Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018

Klassiker-Check: Das Ministerium der Schmerzen

41WX2WD6FWL._SX265_BO1,204,203,200_Scharf und bissig und immer noch aktuell

Hazel Rosenstrauch hat den Roman von Dubravka Ugresic noch einmal gelesen.

Neulich sah ich bei einem Trödler – mehr aus dem Augenwinkel, als kramend – ein Buch von Dubravka Ugresic. Das Ministerium der Schmerzen. Da ich andere Bücher von ihr kenne und schätze, erstand ich es für  3,00 Euro. Es ist 2004 im Original, auf deutsch 2005 und als Taschenbuch 2007 erschienen. Gott, Göttin, ist das lange her. So lange, dass damals nicht Syrer und Afghanen, sondern Bosnier, Kroaten, Serben, Mazedonier und „Mischlinge“ aus all den ex-jugoslawischen Stämmen die Geflüchteten waren.

Das Land ihrer Protagonisten ist Holland. Der holländische Mann einer Zagreber Bekannten hat der Zuwanderin großzügig einen kleinen Lehrauftrag verschafft, unsicher, schlecht bezahlt, für kurze Zeit. Sowohl die Lehrerin wie ihre Schüler und Schülerinnen sind hin- und hergerissen zwischen Nostalgie und dem Wunsch zu vergessen; sie sitzt in ihrer Souterrain-Wohnung, beobachtet die Beine der Vorübergehenden, flüchtet aus der Wohnung, fährt quer durch das Land, auch zu dem Kriegsverbrecherprozess nach Den Haag. Nach dem Krieg fährt sie „nach Hause“, aber das ist selbstredend nicht mehr ihr Zuhause. Es ist ein Roman, keine Autobiographie, sie klagt nicht über ihr Schicksal, sondern studiert ihre Landsleute, wo sie sentiments beschreibt ist das nie sentimental, oft scharf, auch bissig.

Im Vorort voller Beton beobachtet sie „unsere jungen Männer“:

„Nachts versammeln sie sich auf leeren Betonplätzen wie Rudel junger Hunde und toben bis spät in die Nacht. Sie jagen einander auf den verwaisten Kinderspielplätzen, wippen auf den Schaukeln, grölen, springen, reißen die Hörer aus den Telefonzellen, schlagen Autoscheiben kaputt, klauen alles, was ihnen in die Finger kommt. Unsere jungen Männer schreien wie die Möwen. Ihre Schreie prallen von den Betonwänden zurück wie Pingpongbälle. Nachts kicken sie leere Dosen, was sich wie Maschinengewehrsalven anhört … Die Nacht ist ihre Zeit. Wir zittern, sind mucksmäuschenstill, das Blut in unseren Adern stockt von ihrem Gebrüll.“ Sie beschreibt auch die Töchter, „mit Kopftüchern, mit gesenktem Blick und Gesichtern, von denen man ihr Unbehagen darüber abliest, dass es sie überhaupt gibt, schweben sie wie Schatten durch die Stadt.“

51lkTlGJfTL._SX287_BO1,204,203,200_Sie weiß nicht mehr, in welcher Zeit sie sich befindet

Nicht die Erlebnisse, sondern die (wenngleich übersetzte) Sprache, die genauen Beobachtungen und Bilder, die sie für Gefühle, Ängste und Verzweiflung der Nomaden findet, ließen mich das Buch in einem Ruck lesen. „Auf unserem Stamm lastet ein Fluch. Die Rückkehr in das Land unserer Herkunft ist unser Tod, das Ausharren im Gastland unsere Niederlage. Deswegen lassen wir in unseren Träumen hartnäckig zum tausendsten Mal die Sequenz des Weggehens ablaufen. Denn der Augenblick des Weggehens ist unser einziger Triumph.“ Sie sieht eine Verfilmung von Milan Kunderas „Unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, in dem die lange zurück liegenden Sequenzen über den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei „wie eine brandaktuelle TV-Nachricht“ auf sie einschlagen. Sie weiß nicht mehr, in welcher Zeit sie sich befindet, „alles gerät durcheinander, die Filmbänder verheddern sich“.

Ich las das Buch im Zug, auf der Fahrt zu einer Tagung über die verfolgten Künste, und las den letzten Teil nach der Rückkehr von der Konferenz der guten Menschen, die tolle Karrieren mit den toten und verfolgten Juden machen, mit Künstlern und Dichtern, an die erinnert, die bewahrt, verwaltet werden müssen. Und wurde beschwichtigt durch Ugresic´ Phantasien über die Zukunft ihrer Schüler:

„Aus trostlosen mongolischen, rumänischen, slowakischen, ungarischen, kroatischem serbischen, albanischen, bulgarischen, weißrussischen, moldawischen, lettischen und litauischen Provinzen kommend, werden sie europäische und amerikanische Universitäten stürmen, diese neuen, kompatiblen Spieler, diese transitorischen Mutanten, Typen, die endlich wissen, wo es lang geht. Das wird ein starkes jungen Heer sein von künftigen Managern, Organisatoren, Experten, Operatoren, von Fachleuten für Kulturmanagement, für Katastrophenmanagement, für politisches und ökologisches Management, für das Management der Transition, für das Management des Lebens. Flinke Fischer im Trüben werden das sein, eine Gattung, die sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit reproduzieren wird. […] Diese Menschen werden bequem vom Unglück derer leben, denen sie helfen, denn auch das Unglück erfordert ein Management, ohne Management ist das Unglück nur ein Misserfolg. […] Mutanten werden das sein, die […] ihre Kontakte, ihre networks, ihre Verbände und Dachverbände, ihre Links und ihre Zentren ausbauen werden. […] Selbstbewusste Menschen, Menschen mit einer multiplizierten Identität, Kosmopoliten, Globalisten, Multikulturalisten, Nationalisten, Vertreter ethnischer und in der Diaspora verstreuter Identitäten, alles auf einmal, als hätten sie mehrere Köpfe auf einem Hals. Sie werden die neuen Kämpfer für die Demokratie unter den Bedingungen der Transition sein, und da alles im Wandel begriffen ist und alles sich seit Menschengedenken im Fluss befindet, werden diese Menschen ständig die Wörter mobility, flexibility und fluidity wie Kaugummi im Mund drehen. Es werden junge, fortschrittliche Menschen sein, bezahlte Kommissare der European integrationund des englargement-Prozesses, Erbauer der neuen Ordnung, Spezialisten für new, unique postnational political units …“

Ich kann gar nicht aufhören mit dem Zitieren, weil mir das so aktuell scheint, die Albträume wie die wortgewaltigen Prognosen. Natürlich hat sie sich geirrt, sie kommen nicht aus „Jerewan, Alma-Ata, Trnovo, Taschkent, Warna und Minsk“, nur wenige haben es zu Vorzeige-Migranten gebracht. Die wirklich wichtigen Manager und Verwalter, Verwerter und Berater sind immer noch vorwiegend Alteingesessene, zumindest in Deutschland. Dubravka Ugresic konnte 2004 noch nicht ahnen, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit sich die Nomaden samt ihren Albträumen vermehren werden. Ich schließe das Buch und nehme das Lesezeichen heraus, auf dem Franz Kafka zitiert ist mit dem Satz „Ich glaube man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen.“ Dubravka Ugresic hat mich gebissen und gestochen.

Hazel Rosenstrauch

Dubravka Ugresic: Das Ministerium der Schmerzen (Ministarstvo Boli, 2004). Roman. Aus dem Kroatischen von Barbara Antkowiak und Mirjana und Klaus Wittmann. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2007. 287 Seiten. Nur noch antiquarisch erhältlich.

Zu Hazel Rosenstrauchs Blog geht es hier. Einer der letzten Beiträge dort, der alle zehn Jahre wiederkehrende Nostalgieblick auf 68. Ihre Texte bei uns hier

 

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