Im Schatten seines Vorgängers
Von Dominique Ott
Als Sicario 2015 in die Kinos kam, machte der Film nicht nur durch die Begeisterung vieler Kritiker einerseits und einige sehr vehemente Gegenstimmen andererseits auf sich aufmerksam, sondern wurde zum entscheidenden Pfeiler für den Aufstieg des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve (Arrival, Blade Runner 2049). Als einer der aktuell angesagtesten Filmemacher Hollywoods war letzterer inzwischen in zu vielen hochkarätigeren Projekten verstrickt, um an der Fortsetzung Sicario: Day of the Soldado (auf Deutsch treffenderweise einfach Sicario 2) teilzuhaben. Dafür durfte der Italiener Stefano Sollima (qualifiziert durch Gomorrha – Die Serie und Romanzo Criminale oder die De Cataldo/ Bonini-Verfilmungen Suburra und Carlo Bonini A.C.A.B.) sich nun an der Fortschreibung des Konflikts zwischen den USA und dem Mexikanischen organisierten Verbrechen versuchen.
Zwar sollte ein Film für sich alleine stehen können, doch erscheinen hier die Parallelen zum ersten Teil zu zahlreich, um außeracht gelassen zu werden; ein Vergleich drängt sich förmlich auf. Bei identischer Laufzeit folgt der Handlungsablauf von Sicario 2 quasi Schritt für Schritt dem Schema seines Vorgängers: Beide Filme beginnen mit einem schwer erträglichen Gewaltakt auf US-Boden und thematisieren die ebenso gewaltsame wie geheime Reaktion der USA, für die der unerschütterliche Matt Graver (Josh Brolin, dieses Jahr im US-Kino allgegenwärtig) und der kaltblütige Alejandro (Benicio Del Toro) beauftragt werden. Beide Filme springen zwischen der Mexikanischen und der US-Seite der Grenze umher und schneiden immer wieder zu einem Jungen zurück, der an der Grenze lebt und zunächst nichts mit dem restlichen Verlauf der Handlung zu tun hat; schließlich enden beide mit einer bedrückenden Gesprächssituation unter vier Augen. Doch die Unterschiede zwischen beiden Filmen sind viel entscheidender dafür, weshalb es Sicario 2 nicht gelingt in die Fußstapfen seines Originals zu treten.
„No Rules This Time“
Das Streben, den bereits schwer zu verdauenden ersten Teil in jeder Hinsicht zu überbieten, wird mit diesem Spruch schon auf dem Plakat angekündigt. So werden bevor auch nur eine Dialogzeile ausgetauscht wurde nicht einer sondern zwei Selbstmord-Bombenschläge unmittelbar nacheinander inszeniert. In einem Film, in dem es eigentlich um den Krieg zwischen dem US-Verteidigungsapparat und den Mexikanischen Drogenkartellen geht, wird so auf durchaus bedenkliche Weise die gegenwärtige Islamophobie kapitalisiert. Die Kartelle seien am Schmuggel von Terroristen in die USA beteiligt und dadurch nun selbst als terroristische Organisationen eingestuft worden. Entsprechend vergrößert sich der Handlungsraum von US-Behörden, um gegen das organisierte Verbrechen aus Mexiko vorzugehen. Matt Graver wird angeheuert und nimmt sich zum Ziel, zwischen verschiedenen Kartell-Banden einen Krieg loszutreten. An Stelle von Erläuterungen zu einem taktisch sinnvollen Vorgehen folgt in einem fast durchgehenden Rhythmus eine Mordszene auf die nächste, nicht zuletzt durch ihre ständige Wiederholung dank diverser Überwachungsmedien. Dabei gelingt es dem Film, einprägsam und bedrückend die Allmacht jener Überwachungssysteme zu vermitteln, die dank Satelliten- und Dronentechnologie jederzeit alles und jeden beobachten: Big Brother/Uncle Sam is watching you. Im Zweifelsfall kann er jedoch auch auf Kommando zuschlagen, für die eigenen Truppen hingegen mal ein Auge (oder beide) zudrücken.
Gewalt über Spannung
Wenn der französische Regisseur und Filmkritiker Jacques Rivette 1961 schon einen Kameraschwenk, der nach dem Freitod einer Figur nochmals ihre Leiche aufsucht, als ‚abjecte‘, niederträchtig oder verächtlich bezeichnete, was lässt sich dann noch über Villeneuves Insistenz und regelrechtes Ausstellen von totem Gewebe sagen, oder nun von Sollimas Bestehen darauf, in einer schrecklich langsamen Kamerafahrt eine flehende Mutter und Kind in einem Bild mit dem Selbstmordattentäter zu vereinen, der sie schließlich alle drei in die Luft sprengt? Das Schockpotenzial ist groß in diesem Film, wo ein gnadenloses Gemetzel das nächste jagt. Wenn er sich und dem Publikum ausnahmsweise eine Verschnaufpause gewehrt—namentlich für einen berührenden Austausch in Gebärdensprache—, wird plötzlich erstaunlich offensichtlich, dass man einer visuellen Sprache (wie Film) Zeit und Ruhe geben muss, damit sie sich entfalten kann. Während Sollima mit dieser einen herausragenden Szene beweist, dass er durchaus das Potenzial dazu hätte, versteht Villeneuve es wie kaum ein anderer heute, sich diese Zeit zu nehmen. Seine Fähigkeit eine Szene ebenso wie einen ganzen Film bedächtig aufzubauen, ermöglichte ihm im ersten Sicario einen Spannungsbogen bis an die Grenze des Unerträglichen zu ziehen. Dieser mündet schlussendlich in einer einzigartigen Ästhetisierung von zeitgenössischem Krieg (anhand von Wärme- und Nachtkamerabildern) und einem ebenso schockierenden wie ernüchternden Erkenntnis—dass die USA im grausamen und gnadenlosem Machtgefüge der Drogenkriege lediglich der bestbewaffnete Mitspieler sind. Trotz gleichem Drehbuchautor Taylor Sheridan und eines konstanten, langsamen (und irgendwann nerventötenden) Trommelpochens zum Aufbau der Spannung, gelingt genau das in Sollimas Fortsetzung nicht. Der frühe und anhaltende Gewaltexzess führt auf Dauer zu einer Abstumpfung seitens des Publikums und einem Ende, das nicht nur auf sich warten lässt, sondern vor allem durch seine Unentschlossenheit heraussticht.
Was fehlt
Besonders auffällig ist hier das Ausbleiben jeglicher kritischen Instanz, die das drastische (und bei genauer Betrachtung oftmals auch nicht nachvollziehbare) Vorgehen von Graver und Alejandro hinterfragen würde. Diese Rolle kam im ersten Teil der Protagonistin und unerschöpflichen FBI-Agentin Kate Macer (powerhouse Emily Blunt) zu; ein moralischer Kompass, auf den Sollima bewusst verzichtet. Stattdessen steht der kryptische Alejandro im Zentrum, der mit Isabel Reyes (der entführten Tochter eines Kartellanführers, gespielt von Isabela Moner) diesmal eine jüngere Ersatztochter an die Seite gestellt bekommt. Nachdem das anfangs noch kämpferische Mädchen jedoch zum x-ten mal mit dem Blut eines vor ihren Augen durchschossenen Kopfes bespritzt wird, bleibt sie ebenso fassungslos betäubt wie der eine oder andere Zuschauer. Sie und Alejandro erfahren kaum eine Charakterisierung, geschweige denn eine Entwicklung. Selbst ihr Verhältnis zueinander bleibt letztlich zu oberflächlich, um zu begründen, weshalb er an einem entscheidenden Punkt eine Grenze zieht, die er im vorherigen Eintrag längst überschritten hatte. Anstatt die Charaktere von Alejandro und Gravers zu vertiefen, bleiben die beiden Männer unentwegt coole Fassaden, die jeweils eine Chance zur ‚Wiedergutmachung‘ ihrer Gräueltaten erhalten, obwohl sie keinerlei Reue dafür zeigen.
Nimmt man die Denunzierung der ungehemmten und teils illegalen Brutalität von US-Agenten aus Sicario nicht als Ausgangsposition für Day of the Soldado, ließe sich letzterer ebenso gut als bedenkliche Kritik an der fehlenden Bereitschaft der US-Regierung lesen,ihren Kampfhunden im war on drugs völlig freien Lauf zu lassen. Sicario 2 bleibt zu nahe am Original, um für sich alleine stehen zu können, weicht jedoch an all den falschen Stellen von seinem Vorgänger ab. In dieser Hinsicht sollte man fast dankbar dafür sein, dass dieses sequel weitgehend im Sommerloch versunken ist und kaum Aufmerksamkeit erhalten hat.
Dominique Ott
Seine Texte bei CrimeMag hier.
Sonja Hartl 2015 in CrimeMag über das „War on Drugs“-Triple „Sicario“, „Cartel Land“ und „Narcos“.
Anm. d. Red: CrimeMag-Redakteur Alf Mayer fand eine Szene in „Sicario 2“ sehr bemerkenswert, nämlich den dramaturgischen wie emotionalen Wendepunkt des Films, an dem nur in Gebärdensprache kommuniziert wird und an dem es auch um die kalten Herzen geht.