Die Titel ist nicht zu hoch gegriffen
Von Markus Pohlmeyer
Im Kino sitzen, überrascht werden, vor Lachen am Rande der Atemnot und kullernde Tränen vor Begeisterung! Die Unglaublichen 2 hat zwei Haupthandlungen. Erstens: Helen Parr/Elastigirl kämpft – medial hochwirksam in Szene gesetzt – mit Unterstützung von zwei Geschwistern für die erneute Legalisierung von Superhelden. Deren Vater wurde getötet, weil Superhelden ihm nicht helfen durften, da sie kurz vorher als illegal erklärt worden waren. Helen ist selbstbewusst, intelligent, meistert unglaubliche Verfolgungsjagden und dramatische Kämpfe, bis sie von ihrer Verbündeten (der Schwester) verraten wird – einer Art Moderne-Medien-Kritikerin, die den Schurken Screenslaver erfunden hat, um mit Hypnose Menschen zu manipulieren, und die selbst hemmungslos Medien und Computer für ihre Ziele einsetzt. (Okay, Medienkritik in einem hochambitionierten Animationsfilm, der so richtig cash macht …)
Das Finale wirkt fast marginal im Verhältnis zum heldenhaften Einsatz von Bob Parr/Mr. Incredible in Sachen Kinderbetreuung. Das wäre zweitens. Der Muskelprotz (nachdem er in einem spontanen Außeneinsatz gegen den Tunnelgräber wieder, hoch erfolglos, alles in Schutt und Asche gelegt hat) macht als Hausmann ein hartes Coming-down in Richtung Erlernen einer Kompetenz durch, die eigenen väterlichen Inkompetenzen zu kompensieren.[1] Der Allmächtige bekommt gnadenlos seine Ohnmacht gespiegelt.
Und nun geht es los: Sein hyperaktiver Sohn Dash entdeckt seine große Liebe zu Papas Hammer-Karre. Das ist noch harmlos. Bob hat nämlich von einem Geheimagenten das Gedächtnis des Freundes-in-spe seiner Tochter Violet löschen lassen: dieser erkennt sie dann natürlich nicht mehr; Töchterchen dreht durch: Bob schließt in einer Szene die Kühlschranktür, dahinter – geradezu ein Horror-Element – seine fast psycho-zombie-artige Kleine, die ihn am liebsten eliminieren möchte (voll John Carpenter-Halloween–The-Thing-mäßig!). Der grobmotorische Bruder (mag auch Fernbedienungen, vor allem von Bobs hammergeilen Schlitten) stellt schon einmal die subtile Frage, ob das an der Pubertät liege? Und nun das Baby, das Baby, ja genau dieses, das immer wieder aus seinem Gitterbettchen ausbricht und gerne mit Fernbedienungen spielt. Und in einem fast episch zu nennenden Kampf mit einem Waschbären erlebt Jack-Jack (interessante Reduplikation im Namen!) sein initiatives Coming-out multipler Superkräfte: durch Wände gehen, sich in mehreren Dimensionen aufhalten, mit Laseraugen schießen, sich rereredududuplizieren, sich in ein Feuerteufelchen verwandeln usw.
Exkurs: Auf Bonus-DVD von DIE UNGLAUBLICHEN. THE INCREDIBLES, © Disney/Pixar findet sich ein Kurzfilm über die Erlebnisse eines Kindermädchens mit Jack-Jack. Aber auch ihr Gedächtnis wurde danach gelöscht, so dass zwar wir Zuschauer/innen schon wissen, welches Potential in dem Kleine schlummert/lauert, aber nicht die ahnungslosen Eltern: durch Räume und Wände schweben, natürlich aus dem Hochsicherheitstrakt eines Gitterbettchens ausbrechen, zu Mozarts Requiem in Flammen aufgehen. Laseraugen. Die schon längst über dem mentalen Abgrund wandelnde Babysitterin sitzt aus Sicherheitsgründen mit einem Feuerlöscher und Spiegel (zum Ablenken der Laserstrahlen) vor dem glücklich spielenden Kind. Das Wohnzimmer sieht voll die Hölle aus. Egal. Das ganze Haus würde sowieso gleich im Helden-Showdown zerstört.
Jack-Jack lässt sich nur bändigen mit Keksen und durch „Tante“ Ednas (von Haus aus hyperexentrische Modedesignerin) Superbabyanzug – inklusive gut schmeckender Löschfunktion und Fernbedienung. (Mag sollte echt mal tiefenphilosophisch über das Motiv Fernbedienung nachdenken!) Bob verliert die Kontrolle, fast das Bewusstsein. Gnadenlos dieser Schlafentzug. Die Rettungsaktionen in Richtung Freund-der-Tochter erweisen sich als hoch-peinlich. Die Mathematik-Aufgaben-Hilfe für seinen Sohn kommentiert er so: Warum haben die Mathe geändert? Er arbeitet sich durch, er kämpft sich (nach 17 Stunden Schlaf) wieder ans Licht – und durch Mathe, versöhnt sich mit Violet. Er wolle doch nur ein guter Dad sein. Sie: er sei nicht gut, er sei super! Und er ist stolz auf sein Baby (Nur nicht draußen damit schießen!).
Helen kämpft darum, dass ihre Familie zu ihrer Andersartigkeit auch öffentlich stehen kann; Bob – erst zähneknirschend, dann eine Sache der Ehre – möchte seiner Frau den Rücken frei halten. Und die Kinder müssen schließlich ihre Eltern retten, die wiederum andere Superhelden und Politiker vor der Katastrophe retten.
Im Kino sitzen, überrascht werden, am Rande der Atemnot vor Lachen und vor Begeisterung kullernde Tränen!
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine CulturMag-Texte hier.
Literaturhinweis: The Art of INCREDIBLES 2, edited by K. Paik, Chronicle Books San Francisco 2018.