Geschrieben am 17. Oktober 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Denis Villeneuve: Blade Runner 2049

blade-runner-2049bEngel ohne Seele

Von Katrin Doerksen

Harrison Fords Deckard heißt beinahe wie ein Philosoph und Ryan Goslings K klingt verdächtig nach Kafka. Allein mit den beiden Namen ist der Rahmen für die Welt in „Blade Runner 2049“ bereits gesetzt. Der Film zeigt eine unüberschaubare, eine feindliche Umgebung, in der der Einzelne keine Macht und keine Kontrolle besitzt. Und wenn er noch so viel denkt.

Kalifornien, schmutzig graue Erde, vielleicht ist es auch Asche. Was aus der Luft wie konzentrisch angeordnete Gewächshäuser aussieht, entpuppt sich beim Näherkommen als Aufzuchtanstalt für Maden – Proteinfarmen. Los Angeles’ Topographie besteht aus kilometerweiten Ghettos im Schatten der gigantösen Wolkenkratzer in Downtown. Der Abschaum dieser gespaltenen Gesellschaft lebt in Stadtteilen, die gänzlich zu Müllkippen umfunktioniert scheinen, San Diego ist so ein Ort. Wie schon in „Blade Runner“ hat Denis Villeneuve sich in der Fortsetzung die Fähigkeit bewahrt, mithilfe einiger weniger Bilder die Eckpfeiler einer ganzen Gesellschaftsordnung zu portraitieren ohne dabei viele Worte verlieren zu müssen.

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Der Blade-Runner-Look suppt auch im Jahre 2017 noch regelmäßig in aktuelle Filme hinein. „Ghost in the Shell“ mit Scarlett Johansson war so ein Blockbuster mit einem Hongkong voller überdimensionierter Hologramme und vertikaler Neonschriftzüge, eindeutig geprägt von Ridley Scotts 1982er Science-Fiction-Dystopie. Angesichts dieses noch immer sehr präsenten Stils ergeben sich merkwürdige Überlagerungen wenn man „Blade Runner 2049“ schaut, denn weder wurde hier unsere reale Gegenwart weitergedacht, noch aktuelle klinisch apple-weiße Vorstellungen der Zukunft bedient. Denis Villeneuve entwickelt stattdessen die Welt aus dem ersten „Blade Runner“ weiter. Obsolete Firmen wie Atari oder Pan Am werden im Jahre 2049 dieser Zeitrechnung nach wie vor im großen Stil beworben und an allen Ecken prangen mexikanische Schriftzüge, chinesische, koreanische, arabische, russische Schriftzeichen. Dies hier ist die dystopische Version des melting pots. So ist es zwar nicht sonderlich erfreulich, aber durchaus selbsterklärend, dass sich die Macht nach wie vor bei den wenigen Weißen konzentriert. Reiche Weiße leiten die ordnenden Instanzen, die Konzerne – und sie erschaffen sich Wesen nach ihrem Ebenbild.

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Eines dieser Wesen ist K. Er ist ein Replikantenmodell der neusten Generation, darauf programmiert sich eher selbst zu zerstören als sich seinem Erschaffer zu widersetzen. Erst seitdem absolute Folgsamkeit gewährleistet werden kann, ist die Existenz nichtmenschlicher Wesen auf der Erde überhaupt wieder legal. K arbeitet als Blade Runner für das LAPD – denn noch immer halten sich einige rebellische Replikanten der früheren Generation im Verborgenen, sind eine potentielle Gefahr für die Weltordnung. Auf einer seiner Retiring-Missionen macht K eine brisante Entdeckung, der bald nicht nur das LAPD hinterher ist. Sondern auch der Visionär Niander Wallace (Jared Leto), Nachfolger der Tyrell Corporation und Erschaffer der neusten Replikantengeneration.

blade-runner-2049-mit-ryan-gosling2Bevor die Pressevorführungen zu „Blade Runner 2049“ begannen, wurde eine Nachricht vom Regisseur Denis Villeneuve höchstpersönlich auf die Leinwand projiziert. Darin beschwor er die Kritiker, wichtige Wendepunkte des Films nicht vorwegzunehmen – und natürlich gibt es diese Wendepunkte und falsche Fährten. Im Gesamteindruck fühlt sich der Film aber vielmehr an wie ein Teppich als eine Abfolge sensationeller Höhepunkte. Das mag an den beinahe drei Stunden Laufzeit liegen. Villeneuve lässt sich Zeit, schwelgt in ausgedehnten Ansichten dieser ungemütlichen Welt, dunstigen urbanscapes, dem orange glühenden Smog über längst verlassenen Stadtteilen und im labyrinthischen Inneren von Firmenzentralen. Dieser zweifellos umwerfende Gigantismus (Kamera: Roger Deakins) ist aber eine ambivalente Angelegenheit. Denn mit der intimen Neo-Noir-Atmosphäre des Originals geht auch etwas von dessen Vielschichtigkeit verloren. War nun Deckard oder der von Rutger Hauer verkörperte Batty moralisch komplexer? Und überhaupt: war Deckard ein Mensch oder ein Replikant? Die Debatte dauert an und auch in „Blade Runner 2049“ werden nicht alle Fragen beantwortet. Gut und Böse sind im neuen Film aber wesentlich trennschärfer zugeordnet. Gleichzeitig wurden wesentlich mehr Handlungsstränge und Backstory hineingepfropft, die es nachzuvollziehen gilt. Es ist ein bisschen wie mit K und seiner Geliebten: Joi (Ana de Armas) ist im Grunde lediglich ein Hologramm, eine auf dem Homecomputer installierte Software, quasi die sichtbare Version der Samantha aus Spike Jonzes „Her“. Sie kann ihre Gestalt, ihre Persönlichkeit und ihre Interessen je nach den Vorlieben des Käufers wandeln und wenn ihn eine wichtige Nachricht erreicht, friert sie mitten im Wort ein. Einmal beneidet sie K um seinen komplizierteren Programmiercode, der einem menschlichen DNA-Strang ähnele. Gut und schön, wiegelt er ab, dafür seien ihre Einsen und Nullen wesentlich eleganter.

Die Eleganz steckt nicht so sehr in der Narration von „Blade Runner 2049“, dafür aber durchaus in den Ideen und Implikationen dahinter. In dieser kafkaesken Welt gibt es für den Einzelnen nur eine Möglichkeit sich einen Vorteil zu sichern – oder gar das Überleben: übermenschlich zu sein. Die Replikanten mögen als Wesen zweiter Klasse gelten, genau genommen sind sie dem Homo sapiens aber weit überlegen. Erst als Joi einmal feststellt, sie sei ohne ihr Backup endlich wie ein normales Mädchen, fällt einem die Verletzlichkeit der Menschen aus Fleisch und Blut auf. Überhaupt sind es im Blade-Runner-Universum zumeist auf die ein oder andere Art Versehrte, die den Replikanten erst Leben einhauchen. Im 1982er „Blade Runner“ war es der an frühzeitiger Alterung leidende J.F. Sebastian, der den ersten Modellen ihre Gestalt gab. In „Blade Runner 2049“ ist der Visionär Niander Wallace blind und eine beinahe durchscheinend anmutende Frau, die wegen einer Immunschwäche ihr Leben hinter Glas verbringt, stattet die Replikanten mit falschen Erinnerungen aus.

blade-runner-2049-mit-harrison-fordDie nichtmenschlichen Wesen – ob nun Replikanten oder Hologramme – sind imstande so schnell zu kombinieren, dass es manchmal regelrecht unglaubwürdig erscheint, wie mühelos K Hinweise wahrnimmt und entschlüsselt. Sie sind nahezu perfekte Kampfmaschinen, so wie Nianders Assistentin, die Replikantin Luv (Sylvia Hoeks). Joi vermag durch K hindurch zu schweben, ihren Körper mit Seinem gewissermaßen zu verschmelzen. Das Nonplusultra zwischenmenschlicher Beziehungen, regelmäßig angestrebt und doch höchstens partiell und zeitlich begrenzt erreicht. Da erscheint es beinahe logisch, dass Niander Wallace fortwährend von den Replikanten als seinen Engeln spricht. Von geschlechtslosen Geisteswesen also, die (zumindest der christlichen Theologie folgend) zwar ihrem Gott unter-, den Menschen aber eindeutig übergeordnet sind. Sie vermitteln das Überirdische, sind reine Form ohne Materie. In der Welt von „Blade Runner 2049“ verändert Materie ständig ihren Wert. Nach der Stunde Null, einem zehntägigen Blackout im Jahre 2022, wurden alle zuvor angelegten Datensätze restlos gelöscht. Geblieben sind Informationen, die auf Papier geschrieben standen. Holz hat auf der verpesteten Erde plötzlich einen unschätzbaren Wert und einem handgeschnitzten Spielzeugpferdchen kommt eine ähnliche Bedeutung zu wie einstmals einem papiernen Origami-Einhorn. Die letzten verbliebenen Menschen versuchen in dieser Welt verzweifelt ihren Status als Krone der Schöpfung zu behaupten. Die Replikanten transzendieren sie.

Katrin Doerksen

Blade Runner 2049, GB/USA/CA 2016; Regie: Denis Villeneuve; Buch: Michael Green, Hampton Fancher, Philip K. Dick; Kamera: Roger Deakins; Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Jared Leto; Länge: 163 Min.

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