Geschrieben am 1. Juni 2013 von für Crimemag

Geburtstagswünsche für den Krimivogt

Jochen Vogt auf der Tagung „Mordsgeschichten – Der Kriminalroman und die Rätsel der Vergangenheit“, Villigst 2007

Jochen Vogt auf der Tagung „Mordsgeschichten – Der Kriminalroman und die Rätsel der Vergangenheit“, Villigst 2007

Der Krimivogt

Wenn man mit Jochen Vogt, der seine Mails als „Adjunct Professor of German Studies, Duke University, Durham NC/Professor emeritus, Universität Essen“ signiert, bei einem Glas Rotwein zusammensitzt, gesteht er schon mal, dass er eigentlich immer gerne Journalist geworden wäre. Auf seine alten Tage hat er dann doch die Kontakte zur WAZ aktiviert und schreibt dort skeptisch, amüsiert, liebevoll über das Genre.

„Krimi kann alles“ – davon war er seit den Tagen fest überzeugt, als er, noch ein junger Forscher, den Eilzug Göttingen-Adelebsen-Essen immer mit einem Krimi als Begleitung frequentierte. Als Diskutant wie als Kritiker ist er freundlich, aber beharrlich, milde, aber genau. Gerne stellt er Vergleiche an, auf die sonst niemand käme, zum Beispiel zwischen Siggi Baumeister und Heinrich Böll.

Jochen Vogt auf der Tagung „Grenzenlose Gewalt?“, Villigst 2008

Jochen Vogt auf der Tagung „Grenzenlose Gewalt?“, Villigst 2008

Manchmal klingt der Literaturprofessor in seinen Kritiken wohltuend an, immer aber denkt er an seine Leser. So etwa im Fazit zu „Tokio – Besetzte Stadt“ von David Peace: „Ganz wie die vorigen Bücher von David Peace ist auch dies keine leichte Kost, für’s Wellness-Wochenende wenig geeignet. Wer sich aber für die Schnittstelle von Kriminalliteratur und literarischer Moderne interessiert, hat hier eine Pflichtlektüre.“

An dieser Schnittstelle sondiert der „Krimivogt“, wie der Prof sich gerne ironisiert, am liebsten. Zum siebzigsten Geburtstag wünsche ich dem „elder critic“ unserer KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury alles erdenklich Gute und noch viele spannende Lektüren.

Tobias Gohlis (Sprecher der KrimiZEIT-Bestenliste)

41Q9rB4gRZLDer rote und der blaue Vogt

Die beiden roten UTB (= Uni-Taschenbücher) Bände „Der Kriminalroman I“ und „Der Kriminalroman II“ mit dem jeweiligen Untertitel „Zur Theorie und Geschichte einer Gattung. Herausgegeben von Jochen Vogt“ gehören zweifelsohne zu den zerfleddersten, gebrauchtesten, palimpset-artig mit An- und Bemerkungen vollgeschriebenen, mit Post-it-Markierungen und heute kaum noch lesbaren Notizzetteln vollgestopften Büchern, die ich besitze.

„Lebensbücher“, sozusagen, nicht nur, weil sie mich durch die inzwischen jahrzehntelange Beschäftigung mit Kriminalliteratur begleitet haben (das aber ist im Grunde banal – „den Vogt“ braucht man einfach, wenn man professionell mit diesem Genre zu hat; und wer „nur“ Leser ist, könnte „dem Vogt“ auch ein paar Aspekte abgewinnen, die die Lektüre von Kriminalromanen noch lustvoller machen). Die beiden Bände waren vielmehr „Lebensbücher“, weil sie, vermutlich nicht nur für mich, eine Menge Türen und Tore aufgemacht haben – Perspektiven und Arten des Umgangs mit einer Literatur gezeigt haben, die damals 1971, höchstens zerstreut, aber noch nie konzentriert und aufbereitet zur Verfügung standen.

Dazu kam, dass „der rote Vogt“ nicht irgendwo bei einem langweiligen „Wissenschaftsverlag“ mit didaktischer Ausrichtung erschien, sondern eben bei Wilhelm Fink – dem Verlag, in dem die aufregenden Sachen passierten: Dort erschienen Haupt-Schriften der Rezeptionsästhetik (Iser, Warning etc.), dort hatte die Arbeitsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ ihre Basis, bei Fink gab es die maßgeblichen Bände zum Russischen Formalismus und so weiter.

 Thomas Wörtche und Jochen Vogt auf der Tagung „Schöne Kunst? Simple Kunst? Keine Kunst? – Zur Ästhetik der Kriminalliteratur“ in Iserlohn 2006

Thomas Wörtche und Jochen Vogt auf der Tagung „Schöne Kunst? Simple Kunst? Keine Kunst? – Zur Ästhetik der Kriminalliteratur“ in Iserlohn 2006

Und in diesem Kontext eben „Der Kriminalroman“. Also mitten im Milieu der reflektierenden Literaturwissenschaft angekommen, nicht in die Randbereiche der Lesersoziologie, Trivialliteraturforschung oder Volkskunde ausgelagert. Nicht, dass ich das alles 1971, ich habe mir die Bände noch als Schüler irgendwie zusammenkauft, schon genau so gesehen hatte, aber es war passiert: Der rote Vogt war Teil einer Initialzündung und stellte Material bereit, das heute noch so wichtig ist wie damals.

Vogt+Der-Kriminalroman-Poetik-Theorie-GeschichteDer „blaue Vogt“ von 1998 war dann die logische Folge – neue Ansätze, vor allem des Poststrukturalismus und des „postmodernen“ Denkens hielten Einzug in den inzwischen formatmäßig gewachsenen, aber auf einen Band reduzierten Sampler, der gerade auf den beginnenden Boom der Kriminalliteratur als taste of the decade (na ja, inzwischen hält er immer noch an) stieß und als dringendes Korrektiv gegenüber der brachialen Regression des Genres (Donna Leon & Co. warfen ihr simplifizierenden Schatten voraus) und des Nachdenkens über das Genre (das inzwischen oft aggressiv abgelehnt wurde: Ich will mich amüsieren beim Grimmi) sozusagen als Manifest des „Denken kann Spaß machen“ verstanden werden konnte.

Und weil Jochen Vogt nicht nur ein Pionier, Impresario und Multiplikator lustvollen Nachdenkens über Kriminalliteratur ist, sondern auch „Macher“, entstanden – statt einer dritten Fassung des „Vogt“ – seit ungefähr der Mitte des neuen Jahrtausends eine Kette von beinahe jährlich stattfindenden Konferenzen in der Evangelischen Akademie im Haus Villigst, die den dringend notwendigen Dialog zwischen Literaturwissenschaft, Kritik und Lesern befeuern. Insofern ist die Tatsache, dass Jochen Vogt am 27. Mai 70 Jahre alt geworden ist, natürlich ein Grund für die allerherzlichsten Glückwünsche, aber auch irgendwie nur ein kurzes Innehalten, weil jedes Treffen mit ihm darauf hinausläuft: Wir müssen demnächstWir machen dann als Nächstes

Feier schön, lieber Jochen, und dann müssen wir demnächst reden über …

Thomas Wörtche

Fotos: Copyright Tobias Gohlis

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