Die irreale Statik des Lebens
„Wieso sollte ich auf die Möglichkeiten eines Romans verzichten, nur weil Kriminal- vorangestellt ist?“ – Ein Gespräch mit Heinrich Steinfest anlässlich seines neuen Buches Mariaschwarz über Wittgenstein und die Welt. Von Frank Rumpel
Herr Steinfest, die Geschichte ihres neuen Romans Mariaschwarz spielt in Österreich. War es mal wieder Zeit für einen literarischen Heimatbesuch?
Na ja, es handelt sich eher um Modellorte. Der See und die Ortschaft stellen eine Art Weltmittelpunkt am Rande der Welt dar, gleichzeitig entlegen und zentral, wie man das ja auch von Inseln kennt, die da mitten im Ozean liegen, also an zentralster Stelle und gleichzeitig weit entfernt von irgendeiner Landmasse – und so ist dieser Ort konzipiert. Es spielen dann allerdings auch konkrete Städte wie Mailand und Wien eine Rolle, quasi als Vertreter entfernter Landmassen. Auch die Akteure sind nicht speziell österreichisch gestaltet, sondern es handelt sich um grundlegende Figuren, grundsätzliche Figuren, wie alle Menschen Insulaner sind.
Eine dieser Figuren ist der Wiener Inspektor Lukastik, den Steinfest-Leser bereits aus dem Roman Nervöse Fische kennen. Wie fand der in die Geschichte?
Es ist ja so, ich schreibe keine Serienkrimis und ich habe keine Serienhelden, doch ich habe Figuren, wie eben den Cheng und auch den Lukastik, die immer wieder in Romanen auftauchen, aber ich konzipiere das nicht so, dass ich sage, so jetzt muss ich meinen nächsten Lukastik-Roman oder meinen nächsten Cheng-Roman schreiben, sondern ich entwickle meine Geschichte aus einer Ausgangsidee heraus, einer Ur-Suppe.
Was macht denn überhaupt die Figur des Lukastik aus? Er ist ja als Ermittlerfigur so ähnlich singulär wie Ihre Kriminalromane …
Er besitzt eine, ich nenne das famose Arroganz, mit der er an seine Fälle herangeht. Er ist ja bekannt dafür, dass er sich mit Wittgenstein-Zitaten wappnet. Den Wittgenstein lässt er aber in diesem Buch weg. Der Wittgenstein war so eine Art Ersatzerotik und die ist ja nun durch das Verhältnis zu seiner Schwester nicht mehr notwendig. Ich denke, so ungewöhnliche Fälle, komplizierte, komplexe Fälle brauchen Ermittler, die dem Komplexen folgen. Das tut Lukastik. Mir gefällt auch seine moralische Überheblichkeit, die dazu führt, dass er ein Stück weit selbst entscheidet, wen man laufen lässt und wen nicht. Da ist er sozusagen ein metaphysischer Polizist. Auch wenn er sich an den Regeln des Staates orientieren muss, gelten für ihn im Endeffekt nur höhere Regeln. Wie Cheng ist er in Wirklichkeit ein Engel, der nicht mehr von der Erde loskommt.
Krimileser, die es gern klar und geordnet haben wollen, die einen Fall, eine Ermittlung und eine Auflösung brauchen, die alles erklärt, die Welt wieder ins Lot rückt, müssen bei Ihren Romanen ja eine gewisse Flexibilität mitbringen. Was macht den Steinfestschen Kriminalroman aus?
Zunächst einmal bemühe ich mich um eine elegante Sprache, um eine Sprache, die trotz aller Wagnisse gut lesbar ist. Da arbeite ich sehr viel daran. Auf der anderen Seite kann ich jetzt nicht mit dem Niveau runter, damit man mein Ding auch in der U-Bahn lesen kann (aus irgendeinem Grund müssen Krimis immer in U-Bahnen gelesen werden). Das kann nun nicht die Aufgabe des Autors sein, U-Bahn-Bücher zu schreiben. Ich selbst, wenn ich Leser bin, möchte auch gefordert sein, als Leser ernst genommen werden. Ich finde das nicht weiter schlimm, wenn ich als Leser nen Absatz zwei Mal lesen muss, umso mehr, als es nicht nur ums Verstehen, sondern auch ums Genießen geht. Eine Stelle zwei Mal lesen, das kann ja auch eine Freude sein, nicht wahr?
Was die Genregrenzen betrifft, das ist für mich, muss ich sagen, einfach gar kein Thema. Ich schreibe Kriminalromane, ich nehme das Genre ernst, ich glaube, dass ich mich an die wesentlichen Regeln des Genres halte, aber ich schreibe ja eben Kriminal-Romane, das heißt, alles was zu einem Roman dazugehört, gehört dazu. Wieso sollte ich auf die Möglichkeiten eines „Romans“ verzichten, nur weil „Kriminal-“ vorangestellt ist? Und dazu gehört dann das psychologische Moment, gehört die Landschaftsbeschreibung, gehört die Liebesgeschichte, der Traum, die Ironie, Sportwagen, Philosophie, Kunst, das politische Moment, die Analyse des Unwirklichen, gehört die Sprache, die Wortfindung. Das alles darf und soll ein Kriminalroman auch erfüllen.
An einer Stelle in Ihrem neuen Roman heißt es, dass sich Aberglaube und Aufklärung dort kreuzen, wo alles Leben ist, nämlich im Komischen. Aberglaube und Aufklärung sind ja zentrale Themen in Ihrem Roman, phantastische Momente spielen eine Rolle, aber das Komische, das Groteske ist doch überall präsent. Welche Rolle spielt das für Sie?
Es ist mein Blick auf die Welt. Ich meine, man kann die Welt in ihrer scheinbaren Normalität wahrnehmen oder man kann dank eines „Röntgenapparats“ ihre abstrusen und grotesken Züge, dieses recht merkwürdige Knochengerüst erkennen. Viele Leute schreckt dieses groteske Element, das Unwirkliche, das Widersprüchliche, die Unschärfe und Unsicherheit. Darum die Betonung des „Normalen“. Bei mir ist es ein Stück weit umgekehrt, dass ich also diese irrealen Aspekte, die paradoxerweise die Statik des Lebens bilden, in den Vordergrund hole. Ich wehre mich ja immer dagegen, als phantastischer oder surrealistischer Autor gesehen zu werden. Für mich ist es eine Auseinandersetzung mit dem realen Leben, mit dem, was ich tagtäglich erfahre – mitnichten ist es Phantastik. Aber ich schäle es aus dem Realen heraus. Es findet bei mir eine Akzentuierung dieser irrealen Tendenzen statt, aber die sehe ich eben nicht nur im Leben einzelner Personen, sondern die sehe ich natürlich ebenso in den ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die sehe ich überall und versuche sie gewissermaßen mit einem barocken Rahmen zu umgeben und an die Wand zu hängen, damit man sich das anschauen kann.
Ihre Bildmaschine läuft ja immer auf Hochtouren. Man könnte meinen, Sie gingen vergleichend durch die Welt …
Ich gehe jetzt nicht so durch die Welt, dass ich permanent in Vergleichen lebe, sondern das ist Teil des Arbeitsprozesses. Und es entspricht meinem Bedürfnis – das ist sowieso das Wesentliche bei meiner Arbeit –, einen neuen Blick auf gewohnte Dinge zu werfen. Eine Methode, die ich aus der bildenden Kunst mitgenommen habe, dass man sagt, okay, da steht ein Tisch, darauf eine Vase, kennen wir. Aber kennen wir es wirklich? Müssen wir nicht mal anders hinschauen? Von der Seite. Von oben. Mit offenen Augen. Mit geschlossenen Augen. – Ich möchte die Gegenstände und Menschen auf eine neue, ungewöhnliche und doch stimmige Weise darstellen. Das ist etwas, das ich bei Wittgenstein gelernt habe: von vorn anfangen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Frank Rumpel