Geschrieben am 2. Februar 2020 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2020

Ganz ohne Provinzklamauk

Echt schweizerisch, aber trotzdem spannend und witzig

Hanspeter Eggenberger über das alles andere als durchschnittliche Krimidebüt »Schneisen« des Schweizers Dominik Osswald, das einen ziemlich kurzweiligen Einblick in die Durchschnittsschweiz gibt. 

In der Schweiz erscheinen, wie im ganzen deutschen Sprachraum, zahlreiche sogenannte Regionalkrimis. Die Leser erfreuen sich bei diesen Büchern offenbar in erster Linie am Lokalkolorit, manchmal auch an einer Art von Humor, für den wir in der Schweiz den Begriff Sauglattismus haben, der leider nicht griffig zu übersetzen ist, aber so etwas wie blöde Lustigkeit meint. Literarisch taugen die wenigsten dieser Geschichgen, und wer sich ernsthaft für Kriminalliteratur interessiert, lässt die Hände von solcher Ware. Natürlich gibt es Ausnahmen, zu denen ich beispielsweise die originellen und wirklich witzigen Basel-Krimis von Wolfgang Bortlik (Gmeiner Verlag) zähle.

Aus Basel kommt auch Dominik Osswald, dessen Debüt »Schneisen« aus dem Durschnitt der helvetischen Krimiproduktion heraussticht. Osswald geboren 1989, ist studierter Geologe und arbeitete zunächst im Bereich der Erdwissenschaften. »Dann erhob ich mich aus dem Erdreich wieder an die Oberfläche«, schreibt er über sich, »da mich das dortige Geschehen mehr faszinierte und mir die Gegenwart schon immer wichtiger war als die Vergangenheit.« So begann er als Journalist zu arbeiten. Zurzeit bildet er sich zum Bergführer aus. Seine Website hier.

Sein Romandebüt ist eine schlaue und witzige Schweizer Dorfgeschichte. Sie beginnt mit einer Rückblende in die 1980er, bevor es in der heutigen Zeit so richtig los geht mit einem kurzen, aber heftigen Unwetter. Schnell zeigt sich die Sonne wieder. Doch das Dorf Regenbolz, irgendwo in der Schweizer Provinz, sollte sich von dem Sturm nicht so rasch erholen. Nicht dass größere Schäden geblieben wären. Aber das Unwetter setzt eine Art Kettenreaktion in Gang, die auch längst begraben geglaubte Geschichten wieder an die Oberfläche spült.

Nach dem Unwetter geht in der lokalen Bank die Alarmanlage los. Polizist Kurt Karrer rast mit Vollgas zum Ort des vermuteten Verbrechens. Unterwegs kreuzt eine Katze seinen Weg, und das überlebt sie nicht. Der Alarm erweist sich als Fehlalarm. Die erzürnte Katzenbesitzerin ruft beim Boulevardblatt »Guck!« an, und anderntags macht der »Raserbulle« von Regenbolz, der für nichts das Leben einer unschuldigen Katze auslöschte, Schlagzeilen. Deswegen vom Dienst freigestellt, kommt Karrer dazu, sich auf die Suche nach dem aus seinem Garten ausgebrochenen Rasenmähroboter zu machen. Und dabei verschwindet er spurlos.

So nimmt die mit vielen wirklich witzigen Einfällen gespickte Geschichte zügig Fahrt auf. Der Ort Regenbolz ist zwar fiktiv, aber er ist typisch für die sogenannte Einfamilienhäuschenschweiz (wie man den vom bekannten Schweizer Architekturkritiker Benedikt Loderer geprägten Begriff Hüslischweiz übersetzen könnte): »Jeder spähte über den Zaun oder hinter der Gardine hervor. Einmal musste die Polizei ausrücken, weil der sensorgesteuerte Storen des Ehepaars Wutz am Zweienweg 4 mitten in der Nacht ausgefahren war, niemand wusste warum. Das Ehepaar Wutz lag wie angewurzelt im Ehebett und rief im Flüsterton die Polizei. Regenbolz war angespannt.«

»Schneisen« ist jedoch kein billiger Provinzklamauk. Die komplexe Geschichte ist geschickt aufgebaut und hat bei aller Situationskomik auch ihre düsteren Seiten. Die Vorgänge im Dorf wecken die Erinnerungen an ein schreckliches Verbrechen gut drei Jahrzehnte zuvor: einen vierfachen Mord in einem Bauernhaus, der bis heute ungeklärt ist. Und in Regenbolz hängt alles mit allem irgendwie zusammen, wie das so ist, in einem Kaff, in dem sich alle kennen und viele auch noch miteinander verwandt sind. Und längst nicht alles ist so, wie es scheint. Als ein junges Journalistenduo zu recherchieren beginnt, kommen Dinge an den Tag, die man im Dorf lieber unter dem Deckel behalten möchte.

»Schneisen« ist ein vielschichtiger Kriminalroman mit vielen guten und originellen Ideen. Auch wenn die Logik vielleicht nicht in jedem Detail ganz überzeugt, funktioniert der Plot. Vor allem aber zeichnet Osswald mit wachem Blick für Details und trockenem Humor fast beiläufig ein Zeitbild und seziert das Zusammenspiel in einer dörflichen Gemeinschaft, in der nicht alle die gleichen Interessen verfolgen. Was zuweilen lustige bis bizarre Auswirkungen haben kann. Nebenbei führt der Autor die Mechanismen der Boulevardpresse vor. 

Für die deutsche Leserschaft vielleicht noch ein paar Worte zur Sprache dieses Romans, die nicht nur angenehm unaufgeregt ist, sondern auch richtig schweizerisch. Das liest sich beispielsweise so: »Der Nachbar war gerade dabei, seinen Morgan in der Garage zu parkieren. Kurt grüsste und der Nachbar meinte, dass sich da was zusammenbraue (er zeigte zum Himmel) und er den Morgan besser vor Hagelschäden bewahre. Für Kurts Befinden sahen die Wolken eher harmlos aus. Doch der Nachbar fand, die Cumuli seien heute früh dran, das gebe etwas Zünftiges. Der Nachbar wünschte einen ruhigen Dienst. Kurt seufzte.«

Wir sprechen in der Deutschschweiz, also im deutschsprachigen Teil des Landes, je nach Region sehr unterschiedliche Dialekte; manche davon, beispielweise solche aus dem Oberwallis oder aus dem Appenzell, sind selbst für viele Schweizer nur schwer bis gar nicht verständlich. Wenn mir nette Leute aus Deutschlands Norden sagen, sie verstünden durchaus Schweizerdeutsch, ist das meistens ein Missverständnis. Sie meinen das, was bei uns als Standardsprache gilt, zu meiner Schulzeit nannte man es noch Schriftdeutsch, sei Schweizerdeutsch. Dabei ist das unsere Art von Hochdeutsch, das mündlich durch einen mehr oder weniger starken Dialektakzent geprägt wird und eher selten wirklich wie Hochdeutsch klingt. Hinzu kommen zahlreiche Helvetismen, also Begriffe, die man so in Deutschland nicht braucht von A wie Abdankung (Trauerfeier) bis Z wie zügeln (den Wohnort bzw. die Wohnung wechseln). Im Duden sind mehr als tausend solche Begriffe mit dem Vermerk »schweizerisch« verzeichnet.

Viele Schweizer Autoren schielen nach dem vielfach größeren Markt im »großen Kanton«, wie ältere Schweizer Deutschland scherzhaft nennen, und versuchen deshalb mehr oder weniger geschickt, eine »deutsch-deutsche« Sprache und den entsprechenden Duktus nachzuahmen. Dominik Osswald dagegen bleibt bei der schweizerischen Standardsprache, in der man ein Auto parkiert und nicht parkt, ein Poulet grilliert und nicht ein Hähnchen grillt, das Münz im Portemonnaie mitträgt, nicht das Kleingeld im Geldbeutel, mit dem Velo auf dem Trottoir fährt und nicht mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig, mit jemandem telefoniert und nicht jemanden anruft, Znüni und Zvieri isst, also morgendliche (9 Uhr = nüni) oder nachmittägliche (16 bzw. 4 Uhr = vieri) Zwischenmahlzeiten und der es übrigens kein ß gibt. 

Das ist jetzt vielleicht etwas ausgeufert, allfällige (= etwaige) Übermarchungen (= Limitüberschreitungen) den Usanzen (= Gepflogenheiten) dieser Publikation anzupassen, bleibt dem Redaktor (= Redakteur) überlassen.

Nur noch dies: »Schneisen« ist ein vielversprechendes Debüt, dessen Lektüre wirklich richtig Spaß macht.

Hanspeter Eggenberger

  • Dominik Osswald: Schneisen. Zytglogge Verlag, Basel 2019. 278 Seiten, 32 Euro.

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