Geschrieben am 1. Mai 2020 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2020

Film (VOD) „The Invisible Man“

Die Flucht gelingt, die Angst bleibt

Eine Filmempfehlung von Dominique Ott

Mitten in der Nacht öffnet Cecilia (Elisabeth Moss) die Augen und befreit sich behutsam aus der Umarmung ihres schlafenden Freunds Adrian (Oliver Jackson-Cohen). Sie hat ihm Schlaftabletten verabreicht, um einen minutiös geplanten Fluchtversuch in die Tat umzusetzen. Wir begleiten sie, wie sie aus dem Bett schleicht, eine Sporttasche aus einem Versteck kramt, das heimische Sicherheitssystem deaktiviert und sich anzieht. Es folgt ein langsamer Kameraschwenk weg von Cecilia, hin zu einem langen, leeren Flur. Die pulsierende Musik greift das unerbittliche Wellenrauschen des naheliegenden Ozeans auf und signalisiert Gefahr. Doch es gibt nichts zu sehen. Was nicht bedeuten soll, dass da nichts ist. Die Flucht gelingt, die Angst bleibt.

Selten hält man schon bei der Anfangsszene eines Films derart die Luft an. Und auch danach gibt es in The Invisible Man kaum eine Verschnaufpause: Wenig später erfährt Cecilia vom Selbstmord ihres nun Ex-Freunds Adrian. Trotzdem fühlt sie sich ständig beobachtet, während unerklärliche Ereignisse sich dem normalen Verlauf ihres Lebens in die Quere stellen. Doch ihre Vermutung, dass Adrian sie weiter verfolgt, lässt Cecilias Umfeld zunehmend an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln.

Kaum im Kino, schon auf Video-On-Demand

Erst einen Monat nachdem der Film unter dem Titel Der Unsichtbare in den deutschen Kinos startete, war er bereits als Video-On-Demand verfügbar. Damit gehört er neben Emma zu den ersten Filmen, die Universal angesichts der Kinoschließung in der Corona-Pandemie frühzeitig zur Heimsichtung online stellte—für satte 18 Euro. Inzwischen macht der Medienkonzern trotz Protest der Kinobesitzer und ohne Rücksicht auf das immer wieder heraufbeschworene Verwertungsfenster sogar Filme, die noch gar keinen Kinolauf hatten, zum ursprünglich geplanten Kinostart online erhältlich. Die anderen großen Studios ziehen bereits nach.

Elisabeth Moss

Der Unsichtbare versteht sich als Neuauflage der James Whales Version von 1933. Letztere zählt zu Universals „Classic Monsters“, dem allerersten Filmuniversum, in dem sich von den 1930er bis in die 1950er Jahre der Unsichtbare neben Gestalten wie Frankensteins Monster, Graf Dracula und Wolf-Man tummelte. Nach wiederholten Versuchen seitens Universal (zuletzt 2017 mit Die Mumie), die alten Monster wiederzubeleben und in einer Franchise zu bündeln, bricht der neue Unsichtbare mit jenem gescheiterten Unterfangen, den aktuellen Erfolg filmischer Universen zu reproduzieren. Kein big-budget Blockbuster also, sondern ein abgerundeter Horrorfilm, der sich nicht wie seine Vorlage einem verrückten Wissenschaftler widmet, der Unsichtbarkeit erlangt, sondern jener Frau, die versucht ihm zu entkommen.

Auf die kleinen Dinge kommt es an

Ein geistreicher Einfall von Autor-Regisseur Leigh Whannell, an dessen Seite sich Produzent Jason Blum stellt, der sich mit seiner Produktionsfirma Blumhouse dem Horrorgenre verschrieben hat. Whannell, bekannt als Drehbuchautor der Saw– und Insidious-Filmreihen, ist ebenfalls ein Horrorveteran und versteht, dass es die kleinen Dinge sind, die das größte Unbehagen auslösen: Ein Atemschweif in der kalten Nacht, ein verschwundener Gegenstand, der an anderer Stelle wiederauftaucht, ein leerer Sessel bei verdächtiger Stille.

Ungewohnt oft wird Stille zusammen mit einer präzisen Cadrage effektiv eingesetzt, um einen Kontrapunkt zum bebenden Soundtrack und den anhaltenden Kamerafahrten in bewegteren Sequenzen zu bilden. Da ihr Widersacher lange durch Abwesenheit glänzt, ruht dabei alles auf Elisabeth Moss‘ Darbietung: Das Ringen mit unsichtbaren Kräften vermittelt sie mit der notwendigen Intensität, doch erst ihr sichtbarer Abstieg in Paranoia und Verzweiflung verleiht der Figur tiefe. Zuletzt war Moss auf der Berlinale in dem vergleichbar klugen Horrorfilm Shirley zu sehen. Und wie jede gute Horrorgeschichte, erzählt auch Der Unsichtbare von Ängsten unserer Zeit.

Als übergreifendes Motiv fungiert die anhaltende Angst, die jemanden auch nach dem Ende einer Missbrauchssituation heimsuchen kann und die jede Form von Alltag zur Herausforderung macht. Zeitgemäß zeigt sich Der Unsichtbare in seinem Einsatz allgegenwärtiger Überwachungsapparate, Smartphones und Laptops, die diese Paranoia potenzieren. Die Medien der Überwachungsgesellschaft werden zu Instrumenten in den Händen eines Stalkers, der sie gezielt einsetzt, um jene Frau zu manipulieren, die sich seiner Kontrolle widersetzt. Die Regeln des Genres diktieren, dass eine Konfrontation nicht ausreicht, um die Ursache der Angst, das Monster zu überwinden. Seine Waffen müssen gegen es gewendet werden.

 „Der Unsichtbare“ auf Amazon Prime Video, Sky, YouTube Movies und Google Play

Redaktionelle Anmerkung: Alf Mayer kann die Empfehlung von Dominique Ott für diesen Film nur unterstützen. Er hatte das Glück, ihn noch vor dem Corona-Lockdown im neuseeländischen Wellington in dem von Peter Jackson und Freunden restaurierten, wahnwitzigen Art-deco-Filmpalast „Embassy“ zu sehen, unter besten technischen Bedingungen. Alleine schon Tonspur und Licht dieses Films sind ein Erlebnis, das mindert sich naturgemäß im häuslichen Abspielformat.

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