Geschrieben am 1. August 2020 von für Crimemag, CrimeMag August 2020

Groschenhefte in der DDR

© Matthias Wagner, Stadtmuseum Gera

Geliebt, gehasst, geduldet

Matthias Wagner – nicht nur – über die von ihm kuratierte Ausstellung im Stadtmuseum Gera, die noch bis  18. Oktober zu sehen ist

Kein Zweifel, die dünnen Hefte wollen auffallen: Das Äußere ist in kräftigen Farben gehalten und mit einer actionbetonten Abbildung versehen. Namen gab es für sie im Lauf ihrer Geschichte viele. Je nach dem Grad der Beliebtheit waren sie Groschenhefte, Heftchen, Schmöker, Schwarten oder Schund. Dennoch sind sie eine Form der Literatur: Trivialliteratur, einfach und flüssig geschrieben, leicht zu erfassen. Romanhefte – so ihr korrekter wenngleich etwas unglücklich gewählter Name – sollen auf angenehme, spannende Art unterhalten, ablenken, die Zeit vertreiben. Und das tun sie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. 

Die frühere Verbreitung dieses Massenmediums ist heute kaum mehr vorstellbar. Die Produktion und Konsumierung von Groschenheften erfuhr in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen ungeheuren Aufschwung. Zahllose Western, Kriminal-, Abenteuer- und Liebesgeschichten überschwemmten den westdeutschen Markt. Begünstigt durch die offene Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten wurden die Hefte auch im Osten Deutschlands gern gelesen. Dort hatte man dieser Flut zunächst nichts Vergleichbares entgegenzusetzen.

In beiden Teilen Deutschlands standen die Hefte unter starker Kritik von staatlichen und kirchlichen Stellen. In der frühen DDR erhielt der Kampf gegen die Hefte zudem eine enorme politische Dimension. Welche Wirkung den westlichen Groschenheften beigemessen wurde, lässt sich anhand zahlreicher Zeitungsartikel aus den 1950er Jahren erahnen. In vielfältiger Form wurde vor ihnen gewarnt. Verwahrloste Kinder, kriminelle Jugendliche, Diebstahl, Gewalt und Mord wurden auf den Einfluss von Groschenheften und Comics zurückgeführt und dem Leser in drastischen Beispielen warnend vor Augen gehalten. „Erschreckend häufen sich jetzt die von Jugendlichen begangenen Verbrechen. Ihre Anleitung erhalten sie durch die Schundromane, die von Westberlin in die DDR eingeschleust werden“, behauptete zum Beispiel die Wochenpost im Februar 1956.

Als Reaktion begannen ostdeutsche Verlage ab Mitte der 1950er Jahre, vermehrt eigene Romanhefte zu veröffentlichen – die natürlich anders und besser sein sollten als die „West-Schmöker“. Die Produktion eigener Heftreihen geschah letztendlich unter dem Zwang, eine Antwort auf die zunehmende Verbreitung westdeutscher Groschenhefte zu finden. Zunächst unterschieden sich die ostdeutschen Hefte in ihrem äußeren Erscheinungsbild jedoch kaum vom kapitalistischen Gegenstück.

Ost oder West? In Bezug auf Groschenhefte war die Frage in den 50er Jahren nicht immer auf Anhieb zu beantworten. Inhaltlich gab es tatsächlich deutliche Unterschiede. Äußerlich aber setzten die DDR-Verlage weitgehend auf die gleichen Kaufanreize wie in der Bundesrepublik und versuchten so, sich dem Gegner ein Stück weit anzupassen: Die Bilder sind dramatisch und Spannung versprechend, die oft reißerischen Titel locken mit Schlagworten wie „Tot“, „Hölle“, „Schüsse“, „Flucht“. 

© Matthias Wagner, Stadtmuseum Gera

Insgesamt erschienen in der DDR rund 30 Reihen, überwiegend in den 1950er Jahren. Der größere Teil verschwand nach wenigen Ausgaben oder Jahren wieder von der Bildfläche. Das betraf ideologisch überfrachtete und damit beim Leser unbeliebte Reihen ebenso wie solche, die vermutlich von staatlicher Seite als zu unpolitisch angesehen wurden.

Aus dem Experimentierfeld der 50er Jahre kristallisierten sich schließlich acht große Heftreihen heraus:

Kleine Jugendreihe                                     1950 – 1965              322 Hefte

Das neue Abenteuer                                   1952 – 1990              522 Hefte

Erzählerreihe                                              1957 – 1990              327 Hefte

Kleine Erzählerreihe                                  1958 – 1966                77 Hefte

Blaulicht                                                       1958 – 1990              285 Hefte

Tatsachen                                                     1961 – 1990              342 Hefte

kap – Krimi Abenteuer Phantastik           1966 – 1971              114 Hefte

Meridian                                                        1966 – 1981               94 Hefte

Die Anzahl der Heftreihen blieb damit überschaubar – in der Bundesrepublik gab es dagegen allein in den 1950er Jahren rund 280 verschiedene Reihen. Die Auflagen der DDR-Hefte waren jedoch mit 100.000 bis 250.000 Exemplaren pro Ausgabe relativ hoch. So erschienen im Jahr 1966 in sieben Reihen rund 80 Hefte mit einer Gesamtauflage von etwa 10 Millionen Exemplaren.

Nach 1961 ließ der Kampf gegen die westdeutschen Groschenhefte spürbar nach. Die Berliner Mauer und die Sperrung der innerdeutschen Grenze unterbanden ab August 1961 weitestgehend die Einfuhr der Hefte in die DDR. Zudem entstand mit der allmählichen Verbreitung des Fernsehens ein neues, mächtiges Massenmedium – und zugleich ein neues Feindbild: Mit den entsprechenden Dachantennen konnte das „Westfernsehen“ direkt in die ostdeutschen Wohnungen Einzug halten.

Als Waffe gegen die „Schmöker“ aus dem Westen waren die DDR-Hefte ab 1961 praktisch nicht mehr nötig. Dennoch wurden einige Reihen bis 1990 fortgeführt. Ein Grund dafür dürfte ihre – fein dosierte – Nutzung als ideologisches Sprachrohr gewesen sein. Die Inhalte aller Heftreihen waren mehr oder weniger politisch. Vor allem die in der Gegenwart spielenden Erzählungen brachten Weltanschauung und Lebensbild des Sozialismus zum Ausdruck.

Neben ihrer politischen Funktion wurden die Hefte auch als ein geeignetes Mittel gesehen, bei den Lesern ein weitergehendes Interesse an Literatur zu wecken. Die ersten Heftreihen, wie Kleine Jugendreihe ab 1950 und Das neue Abenteuer ab 1952, waren an Kinder und Jugendliche gerichtet. Inhaltlich ist hier deutlich das Bemühen der Verlage spürbar, die Leser an umfangreichere Bücher heranzuführen und auch auf große Werke der Weltliteratur aufmerksam zu machen. Erreicht werden sollte dies durch gezielte Werbung auf den Umschlagseiten. Sätze wie „Greift auch zu diesen Büchern!“ oder „Vielleicht möchtet Ihr neben der Jugendreihe einmal ein größeres, dauerhaftes Buch für Euren Bücherschrank erwerben. In unserem Verlag ist nämlich ein besonders spannender und interessanter Jugendroman erschienen […]“ tauchen immer wieder in den Heften auf. Zudem wurden regelmäßig auch Kurzgeschichten berühmter internationaler Autoren veröffentlicht. Die Franzosen Jules Verne, Stendhal, Émile Zola und Honoré de Balzac finden sich ebenso wie die Russen Iwan Turgenjew, Maxim Gorki, Lew und Alexei Tolstoi, die Briten Robert Louis Stevenson, Arthur Conan Doyle, Oscar Wilde und Rudyard Kipling oder die Amerikaner Mark Twain, Jack London, Edgar Allan Poe und John Steinbeck.

Die erstaunlich große Anzahl verschiedener Autoren – die 522 Ausgaben von Das neue Abenteuer beispielsweise stammen von 312 Schriftstellern – bot überdies eine angenehme Mischung aus Abenteuer-, Kriminal-, Gegenwarts- und utopischer Literatur.

Ab 1957 erschien mit Erzählerreihe auch eine erste Reihe für erwachsene Leser. Die Hefte enthalten fast ausschließlich zeitgeschichtliche Themen der Gegenwart oder zumindest des 20. Jahrhunderts. Herausgeber war der Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, der spätere Deutsche Militärverlag. Die Herkunft merkt man den Heften deutlich an: Rund 80 % der ersten 100 Hefte spielen in Kriegen oder im Armeemilieu. Ab Mitte der 60er Jahre wurde das Themenangebot in der Reihe vielfältiger. Der Anteil an zivilen Alltagsgeschichten, oft jedoch mit politischem Hintergrund, und Kriminalgeschichten nimmt zu, vereinzelt finden sich auch geschichtliche und utopische Inhalte.

Auch hier ist das Autorenspektrum – typisch für fast alle DDR-Heftreihen – wieder breit gefächert. Auffällig ist, dass in der Erzählerreihe nahezu durchgängig deutschsprachige Schriftsteller vertreten sind, darunter auch bekannte DDR-Autoren wie Anna Seghers, Erwin Strittmatter, Harry Thürk, Jurij Brězan oder Götz R. Richter.

Auf bestimmte Themen zugeschnittene Heftreihen wie Arzt-, Heimat-, Liebes- oder Wildwestromane suchte man, vielleicht abgesehen von der Kriminalreihe Blaulicht, in der DDR vergebens. 

Hefte aus der Kriminalreihe Blaulicht © Matthias Wagner, Stadtmuseum Gera

Blaulicht war die beliebteste Krimireihe im Osten. Zugegeben – das zu werden, war nicht schwer. Es gab nämlich nur die eine. Beliebt war Blaulicht trotzdem. Herausgegeben wurde sie ab 1958 zunächst vom Ministerium des Innern, dem auch die Volkspolizei und die Betriebskampfgruppen unterstanden. In den ersten Jahren drehten sich die Inhalte der Hefte vor allem um Straftaten im Zusammenhang mit der offenen deutsch-deutschen Grenze, um Warenschmuggel, Sabotage oder Republikflucht.

Nach der Grenzschließung 1961 konzentrierten sich die Geschichten fast ausnahmslos auf das Gebiet der DDR. Ab 1963 übernahm der Verlag Das Neue Berlin die Heftreihe. Der Wechsel zu einem „zivileren“ Verlag tat der Reihe gut, die Hefte wurden unpolitischer. Ob landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, Schule, Berufsausbildung, Antiquitätenhandel, volkseigener Betrieb oder Privatunternehmen – die Geschichten spielten praktisch in allen Lebensbereichen und Bevölkerungsschichten. Die Blaulicht-Hefte bieten damit auch wunderbare Milieustudien des sozialistischen Alltags in der DDR.

Überraschend oft geht es um Mord und Totschlag, auch Vergewaltigung wird nicht ausgespart. Eine genaue Untersuchung über die Art und Häufigkeit der in der Heftreihe vorkommenden Straftaten wäre sicher eine lohnende Studie.

Die Cover der Reihe fallen wiederholt durch eine für Groschenhefte ungewöhnliche Bildgestaltung auf: mal kontrastreich und plakativ, mal symbolbeladen, dann wieder comicartig. An der Gestaltung wirkten auch namhafte Künstler gelegentlich mit, wie der Berliner Karikaturist Manfred Bofinger oder der Pop-Art-Künstler Hans Ticha. Beide illustrierten in den 1970er Jahren mehrere Blaulicht-Ausgaben.

Den Typus des reinen Groschenheft-Autoren hat es in der DDR vermutlich nicht gegeben. Neben angehenden Schriftstellern, die die Hefte als Plattform für erste literarische Veröffentlichungen nutzten, waren es in der Regel Buchautoren, die nebenbei auch Kurzgeschichten für die Heftreihen lieferten. Bekannte Krimiautoren der DDR wie Hans Siebe, Ingeburg Siebenstädt (alias Tom Wittgen), Günter Prodöhl, Linda Teßmer (alias Leon Picard) oder Erich Loest (alias Hans Walldorf) waren daher regelmäßig in Blaulicht-Heften vertreten.

Die Installation von Serienhelden à la Jerry Cotton oder John Kling wurde in Blaulicht wie auch in den anderen ostdeutschen Heftreihen weitestgehend vermieden. Ein Held, der – oftmals im Alleingang – alle Gefahren erfolgreich bestand, passte nicht in die Ideologie der DDR. Helden gab es durchaus, allerdings sollten sie sich mit klassenbewusster Haltung und in kollektiver Arbeit bewähren und keine Abenteuer am laufenden Band erleben. Eine Ausnahme gibt es: Harri Kander ist der Serienheld in den DDR-Groschenheften! [Abb. 4] Die Reihe Abenteuer des fliegenden Reporters Harri Kander von Karl-Heinz Hardt erschien in den Jahren 1957 und 1958 beim Verlag Sport und Technik. Das Vorwort in den Heften beschreibt ihn als einen Menschen, „der das Herz auf dem richtigen Fleck hatte. Er, sein Freund Walter Winter und Kanders Frau Catherine hatten auf den verschiedensten Schauplätzen der Welt Abenteuer zu bestehen, die heiße Herzen und kaltes Blut verlangten. Mit ihren Berichten in den verschiedensten Zeitungen des Kontinents zeigten sie den Menschen unsere Welt von heute. Alle drei, der Fliegerei verschrieben, wurden durch ihre Taten zu Fliegerhelden, die zu Lande und in der Luft jederzeit ihren Mann standen.“

Leider gibt es nur 15 Abenteuer des fliegenden Reporters. Ob ein DDR-Bürger, der jederzeit in sein Flugzeug steigen konnte, eine französische Freundin hatte und auf allen Kontinenten zu Hause war, vielleicht doch nicht ganz dem Idealbild eines sozialistischen Helden entsprach?

Dem ungewöhnlichen Thema „Groschenhefte in der DDR“ widmet sich das Stadtmuseum Gera in seiner gleichnamigen Sonderausstellung und rückt damit ein weitgehend vergessenes Medium in den Mittelpunkt. Das Thema dürfte wohl erstmalig in Deutschland in einer Schau dieser Größenordnung zu sehen sein. Die Ausstellung läuft vom 10.6. bis 18.10. 2020.

Matthias Wagner

Lesehinweis der Redaktion: Zur Faszination der Groschenromane siehe auch die Deutschlandfunk-Reportage von  Wolf-Sören Treusch.

Tags : , , , ,