Geschrieben am 15. August 2018 von für Crimemag, CrimeMag August 2018

Graphic Novel: Mana Neyestani: Die Spinne von Mashad

Maschhad_coverOrdnung wiederhergestellt

Von Katrin Doerksen

Eine Menschentraube schaut stumm auf das Opfer herab. Und das Opfer schaut stumm zurück. Schon die doppeldeutige Perspektive auf dem Cover von Die Spinne von Maschhad lässt sich auf den gesamten Comic übertragen. Die Spinne von Maschhad, das ist Said Hanai, der um die Jahrtausendwende in der iranischen Provinzhauptstadt Maschhad mindestens sechzehn Prostituierte umbrachte. Als selbsternannter „Kämpfer gegen die Dekadenz“ sah er sich im Recht, er reinige die Stadt und tue nur seine religiöse Pflicht, bekundete er in Interviews. 2003 erschien ein Dokumentarfilm über ihn, Along Came A Spider, und schließlich nahm sich Mana Neyestani der Geschichte an. Der in Paris lebende Exiliraner verbrachte einst 50 Tage im berüchtigten Evin-Gefängnis in Einzelhaft, ein harmloser Cartoon für Kinder hatte in der Aserbaidschanisch sprechenden Minderheit Irans für Unruhen gesorgt. Diese Erfahrungen verarbeitete Neyestani im Comic Ein iranischer Alptraum.

Nun also der Spinnenmörder. Wieder so eine schlicht surreal anmutende Geschichte, bei der man fast nicht glauben will, dass sie auf Tatsachen beruht. Wieder überwiegend in Neyestanis schwarz-weißem Schraffurstil gezeichnet, der auf den ersten Blick wie rasch dahin geworfen wirkt, sich bei genauerem Hinsehen allerdings als erstaunlich präzise erweist. Immer wieder verweilt der Zeichner bei den Eigenheiten des Milieus und seiner Figuren, manchmal reicht schon eine kleine Geste, um ihnen eine unerwartete Dimension zu verleihen. Da ist zum Beispiel die Journalistin Roya Karimi Majd, die den bereits gefassten Hanai um ein Interview für eine iranische Frauenzeitschrift ersucht. Kaum aus dem Gefängnis heraus, lockert sie ihr sittsam geknotetes Kopftuch, rauch und flucht vor sich hin. Später ist es ein bärbeißig wirkender Wachmann, der sie trotz des Verbots um eine Zigarette bittet. In einer Telefonzelle hat jemand seine Handynummer auf die Wand gekrakelt, dazu: „Niere B+ zu verkaufen, dringend!“

maschhad_bild02In einem einleitenden Text erfahren wir zuerst etwas über den Wallfahrtsort Maschhad, einen der sieben heiligen Stätten des schiitischen Islams, der wegen steigender Arbeitslosigkeit und der Nähe zur afghanischen Grenze trotz aller Heiligkeit auch mit einer hohen Zahl an Drogensüchtigen zu kämpfen hat. Dann sehen wir Hanai beim Gebet im Imam-Reza-Schrein. Mit geradezu kinematographischer Genauigkeit zoomt Neyestani in einzelnen Panels und später kurzen Kapiteln Stück für Stück an das Geschehen heran. In anderen Comics würde eine derartig lange Exposition vielleicht die Spannung rauben. Hier ist die Spannung zweitrangig. Weil es darum geht das gesellschaftliche Klima der Stadt greifbarer werden zu lassen, man so in Ansätzen nachzuvollziehen beginnt, wie Hanai zu seinen verqueren Überzeugungen kommen konnte.

maschhad_bild03

Gleichzeitig ist Die Spinne von Maschhad aber alles andere als die Erkundung einer geschundenen Männerseele oder gar der Versuch seine Taten durch psychologisches Ergründen zu rechtfertigen. Im kompletten Band ist nicht ein einziger Mord zu sehen – stattdessen stellt nur Hanais minderjähriger Sohn vor der Kamera der Journalisten stolz die Taten seines Vaters nach. Das wirkt umso makaberer – aber nicht auf Kosten der Frauen. Mana Neyestani arbeitet multiperspektivisch, aber das schließt seine Stellungnahme nicht aus. Gelegentlich löst er sich nämlich von seinem soziologisch übergeordneten Beobachterblick und ist ganz nah bei einzelnen Figuren. Zum Beispiel bei dem Richter, der über Hanais Strafmaß entscheiden soll. Nach Feierabend beschäftigt er sich mit Kalligrafie. Sie gefällt ihm so gut, weil sie ganz genau wie die göttliche Ordnung nach klar definierten Regeln funktioniert, die nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden dürfen. Selig lächelnd pinselt der Richter seine perfekt ausgewogenen Punkte und Striche. Einzig diese von ihm hochgelobte Ordnung scheint in der von Neyestani zu Papier gebrachten Welt überhaupt nicht zu existieren, in der vom Individuum bis zur höchsten Institution jeder seine eigenen Regeln macht. Schließlich steht der Richter auf, rahmt seine Kalligraphie und hängt sie an die Wohnzimmerwand – über einen tiefen Riss, der beim Brautwerber seiner Tochter den falschen Eindruck erwecken könnte. Ordnung vorübergehend wieder hergestellt.

Katrin Doerksen

Mana Neyestani: Die Spinne von Maschhad. Übersetzung aus dem Französischen von Christoph Schuler. Edition Moderne, Zürich 2018. 164 Seiten, zum Teil farbig, Klappbroschur, 22 Euro.

Tags : , , , ,