals noch. Und weil sie Englisch und Deutsch konnten, haben sie seinerzeit auch gleich die passende deutsche Wendung gefunden. Man weiß: Wenn ein Postbote etwas zuzustellen hat, klingelt er lieber ein zweites Mal, bevor er das Päckchen zur Nachbarin bringt. Sei also nie sicher, lieber Adressat, dass er nach dem ersten Klingeln gleich wieder weg ist!

Diese Einsicht auf den Begriff gebracht habend, hieß das Buch passenderweise Die Rechnung ohne den Wirt. Punktum. Passt. Auch wenn man einen Moment nachdenken muss. Apropos: Die erste Hollywood-Version des Romans aus den 50er-Jahren (mit Lana Turner) ist auch noch unter eben diesem Titel in unsere Kinos gekommen. So mutieren die Zeiten …

Doch manchmal lassen sich auch neue Wahrheiten/Wirklichkeiten herbeimutieren. Wer zum Beispiel würde es schon wagen, an einem Mythos wie Casablanca zu kratzen, selbst wenn Bogey, der schönen Ingrid Bergman tief in die Augen schauend, doch bloß eine Redewendung benutzt, die die Hersteller der deutschen Synchronfassung prompt nicht verstanden haben und Bogey deswegen (auf Deutsch) murmeln ließen: „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“ Klar, der Filmfreak weiß auch mit geschlossenen Augen, was Bogey jetzt tut und sagt. Champagnerglas auf Augenhöhe, viel sagender Blick auf die Schöne, O-Ton: „He’s looking to you.“ Auf Deutsch: „Ich schau dir in die Augen…“ Oder? Der Besserwisser weiß es natürlich besser: Bogey prostet Ingrid schlicht und ergreifend mit einem platten „Zum Wohl!“ zu. Punkt. Und nun? Wer deswegen Casablanca jetzt gleich neu synchronisieren wollte, hätte natürlich nicht alle Tassen im Schrank. Merke vielmehr: Auch in Casablanca ist nicht einmal das Englische vom Himmel gefallen. „What watch?“ „Ten watch!“ „Such much?“

Drum zum Schluss ein kleiner Tipp an Verleger/Lektoren/Übersetzungen-in-Auftrag-Geber. Fragen Sie Ihren Kandidaten: „You know which way the cat jumps?“ Wenn dieser dann repliziert: „Um Ostern schneller als sonst“, hat der Kandidat bestanden.

Klaus Kamberger