Rückkehr nach Twin Peaks – Die erste Etappe
Von Sonja Hartl
Eigentlich müsste am Anfang dieses Textes ein einziger Jubelschrei stehen. Denn nach den ersten fünf Folgen von „Twin Peaks“ lässt sich immerhin schon einmal feststellen, was diese Serie alles nicht ist: Sie ist kein nostalgischer Aufguss einer vergangenen Zeit im Stile von „Gilmore Girls“, kein Kompromiss zwischen künstlerischen Ambitionen und Einschaltquoten oder das selbstverliebte Alterswerk eines über 70-jährigen Regisseurs. Nein, vielmehr ist diese dritte Staffel die konsequente Zusammenführung aus David Lynchs bisherigen Werken, aus seinen Filmen, Lithografien, Musikvideos, Werbefilmen, Bildern und Installationen. Schon bei den ersten beiden Folgen ließ sich vortrefflich darüber diskutieren, ob sie nun eher der „Mulholland Drive“-„Lost Highway“-Lynch oder doch eher der „Inland Empire“-Lynch sind, nur um sich stets einer klaren Einordung zu entziehen. So wie sich „Twin Peaks“ ohnehin jeglicher Eindeutigkeit verweigert – ob beim Plot, beim Tempo oder in den Charakteren. Hier findet sich für jede Deutung eine Gegendeutung, für jede Einordnung ein Widerspruch. Und an dieser Stelle ist dann wohl auch eine Warnung angebracht: Damit ich über diese Folgen schreiben kann, werde ich auch Inhaltliches „verraten“.
Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass sowohl Mark Frost mit seinem Buch „Die geheime Geschichte von Twin Peaks“ als auch David Lynch mit seinem Hinweis, man solle „Fire Walk With Me“ noch einmal sehen, durchaus wertvolle Unterstützung geleistet haben. Ersteres erlaubt insbesondere Hilfestellung bei der der Einordung der Geschehnisse um Major Briggs, der nach Aussage seines Sohnes Bobby in einem Feuer ums Leben kam, aber dessen Fingerabdrücke immer wieder an Tatorten auftauchen. Außerdem bietet es auch einen weiteren Zugang zu

Kyle MacLachlan. Photo: Suzanne Tenner/SHOWTIME
dem „Red Room“, in dem der FBI-Agent Dale B. Cooper anfangs weiterhin feststeckt. Natürlich erklärt das Buch diese Vorgänge nicht, aber es deutet an, dass Major Briggs ahnte, was mit dem guten Cooper geschehen ist und dann vom bösen Coop (also BOB) umgebracht wurde – und dass die Black Lodge, White Lodge sowie der Red Room und alle mysteriösen Ereignisse schon den Native Americans bekannt waren, womöglich mit Außerirdischen zusammenhängen – und ein Ring eine besondere Rolle spielt. Bei „Fire Walk With Me“ geht die Verbindung noch weiter: Es gibt Referenzen zu Phillip Jeffries, the Blue Rose und den Owl Cave Ring, die alle aus dem Film bekannt sind. Aber damit nicht genug: Auch die „Deleted Scenes“, die Lynch 2014 als „Twin Peaks: The Missing Pieces“ herausgegeben hat, spielen eine Rolle, da hier so manches weiter diskutiert wird, was in „Fire Walk With Me“ nur angerissen wird. Beispielsweise begegnen wir schon dort Lucy und ihrer Irritation über die moderne Telefon-Technik – ein Motiv, das sich auch in der neuen Staffel findet und Anlass zu allerhand Spekulationen gibt.
Aber abgesehen davon ist „Twin Peaks“ eine Welt, in der man verloren gehen kann. Es gibt unzählige Zeit- und Weltensprünge, Doppelgänger, Wiedergänger, zweite Doppelgänger, merkwürdige Glasboxen und im Grunde genommen lässt sich nach fünf Folgen nur folgendes vermuten: der gute Coop ist zurück aus dem Red Room, steckt aber nach einer Irrreise durch Zeit, Raum und Realität in Dougie fest, einer Täuschung, die geschaffen wurde, damit der Evil Coop nicht zurück muss. Nun befinden sich aber zwei Coopers auf der Erde und deshalb

David Lynch and Miguel Ferrer. Photo: Suzanne Tenner/SHOWTIME
funktionieren sie beide nicht richtig. Des guten Coopers Chef Gordon Cole (David Lynch) und der Forensiker Albert Rosenfield (Miguel Ferrer) ahnen, dass mit dem Cooper, den sie festgenommen haben, etwas nicht stimmt – und er ist tatsächlich allem Anschein nach Evil Coop, der vorgibt, mit Jeffries zusammengearbeitet zu haben, Dazu gibt es eine Leiche, bei der der Kopf nicht zu dem Körper passt, aber die Fingerabdrücke von Major Briggs gefunden wurden, einen Schuldirektor der für die Tat verhaftet wurde, Mafia-Bosse, die sauer sind, weil Dougie-Cooper so viel Geld gewonnen hat – und natürlich die Ereignisse in Twin Peaks, zu denen der Hinweis der Log Lady gehört, dass „etwas fehlt“ (something is missing) und es mit Hawkes „heritage“ zu tun habe. Dort gibt es auch allerhand Wiedersehen mit bekannten Figuren, aber immer noch ist fraglich, was mit Sheriff Truman geschehen ist – und warum Andys und Lucys Sohn wie ein Brando-Imitator wirkt.
Das alles klingt unglaublich verwirrend, aber die Handlung ist ja nur ein Grund, sich die Serie anzusehen. Denn es gibt ja noch Bild und Ton. Und hier ist die neue Staffel so atemberaubend, dass ich mir teilweise gewünscht habe, sie im Kino sehen zu können. Allein der Vorspann verbindet die bekannte melodramatische Musik mit Bildern des Wasserfalls von Twin Peaks, die dann in den roten Vorhang des „Red Rooms“ übergehen und weiter auf den schwarz-weißen Vorhang. In der dritten Folge gibt es eine atemberaubende minutenlange Sequenz, in der der gute Cooper durch verschiedene Welten irrt, die bisweilen nicht aussehen wie Filmbilder, sondern wie düstere Gemälde mit gewölbt-gepustetem Schwarz. Dazu kommt ein Sounddesign, das gleichermaßen dröhnend-unheimlich wie schmerzlich ist – und bisher schloss jede Folge mit dem Auftritt einer Band und die Songzusammenstellung lässt jetzt schon auf den Soundtrack hoffen.
Aber all die Begeisterung sollte nicht über zweierlei hinwegtäuschen: Weiterhin ist auffällig, dass nicht-weiße Figuren im Kosmos von „Twin Peaks“ selten sind – und auch ältere Frauen finden sich nicht allzu viel, abgesehen natürlich von den Figuren, die es schon der Serie in den 1990er Jahren gab und die jetzt wiederkehren. Auch ist der gesamte Strang um Dougie sehr, sehr, sehr, sehr langsam – und ich befürchte, er könnte sich noch eine Weile hinziehen, da um ihn herum so manches aufgebaut wurde. Allerdings ist David Lynch dermaßen unberechenbar, dass ich auch völlig falsch liegen könnte – und er hat selbst gesagt, dass er die Serie als 18-stündigen Film sieht, die/der in seiner Gesamtheit bewertet werden sollte. Und deshalb halte ich mich mit Urteilen vorerst zurück.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zu dem Sender und den Quoten. Ich finde es erstaunlich und unbedingt nachahmenswert, dass Showtime David Lynch und Mark Frost so viel Zeit, Geld und Freiheit gegeben haben. Diese Serie wird die Massen nicht anziehen, in der New York Times wurde schon vermerkt dass der Auftakt der Serie lediglich 506.000 Zuschauer hatte, während andere Serien wie bspw. HBOs „The Leftovers“ rund 260 000 mehr hatten und der Serienauftakt damals 35 Millionen Zuschauer hatte. Ich glaube, hier kommen zwei Dinge zum Tragen: Zum einen erfasst diese Zahl nicht die Zuschauer, die die Serie gestreamt haben, und zum zweiten hat sich der Fernsehmarkt grundlegend geändert. Außerdem ist Showtime ein Abo-Kanal, d.h. sie brauchen keine hohen Einschaltquoten, um Werbung zu verkaufen, die bestehenden Abonnenten sind eine verlässliche Einnahmequelle, die mit neuen Stoffen versorgt werden will – und durch „Twin Peaks“ wurde nach Auskunft von Showtime eine Rekordanzahl neuer Abonnenten hinzugewonnen. Dabei gelingt ihnen noch etwas, was gerade angesichts der vielen Serien fast anachronistisch ist: Durch den wöchentlichen Ausstrahlungsrhythmus wird man förmlich gezwungen, die Serie langsam zu gucken und länger über sie nachzudenken. Das korrespondiert mit der Erzählweise Lynchs, die einen zwingt, bisweilen sehr lange in einer Szene zu verharren, in der jemand lediglich einen Raum durchquert. Oder eine Statue anschaut. Denn deutet sich nach den ersten fünf Episoden auch an: David Lynch spielt nicht mehr mit den Konventionen der Fernsehserie. Er greift direkt unsere Sehgewohnheiten an.
Sonja Hartl