Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Gioacchino Criaco „Die Söhne der Winde“

Eine enge Welt

Frank Rumpel über einen Roman aus Kalabrien

Vom Erwachsenwerden in einer abgehängten Gegend Süditaliens erzählt Gioacchino Criaco in seinem aktuellen Roman „Die Söhne der Winde“. Das Dorf Africo lag einst in den Hügeln des Aspromonte, einem Nationalpark im Süden Kalabriens. Es wurde nach einer Überschwemmung von den Behörden geräumt, die Bewohner in ein neues, gesichtsloses Africo am Meer umgesiedelt. Criaco kam 1965 in diesem Africo Nuovo zur Welt, kennt die Geschichten, die er auch schon in seinem von Francesco Munzi verfilmten Debütroman „Schwarze Seelen“ erzählt, nur zu gut. Sein Bruder sitzt im Gefängnis, sein Vater fiel einer Blutfehde zum Opfer, er selbst kam mit einem Stipendium nach Bologna, studierte dort Jura, wurde Anwalt. Seit einigen Jahren widmet er sich ganz dem Schreiben, lebt in Africo und Mailand. 

Ein jugendliches Trio wächst in den 1970ern in diesem von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Africo auf. Die Väter arbeiten in Deutschland, die Mütter verdienen sich nachts ein paar Lire auf den Jasminfeldern. Das Leben ist hart und eintönig, getaktet von Natur und Religion, zu essen gibt es Pasta mit einem falschen Sugo aus billigem Tomatenmark, jeden Tag. Um zur Schule zu kommen, müssen der Ich-Erzähler und seine beiden Freunde auf den fahrenden Zug aufspringen, denn einen Bahnhof hat der Ort nicht. Jobs sind rar, da bleibt nur die Emigration nach Norden oder eben eine Banditenkarriere. Die Region ist bis heute Rückzugsort und Hochburg der weltweit agierenden  `Ndrangheta, der kalabresischen Mafia. 

Mit den Mafiosi will im Dorf keiner etwas zu tun haben und doch reizt die Jungs die Aussicht auf leicht verdientes Geld. Für zwei Banditen lösen die 15-Jährigen gestohlene Schecks ein, stehen schließlich bei einem Raubüberfall Schmiere. Einen Teil des Geldes liefern sie zuhause ab, erzählen den Müttern freilich, sie hätten hart dafür geschuftet. Als ein charismatischer Redner die Revolution in den Ort bringt, schließen sich ihm die Jungs begeistert an. Seine Idee: eine dorfeigene Fabrik in den Bergen, um so die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern und Mafiosi zu beenden. Doch die Polizei schlägt die Aufstände mit Gewalt nieder. Und als neue Carabinieri in die Region kommen, fliegt auch die Beteiligung der drei jungen Männer an dem Überfall auf. Sie verstecken sich erst in den Bergen  – erkennen, wie absurd die Idee war, dort eine Fabrik zu bauen – und fliehen schließlich aus der Gegend, um ihre kriminelle Laufbahn woanders fortzusetzen. „Der Aspromonte hat einen Fehler begangen, als er uns fortgeschickt hat. Wir trugen den Fluch in uns, wir hätten ihn zurücklassen sollen“, heißt es. 

Criaco macht daraus, der Ton verrät es schon, keine Heldengeschichte. Seine Protagonisten erliegen dem Reiz des schnellen Geldes, des Neuen und Verbotenen, so dass sich für sie ganz allmählich die Parameter verschieben. Sein Augenmerk legt der Autor dabei nicht ausschließlich auf die kriminelle Karriere seiner drei Protagonisten. Die ist eingebettet, läuft mit in dieser Erzählung, in der Criaco kleinteilig das Dorf Africo jener Jahre mit seinen eigenwilligen Bewohnern aufleben lässt. Er erzählt eindringlich von der Dorfgemeinschaft, aber auch von der Tristesse und Unzufriedenheit der Leute, die da aus den Bergen vertrieben nicht recht wissen, was sie am Meer anfangen sollen. Etliche der Älteren, sagt Criaco, seien aus Trotz nie ans Wasser gegangen. 

Ständig präsent sind die Mythen des Aspromonte, die skurrilen Bräuche, die religiösen Feste als seltene Gelegenheiten, den Alltag etwas aufzufrischen. Präzise beschreibt Criaco diese enge Welt, die wenig Spielraum lässt und kaum Zukunft bietet. Das ist auch den Jungen schon früh klar. Es ist ein Buch voller Zärtlichkeit gegenüber den Müttern (denen das Buch auch gewidmet ist), den Weggefährten und der Natur des Aspromonte, es ist aber auch ein düster treibender Roman, eine Anklage gegenüber den Verhältnissen, die sich bis heute nicht gebessert haben. Als der Ich-Erzähler nach Jahren zurückkehrt, sind viele der alten Bewohner an Krebs gestorben, andere erkrankt, weil die Mafia die Gegend mit vergrabenem Giftmüll kontaminierte, ein einträgliches Geschäft. 

Frank Rumpel

  • Gioacchino Criaco: Die Söhne der Winde (La maligredi, 2018). Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio-Verlag, Bozen/ Wien 2019. 336 Seiten, 22 Euro.

Tags : , ,