Hinter der Linie, vor dem 8. Spieltag
– Eine Fußballkolumne von Mara Braun.
Am vergangenen Wochenende konnten rund 80 Millionen hobbymäßige Home-Bundestrainer erleichtert aufatmen: Deutschland verliert gegen Polen! Das sind, welch Glück, nicht einfach nur drei verlorene Punkte, es ist eine historische Niederlage – und somit gleichbedeutend mit dem Ende einer langen Leidenphase. Hundert Tage dauerte diese an, eine qualvolle Zeit, in der die Besserwisser vom Bundestrainer-Verprügeldienst plötzlich an sich halten mussten, weil: Wir sind Weltmeister. Ob trotz oder wegen Jogi Löw, dazu hätten die Hater vom Dienst natürlich so einiges zu sagen, trauten sich zuletzt aber nicht. Immerhin war der Titel nämlich zweifelsohne mit Löw errungen worden. Reflexhafte Aussagen wie, „Der Löw hat doch keine Ahnung“ oder „Verstehe den Jogi, wer will, ich tue es schon lange nicht mehr“ erschienen im Rausch der Titelbegeisterung plötzlich seltsam deplatziert. Man musste sich, wohl oder übel, in einer zu Erstickungsgefühlen führenden, vornehmen Zurückhaltung üben.
Auf Stelzen unterm Kunstrasen
Jetzt aber, jetzt darf endlich wieder gemeckert werden auf den Sofas und Titelseiten dieser Republik. Es darf gefragt werden nach der verlorenen breiten Brust des Weltmeisters, nach der mangelnden Einstellung und der fürchterlichen Formkrise. Und wem die Alarmglocken nicht laut genug tönen, der darf auch noch das Friedhofsgeläut hinterher bimmeln lassen und in dessen Donnerhall gleich all die Erinnerungen an den vergangenen Weltmeister-Sommer beerdigen. Denn, ganz ehrlich, welchen Wert hat dieser schnöde Titel noch nach der Pleite gegen Polen? Ganz zu schweigen vom schändlichen Unentschieden gegen die Iren? Eben, gar keinen. Wir stehen wieder ganz am Anfang, haben nichts erreicht. Und Jogi, dem es in den letzten Monaten gerade so gelungen war, den aufrechten Gang zurückzuerlangen, der wird nun genüsslich wieder auf ein Maß zurückgestutzt, das die gesammelte Fußballarroganz des Landes für angemessen hält: Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Mann auf Stelzen unter einem Kunstrasen durchlaufen kann, ohne dabei Falten aufzuwerfen.
Angesichts solcher Entwicklungen, die wohl unterm Strich erwartbar gewesen sind, aber in der schieren Geschwindigkeit ihres Grassierens dennoch enormen Ekel hervorrufen, ist es angenehm, sich am Wochenende wieder der Bundesliga widmen zu können. Immerhin ist da der Anteil an Menschen, die sich für Fußball tatsächlich als Sport interessieren doch erheblich höher als bei den eventgeilen, dauerentrückten Schlandfans mit ihren schwarz-rot-goldenen Kopfbedeckungen und Eierwärmern. Und auch die Idiotendichte ist in der Bundesliga weit von der Konzentration entfernt, die sie rund um fußballerische Großereignisse erreicht – es sei denn, man mischt sich unter die Führungsriege von Schalke 04 oder dem VfB Stuttgart. Die müssen denn auch am Wochenende beide für die würdelosen Entlassungsaktionen zahlen, die sie zuletzt getätigt haben – und verlieren ihre Heimspiele verdienterweise krachend.
Mit Hubschrauber aufs Dach
Damit sind sie aber in bester Gesellschaft, da die Nationalspieler unter den Bayern äußerst übellaunig über die für sie doppelt ungewohnten Misserfolge nach Hause zurückkehren, und diesen Frust humorlos auf dem Feld abreagieren. Da Manuel Neuer sich gleichzeitig hulkesk zu doppelter Lebensgröße aufplustert, bekommen die Bremer umgekehrt nur einen Ball ins Tor und gehen in München gnadenlos unter. Bessere Laune herrscht derweil in Mainz, wo Trainer Hjulmand Humor beweist und mit meterlangen Marionetten-Fäden vor seiner Bank steht. In den Händen hält die Stadionsprecher Klaus Hafner, der dafür mit dem Hubschrauber aufs Dach der Arena gebracht wurde. Hintergrund: Die Augsburger hatten im Vorfeld dieser Begegnung einen Flyer entworfen mit den Worten, „Wir haben keinen Kasper, wir haben die Puppenkiste“. In selbiger scheinen die Spieler, um bei dem Bild zu bleiben, allerdings auch 90 Minuten in Deckung zu gehen, der Mainzer Sieg gelingt ohne viel Gegenwehr.
Hannover und Mönchengladbach trennen sich zeitgleich ebenso wie Freiburg und Wolfsburg mit einer Punkteteilung, während der BVB gegen Köln in die erhoffte Spur zurückfindet. In Hamburg fallen derweil beide Toren nach Flanken von Dennis Diekmeier, der nach dem Spiel ein Shirt entblößt mit der Aufschrift, „Jogi, ich will eine Nominierung von dir“. Verdammt entblößt fühlt sich zum Abschluss des Spieltages auch die Eintracht, die gegen Aufsteiger Paderborn eine verdiente Niederlage kassiert.
Die Ergebnisse im Überblick:
Bayern – Bremen 6:1
Mainz – Augsburg 3:0
Stuttgart – Leverkusen 0:4
Hannover – Gladbach 2:2
Freiburg – Wolfsburg 0:0
Köln – Dortmund 1:3
Schalke 04 – Hertha BSC 1:4
HSV – Hoffenheim 2:1
Paderborn – Eintracht 3:0
Mara Braun
Mara Braun, geboren 1978 in Heidelberg, aufgewachsen im hessischen Odenwald mit einem Abstecher nach Mississippi, seit 1998 in Mainz am Rhein. Studium der Filmwissenschaft & Publizistik. Journalistin, Autorin, Fußballbegeisterte, Bücherwurm, Überzeugungstäterin. Im September 2013 erschien „111 Gründe, Mainz 05 zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf). Mara Braun bei Facebook, bei Twitter, im Blog.