Geschrieben am 17. September 2011 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Henrike Heiland über Kundenrezensionen

Immer mal wieder geistern Parolen durchs Netz, der einfache Leser allerlei Geschlechts habe von den professionellen Kritikern die Deutungshoheit übernommen. Henrike Heiland hat die Probe aufs Exempel gemacht.

… hilfreiche Kritik der Endverbraucher

Amazon-Besprechungen: Viele pro Buch sollen es sein, viele gute natürlich auch, dann freuen sich Verlage und AutorInnen. Gleichzeitig sind sie gefürchtet, mehr noch als ein Verriss im Deutschlandradio. Amazon, das bleibt auf ewig, da schauen alle drauf. Manche sprechen von einer Demokratisierung der Literaturkritik, weil keiner von oben herab diktiert, was Gut und Böse ist, sondern auf Augenhöhe gelesen und bewertet wird. Sehr gut. Begeben wir uns also mal auf Augenhöhe.

Diese Fünf-Sterne-Bewertung für Anne Spitzners Regiokrimi ist zum Beispiel nicht unbedingt ein Kaufargument:

„Die protagonisten sind sehr detailiert beschrieben und passen sich nahtlos in die Handlung ein. Auch wenn der eigentliche Fall sich nicht im absoluten Focus befindet, ist die Art der Charaktären dennoch fesselnd genug, um eine Spannung aufzubauen. Eigentlich werden in dem Buch gleich mehrere Geschichten erzählt und zeigt auf, dass jeder Mensch seine eigene Geschichte in sich trägt und diese, mehr oder weniger offensichtlich, mit seinem Umfeld teilt. Ein Buch zum Nachdenken.“

Ja, da muss man nicht nur über das Buch nachdenken.

Frank Schätzing darf sich über die Wertschätzung seiner Recherche freuen:

„Die Charaktere sind genial.
Die Dialoge sind intelligent.
Die Story-Idee ist umwerfend.
Die Recherche des Autors ist vulminant.“

Und der Leser darüber, dass er bei „Lautlos“ überm Tellerrand die Grautöne erkennt:

„Dieses Buch ist ein wahrer Genuss für jeden, der ein bisschen über den Tellerrand schaut. Die Welt ist nicht schwarz/weiß, sondern hat sehr viele Grautöne.“

Aber nur ein bisschen schaun! Und schließlich:

„Das Ende kommt „erstens anders, und zweitens als man denkt“.“

Das hat er ja dann gut gemacht, der Herr Schätzing, wenn das so ist.

Bei Kerstin Gier muss man hoffen, dass ihre Adresse nicht im Telefonbuch steht, bei einem so glühenden, und doch enttäuschten Verehrer:

„Liebe Kerstin, bitte verzeih mir ! Geschafft, dass war wirklich meine erste Reaktion, als ich Seite 330 deines Buches erreicht hatte … Ich, der hoffnungslose Frauenversteher, der deine Mütter-Mafia und Co bisher jeweils voller Freude verschlungen hat, der dich wahrscheinlich sofort heiraten würde, wenn die Umstände es zu lassen würden, ja ich muss zugeben, dass Buch hat mir wirklich nicht gefallen ….“

Auch viele glühende Fans hat Sebastian Fitzek, und hier ist klar zu erkennen, dass die Qualität eines Buches („Der Augensammler“) vor allem an der Geschwindigkeit zu messen ist, mit der es gelesen wird:

„Eigentlich bin ich nicht so eine Schmöckertante, aber dieses Buch hat mich in seinen Bann gerissen. Ich konnte manchmal gar nicht aufhören zu lesen, weil ich umbedingt wissen wollte wie es weiter geht.“

Und auch:

„Für gewöhnlich benötige ich immer viel Zeit bis ich ein Buch durch habe, aber dieses Buch konnte ich nicht mehr aus der Hand legen. Spannend vom Anfang bis zum Ende. Jederzeit zu empfehlen!“

Da darf man dankbar für die deutlich abgegebene Leseempfehlung sein, weil, ist ja nur eigentlich toll:

„Alles in allem eine super Geschichte, man bleibt am Ball, gute Spannung und eigenltich ein tolles Ende.
Ich gebe hier eine Leseempfehlung ab.“

Statt „In der Stille der Nacht“ von Denise Mina hätte jemand wohl eher einen rosaroten Liebesroman mit glücklichen Menschen und Happy End lesen sollen:

„Die Atmosphäre ist düster, alles grau in grau und auch nur ansatzweise glücklich scheint keine der beteiligten Personen zu sein.“

Sehr hilfreich auch dieser Hinweis, versteckt in einer Zwei-Sterne-Bewertung:

„Dieses Buch wurde verschenkt, ohne es selbst gelesen zu haben. Aber es war eine Empfehlung und wurde vom Beschenkten gut bewertet.“

Über Tommy Jauds „Vollidiot“ kann man gut und gerne geteilter Meinung sein, manchmal teilt sich auch in einem einzelnen Leser die Meinung:

„Und das ist das Seltsame: Obwohl mich fast nichts in diesem Buch interessiert hat, fühlte ich mich gut unterhalten und las stets mit einem leichten Grinsen.“

Fragen wir doch mal, ob dieser Leser wirklich lesen kann, was er selbst schreibt:

„Dieses Buch ist nach meinem Dafürhalten auch nur für Vollidioten zum lesen geschrieben. Es ist weder lustig noch kann ich die positiven Kritiken von anderen Lesern nicht verstehen.“

Sarah Waters hingegen muss Schelte für Dinge einstecken, für die sie gar nichts kann: einmal den Klappentext, und zum anderen die Genreunkenntnis der Leserin, die drei Sternchen vergibt:

„Mit Dr. Faraday kreiierte Sarah Waters einen Charakter, der durch seine rationale und zweifelnde Denkweise einen anderen Blick auf die Mysterien des Hauses wirft. Interessant ist ebenfalls, dass er kein richtiger Held ist, sondern auch von Melancholie und Selbstzweifeln geplagt ist, wodurch er wesentlich plastischer wirkt, als ein stählerner Über-Protagonist, der die Lage schneller erkennen würde. (…)Durch die aufkeimende, leider punktuell vorhersehbare Liebesgeschichte bekommt der Roman romantischere Töne, die bei einem Gesellschaftsroman wirken, bei einem Schauerroman aber deplatziert wirken.

Abschließend ist zu sagen, dass Sie mit „Der Besucher“ einen unglaublich gut geschriebenen, atmosphärisch dichten Roman erhalten können, der als Gesellschaftsroman wunderbar zu lesen ist und sicherlich auch 4-5 Sterne wert wäre, aber als Schauergeschichte (und als das ist der Roman nunmal im Klappentext deklariert worden) ist er langweilig und nicht lesenwert.“

Wie wäre es denn mit ein bisschen Lektüre der klassischen Schauerliteratur, Ann Radcliffe oder so? Und hey, „Dracula“, hatte der denn keine zarte Liebesgeschichte?

Für diesen Leser wäre die Reader’s Digest-Ausgabe sinnvoll gewesen:

„Und nach diesen langen 570 Seiten empfinde ich das Ende des Romans als vollkommen unzufriedenstellend. Schade, da wurde Potential verschenkt! Hätte die Autorin die Geschichte intensiv gestrafft und gekürzt, könnte ich vielleicht auch den möglichen Zauber eines offenen Endes empfinden (…).“

Manchmal ist es hilfreich, sich vorher zu informieren, von wem man ein Buch liest. Irvine Welsh ist jetzt nicht gerade für das Verfassen von Selbsthilfeliteratur bekannt, aber man kann’s ja mal mit „Ecstasy“ versuchen:

„Das Buch kann meiner Meinung nach für Jugendliche ein Ansporn zum Drogenkonsum sein. Gerade für Jugendliche, die emotional und sozial nicht genug gefestigt sind. Der Autor verharmlost den Drogenkonsum total und stellt das Erleben unter Drogeneinfluss als etwas positives dar. Bessere Sexualität (sehr pornographisch beschrieben) und bessere Stimmung auf Parties (alle werden zu Freunden). Ich weiss nicht, was sich Welsh beim Schreiben dieses Buches gedacht haben muss- das kann nicht viel gewesen sein. Mir ist es sehr schwer gefallen das Buch zu Ende zu lesen, weil es einfach nur schrecklich ist. Dem Leser werden auch keinerlei Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, falls er sich selber in einem Drogenproblem befinden sollte.“

Wenn das mal keine Anleitung für Jugendliche ist, sich schnellstens dieses Buch zu kaufen.

Wertvolle Ratschläge für das Privatleben von Anthony E. Zuiker hat jemand nach der Lektüre von „Level 26“:

„Der / die Autoren sollten überlegen, den Therapeuten zu wechseln.
“ Schreib`s Dir von der Seele“ bedeutet nicht, andere damit zuzumüllen….“

Klaus Peter Wolf hat sich auch den ein oder anderen schlecht gelaunten Leser bei „Ostfriesengrab“ eingefangen, ihm wird sogar indirekt unlautere Einflussnahme auf den wirtschaftlichen Abschwung unterstellt:

„Ich bin sicher , dass hätte jeder 5.Klässler auch hinbekommen. Nach noch nicht mal einem Drittel weiß jeder wer der Mörder ist.
Dann diese Verdummung der Polizei. Ist schon fast peinlich.
Eigentlich müsste man das Geld zurückfordern.
Ich weiß nicht wie hier jemand 5 Sterne vergeben kann.
(…)

Da kann ich an eine ehrliche Rezession schon nicht mehr glauben.“

Anders ist es bei den Fans von Petra Busch. Das sind eigentlich viel beschäftigte Frauen, die sich „Schweig still, mein Kind“ vorgenommen haben. Eigentlich:

„Eigentlich hatte ich keine Zeit zum Lesen, ich war müde und mein Bett rief, trotzdem begann ich „Schweig still, mein Kind“ zu lesen und konnte nicht wieder aufhören, bis ich morgens um vier Uhr das Buch durch hatte.“

„Eigentlich hatte ich mir für das Wochenende vorgenommen, meine Bügelwäscheberge abzuarbeiten, aber daraus wurde nichts, denn ich hatte leichtsinnigerweise am Samstagmorgen den Debüt-Krimi von Petra Busch zur Hand genommen und die Bügelwäsche hatte verloren.“

„Nachts um drei hab ich es dann endlich beiseitegelegt, weil ich die Augen nicht mehr aufhalten konnte. (…) Heute morgen nach dem Frühstück hab ich das Buch dann gleich wieder geschnappt und weitergelesen. Gegen frühen Mittag fragte mein Mann dann ganz vorsichtig, ob ich nicht mal ins Bad will und was es denn zum Mittagessen gibt. Aber Küche war heute geschlossen. Armer Mann. Er hat dann Hähnchen geholt, und den Rest des Tages hab ich ihn auf den Sportplatz und aufs Kirchweih-Fest abgeschoben.“

Mal unter uns, ein Mann, dem nur Hähnchen holen einfällt, wenn die Küche kalt bleibt (Sie wissen schon: Überraschung) – da kann man doch was gegen tun. Kochkurse zu Weihnachten schenken, zum Beispiel. Aber egal.

Pierre Frei muss sich wegen seines Romans „Onkel Toms Hütte, Berlin“ unterstellen lassen, er sei ein bisschen altersgeil:

„Die falschen Details kann man noch schlucken – was aber wirklich nervt, sind die penetrant eingestreuten Sexszenen. So ist es vollkommen unglaubwürdig, dass in der Nazizeit nahezu alle jungen Frauen regelmäßigen vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt haben sollen. Die Zeiten waren wesentlich prüder, als der alterserregte Autor sich das heute zurechtlegt.“

Stimmt, bis in die 50er Jahre konnte man ja nur schwanger werden, wenn man verheiratet war, warum vergessen das nur immer alle.

Charlotte Roches Buch „Feuchtgebiete“ bringt nicht nur heiße Diskussionen, nein, man lernt auch noch was dabei:

„Da um dieses Buch so einen Rummel gemacht wurde, kaufte ich es mir. Das Geld hätte ich auch in der Toilette herunterspülen können. (…) Aber gelernt habe ich daraus: Nur weil etwas viel verkauft wird, heißt das nicht, dass es gut ist. Mittlerweile nutze ich auch Leseproben, so finde ich eher etwas für mich, bevor ich wieder so einen Schund mein eigen nennen muß.
(Das Buch habe ich übrigens sofort wieder verkauft!)“

Hier sind wir gerade noch mal um das Wiederaufleben der guten alten Tradition des Bücherverbrennens drumherumgekommen, wenn auch aus fragwürdigen Gründen:

„Ich habe mir echt Mühe gegeben und dieses Werk bis zur Hälfte gelesen..trotz mehrfach aufkommender Übelkeit.
In der Altpapiertonne ist es besser aufgehoben.Ich wollte es erst verbrennen aber dann zünde ich mir womöglich noch die Bude an.“

Und dann noch ein klassischer Fall von Protagonistin=Autorin:

„Ich möchte nicht in einem Krankenhaus behandelt werden, wo Frau Roche lag!“

Nein, kein Schlusswort. Ich möchte das bei Gelegenheit möglicherweise fortsetzen, wenn’s recht ist.

Henrike Heiland

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