Geschrieben am 1. Juni 2019 von für Crimemag, CrimeMAg Juni 2019

Hanspeter Eggenberger: „Murder Swing“ von Andrew Cartmel

Mord in der skurrilen Welt der Schallplattensammler


Andrew Cartmels „Vinyl Detective“ ist in England bereits mit vier Bänden erfolgreich. Unter dem Titel „Murder Swing“ ist die erste Folge dieser vergnüglichen Krimireihe aus der Welt der Schallplattensammler nun auf Deutsch erschienen.

Auf seiner Visitenkarte bezeichnet er sich als „Vinyl-Detektiv“, der jede Schallplatte aufspüren könne – „prahlerischer Unsinn“, wie er selber zugibt, „doch vielleicht nicht prahlerisch oder unsinnig genug, weil es mir bis jetzt keinen einzigen Klienten gebracht hatte“. Der berufliche Alltag von – eigentlich wollte ich hier den Namen des Icherzählers nennen, und erst beim Schreiben dieser Zeilen ist mir aufgefallen, dass der englische Autor Andrew Cartmel diesen auf den über 500 Seiten seines Romans „The Vinyl Detective – Written in Dead Wax“, der jetzt auf Deutsch als „Murder Swing“ vorliegt, gar nie nennt. Also: Der berufliche Alltag des Vinyl-Detektivs sieht so aus, dass er Secondhand-Läden, Flohmärkte und Schallplattenbörsen abklappert und Kisten voller Platten durchwühlt. Da findet er ab und zu eine Rarität, die er dann im Internet verkauft, was ihn und seine beiden Katzen über die nächsten zwei Wochen bringt. 

Der Vinyl-Detektiv lebt mit seinen Katzen in einem Häuschen in London, dessen Probleme mit der prekären Beheizung Cartmel vielleicht etwas gar breit auswalzt. Aber dieses immer wieder etwas Ausufernde ist eben die Art, wie er erzählt. Und da diese Art ziemlich munter ist, folgt man ihm gerne über die ganze Strecke. 

… more to come …

Cartmel, geboren 1958 in London, arbeitete ab den 1980er Jahren bei der BBC als Drehbuchautor und -redakteur für die erfolgreiche Science-fiction-Serie „Doctor Who“, dann für weitere Serien wie «Casuality» sowie bei Channel Five für «Dark Knight». Daneben schrieb er weitere TV-Drehbücher, Theaterstücke, Comic-Novel-Szenarien und tourte als Stand-up-Comedian. Seit 1993 hat er mehr als ein Dutzend Romane publiziert, darunter auch Romanfassungen von „Doctor Who“. Ausserdem schreibt er den Blog Narrative Driveund ist leidenschaftlich als Jazzkritiker tätig, insbesondere für London Jazz News.Diese Passion führte 2016 zum Start der Kriminalromanreihe „The Vinyl Detective“.

Cartmels Leidenschaft nicht nur für Jazz, sondern auch grundsätzlich für die gute alte Schallplatte als bevorzugten Tonträger, spürt man auf jeder Seite. Sie macht einen Teil des Charmes des Romans aus. Dazu gehören auch die Seitenhiebe gegen die neuen, digitalen Technologien. Etwa wenn er erzählt, wie der Vinyl-Detektiv zu einem wesentlichen Teil seiner hochkarätigen Plattensammlung gekommen ist:

Es war zehn Jahre her, dass ein Priester aus der Nähe von Barnes, den ich irgendwann den digitalen Geistlichen nannte, beschlossen hatte, seine riesige, wunderbare Sammlung seltener Jazzplatten zu verhökern.

Er hatte sie alle auf DAT aufgenommen und wahnsinnigerweise entschieden, sich von seinem Vinyl zu trennen. Vielleicht hatte Gott es ihm befohlen. Ich tippte eher auf den Teufel.

In „Murder Swing“ bringt ihm seine Visitenkarte endlich doch einen Klienten: Eines Tages steht die junge, schöne Nevada Warren vor seiner Türe. Sie arbeitet für einen superreichen japanischen Unternehmer, der auf der Suche nach der Originalpressung einer ultrararen Jazzplatte aus den 1950ern ist, die ihm in einer Reihe noch fehlt. Eine Million Pfund ist ihm das Füllen der Lücke wert. Zusammen mit Nevada, deren Reizen er zunehmend verfällt, macht sich der Vinyl-Detektiv auf die Suche. Als es in Zusammenhang mit dieser Suche plötzlich Tote gibt, wird die Story zum veritablen Krimi.

Für Feb. 2020 angekündigt

«Murder Swing» ist eine gleichzeitig kurzweilige wie intelligente Story vor dem Hintergrund des Music Business. Hinter der Reihe von Platten eines obskuren kalifornischen Labels steht ein Geheimnis, dass sich nur offenbart, wenn man die Zeichen, die auf jeder Platte an Ende der Auslaufrille in das Vinyl geritzt sind, komplett kennt und richtig liest. Dass es den Plattensammlern aber auch sonst nicht in erster Linie um die Musik geht, zeigt sich darin, dass sie sich nicht mit der besten japanischen Nachpressung zufriedengeben, sondern immer die originale Erstpressung wollen. Wie Sammler halt so sind.

Cartmel erzählt mit Witz und spielt gekonnt mit Genreklischees. Etwas klischiert wirken teils auch die Nebenfiguren, was aber nicht stört. Da ist etwa Tinker, der kiffende Platten-Freak und beste Freund des Vinyl-Detektivs. Oder der nervende Radio-DJ Stuart «Stinky» Stanmer, der ständig das Wissen der Hauptfigur anzapfen will und als eine Art Running Gag immer im falschesten Moment aufkreuzt. Und Hughie, der in Wales Plattenspieler baut und seinen Marihuana-Anbau mit einer Tomatenplantage tarnt. Das Killer-Pärchen, das offensichtlich nach der gleichen Platte sucht und dem Vinyl-Detektiv nachstellt, bleibt anonym. Für den Detektiv und Nevada sind sie die „arischen Zwillinge“ Heidi und Heinz. 

Die Geschichte nimmt ein paar verrückte Wendungen, und zwischendurch wird der gemütliche Erzählfluss durch die eine oder andere harte Actionszene aufgepeppt. Gegen Ende steht der Vinyl-Detektiv steht plötzlich zwischen zwei attraktiven Frauen, nachdem die amerikanische Jazzsängerin Ree, die ebenfalls das Geheimnis der Plattenreihe ergründen will, Nevada an seiner Seite abgelöst hat. Mehr sei hier über den Inhalt nicht verraten. Nur noch, dass der Roman über weite Strecken ziemlich lustig und immer unterhaltsam ist. Ein im besten Sinn charmanter Krimi, der Lust auf die Fortsetzung macht.

Hanspeter Eggenberger

  • Andrew Cartmel: Murder Swing (The Vinyl Detective – Written in Dead Wax, 2016). Aus dem Englischen von Susanna Mende, herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 528 Seiten, 9,95 Euro. 

Hanspeter Eggenberger schreibt für den Schweizer Tages-Anzeiger. Sein Blog „Krimi-Kritik“ hier.

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