Geschrieben am 15. April 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Zoomania

Girlpower, Bunnylove

Katja Bohnet hat sich den Disney-Animationsfilm „Zoomania“ angesehen und wundert sich, was Disney zum Trotz in der Stadt der Tiere so alles in Sachen Noir und Frauenpower geboten wird.

Judy Hope hat einen Traum: Sie möchte ein Cop werden. Nicht leicht zu verwirklichen für die Jahrgangskleinste, für eine Frau. Aber wer sich keine Ziele steckt, muss auf dem Land versauern, was Judy nicht passieren wird. Während ihre Eltern noch „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ rufen, rennt Judy schon um ihr Leben im Trainingscamp der neuen Polizeianwärter. Die Ausbilderin ist eine harte Nuss, so, wie es sich gehört. „Ertrunken: Du bist tot!, Abgestürzt: Du bist tot!, Erfroren: Du bist tot!“ Toter kann man vor Dienstantritt gar nicht sein. Judy muss schon in der Ausbildung härter als alle anderen kämpfen. Härter als jeder Mann.

Guess what! Sie schließt als Beste ihres Jahrgangs ab. Es könnte eine neue Romanvorlage von Karen Slaughter à la „Cop-Town“ werden, ist aber Disneys erster feministischer Zeichentrickfilm. Gott sei gelobt, dass die Welt das noch erleben darf! „Moment. Was ist mit Pokahontas?“, fragen Sie. Nicht viel, denn auch hier servierte Disney nur ein weiteres naturverbundenes Mädchen auf dem Heiratsmarkt. Das verlässliche Schicksal einer weiblichen Disney-Hauptfigur. In „Zoomania“ wird geheiratet, aber darum geht es Judy – Achtung: Spoiler! – ausnahmsweise nicht.

Disney Noir

Judy Hope heißt eigentlich Officer Hopps. Sie ist ein Hase und soll einmal Nilpferde und Elefanten einlochen. „Zoomania“ könnte ein Kriminalfilm alter Schule sein, der sich auf der Suche nach etwas völlig Neuem für eine behaarte Hauptdarstellerin entschieden hat. (Schuppen und Flossen hatten wir bei Arielle, und Bambi ist ja auch schon eine Weile her.) Überall erkennbar: die Anleihen an den Film Noir. Femme enfant und Femme fatale feiern ihre Wiederauferstehung im Disney-Film. Wer jetzt hysterisch kichert, wird eines Besseren belehrt. Wurde das junge, weibliche Publikum jahrzehntelang bei Schneewittchen und Rapunzel mit vorsintflutlichen Botschaften gequält (Irgendwo wartet auf jedes Mädchen ein Prinz mit einem Schuh in deiner Größe), sendet „Zoomania“ andere Signale aus: Tu das, was du tun willst! Weil du es kannst, du allein! Wurde die Emanzipation der Kleinsten schon vor ihrem Entstehen durch all die rosafarbenen und himmelblauen Eisprinzessinnen um Jahre zurückgeworfen, trägt das kluge Bunny eine dunkelblaue Polizei-Uniform. Sehr körperbetont ist höchstens die schusssichere Weste, die ihr wie auf den Leib geschnitten ist.

Die besten Freunde des Sexismus

In „Zoomania“ werden Menschen einfach durch Tiere ersetzt, die sozialen Vorurteile und Strukturen bleiben spiegelgleich. Der Plot ist ein Klassiker, denn Tiere verschwinden spurlos aus der ehemals friedlichen Stadt. Polizei-Chief Bogo bewegt nur ein Problem: Keiner seiner Cops kann Erfolge vorweisen, bis Hopps sich der Sache annimmt. Zuvor wird sie erst mal zur Verkehrspolizei abgeschoben. Chief Bogo sind neue Rekruten herzlich egal, die erste Häsin im Polizeidienst noch viel mehr. Als Wasserbüffel spießt er Häschen höchstens zum Frühstück auf. Aber Officer Hopps verteilt mehr Strafmandate als irgendjemand vor ihr auf dem Revier. Nebenbei hilft sie einem von Rassismus bedrohten Fuchsvater und seinem Sohn, stellt einen Dieb, rettet einer Maulwurfdame das Leben und kassiert das, was die Überengagierten eben dafür kassieren: einen Anschiss vom Chef. Währenddessen verbringen ihre männlichen Kollegen die Zeit damit, Donuts auf ihr Hüftgold zu stapeln. Im Büro spielen sie auf ihren Handys mit einer App, in der sie als Avatar eines wohlgeformten Go-Go-Tänzers eine knapp bekleidete Sängerin umschwirren. Die besten Freunde des Sexismus: Junk-Food, blöde Sprüche und niederschwellige, halbherzige Sexfantasien. Also alles so, wie man es aus dem echten Leben kennt.

81tdf8LvvqL._SY550_Hase und Fuchs

Aber Hopps lässt sich nicht unterkriegen. Kein Trick ist ihr zu schade, um den Fuchs Nik Wilde für ihre Ermittlungen einzuspannen. Immerhin das hat sie von den Männern schnell gelernt. Fabuli, fabula: Hier ist der Igel der Hase, der Hase wird zum Fuchs. Die Kerngeschichte kommt düster daher: Hopps reist durch Tundratown, Eiswüsten und den Regenwald. Wilde Tiere drehen durch. Mehr als nur einmal gerät ein Hasenleben in Gefahr. Eisbären mutieren zu Gangstern und furchteinflößenden Bodyguards. Hopps wird Marlon Brando als den Paten treffen, großartig!, eben nur in Tiergestalt. Jede einzelne Nebenfigur beglückt mit liebevoller Charakterausstattung. Wo hat man schon eine Kreuzung aus Marder und Franz Beckenbauer gesehen, einschließlich bayrischem Dialekt? Hier werden offene Rechnungen beglichen, dass es eine reine Freude ist. Ein Filmzitat jagt das andere. Aber Hopps kommt mit den Ermittlungen nicht voran, ihre Kollegen sabotieren sie, weshalb sie ihre Marke abgeben muss. Der ganz normale Sexismus in einer ganz normalen Stadt. Eine Häsin allein gegen den Rest der Welt. Nur Nik, der kleinkriminelle Fuchs, hilft der Neuen aus. Aber Officer Hopps hat mit Füchsen schlechte Erfahrungen gemacht. Nicht umsonst trägt sie ein Fuchs-Spray zur Selbstverteidigung. Auch der Fuchs-Shocker, Bestseller unter Hasen auf dem Land, gehört zu den entzückenden Gimmicks dieses Films. Nik Wilder wiederum mag Kleintiere nicht. Wen wundert es? Fuchs und Hase: Ob das gut gehen kann? Hopps Eltern, alle Tiere sagen: im Leben nicht!

Demokratische Utopie

Bezauberten Nik Parks Aardman Productions mit ihrem schrägen Charme und trotteligen Knetfiguren, kann Disney endlich aufschließen. Wenn auch die „Toy Story“-Reihe schon mit Selbstironie punktete, rundet „Zoomania“ alles ab. Die auf der Zulassungsstelle arbeiten, erscheinen wie Schnarchnasen, bekiffte Dudes mögen planlos wirken: Tatsächlich aber ist alles anders, als man denkt. Die Bösen können die Guten, und die Schwachen die Starken sein. Kennzeichen einer anständigen Vision. Am Endes des Filmes erfüllt sich für einen Moment der amerikanische Traum: Alles ist möglich, wenn es keine festgelegten Rollen mehr gibt. Hier kann eine Frau entgegen männlichen Widerständen alles werden, alles sein: erfolgreich, hässlich, intellektuell, wild oder zahm, böse oder kokett.

Spielt die amerikanische Politik doch gern selbst die Hauptrolle in einem Disneyfilm, wenn Schauspieler zu Präsidenten gewählt werden und Toupetträger darauf vertrauen, Vorwahlen mit Penislänge zu gewinnen, kommt „Zoomania“ am Schluss einer demokratischen Utopie so nah, wie man es sich aktuell nur wünschen kann. In der Stadt der Tiere ist nichts in Ordnung. Korruption und Lobbyismus beuteln Land und Bevölkerung. Aber eine kleine Polizistin verdreht allen den Kopf und demonstriert, wie man sich gegen Intoleranz und Ignoranz wehren kann. Mit Zähigkeit und Mut und einem dicken Hasenfell. Sie braucht keinen Traumprinzen dazu, kein rosa Kleid, keinen passenden Schuh. Das wirkt cool. Nicht nur auf die Jungs. Für die Mädchen ist es ein Fest. Über große Kulleraugen und gelegentliche Schwächen kann man getrost hinwegsehen. Trotzdem feiert der Film Solidarität, weil es gemeinsam mit einem Freund einfach besser geht. Kinder sollten das im Kino erleben und Erwachsene ebenso. All Age, ganz ohne marktstrategische, bittere Ironie.

Girlpower. Bunnylove. Am Ende wird Officer Hopps mit ihrem Partner in einem Monstertruck auf Verbrecherjagd gehen. Wer sitzt am Steuer? Sie. Gegen Vorurteile, verkrustete Strukturen, Stereotypen und Rassismus anzugehen, ist mühsam, quälend, nicht leicht — war es noch nie —, aber es ist machbar. Zumindest in „Zoomania“.

Katja Bohnet

Zoomania, Disney Productions, USA 2016, Regie: Byron Howard, Drehbuch: Jared Bush.
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