Geschrieben am 28. Januar 2012 von für Crimemag

Kitsch und Kunst und Mainstream und Glaubensfragen

Kitsch oder Kunst  – und ein toter Hasi

– Eine Alltags-Story von Anne Kuhlmeyer.

„Hach, war dat wieder schön“, sagt Birgit, räumt die überzähligen Pintchen in die Spülmachine und schenkt uns einen Roten nach. Birgit ist meine Nachbarin und wir tauschen schon mal Bücher. Literaturkaffee nennen wir das, wenn die anderen auch da sind und jeder ’n Pülleken mitbringt.
Ich nippe an meinem Glas: „Nur was heute so gekommen ist …“, und schüttele den Kopf. Auf dem Küchentisch liegen zwei Bände von Rosamunde Pilcher, Schlank im Schlaf, Grimms Märchen und der Krimi eines Bestsellerautors, bei dem ich eingeschlafen bin. Also bei dem Krimi. „Und schön“, sage ich: „war’s nur zum Schluss.“ Schön ist eben Geschmackssache, oder nicht?

Birgit guckt nebenbei auf den Klappentext von dem Pilcher-Roman. „Na, weil Hannelore immer dieses gruslige Zeug liest. So hammerharte Sachen. Da würde ich auch die ganze Zeit heulen. In ihrer Lage.“ Sie trinkt und gießt ein.
„Sie heult nicht, weil sie hammerharte Sachen liest. Macht sie ja gar nicht mehr. Das“, ich nehme ihr das Buch aus der Hand: „hat sie doch mitgebracht.“
„Und diesen … ähm … Krimi.“ Birgit greift ihn mit spitzen Fingern und rümpft die Nase.

Früher war das anders gewesen. Hannelore war Deutschlehrerin und hat immer richtig gute Krimis dabei gehabt. Manchmal haben wir uns lustig gemacht über ihre Arroganz und ihre schrägen Klamotten. Aber sie muss mal ’ne ganz scharfe Braut gewesen sein.
Birgit nickt. „Sie heult, weil Adolf tot ist.“
Ich finde das ein bisschen übertrieben. „Das ist aber nun schon länger her. Und irgendwie …“
Sie zuckt die Schultern. „Das Sechs-Wochen-Seelenamt ist morgen. Und jetzt allein in dem großen Haus – is nich so einfach mit achtzig.“

Beschämt schweige ich einen Moment. Ich wusste nicht, dass Hannelores Mann Adolf hieß. Sie hat ihn immer Hasi genannt. Seit Hasis Tod ist sie nicht mehr aus dem Haus gegangen und wir haben uns Sorgen gemacht. Heute Nachmittag habe ich sie abgeholt. Als ich kam, saß sie noch im Morgenmantel auf dem Sofa und guckte „Anna und die Liebe“.
„Warum machst du das“, hab ich sie gefragt. Hannelore starrte an meinen Kopf vorbei, die Augen voller Leere, und es hat lange gedauert, bis sie geantwortet hat.
„Weil es das Einzige ist, worauf ich mich noch verlassen kann.“
Später bei Birgit am Küchentisch und als sie ein paar Rote auf hatte, hat sie geweint und die Pilcher neben den Krimi gelegt.
„Wat’n Kitsch“, hat Birgit gesagt.
Hannelore hat sich geschnäuzt, „Illusionen“ genickt und mit einem Blick, der mein Innerstes erschüttert hat, aufgeschaut.

„Schwachsinn …“, sagt Birgit. Noch ein Roter für uns zwei. „… was da drin steht. Hast du etwa den Kerl mit dem weißen Schimmel bekommen? Oder hast du den Kommissar, der im letzten Jahr den Einbruch bei euch untersucht hat, zum Golf eingeladen, weil er so ein leidenschaftlicher Golfspieler ist, aber sein eigenes Auto nicht mehr finden konnte?“
„Nein, hab ich nicht. Es gibt Grenzen. Im Realen. Aber ich habe auch keinen toten Hasi.“
„Toter Hasi hin oder her. Das hat doch nichts mit dem Geschmack zu tun. Hat sie uns nicht immer gepredigt, wie gefährlich Kitsch ist? Propaganda, Manipulation, Demagogie, Massenverblödung als Literatur verkleidet, hat sie gewettert.“
„Klar. Aber heute hat sie gelächelt, als sie für uns die Krimi-Geschichte zusammengefasst hat und sogar verschmitzt geguckt, weil sie den Schluss nicht verraten wollte. Ganz rote Wangen hat sie gekriegt.“
„Und dann is dat plötzlich alles in Ordnung und überhaupt nich mehr gefährlich, wenn einer einem so‘ n Kitsch in die Hand drückt?“ Verächtlich stupste sie das Buch an.
„Es kommt darauf an.“
„Wie jezze?“
„Wer es einem gibt …“
„Der Autor? Der Verlag? Der Buchhändler? Hannelore?“
Ich hebe mein Glas. „Und was er in der anderen Hand hält.“
„Den Golfschläger?“
„Den Verstand und den Vergleich oder das Flämmchen für die Schnur, die einen Weltbrand zünden kann.“

Anne Kuhlmeyer

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