Geschrieben am 15. Februar 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Kino: „Split“ von M. Night Shyamalan

Coup d’État im Großhirn

In der Brust von Goethes Faust streiten sich zwei Seelen. Im Kopf von Kevin Wendell Crump 24 Persönlichkeiten. Christopher Werth war im neuen Film von M. Night Shyamalan.

Split Universal Pictures

 

Gespaltene Persönlichkeiten – das ist im Kino immer schon ein gern gesehenes Mittel. Da wäre z.B. ein gewisser Norman Bates, der sich manchmal für seine Mutter hält und den es jetzt auch als Serienfigur in Bates Motel gibt. Ein interessantes Prequel zu Hitchcocks Psycho. Oder: der glitschige Gollum aus Herr der Ringe, der mit sich selbst über Leben und Tod diskutiert. Aber um es gleich am Anfang klarzustellen: mit so einfachen Spaltungen hält sich Herr Shyamalan gar nicht erst auf. Sein Protagonist in Split verfügt über nicht weniger als 23 unterschiedliche Persönlichkeiten. Und als wäre das nicht schon genug, kommt am Ende noch eine dazu – und die hat es natürlich so richtig in sich.

Der Regisseur und Autor wurde berühmt mit Filmen wie Sixth Sense (1999) und Unbreakable (2000), Filmen mit Twist, die man eigentlich nur einmal sehen kann. Seinen typischen Twist verkneift er sich in Split (dennoch gibt es natürlich eine kleine Überraschung mit einem bekannten Schauspieler). Wir haben es mit einem klassischen Entführungs-Thriller zu tun, bei dem sich ein Opfer gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner behaupten muss. Aber von vorn. Das wir alle eigentlich viele sind, hat schon Herr Precht einem breiten Publikum beigebracht. Auch der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun spricht vom “inneren Team“, dem Gewirr von Stimmen, das wir auf unserer inneren Bühne in den Griff bekommen müssen, um gut und klar nach außen kommunizieren zu können. Bei Split spielt das alles mit rein, geht aber noch weiter. Wir haben es mit dem Krankheitsbild „Dissoziative Identitätsstörung“ (DIS) zu tun. Darunter leiden Menschen, die sich z.B. nach einem Missbrauchstrauma selbst schützen, indem sie verschiedene Charaktere annehmen. Wie bei Sixth Sense hat der Zuschauer auch bei Split eine erklärende Psychologin an seiner Seite: Betty Buckley als Dr. Karen Fletcher. Eine der verschiedenen Persönlichkeiten der Hauptfigur wird von ihr regelmäßig behandelt. Sie ist offenbar die einzige Bezugsperson. Der Patient vertraut ihr voll und ganz – und sie behandelt jeden einzelnen seiner Charaktere mit Empathie und Respekt. Denn jeder Charakter hat eine ganz eigene Biographie, seinen eignen Kleidungs- und Bewegungsstil, eigene Hobbies, Talente und Neurosen.

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Dissoziative Identitätsstörung, gespielt von James McAvoy.

Kevin Wendell Crump lebt in einem weitläufigen Keller. Und die verschiedenen Gänge und Nischen sind so etwas wie die räumliche Übersetzung des Charakter-Gebildes. Ein realer Mind Palast. Jede einzelne Persönlichkeit hat hier einen eigenen Bereich. Einer hat sogar als einziger Diabetes und braucht Insulin. Hedwig ist ein neunjähriger Junge mit eigenem Spielzimmer, Patricia ist eine Art strenge Schwester. Dennis ein pedantischer Zwangsneurotiker. Jede der 23 Persönlichkeiten von Kevin hat übrigens auch ihre eigene Zahnbürste – so viel Privatsphäre muss sein. Alle Charaktere haben zum Ziel, den ursprünglichen Charakter Kevin zu schützen, der – es wird nur vage angedeutet – traumatischen Missbrauch durch seine Mutter und den Verlust seines Vaters erleben musste. Für das gesamte 23köpfige Charaktere-Team findet er mit der Psychologin folgendes Bild: Alle sitzen zusammen in einem Raum auf Stühlen in einem Kreis. Sie warten darauf, ins Licht zu kommen und den Körper selbst zu steuern. Wie in einem Parlament gibt es genaue Regeln, Kämpfe und Allianzen und schließlich eine Verschwörung, eine feindliche Übernahme zweier Charaktere, die die Macht an sich reißen. So entführt der brutale und zwangsneurotische Dennis eines Tages drei junge Mädchen. Zwei coole, typische US-Girls und eine Außenseiterin, die nur aus Mitleid zur Party eingeladen wurde.

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Auf der Flucht durch den Keller – wird Casey Cook es schaffen, vor der Psycho-Horde zu fliehen?

Während die Girls vergeblich versuchen, der Horde von Persönlichkeiten zu entkommen, beginnt Casey Cooke (Anya Taylor-Joy) mit dem Entführer ein Duell auf Augenhöhe. In Rückblenden erfahren wir, dass auch sie mit einer heftigen Missbrauchsbiographie zu kämpfen hat. Und im Gegensatz zu den makellosen Körpern der beiden anderen ist sie übersät mit Narben, die sie sich selbst mit einer Rasierklinge zugefügt haben muss. Fast deutet sich sogar ein Stockholm-Syndrom an. Besonders berührend sind die Szenen zwischen Casey und der Persönlichkeit des kleinen Hedwig. Der Junge wird genauso von den anderen im inneren Team des Täters unterdrückt. Aber er hat Angst, den Mädchen zu helfen. Immerhin verrät er ihnen, dass sie gefangen gehalten werden als Nahrung für die “Bestie“. Damit ist ein geheimer 24. Charakter gemeint, für dessen Ankunft Dennis und Patricia alles vorbereiten.

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Will der kleine Hedwig wirklich nur spielen?

Das spektakuläre an Split ist natürlich der Schotte James McAvoy, der als Kevin insgesamt acht Charaktere gestaltet, ohne dass es zu angestrengt wirkt. Das ist noch nicht alles: In den Szenen mit der Psychologin versucht der zwangsneurotische Rebell Dennis den inneren Staatsstreich zu vertuschen, indem er versucht, in den extrovertierten Charakter des Designers Barry zu schlüpfen, der normalerweise die Sitzungen besucht. Nur ganz langsam kommen die Psychologin und der Zuschauer ihm dabei auf die Schliche.

Fazit: Split bietet alles, was das leichte Horror-Genre können muss: Girls, Thrill und effektive Schockmomente. Was ihn angenehm von der Massenware unterscheidet: Er unternimmt den Versuch, extrem missbrauchte, gebrochene Persönlichkeiten zu erforschen. Und damit dringt er in die geheimnisvollen Welten des vielleicht komplexesten Gebildes unseres Universums vor: in unser Gehirn. Und wie in Goethes Faust bleibt die Tür auf für Teil Zwei.

Christopher Werth

Zu den CM-Texten von Christopher Werth.

Split; USA 2016; Buch und Regie: M. Night Shyamalan; Kamera: Michael Gioulakis; Musik: West Dylan Thordson; Darsteller: James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Haley Lu Richardson u.a.; Produktion: Blinding Edge Pictures, Blumhouse Productions; Verleih: Universal Pictures Germany; FSK: ab 16 Jahren; Länge: 117 Minuten; Kinostart: 26. Januar 2017

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