Geschrieben am 15. August 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Twin Peaks

twin2Rückkehr nach Twin Peaks – Bewegungen, Rätsel und Erklärungsversuche

von Sonja Hartl

Weiterhin mehr Fragen als Antworten gibt es bei der dritten Staffel von „Twin Peaks“, aber immerhin haben sich mittlerweile einige Handlungsstränge verbunden – und alle scheinen sich in Richtung des Ortes Twin Peaks zu bewegen. Kurz zusammengefasst (Stand: Folge 13) sieht es folgendermaßen aus: FBI Deputy Director Gordon Cole (David Lynch) und FBI Agent Albert Rosenfield (Miguel Ferrer) sind überzeugt, dass mit dem mittlerweile geflohenen bösen Cooper, Mr. C (Kyle MacLachlan), etwas nicht stimmt und haben die FBI Agentin Tammy Preston (Chrysta Bell) zu dem Projekt Blue Rose geholt. Blue Rose ist eine Task Force vom Militär und FBI, die sich in Nachfolge von Project Blue Book mit paranormalen Ereignissen beschäftigt. Es ist sie geheim, dass keiner weiß, dass es existiert – und bringt die beteiligten Agenten (u.a. Cooper) in Lebensgefahr. Außerdem haben sie auch Diane (Laura Dern) aufgestöbert – eine hinreißende Figur, die von Laura Dern sensationell gespielt wird und mit einer Reihe Fuck you’s einen grandiosen Start bekommen hat:

Allerdings scheint Coopers Vertraute eine eigene Agenda zu verfolgen. Es deutet einiges darauf hin, dass sie mit Mr. C unter einer Decke steckt, allerdings könnte ich mich durchaus auch vorstellen, dass hinter dem Absender der Textnachrichten jemand oder etwas anderes steckt. Außerdem haben die FBI-Agenten erfahren, dass der in South Dakota inhaftierte Schuldirektor William Hastings (Matthew Lillard) Major Briggs gesehen hat, der seit Jahrzehnten als verschwunden gilt und dessen halber Körper gefunden wurde. Alleine hier zeigt sich, wie viel Spaß David Lynch und Mark Frost bei dem Schreiben der Drehbücher gehabt haben müssen, denn mit dem Schuldirektor gibt es nun nicht mehr unzählige Referenzen innerhalb der Serie, den Filmen und den Büchern zu „Twin Peaks“, sondern eine Webseite The Search for the Zone, auf der dessen Ergebnisse und Untersuchungen zu sehen sind. Durch den Schuldirektor sind Gordon und Al jedenfalls einem Aufenthaltsraum der Woodsmen – dunkle, bärtige Gestalten, die mit der Black Lodge verbunden sind – sehr nah gekommen und sie haben Koordinaten gefunden, die auf Twin Peaks verweisen.

Die Coopers

Diese Koordinaten hat auch Mr. C bekommen, nachdem er Ray (George Griffith) gestellt hat, der in Folge 8 versucht hat, ihn zu töten und nun gesteht, dass er von Philip Jeffries (in „Fire Walk With Me“ von David Bowie gespielt) beauftragt wurde. Außerdem zeigt er Mr. C den grünen Ring mit dem Symbol der Owl Cave (nach den Missing Pieces hat Annie Blackburn den Ring getragen, als sie der Black Lodge entkommen ist, er wurde ihr dann aber von einer Krankenschwester abgenommen), den er ihm aufsetzen sollte. Was er dummerweise nicht gemacht hätte. Der gute Cooper steckt indessen immer noch als Dougie in Las Vegas – und fungiert gewissermaßen als Katalysator des Guten. Immer wieder bringt er das Gute an Menschen hervor, obwohl er eigentlich in einem fast katatonischen Zustand ist.

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In Twin Peaks

Bei den Geschehnissen in Twin Peaks drängt sich immer mehr die Frage auf, ob sie zur gleichen Zeit wie die anderen Geschichten stattfinden und ob sie chronologisch erzählt werden. Es gibt ja nicht nur David Lynchs Hinweis, man müsste die Folgen nicht in einer bestimmten Reihenfolge sehen, sondern auch innerhalb der Serie wird immer wieder gesagt: Is it future or is it past? Und beispielsweise bei dem Handlungsstrang um Becky (Amanda Seyfried) und ihren Verlobten würde eine andere Reihenfolge durchaus Sinn ergeben.

Abgesehen davon gibt es in Twin Peaks weiterhin Wiedersehen mit altbekannten Figuren – und nun auch endlich mit (meiner Lieblingsfigur) Audrey Horne. Bis zu Folge 12 war nur bekannt, dass sie nach einer Explosion (nachzulesen auch in Mark Frosts Buch „Die geheime Geschichte von Twin Peaks“) ins Koma gefallen ist. Dann stand sie auf einmal in einem Raum mit einem Mann namens Charlie (Clark Middleton), an den sie gebunden, ja, mit dem sie womöglich verheiratet ist. Dieser erste Auftritt ist desillusionierend, denn anscheinend ist kaum einer Figur aus Twin Peaks ein glückliches Leben beschieden. Big Ed (!) und Norma himmeln sich immer noch an, haben aber augenscheinlich keine gemeinsame Zukunft. Shelly und Bobby waren oder sind verheiratet, ihre Tochter Becky ist mit drogensüchtigen, gewalttätigen Mann verheiratet ist, der sie mit Donna Haywards Schwester betrügt und Shelly hat abermals mit einem bad boy, Red (Balthazar Getty), angebandelt. Einzig Nadine, die in den ersten beiden Staffeln nicht gut weggekommen ist, scheint etwas aus ihrem Leben gemacht zu haben. Aber zurück zu Audrey: Sie führt nun mit ihrem Mann von Aggressionen und Frustrationen geprägte Gespräche und sucht nach einem Billy (ein Billy wurde auch schon von einer Figur in der Folge 7 gesucht, aber es ist fraglich, ob es derselbe Billy ist), verlässt aber den Raum nicht. In Folge 13 ist Audrey dann abermals zu sehen – und nun wage ich mal an eine Vermutung, die womöglich schon bald widerlegt ist: Ich glaube, sie ist eigentlich immer noch im Koma und diese Räume, in denen sie zu sehen ist, sind gewissermaßen die Manifestationen ihres Zustandes.

Rätsel und Spekulationen

An Beispiel der Familie Horne lässt sich nun wunderbar zeigen, wie viel Raum David Lynch und Mark Frost für Vermutungen lassen – und wie viele Theorien im Internet kreisen. (Denn natürlich bin ich nicht die einzige, die vermutet, Audrey sei noch im Koma. Aber vielleicht wäre die Realität hier auch eine zu traurige Alternative). Mittlerweile ist bekannt, dass der neue psychopathische Schrecken von Twin Peaks Richard Horne (Eamon Farren), der Enkel von Benjamin Horne ist – und niemals einen Vater in seinem Leben hatte. Über seinen biologischen Erzeuger aber gibt es zwei Theorien: Am beliebtesten scheint die Variante zu sein, nach der Mr. C Audrey vergewaltigt hat, als sie im Koma war und Richard sein Sohn sind. Wäre Audrey also Richards Mutter und noch im Koma, würde dies erklären, warum Sheriff Truman Benjamin Horne darüber informiert, dass sein Enkel derjenige ist, der das Kind überfahren hat. Hinzu kommt ein hinreißendes Puzzleteil: In Folge 13 gibt es zudem einen Auftritt von James Hurley (James Marshall), in dem er die Schnulze „Just You“ singt, die er schon in der zweiten Staffel sang, damals flankiert von Donna und Madeline, nun wird er von zwei schlechten Donna- und Madeline-Doubles begleitet. Und die Folge, in der er das Lied zum ersten Mal sang, trägt den Titel „Coma“.

Aber natürlich geht es bei „Twin Peaks“ nicht nur um die vielen kleinen Rätsel und Verweise, weiterhin werden unsere Sehgewohnten frontal angegriffen. In der achten Folge gibt es eine halbstündige expressionistisch-psychedelische Montage ohne Dialog, nur mit Musik („Threnody for the Victims of Hiroshima“), die zeigt – ja, was eigentlich genau? Nach meiner Deutung: Wie BOB, die sichtbarste Manifestation des Bösen, und die Woodsmen auf die Erde gekommen sind. Elektrizität ist die Methode, mit denen sich die Bewohner der Black Lodge zwischen den Welten bewegen, daher ist es innerhalb dieser Deutung von berückend-zwingender Konsequenz, dass diese Eruption durch Atombombentests in New Mexico 1945 ausgelöst wurde. In dieser Sequenz spielt auch ein Convienence Store eine wichtige Rolle: Dorthin gehen die woodsmen und schon Cooper erfuhr in der ersten Staffel, dass Mike und BOB „above a convenience store“ lebten. Aber nicht nur BOB ist infolge dieser Eruption zu sehen, sondern auch das berühmte Foto von Laura Palmer. Es wird von einem nicht genauer zu bestimmenden Ort auf die Erde geschickt, so dass augenscheinlich ihr Schicksal vorherbestimmt war und noch mehr dahintersteckt. Passend dazu fügt die Log Lady in einem Gespräch mit Hawk an: „Laura Palmer is the One“.
Zu diesen surrealen Momenten kommen Albernheiten – allein die gesamte Las-Vegas-Episode steckt voller Absurditäten – und herzzerreißend-kitschige Momente. Natürlich wird Dougie/Cooper das Leben von einem Kirschkuchen gerettet – und als er dann in einem Restaurant sitzt, erklingt auf einmal eine neue Melodie von Angelo Badalementi, die nicht nur den Titel Heartbreaking trägt, sondern es tatsächlich auch ist: 

Und hier muss auch das Schauspiel von Kyle MacLachlan hervorgehoben werden. Nach „Twin Peaks“ ist er in den vergangenen Jahren ja oft als dubioser, gutaussehender Typ besetzt worden („Desperate Housewives“, „Agents of S.H.I.E.L.D.), aber in „Twin Peaks“ ist er herausragend. In diesem Moment, in dem er auf den Klavierspieler blickt, meint man in seinen Augen so etwas wie ein Erkennen des eigenen Zustands zu erkennen. Daneben gibt es eingestreute Szenen, in denen Killer ihr Wissen über Bundesstaaten testen, und sozialkritische Momente über die schlechte Versorgung von Alten und Kranken. Ohnehin gibt es in dieser Serie viele bemerkenswerte Kleinigkeiten, die beim ersten, zweiten und dritten Sehen kaum zu bemerken sind: Bisweilen drehen sich Türklinken rückwärts oder Gordon spricht auf einmal sehr kurz rückwärts (das verweist auf den Red Room). Als Diane erfährt, dass nun die „Blue Rose“-Ermittlungen wieder aufgenommen werden, ruft sie „Let’s rock!“. Und das sind die ersten Worte, die wir vom „Man from Another Place“ (Michael J. Anderson) gehört haben.

Es gibt derzeit viele Spekulationen darüber, ob es nach dieser Staffel von „Twin Peaks“ eine weitere geben wird und offenbar ist Showtime eher nicht gewillt, da die Serie erst einmal ihren Zweck – mehr Abonnenten – erfüllt habe. Aber bevor über eine Fortsetzung geredet werden sollte, hoffe ich erst einmal dass es für diese dritte Staffel einen wundervollen rätselhaften Abschluss geben wird. Mit einigen Erklärungen – und vielen neuen Fragen.

Sonja Hartl

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