Geschrieben am 15. Februar 2014 von für Crimemag, Kolumne

Hinter der Linie, vor dem Spieltag

Mara BraunHinter der Linie, vor dem 21. Spieltag

Eine Fußballkolumne von Mara Braun.

Es soll ja Frauen geben, die bei der Nennung des Dessousgeschäftes „Hunkemöller“ an den perfekten BH oder ein sexy Negligé denken. Ich dagegen denke an den HSV (Jürgen Hunke) und Borussia Dortmund (Andi Möller) – und ja, das sind schon so die Momente, in denen ich mich frage, ob der Fußball mein Leben inzwischen einfach komplett übernommen hat … Und anschließend fühle ich mich nicht mehr wohl in meiner Hunkemöller-Nachtwäsche, weil ich das Gefühl nicht loswerde, die beiden Herren lägen mit unter meiner Bettdecke, um mir auf den Allerwertesten zu starren. (Ich meine, haben Sie mal Bilder von Hunke ges… ach, reden wir nicht drüber.)

Ich gehöre zu den Leuten, die gerne und oft behaupten, Menschen, die sich nicht für Fußball interessieren, wissen überhaupt nicht, was sie verpassen. In der Regel ist das positiv gemeint: Torjubel, Last-Minute-Ausgleichsbegeisterung, Transferfieber, Aufstiegsglückstränen … die Liste ist schier endlos. Es gibt aber auch Tage, an denen dieser Satz mit Grabesstimme und mittelschwerer Verzweiflung aufsteigt und weniger nach „ihr wisst nicht, was euch entgeht“ klingt als nach „ihr wisst nicht, was euch erspart bleibt“.

Über derlei Gefühlsregungen können gerade vor allem die Nordclubs Hamburg und Bremen ein Liedchen singen; beim Blick auf die Insel erwischt es auch die Anhänger des FC Arsenal. Vergleichsweise jammern die zwar auf hohem Niveau, aber im Meisterschaftskampf eine Partie 1:5 zu verlieren und die nächste nur unentschieden zu spielen, ist halt leider auch zu wenig. Wenn sich dann Barça zu einem kläglichen 1:1 im Pokal würgt, die übermächtigen Bayern gegen den Hamburger SV im Pokal fünf Tore reinballern, bei der Partie Wolfsburg – Hoffenheim Pest gegen Cholera gewinnt und Leverkusen im Duell gegen den FCK seine absolute Nutzlosigkeit unter Beweis stellt, ist das fußballerische Klagelied perfekt; es folgt der Soundtrack zum aktuellen Spieltag.

Toni Hämmerle/Ernst Neger: Das Humbta Täterä
Die Erstaufführung dieses Liedes, dem Urschrei der Stadion-Humba, führte am 05.02.1964 bekanntermaßen zur einstündigen Überziehung der TV-Fastnacht „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ – das Publikum bekam sich schlicht nicht wieder ein vor Begeisterung. So ist es für die 05er quasi „närrische Bürgerpflicht“, ihr Heimspiel unter Flutlicht zu gewinnen, der Song feierte nämlich gerade 50. Jubiläum. Gegen auswärts auch unter dem neuen Trainer erschreckend formschwache Hannoveraner gelingt ein 3:1 – Helau.

Unplugged Ruhris: Ruhrpott Blues
Was haben Borussia Dortmund und Leverkusen gemeinsam? Genau, wenn’s drauf ankommt, kann man sich nicht auf sie verlassen. Das gilt auch bei der zweiten Begegnung des BVB mit der Frankfurter Eintracht binnen weniger Tage, die Dortmund sang- und klanglos 0:2 verliert.

Primal Fear: Metal Nation
Als Angstgegner des derzeit unschlagbaren FC Bayern kristallisierte sich ja schon häufiger ein Team heraus, das mit dem Rekordmeister vermeintlich so gar nicht auf Augenhöhe war – umso schöner wird es dann (für die Nicht-Bayernfans). In dieser Saison schlüpft Freiburg in die Rolle des punkteklauenden Underdogs, die Partie endet wie bereits das Hinspiel 1:1.

Volkslied: Grün, grün, grün sind alle meine Kleider
Bremen gegen Gladbach, da schlagen alle Herzen grün – nur der Rasen klinkt sich aus. Aufgrund heftigen Dauerregens rutschen und fallen die Spieler beider Teams im nassen, braunen Schlamm umeinander, stolpern selten mal bis vors Tor und trennen sich nach einer im Wortsinne dreckigen, ansonsten aber eher ereignislosen Partie torlos.

Wolfgang Petry: Wahnsinn (Hölle, Hölle)
In Sinsheim treffen die nach dem Pokal-Aus verdammt übellaunigen Hoffenheimer auf ein Team aus Stuttgart, dem nicht bloß der rot gesperrte Rüpel-Vedad fehlt, sondern auch die nötige Courage. In der Spielberichterstattung zur Partie fällt 1473 Mal der überstrapazierte Begriff „Derby“, was nicht fällt sind hingegen Tore. Vielleicht fällt, pardon: stürzt dafür ja unter der Woche einer der beiden Trainer …

Nazareth: Love hurts
Schock für Hamburg: Nicht genug damit, dass Felix Magath am Donnerstag via Facebook verkündet, er werde aktuell „leider“ definitiv nicht zum Verein kommen, weil dort eine zu große Uneinigkeit herrsche. Nur einen Tag später setzt der Die-Raute-in-meinem-Herzen-habe-ich-ratz-fatz-in-ein-FFC-umgeformt-Heilsbringer einen drauf und macht öffentlich, dass er per sofort den FC Fulham übernimmt, sprich, die ganze Zeit zweigleisig verhandelt haben muss … Bei der Mannschaftsaufstellung stehen etlichen Auswärtsfans Tränen in den Augen – doch die Stimmung schlägt um. Aus der Verletzung erwächst Trotz, van Marwijk scheint das Aus des übermächtigen Magath zu beflügeln, die Spieler wirken wie aus einem langen Wachkoma geschüttelt. Sieg im Krisenduell, Aus für Lieberknecht.

Rolling Stones: Mother’s little helper
Der Teufel scheißt bekanntlich immer auf den größten Haufen, und mit dieser Redewendung hat dieser Tage nicht nur eine Kollegin bei hr-info höchst launig den Einstieg der Allianz bei Bayern München erklärt, sie findet im Fußball auch sonst regelmäßig ihre Bestätigung. Quod erat demonstrandum: Schalke schlägt Leverkusen, und zwar nicht bloß ein bisschen.

Augsburger Puppenkiste: Es war einmal ein armes Schwein
Manchmal kann man sich auch kurz fassen. Das Hoch der Nürnberger war vorübergehend, der Lauf der Augsburger geht hingegen weiter.

Lloyd Banks: Money rules the world
Und manchmal kann man sich noch kürzer fassen …

Zu Risiken und Nebenwirkungen der hier aufgeführten Songs befragen sie die Kolumnistin, sobald sie aus dem auditiven Koma wieder zu sich gekommen ist … Der Fairness halber sei angemerkt, in Mainz geht die Toleranz für Das Humbta Täterä gegen unendlich – auch die Rolling Stones strahlen kaum Gefahr aus. Ansonsten gilt diesmal: Inhalt vor Form.

Mainz – Hannover 3:1
Frankfurt – Dortmund 2:0
Bayern – Freiburg 1:1
Bremen – Gladbach 0:0
Hoffenheim – Stuttgart 0:0
Braunschweig – HSV 2:3
Leverkusen – Schalke 1:5
Augsburg – Nürnberg 3:0
Hertha – Wolfsburg 1:4

Mara Braun

Mara Braun, geboren 1978 in Heidelberg, aufgewachsen im hessischen Odenwald mit einem Abstecher nach Mississippi, seit 1998 in Mainz am Rhein. Studium der Filmwissenschaft & Publizistik. Journalistin, Autorin, Fußballbegeisterte, Bücherwurm, Überzeugungstäterin. Im September 2013 erschien „111 Gründe, Mainz 05 zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf). Mara Braun bei Facebook, bei Twitter, im Blog.

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