Geschrieben am 14. April 2018 von für Crimemag, CrimeMag April 2018, Film/Fernsehen

Film: Vor uns das Meer

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„Gib den Affen Zucker!“                                  

Der  Einhand-Weltumsegler  Francis Chichester wurde 1967 zur berühmten  britischen Heldenfigur, als er in neun Monaten von Plymouth aus mit nur einem Zwischenstop in Sydney  in seiner Gypsy Moth IV die Welt umsegelt hatte. Der Hobby-Segler Donald Crowhurst wollte diesen Titanen noch mit einem Nonstop-Törn übertrumpfen: Sein Trimaran sollte schneller als die Gypsy Moth  sein und die  Regatta mit neun Einhand-Teilnehmern wollte er um jeden Preis gewinnen.  Ob er nach seinem Start im Oktober 1958  dann im Sommer  1959  beim Sunday Times-Rennen um die Welt verunglückte oder  sich das Leben nahm, ist bis heute ungeklärt- seine Leiche wurde nie gefunden.  Der Film „Vor uns das Meer“ möchte –mit Colin Firth  und Rachel Weisz  in den Hauptrollen- ein sensibles Psychogramm dieses  ehrgeizigen  Außenseiters liefern und  rund 50 Jahre nach Crowhursts tragischem Törn  wohl  Denkmalpflege für heroische  Seemänner wie Chichester , aber auch für den egozentrischen „Mystery Sailor“ Crowhurst    betreiben. – Von Peter Münder.

vor-uns-das-meer-2018-filmplakat-rcm590x842uAuf der Messe für Segler-Zubehör und Maritim-Technik konnte der hochbegabte Ingenieur und Erfinder  Donald  Crowhurst  (Colin Firth) kaum eins seiner selbst konstruierten Navicator Funkpeilgeräte verkaufen. Als er dann den begeisterten Hype des Publikums erlebt, das dem  See-Helden und Abenteurer Francis Chichester andächtig lauscht und dessen  Enthusiasmus für die  Sunday Times Nonstop-Extrem-Regatta um die Welt so entzückt registriert, als habe der Messias selbst  gesprochen,  beschließt der grimmig entschlossene Möchtegern-Seeheld,   diesen ultimativen Härtetest für Einhandsegler mitzumachen.  Auch deswegen, weil  er mit der  Siegesprämie von fünftausend Pfund (heute ca. 85 .000 Euro) sich, seine Familie  mit vier Kindern und seine marode Firma Electron Utilisation erstmal saniert hätte.

„Ist er verrückt oder betrunken?“ fragt man ihn prompt  in der gemütlichen Pub-Runde, als er  seinen Entschluß zur wahnwitzigen Regatta- Teilnahme bekannt gibt.  Und seine  völlig überraschte  Ehefrau Clare (wunderbar: Rachel Weisz) gibt  zu bedenken „ Du hast dafür doch weder Geld noch ein Boot“- was Crowhurst als Lappalie  einfach wegwischt und erklärt: „Das baue ich mir“. Es soll ein Trimaran sein, verrät Crowhurst , mit Sponsorengeldern wird er den Bau finanzieren, die  neue Sicherheitstechnik mit Kenterschlauch und anderen Finessen wird er selbst konstruieren.  Gewinnen werde er sowieso, weil er vorher nie erreichte  Tagesetappen von über 200 Meilen absolvieren würde.  Keine Frage: Wer wie der Hobbysegler Crowhurst bisher kaum aus dem Badeort Teignmouth herausgesegelt war und so großspurig daher redete, muß entweder den Realitätsbezug verloren haben oder sein eigenes  Wunschdenken mit Pragmatismus verwechseln. Andererseits:  Wenn Träume nicht verwirklicht werden, wer besteigt dann den Mount Everest, wer läuft die Meile unter vier Minuten, wer erreicht als Erster die Antarktis ? Als „Everest der Meere“ hatte Chichester die Einhandrennen um die Welt bezeichnet, diesen Everest will Crowhurst auf Teufel komm raus nun auch erklimmen/ ersegeln , obwohl ihm dafür Erfahrung, Finanzmittel und vor allem ein seetüchtiges Boot fehlen.

Diese  Widersprüche neutralisiert Colin Firth mit seiner Aura eines distinguierten Gutsherrn, der  gerade ein neues Hobby gefunden hat.  „Das Leben will gelebt werden“, doziert er,  stellt aber  auch gleich die  Frage, wie man ihm Bedeutung verleihen könnte. Für  sein maritimes Abenteuer nimmt er es jedenfalls  in Kauf, seine Frau mit den vier Kindern monatelang  allein zu lassen.

Regisseur  James Marsh („The Theory of Everything“) faszinierte der Ausbruch des  normal wirkenden Exzentrikers aus dem  Familien-Alltag sowie dessen Sehnsucht, selbst zum heroischen Mythos zu werden. Das hatte  auch schon Nic Roeg in den 70er Jahren  an dieser Figur interessiert; der US-Dichter Donald Finkel ließ sich zu einer Crowhurst-Elegie inspirieren, Chris van Strander  zu einem Bühnen- Drama, außerdem entstand die Oper Ravenshead, eine TV- Dokumentation „Deep Water“ (2006) und im letzten Jahr der Film „Crowhurst“ von Simon Rumley.  Die grandiose Biographie  der  beiden Investigativ-Journalisten Ron Hall und Nicholas Tomalin- maßgebend, scharfsinnig-analytisch, das Standardwerk zum Crowhurst-Enigma- wurde zuerst 1970 veröffentlicht („The Strange Last Voyage of Donald Crowhurst“), die deutsche Ausgabe 2016 („ Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst“, Malik Verlag, vgl. Rez. CULTMAG, 6. März 2017).

vor uns 410_03_-_Clare_Rachel_Weisz__SBritannia Rules the Waves

Die  britische Bewunderung ihrer Seefahrer und  Abenteurer  grenzt ja mitunter an eine „Ancient Mariner“ –Verklärung in bester Coleridge-Tradition. Inzwischen verstärkt der geballte Medien-Hype noch diese Rückbesinnung  auf den  britischen National-Mythos- welcher  Engländer kann schon vergessen, dass die Queen  Francis  Chichester 1967 mit  demselben   Schwert zum Ritter schlug, mit dem Francis Drake 1580 von Elizabeth I.  geadelt wurde?  Der auf Chichester und sein Helden-Image  fixierte Crowhurst schon gar nicht: Er vertrödelte wertvolle Zeit mit seinen Anfragen zur Ausleihe des Rekordbootes „Gypsy Moth“, er sah sich als Chichesters Nachfolger, hatte alle seine Bücher gelesen, von denen er „Held der sieben Meere“ als Bordlektüre (neben Einsteins Thesen zur Relativitätstheorie)   für seinen Törn um die Welt ausgesucht hatte.  Aber die Fähigkeit, sich wie Chichester auf  nur eine  entscheidende Aktion, ein wichtiges Problem intensiv zu konzentrieren, fehlte Crowhurst völlig: Der Medien-Hype über ihn selbst faszinierte ihn dermaßen, dass er sich um den Bau seines Trimarans und den richtigen Einbau lebenswichtiger Technik viel zu selten kümmerte, keinen Sinn für das richtige Timing entwickelte und nicht einmal eine Probefahrt mit seiner  schwimmenden  Baustelle „Teignmouth Electron“ absolvierte.. Stattdessen wieselte er überall herum, gab ausführliche Interviews  und wollte Batterie-Hersteller und Keksproduzenten noch kurz vor seiner Abfahrt als Sponsoren werben. 

Marsh hat sich auf Crowhurst als  Psychodrama eines Zerrissenen („Weitermachen oder aufgeben, Logbücher  und Funkmeldungen über Standorte und  Strecken fälschen oder das Versagen eingestehen ?“) kapriziert, er hat aber auch die Medien-Schiene und  Crowhursts PR-Berater Rodney Hallworth (David Thewlis macht das fabelhaft)  samt dessen „Gebt den Affen Zucker“- Sensationslust voll im Blick, die für Crowhurst  und seine Imagepflege mindestens so wichtig war wie der Törn um die Welt. Regisseur Marsh lässt Colin Firth  sein Innenleben, die Idee für  seine gefälschten Angaben zum  Standort und den absolvierten Strecken  monologisierend über Logbüchern oder bei der Reparatur diverser Risse, Leckagen oder gelockerter Schrauben vor uns entfalten. So gewinnt diese  aus  Chaos, Geltungssucht und Schuldgefühlen entstandene Tragödie dann eine schicksalhafte Dimension des quasi Unvermeidlichen, was noch verstärkt wird durch das Gefasel  über Einsteins vierte Dimension, mit der das Abdriften ins Irrationale  und Schizophrene alles andere überlagert.

Eine kurze Szene zeigt Crowhurst auf dem Trimaran, wie er versucht, zwischen seinem Gerümpel Ordnung zu schaffen, Werkzeug zu finden und nebenher noch  seine Phantasien über den Weltraum und Christus im Logbuch festzuhalten- und dann sieht man ihn plötzlich in einer Art Tarnanzug   aus Gras  im Wasser: So ähnlich könnte  sich sein Exitus abgespielt haben- mit einem Sprung ins Wasser, um der Schmach englischer Kontrolleure zu entgehen, die ihn nach seiner Rückkehr als  Logbuch-Fälscher und Betrüger entlarvt hätten. „Ich habe nicht nötig, das Spiel zu verlängern“, schreibt  er schließlich ins Logbuch..

vor uns 410_05_-_Clare_Rachel_Weisz__SAls Clare dann  vor Journalisten ihre Version dieses tragischen Abenteuers  liefern soll, wird daraus eine wütende Medienschelte: Haben die nach Sensationen jagenden Medien ihren Mann nicht ins Unglück getrieben? Dann lässt sie einige Gespräche mit Donald Crowhurst, auch dessen Zweifel am gesamten Weltumseglungsprojekt  nochmal Revue passieren und konstatiert: „Ich habe seine Fragen, ob ich alleine mit der Familie klarkomme, falsch verstanden- ich dachte, er wollte ermuntert werden, dabei hatte er wohl gehofft,  dass ich ihm von dem ganzen Vorhaben abraten würde“. 

 Colin Firth als sympathischer  Familienvater ist zwar überzeugend, doch  der Film blendet  Crowhursts Vorgeschichte aus und unterschlägt damit seine unerfreulichen, unberechenbaren Charaktereigenschaften. Seine labilen Phasen und  spätpubertären Exzesse bei der Army oder Air Force  führten jeweils zu seiner Entlassung; seine Geltungssucht war grenzenlos, er fühlte sich zu Höherem berufen und  wollte überall  im Mittelpunkt stehen. Mit dem Motorrad nachts durch den Schlafsaal zu donnern, während die Kameraden schliefen oder angetrunken mit einem geklauten Auto durch die Stadt  brausen – mit solchen „pranks“  wollte er sich profilieren.  Aber  diese Unberechenbarkeit  gehörte genauso zu ihm wie seine technische Begabung  und seine Intelligenz.  Sein Wunschdenken interpretierte er meistens als Realität: All die vor  der Regatta von ihm angefertigten langen Listen mit den Streckenabschnitten und absolvierten Meilen, die ihn immer als Sieger  vermeldeten- das waren für ihn einfache Tatsachen, die Sponsoren und Medien überzeugen sollten.  Die Angst vor seinem Hauptsponsor  Stanley Best (starker Auftritt: Ken Stott)  und dessen  Bestehen auf einer Rückerstattungsklausel  hatte sich am Ende erübrigt, als der knallharte Wohnwagen-Verkäufer  im Falle einer vorzeitigen Aufgabe nicht mehr auf einer Rückzahlung des  finanzierten Trimarans  insistiert hatte- das hätte Crowhurst völlig ruiniert. 

vor uns 410_01_-_Donald_Colin_FirthEs war wohl vor allem die Unfähigkeit, aus einer selbst gewählten Champion-Rolle  auszusteigen und das Image des todsicheren Siegers über Bord zu werfen, die  ihm zum Verhängnis wurde. Dieser Helden- Mythos, das Erbe Chichesters, hat ihn  offenbar völlig verhext.  Über ein „was wäre gewesen wenn“… kann man lange spekulieren. Wenn Crowhurst  am Ende noch rationale Entscheidungen fällen konnte, dann wäre eine vorzeitige Aufgabe für ihn nur dann in Frage gekommen, wenn niemand seine gefälschten Logbücher geprüft hätte- und diese Möglichkeit bestand nicht.  Die „Gnade“ oder das „Erbarmen“, wie das der Film mit dem Titel „The Mercy“ suggeriert,  scheint auch für Crowhurst  in seiner Halluzinationsphase  nur noch der Suizid gewesen zu sein.

 Einsamkeit und  Underdog-Heldentum, Größenwahn und Medienrummel  in einer  Epoche ohne  Facebook, Twitter, Smartphones  und Instagram- all das wird überzeugend  von einem hochkarätigen Schauspieler-Team  vorgeführt.  Doch am Ende sehen wir  dann doch betroffen den Vorhang zu und etliche Fragen über den „wahren“ Crowhurst weiterhin offen.  

Vor uns das Meer (The Mercy), GB/ Deutschland 2018, 102 Min., Regie: James Marsh; mit Colin Firth, Rachel Weisz, David Thewlis, Mark Gatiss. Filmverleih: Studiocanal.

 

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