Die Welt in einer Nussschale.
Alf Mayer über Kurosawas große Verfilmung von Ed McBains „Kings Lösegeld“.
Die eigene Geldverdien-Karriere ruinieren oder seine Menschlichkeit? Vor diese moralische Wahl und vor die Frage, ob alle Leben gleich viel wert sind, stellt Kurosawas Verfilmung von Ed McBains moralischem hardboiled-Kriminalroman „Kings Lösegeld“ (King’s Ransom, 1959) seine Hauptfigur, einen Schuhfabrikanten. Statt seines eigenen wird versehentlich „nur“ der Sohn seines Chauffeurs entführt, die Entführer aber beharren auf dem gleichen Lösegeld. In der richtigen Hand – der von Akira Kurosawa – taugt dies zum Stoff einer griechischen Tragödie, nebenbei auch zu einem grandiosen Polizeifilm.
Der brasilianische Autor Edney Silvestre („Der letzte Tag der Unschuld“) greift diesen Plot in seinem jetzt am 15. Juli 2016 bei Limes erscheinenden Kriminalroman „Der stumme Zeuge“ wieder auf. Anlass für CrimeMag, einen Text aus Frank Göhres und Alf Mayers „Cops in the City. Ed McBain und das 87. Polizeirevier“ (Culturbooks, eBook, und unplugged als Klappenbroschur) in ungekürzter Fassung und bebildert vorzustellen.
Der große Toshiro Mifune ist es, der bei Kurosawa den Schuhfabrikanten Kingo Gondo verkörpert, kraftvoll und minimalistisch, zurückgenommen. Er liefert eine seinen großen Samurai-Filmen ebenbürtige Glanzleistung.
„Zwischen Himmel und Hölle“ (Tengoku to jigoku) nannte Akira Kurosawa den Film, es ist eine die Vorlage beachtlich erweiternde Adaption des Romans von Ed McBain. Dies war der zehnte Roman vom 87. Polizeirevier und der dritte, der als Hardcover erschien. Anthony Boucher schrieb dazu am 6. Dezember 1959 in der „The New York Times“: „Es mag monoton klingen, einen beständig bewundernswerten Autor zu loben, aber dieses Buch ist so überzeugend, dass man sich auf eine dramatisierte Umsetzung freuen würde.“
Der aus einer Samurai-Familie stammende Akira Kurosawa, von Kindesbeinen an mit westlicher Literatur und Schubert und Beethoven vertraut, las den Roman, seine noch junge Produktionsgesellschaft kaufte die Filmrechte für 5.000 Dollar. Die Geschichte, an deren Drehbuchfassung er dann mit drei Autoren arbeitete – in der gleichen Zeit, in der am anderen Ufer des Pazifiks Evan Hunter/ Ed McBain mit Hitchock an den „Vögeln“ saß – sagte Kurosawa zu. Dies nicht nur, weil es in seinem Freundeskreis eine Entführung gegeben hatte. Kurosawa sah etwas Größeres, etwas Universelles in dem Stoff. Und er fand die Idee brillant, dass eine Lösegelderpressung unabhängig davon funktioniert, wer da entführt worden ist.
Der Konflikt in Kuroswas Film entspricht der literarischen Vorlage. Gleich zu Beginn geht es in beiden sozusagen programmatisch um solides Handwerk versus schnelles Geld mit billigem Schund, um Verkäufer gegen Hersteller, um Händler gegen Handwerker. Kurosawa hatte 1960 seine eigene Produktion gegründet, um den Standardisierungen der großen Studios zu entgehen, sein Schuhfabrikant wird gegen Ende des Films den selbstgewählten Pfad so beschreiben: „Ich werde meine idealen Schuhe machen, sie werden komfortabel, beständig und elegant sein. Teuer in der Herstellung, mag sein, aber profitabel auf die lange Sicht.“
Kurosawas Film ist freilich weit mehr als eine Parabel über Qualität oder über Profit. Der Konflikt des Schuhfabrikanten Gondo entwickelt die Ausmaße einer Shakespeare-Tragödie. Mit seinem Geld und seiner Existenz steht er schließlich dafür ein, den irrtümlich statt seines eigenen Sohnes entführten Chauffeursjungen frei zu bekommen. Das aber ist nur die eine Hälfte dieses komplexen 143-Minuten-Films. Wie seit Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 nicht mehr, wird auch dies ein Ermittlungsfilm, eine Verbrecherjagd. Nie zuvor und in solch filmischen Dichte niemals wieder wurde Polizeiarbeit je so im Kino gezeigt. Insofern ist dies der mit Abstand beste Film im Geiste der Romane vom Ed McBains 87.Polizeirevier.
Aufregend modern, ein Werk für die Kino-Ewigkeit
Kurosawa, „das Idol solch unterschiedlicher Cineasten wie Sam Peckinpah, Sergio Leone und Werner Herzog, der Mann, den sie in den Filmstudios von Tokio den ‚Tenno‘ nennen“ (Hans C. Blumenberg), zählte zu den aufregendsten Regisseuren der Welt seit er mit „Rashomon“ 1951 den Goldenen und mit „Die Sieben Samuarai“ 1954 den Silbernen Löwen in Venedig gewann, mit „Ikiru – Einmal wirklich leben“ 1954 und „Die Bösen schlafen gut“ 1961 auf der Berlinale für Aufsehen sorgte. Er hatte Dostojewski verfilmt (Der Idiot, 1951), Gorki (Nachtasyl, 1957) und Shakespeare („Das Schloß im Spinnwebwald“, 1957, nach „Macbeth“). Nun wählte er einen zeitgenössischen amerikanischen Kriminalroman, weil er in ihm die Welt in einer Nussschale erkannte. Der Film, den er mit Produktionsbeginn 2. September 1962 schuf, hat bis heute all seine Kraft und Klarheit bewahrt, ist wuchtig wie am Tag seiner Premiere, aufregend modern, stellt viele später entstandene Thriller und Polizeifilme in den Schatten. Es ist ein Werk für die Kino-Ewigkeit.
Susan Sontag listete „High and Low“, wie der Film im englischsprachigen Raum heißt, unter den ersten fünf der ihr wichtigsten 100 Filme (vom British Filminsititut ist eine technisch einwandfreie DVD-Fassung erhältlich, eine noch bessere bei Criterion). Als sie in der Cinemathek von Toronto Carte blanche erhielt, war dies ihr Wunschfilm. Er war auch Thema für den manchmal als Filmkritiker arbeitenden Gabriel Garcia Marquez, als er Gelegenheit zu einem Interview mit Kurosawa bekam. In New York beeindruckte „Tengoku to jigoku“ den Filmfreak und Filmwissenschaftler William K. Everson. Er steckte seine Schüler damit an, unter ihnen: der junge Martin Scorsese. Seit 1993 plant der ein Remake des Klassikers, David Mamet arbeitete an einem Drehbuch, bis heute aber wurde nichts aus dem Projekt, 2010 war Chris Rock damit befasst. Unter Cineasten genießt „Zwischen Himmel und Hölle“ höchstes Ansehen. Bei George P. Pelecanos etwa, der einige Episoden von „The Wire“ schrieb und diese Ed McBain-Verfilmung zu seinen absoluten Kinofavoriten zählt.
William K. Everson veröffentlichte 1972 das erste Genrebuch zu „The Detective in Film“, Kurosawas McBain-Verfilmung wird darin ausführlich gewürdigt. Für Everson ist es „zweifellos der komplexeste Detektivfilm aller Zeiten, dies in Hinblick auf seine Struktur und seine Ebenen (moralisch, symbolisch, erzählerisch). Es gibt darin so viele Nunancen des Erzählens, der cinematographischen Techniken und des Schauspielens, dass das alles danach verlangt, mehr als nur einmal gesehen zu werden.“
Studie der Humanität eines Mannes
Als der Film 1963 beim Festival in Venedig gezeigt wurde und dann im November 1963 in den USA anlief, in eben jener Woche, in der John F. Kennedy in Dallas ermordet wurde, herrschte bei manchem Kritiker, etwa bei Stanley Kauffman, Unverständnis, wie ein so anerkannter Regisseur sich auf so wenig prestigeträchtiges Gebiet wie den Kriminalfilm begeben könne. „Newsweek“ spöttelte: „Man muss es Kurosawa immerhin anrechnen, dass er vermutlich eine neue Mode kreiert. Resnais wird wohl bald einen Film über einen Mann machen, der glaubt, ein Verbrechen begangen zu haben; Fellini über einen, der eines plant; Antonioni über einen, der seine Waffe verloren hat und auf der Suche nach ihr ist; Bergmann über einen Gangster mit religiösen Visionen; Satyajit Ray wird die Blumen zeigen, die am Versteck blühen. Und Kurosawa? Die Paradoxien von Moral, sozialem Gewissen und Melodram waren sein Markenzeichen, sie stülpen sich wie von selbst über die Geschichte eines Kidnappings. Aber Mifune, der hat nicht viel zu tun in diesem Film…“ In „Variety“ wurde die Länge von 143 Minuten beklagt, die filmische Leistung aber anerkannt. Dale Munroe von den „Hollywood Citizen News“ fand: „Selten wird man solch ein Spannungsdrama finden, dass sich so brillant mit einer ausgefeilt subtilen Studie der Humanität eines Mannes verbindet.“ Kurosawa habe der Welt zwei Filme zum Preis von einem gegeben, ein unvergessliches Meisterwerk, das in den Louvre der Filmkunst gehöre.
Tatsächlich gibt es bis heute keinen Film, der Polizeiarbeit so ausführlich und filmisch verdichtet zeigen würde. „Zwischen Himmel und Hölle“ ist Cop-Film und moralisches Drama zugleich, ein humanistisch geprägter japanischer Film Noir. Man kann und muss ihn mehrmals sehen. Es lohnt sich. Mr. Everson hat Recht. Pelecanos sieht „eine tiefe Meditation über Charakter, Ehre und persönliche Erlösung. Toshire Mifune als Schuhfabrikant verliert auf der materiellen Ebene, aber er findet Selbstrespekt und inneren Frieden. Kurosawas meisterhafte Beherrschung der Filmsprache kommt in drei völlig unterschiedlichen Stilrichtungen zum Ausdruck – der Anfang inszeniert wie ein Kammerspiel, dann eine thrillerhafte Verfolgungsjagd in einem Schnellzug, schließlich eine ingeniös erzählte Polizeiermittlung. Bei aller Bewunderung Kuroswawas für den amerikanischen Kriminalfilm und seine literarischen Entsprechungen zeigt er eine ausgesprochen japanische Herangehensweise. Diesen Film kann man nur bewundern.“
Für Susan Sontag behauptet Kurosawas „policièr“ sich politisch neben Jean Renoirs „Die Spielregel“ (Regle du joie). Klassenunterschiede und gesellschaftliche Zustände finden bei Kurosawa eindringliche Bilder. Die ersten fünfundfünfzig Minuten sind ein Kammerspiel, die Kamera hält uns in einem einzigen Raum, in Gondos weißer Villa hoch oben über der Stadt. Im Himmel, wenn man so will. Vom ersten Moment an aber liegen Spannung, Konflikt und Gegensätze in der Luft: Wenn die Manager Gondo zur Produktion billigerer Schuhe überreden wollen, drei Investoren auf die Entscheidung lauern; wenn er sie hinauswirft, seinen Assistenten auf eine wichtige Reise schicken will; wenn dann zwei kleine Jungs hereinstürmen, der eine in Sheriffsmontur und mit Knallblättchenpistole, und Gondo sie zum Cowboy & Banditenspiel hinausschickt, scherzhaft ermuntert mit „Ein Mann muss töten oder er wird getötet“, worauf seine Ehefrau Reiko einwirft, „Erfolg ist es nicht wert, die Menschlichkeit zu verlieren.“ Überhaupt die Ehefrau (Kyoko Kagawa), in diesem Männerfilm ist sie an einer zentral humanen Stelle das Gewissen. (Wie lachhaft und leicht bizarr dagegen Nancy Reagan in der amerikanischen TV-Versions des Stoffs, siehe weiter unten.)
Wenn eine der 25 Wischblenden des Films die verstreichende Zeit anzeigt und der Anruf des Entführers kommt, der 30 Millionen Yen für Gondos Sohn haben will. Wenn diese Forderung all dessen Zukunftspläne zerschneidet und er die Polizei ruft. Wenn sich herausstellt, dass der Sohn des Chauffeurs das Opfer der Entführung ist und der eigene Sohn in Sicherheit. Wenn Gondo glaubt: „Er will keinen Chauffeurs-Sohn, er wird ihn zurückschicken“, die Stimme am Telefon ihm aber sagt: „Sie sind ein Dummkopf, wenn Sie zahlen, aber Sie müssen. Sie haben nicht die Kaltschnäuzigkeit, den Jungen zu töten.“ Das moralische Dilemma, die gesellschaftlichen Spielregeln, der Chauffeur, der niemals um solch einen Gefallen bitten könnte und es doch versucht. Der Industrialist, der für das eigene Kind seine Zukunft geopfert hätte – und nun in einer unausgesprochenen Verpflichtung steht.
Wäre dies ein amerikanischer Film, würde Gondo dafür sorgen, dass die Entführer zahlen müssen wie in Fords „Schwarzer Falke“ (The Searchers), in „Ransom“, „Captain Phillips“ oder wie in Ed McBains eigener Fernsehadaption für die TV-Serie „87. Polizeirevier“ (siehe weiter unten). Als japanische Geschichte jedoch wird die komplizierte Balance erforscht zwischen persönlicher und gemeinschaftlicher Verpflichtung, zwischen „giri“ (Verpflichtung) und „ninjô“ (Emotion), zwischen „honne“ (persönlichem Wunsch) und „tatemae“ (öffentlichem Gesicht), zwischen Konzepten, die größer sind als man selber ist, aus denen viele Helden Kurosawas in Selbstüberwindung ihre Würde beziehen und ihr Pathos. Für ein Nichts, aber eben für ein humanes Nichts setzen die sieben Samurai ihre Leben aufs Spiel. Und so findet sich auch Mifunes Fabrikant Gondo nun „Zwischen Himmel und Hölle“.
Breite Leinwand, meisterlich genutzt
Es ist das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Yokohama, ein modernes Metropolis, in der „Zwischen Himmel und Hölle“ spielt. Im Vorspann schweift die Kamera nervös über die wiederaufgebaute, im Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Brandbomben fast völlig zerstört Hafenstadt. In den Vorjahren der Olympischen Sommerspiele von Tokyo 1964 stand Yokohama für Japans dramatische, gesellschaftsverändernde Vorwärtsentwicklung in die Moderne. Eine zentrale Sequenz des Films führt in einen Nachtclub mit vielen Ausländern, darunter schwarzen und weißen US-Soldaten – mit Musik als stamme sie aus Richard Brooks Ed McBain/ Evan Hunter-Verfilmung „Die Saat der Gewalt“ (Blackboard Jungle, 1955). Das verwahrloste Drogen- und Rotlichtviertel, die Slums und Arbeiterquartiere stehen im krassen Gegensatz zu Gondos Villa auf dem Berg. Dort gibt es eine (damals noch seltene) Klimaanlage, unten sind auch die Polizisten dauernd dabei, sich Luft zuzufächeln. Dies so überzeugend, dass man nicht auf die Idee käme, dass viele der Innenszenen im kältesten Januar seit Jahrzehnten gedreht worden waren.
Eine kaum zu verortende Spannung entwickelt sich von Anfang an, als die Luft elektrisch geladen sei. Oft ist das Breitwandbild beinahe leer, dennoch knistert die Leinwand, als befände sich ein Tiger im Raum. Meist halten die Akteure großen Abstand voneinander, der Chauffeur etwa zu seinem Herrn, hinter der zurückgelassenen Weste seines Sohnes möchte er sich verstecken, in die Wand schmelzen, im Boden versinken. Immer wieder ordnen sich die Personentableaus neu, sublim und elegant, ein den ganzen Raum bespielendes Ballett. Oder eben, auch das scheint auf, wie an einem Fürstenhof. Manche Einstellungen wirken wie mit Tusche auf breite Leinwand getupft, sie haben eine sich fortwährend verändernde Dynamik und Geometrie, mit immer wieder anderer Konstellation der Personen.
Teil Eins: ein fließend elegantes Kammerspiel
Wie Mifune als Mann, der eine schwere Entscheidung zu treffen hat, visuell isoliert im riesigen Wohnzimmer seiner Villa bleibt. Wie er sich abwendet, wie die anderen diskret und respektvoll reagieren. Wie die Polizisten sich im Raum verstreuen, während Mifune den Entführer am Telefon hat. Wie das Drama einen Vorwärtssprung macht, indem die ganze Gruppe sich über das Tonband beugt und der neueste Anruf mit höchster – und eben auch unserer – Aufmerksamkeit abgehört wird. Wie die Polizisten auf dem Boden liegen, drei von ihnen direkt unterm Aufnahmegerät, nachdem der Entführer verlangte, die Vorhänge aufzuziehen.
Kurosawa nutzt die ganze Breitwand zu immer neuen visuellen Arrangements für sein straff erzähltes, fließend elegantes Kammerspiel. Gondos Position spiegelt dabei seine Beziehung zu den anderen im Raum, entspricht den widersprüchlichen Forderungen und Haltungen. Ein eigentümlicher Schwebezustand entsteht, ein Dabeisein aus seltsam ferner Nähe. Etwas, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen kann und mag und was es derart pur und elegant vielleicht noch manchmal seitdem in Fassbinder-, Scorsese- und Michael Cimino-Momenten im Kino gab., aber eben nie volle 55 Minuten lang.
Kurosawa drehte die Szenen in Gondos Villa mit zwei oder manchmal sogar drei Kameras – in langen, ununterbrochenen, vorher lange geprobten Einstellungen, aus einer Distanz, die den Akteuren große Bühne gab. Teleobjektive machten Nahaufnahmen möglich, Kurosawa hatte diese neue Technik erstmals in den „Sieben Samuarai“ verwendet. Mit den Ergebnissen war er so zufrieden, dass dies fortan seine bevorzugte Aufnahmetechnik wurde. Der Innenraum von Gondos Villa wurde auf zwei Sets gedreht. Einer hatte eine Aussicht auf Yokohama, der andere wurde im Studio exakt nachgebaut, was eine zusätzliche Beweglichkeit der Kameras erlaubte. Im Schneideraum entstand aus der Montage der unterschiedlich nahen Einstellungen ein wohlüberlegter, nachdrücklicher Erzählrhythmus. Kyoko Kagawa, die Mifunes Ehefrau spielt, berichtete: „Die Atmosphäre war intensiv, die langen Einstellungen ließen uns sehr konzentriert agieren.“ Kurosawa, meinte sie, hätte gerne noch längere Takes gedreht, wenn das mit den 35mm- Kameras möglich gewesen wäre. Gedreht wurde mit „Toho Scope“, der japanischen Entsprechung von Cinemasope, im Format 2:35 zu 1.
Martin Scorsese: „Kurosawa war mein Lehrer“
Viele der Einstellungen im ersten Filmdrittel wirken wie gemalt, wie von einem kräftigen, entschlossenen Pinsel auf ein breites Papier getuscht. Tatsächlich war die Malerei Kurosawas erste Ausbildung gewesen. „Es hat mich immer beeindruckt, wie Kurosawa die Breitwand nutzt. Nichts wird da bei ihm vergeudet. Am schönsten kommt das in der ersten Hälfte von ‚High and Low‘ zum Ausdruck“, meinte Martin Scorsese. „Niemand verstand es mehr, mit Bewegung und Rhythmus, mit Raum und Größenverhältnissen zu arbeiten. Er war mein Lehrer.“ Niemand sei Kuroswa stilistisch ebenbürtig, fand Richard Schickel, „er kann Szenen ohne Schnitte für Minuten halten und unsere Augen dazu bringen, sich selbst einen Schwerpunkt zu wählen. Seine Verkürzungen der Perspektive durch Teleobjektive geschieht so meisterhaft, dass das oft unmerklich bleibt.“ Steven Spielberg nannte Kurosawa „den bildlichen Shakespeare unserer Zeit“ und bekannte, von ihm „mehr gelernt zu haben als von jedem anderen Filmregisseur“.
Ohne einen einzigen falschen filmischen Wimpernschlag vergehen die ersten 55 Filmminuten. Unfassbar beinahe, sich vorzustellen, wie überaus choreographiert das war. „Zwischen Himmel und Hölle“ war Kurosawas fünfzehnte Zusammenarbeit mit Toshiro Mifune. Präzise gestutzter Schnurrbart, Haare im scharfen Faconschnitt, Gestik und Mimik kontrolliert, die Haltung stolz und ungebeugt, ist er ein Krieger, der um seine Kraft, seinen Rang und seine Würde weiß. Haltung bewahren und Gesicht, das ist diesem Mann tief eingeschrieben. Mifune zeigt erneut, welch ein großartiger Stummfilmschauspieler er gewesen wäre. Welch ein Kraftpaket hier sitzt.
Geld buchstäblich aus dem Fenster schmeißen
Zwei Polizisten braucht es, um den vor unterdrückter Wut fast berstenden Mifune im Energiedreieck der Körper zu halten: den jungen, hochaufgeschossenen, souverän agierenden Chief Inspektor Tokura (Tatsuya Nakadai) und dessen Stellvertreter, Chief Detective „Bos’n“ Taguchi (Kenjiro Ishiyama), neben Mifune der körperlich präsenteste Mann im Film, der Älteste der Runde. Bullig, glatzköpfig, von Leben und Beruf gezeichnet. „Mir sieht man es nicht an“, scherzt sein Kollege bei einer Beschattung, „du aber brauchst eine kosmetische Operation, um nicht als Bulle erkannt zu werden.“ (Ich freue mich immer schon in jedem Samurai-Film, wenn Ishiyama auftaucht.)
Zwei unterschiedliche Typen von Samurai sind diese beiden Cops, der eine Stratege, der jedem Fürsten ohne Angst begegnet, der andere ein furchtloser Führer jedes Angriffs. Beide sind sie eine hochinteressante Interpretation des Gespanns von Meyer Meyer und Carella bei Ed McBain. Beide erweisen sie dem schwer geprüften Industriemagnaten Gondo in kleinen Zeichen Respekt. Bereits in Kurosawas vorangegangenem Film „Yojimbo – Der Leibwächter“ hatten Mifune und Nakadai ein perfekt ausbalanciertes Gespann gegeben. Nakadai hatte dann die Hauptrolle in Kobayashis grandios epischem Kriegsdrama „Barfuß durch die Hölle“ (1959–61), Ningen no jōken, wörtlich: Die Bedingungen des Menschseins. – Bitte besorgen Sie sich diesen Film, er gehört zu meinen absoluten Lieblingen. Nakadai spielte in vielen Kurosawa-Filmen, war später dann ein unsterblicher König Lear in „Ran“ (1985).
Der Polizist Bos’n ist es, der verkündet, dass er den Entführer unerbittlich jagen wird, sobald der Junge frei gekommen sein wird. Kurosawa macht mehr, deutlich mehr daraus, als den Rachefeldzug einiger Samuarais. Er zeigt eine moderne Großstadtpolizei bei der Arbeit, ihre Ermittlungsmethoden, ihre Schwarmintelligenz, ihre Entschlossenheit und Professionalität.
Erst einmal aber sind da sieben Minuten Film pur – die Geldübergabe im damals schnellsten Zug Japans, im 163 km/h schnellen Kodana Super Express zwischen Tokyo und Osaka. Mit neun Kameras im rasenden Zug gefilmt, davor einmal im Depot geprobt, ist dies eine Thrillersequenz, die in ihrer Stringenz bis heute ihresgleichen sucht. Im Zug klärt sich, warum die beiden Geldtaschen wie vom Entführer verlangt, höchstens sieben Zentimeter dick sein durften: Gondo erhält einen Anruf und muss – der entführte Junge wird an einem bestimmten Punkt in einem Feld stehend zu sehen sein -, sein Geld buchstäblich aus dem Fenster werfen. Durch das einzige, wenn auch nur einen Spalt weit zu öffnende Fenster des Schnellzugs, das in der Zugtoilette. Mit einer Schmalfilmkamera filmt einer der Detektive die vorbeiflitzende Aktion, diese Filmaufnahmen werden Teil der Fahndung.
Das ganze kinematographische Repertoire
Nach einer Stunde und 1:23 Minuten ist der Junge gerettet, noch bleiben eine Stunde zwölf Minuten Film. Die Jagd beginnt. Kurosawa macht das Kinopublikum zu Mit-Ermittlern, so nah und so dynamisch verdichtet wurde Polizeiarbeit noch nie gezeigt (Fritz Langs „M“ und „Das Testament des Dr. Mabuse“ lassen von ferne grüßen.) Er inszeniert die Polizeiarbeit mit einem Feuerwerk fast jedweder Technik aus dem kinematograhischen Repertoire. Es sind die wohl kurzweiligsten 30 Minuten seines ganzen Oeuvres. Da ist der große Stadtplan an der Wand des Einsatzraumes mit seinen Markierungen, da tragen die versammelten Teams eines nach dem anderen im großen Lagerraum ihre Ergebnisse vor, da werden Spuren ausgewertet, Erkenntnisse vorgetragen, abgeglichen und verknüpft.
Polizistenhumor scheint manchmal auf. Wenn die Polizisten im Mondlicht unterwegs sind, erklingt ein „Sole mio“. Dem Kidnapper am liebsten eine Medaille geben, würden die mit ihren Billigschuhen bei Gondo gescheiterten Abteilungsleiter, berichtet ein anderer Cop. Detail türmt sich auf Detail, nachvollziehbar, methodisch und logisch. Das Zustandekommen der Ermittlungsbausteine wird in einem Dutzend Rückblenden erzählt. Kurosawa blättert eine ganze Enzyklopädie der Polizeiarbeit auf, schweift mit den Cops durch die ganze Stadt. Auch der Ausflug aufs Land, wo die Übergabe stattfand, ist signifikant. Wenn die Polizisten den im Zug gedrehten Schmalfilm sichten, zwei Figuren im Feld, ein Schemen an einer Brücke, ist das auch für uns Zuschauer eine Lektion im Sehen – und nur einer von vielen Momenten, in denen dieser Film die Wahrnehmung thematisiert.
Mosaiksteine einer polizeilichen Ermittlung – filmisch vorgetragen
Der Entführer hatte verlangt, dass die Vorhänge aufgezogen werden. Welcher der so eingekreisten Münzapparate liegt um die Anrufzeit in der Sonne? Der Kidnapper sagte, es sei heiß. Von welchem Telefonstand aus ist Gondos Haus einsehbar? Aus den Reifenspuren nahe der Übergabestelle wird die Suche nach einem Auto. Das Fabrikat wird eingekreist, ein Mautstellenkassierer sah ein schlafendes Kind auf dem Rücksitz. Das Auto wird gefunden, es war gestohlen. Eine Sackgasse, aber es finden sich Ätherspuren. Andere Cops erkunden das Umfeld Gondos, wer könnte ihm übel wollen? Wenn er Feinde hat, dann nur im Management, berichtet einer der Ermittler. Gondo sei streng, ja, „aber für gute Arbeiter ist er ein guter Chef“.
Ein Polizist, der die Bänder wieder und wieder abhört, macht das Klingeln einer Straßenbahn aus. Der entführte Junge hat den Ort gezeichnet, an dem er gefangen war, Mt. Fuji und das Meer sind von dort zu sehen. Zeichnung und Straßenbahnstation engen das Gebiet weiter ein.
In einer Parallelmontage ermittelt der Chauffeur mit seinem Sohn auf eigene Faust, die auf ihm lastende Schuld droht ihn zu erdrücken. Der gesellschaftlich beinahe Unsichtbare will hilfreich sein. Für Yutaka Sada, einen Nebendarsteller in vielen Kurosawa-Filmen, war der Chauffeur Aoki die wichtigste Rolle seines Lebens. „Nichts würde mir bleiben, wenn man diesen Film aus meinem Leben nähme. Mit ihm hinterlasse ich meinen Kindern etwas“, sagt der 2015 der damals 103 Jahre alte Schauspieler stolz.
Im selben Moment führen die Hinweise des Kindes und die Methodik deduktiver Arbeit den Chauffeur und die Polizisten an den gleichen Ort, nämlich zu einer kleinen Gartenvilla auf einem Hügel über Yokohama. Aber „Onkel und Tante“ dort sind tot. Junkies, die an einer Überdosis starben. Die durchgedrückte Schrift auf einem Block zeigt, dass sie den Hauptentführer um mehr Rauschgift erpressten.
Giftiges Eastmancolor
Ein visueller Schock markiert den Wendepunkt des Films. Die spielenden Jungs des Anfangs machen Gondo und die bei ihm vorstelligen Cops darauf aufmerksam: Aus einem hohen Schornstein mitten in der Stadt steigt pinkfarbener Rauch. Es ist die einzige Farbsequenz des Films, giftiges Eastmancolor. Die einzelne rote Flagge aus Eisensteins „Panzerkeuzer Potemki“ mag Kurosawa inspiriert haben, seinen ersten richtigen Farbfilm drehte er erst 1970 mit „Dodeskaden – Menschen im Abseits“.
Die Lösegeldtaschen waren – der Lederwarenhandwerker Gondo machte sich dabei nützlich – mit einer Chemikalie präpariert, ein in der Presse lancierter Zeitungsartikel – die inoffzielle Pressekonferenz eine hübsche Einlage – hatte den Entführer nervös gemacht. Wir kennen ihn inzwischen, die Einkreisungsarbeit der Polizei brachte ihn uns ganz organisch nahe. Und wie sich später herausstellt, auch seinem Motiv. „Der Kidnapper hat recht, dieses Haus macht wütend“, bemerkt ein Polizist im Slum Yokohamas mit Blick auf die Villa oben auf dem Berg, im Himmel sozusagen. Der Rauch der Brieftasche, die in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt wurde (auch dies ein dokumentarischer Blick in die Schattenwelt der Moderne), und die Ätherspur führen in ein Krankenhaus, zu einem Assistenzarzt: Vom Fenster seines schäbigen Zimmers in der Unterstadt hat er Gondos Villa dort oben im Himmel dauernd vor Augen.
Aus Fahndung wird eine Beschattung: Film noir vom Feinsten
Dramaturgisch und politisch begründet, nimmt der Film nun eine neue Richtung. „15 Jahre höchstens bekommt er für Kidnapping. Wir müssen ihn wegen Mordes festnageln“, resümmiert Chefinspektor Tokura. Sein Kollege Bos’n hatte früher schon wegen der geringen Strafe für Kindesentführung mächtig geraunzt. Tatsächlich war dies durchaus ein Motiv Kurosawas für den Film, er fand Kidnapping ein scheußliches Verbrechen, wollte die laxe Gesetzeslage in Japan anprangern. „Zwischen Himmel und Hölle“ entwickelte sich zum kassenstärksten Film des Jahres 1963 in Japan, die Strafen für Kidnapping wurden 1964 verschärft.
Die Polizei macht den Täter glauben, dass seine beiden Gehilfen noch leben, erhöht mit ihrer vorgeblichen Drohung, die nummerierten Scheine bald auszugeben, den Druck auf ihn. Erst recht, indem sie mehr Rauschgift verlangen, wo er sie doch mit unverschnittenem Stoff schon aus dem Weg geräumt glaubte.
Aus der Fahndung der Polizei wird eine Beschattung, wird eine Jagd, die Kamera nun weitgehend dokumentarisch, reportagenhaft. Film noir vom Feinsten. Wir folgen dem Täter durch das Drogen- und Rotlichtviertel der Hafenstadt, durch Schattenspiele, Spelunken und Tanzbars voll westlicher Musik. Never too dark to be cool, versteckt der Kidnapper seine Augen hinter einer Sonnenbrille, ein junger Teufel in der städtischen Unterwelt. Der Film ist in der Hölle angekommen.
Das neu besorgte Heroin probiert der Sonnenbrillenmann an einer Prostituierten aus. Dieser Mord wird ihn in die Todeszelle bringen. Die Handschellen schnappen zu.
Täter und Opfer, gespiegelt
Gondo war in der zweiten Filmhälfte kaum vorgekommen, sein Schatten aber lag über allem. Einmal wurde die Villa für die Zwangsversteigerung inventarisiert, einmal tauchten die Investoren bei ihm auf („Sie können nicht den Kidnapper bezahlen und uns nicht!“), einmal sein früherer Assistent. Für den in der Öffentlichkeit zum Helden gewordenen Gondo wäre nun doch Platz in der Firma. „Ich bin kein Mannequin!“, schleuderte der ihm entgegen. Und: „Du bist kein Mann!“ Er jetzt sei sein eigener Herr, dass lasse er sich nicht mehr nehmen. „Wirklich ein Scheusal!“, kommentiert ein Polizist, als er über die nächtliche Straße hinweg beobachtet, wie der Entführer vor einem Schuhgeschäft dem dort die Auslagen betrachtenden Gondo – einem Mann, der einfach gut gemachte Schuhe liebt – höflich, aber mit einem nur für uns Zuschauerpolizisten lesbaren Lächeln Feuer gibt.
„Zum Tode verurteilt“, liest Gondo in der Zeitung. Die Polizisten Tokura und Bos’n, die einen guten Job gemacht haben, kommen ihn fragen, ob er der Bitte des Entführers nachkommen will, ihn vor der Hinrichtung zu sehen. Gondo und der Verbrecher (Tsutomu Yamazaki, der spätere Lastwagenfahrer in „Tampopo“) sitzen sich dann gegenüber, von einer Glasscheibe getrennt. Diese Konfrontation und wie sie endet, hallt nicht nur in jedem Zuschauer nach. Diese Szene, in der sich Täter und Opfer in der Spiegelung überlagern und eins werden, in der Gondo über sich hinauswächst, ist ein großer ikonographischer Moment des Weltkinos. Prägend für viele Regisseure. Oft wiederholt und variiert. Paul Schrader schrieb eine ähnliche Szene für seinen eigenen „Mann für gewisse Stunden“ und für Scorseses „Taxi Driver“.
Nachhall
Ein ähnlicher Zirkelschluss gilt für Bernard Herrmann, der für viele Filme Alfred Hitchcocks die Musik erfand und dessen letzte Arbeit der auch musikalisch interessante „Taxi Driver“ war. Scorsese muss ihm „Zwischen Himmel und Hölle“ vorgeführt haben, mehrfach vermutlich, denn Masaru Satos schimmernde Film-Noir-Kompositionen klingen bei ihm an. Masaru Sato (1928-1999) wiederum war ein Jazzfan, sein Soundtrack für den Kurosawa-Film ist aufregend.
„Zwischen Himmel und Hölle“ wurde von den Mystery Writers of America 1964 für den besten ausländischen Kriminalfilm nominiert, den Edgar gewann jedoch Henri Verneuils Gabin & Delon-Vehikel „Lautlos wie die Nacht“ (Mélodie en sous sol). Ed McBain muss den Kurosawa-Film gesehen haben. In einem Interview von 1984 lobte er die Verfilmung als „sehr, sehr gut“. Zu Kurosawas Lieblingsfilmen wiederum zählten „Die Vögel“, Evan Hunters /Ed McBains beste Drehbucharbeit, auf die er zeitlebens großen Wert legte.
„Haben Sie ‚Die Vögel‘ gesehen?“, fragt ein Werkstattbesitzer die Detektive in Ed McBains „Long Dark Night“ (Nocturne, 1997).
„Den Film, den Alfred Hitchcock geschrieben hat.“ Carella war nicht der Ansicht, dass Hitchcock den Film geschrieben hatte.
„In dem Vögel überall die Menschen töten wollen?“
„Was ist damit?“ fragte Mrs. Jackson ungeduldig.
„In den Wagen müssen Vögel geflogen sein“, sagte Jackson. „Vielleicht, weil es so kalt war.“
„Wie kommen Sie darauf?“ fragte Hawes geduldig.
„Überall Vogelscheiße und Federn“, sagte Jackson.
In McBains Mathew-Hope-Roman „Gladly the Cross-Eyed Bear“ (1996) heißt es:
„Manchmal denke ich, das ganze Leben ist ‚Rashomon‘. Zu dumm, wenn sie diesen Akira Kurosawa-Film nicht gesehen haben. Er ist beinahe so gut wie ‚Zwischen Himmel und Hölle‘, der auf einem amerikanischen Kriminalroman beruhte, dessen Titel ich vergessen habe.“
In „The Last Dance“, dem 50. Buch des 87. Polizeireviers aus dem Jahr 2000, war Cynthia Keating, die Tochter eines Erhängten, am Abend des Todes mit einer Freundin in einer Kinovorstellung, einen Block von ihrem Appartment. Zitat: „Der Film, den sie gesehen hatten, war Teil einer Kurosawa-Retrospektive. Er hieß ‚Zwischen Himmel und Hölle‘ und basierte auf dem Roman eines Amerikaners, der billige Krimis schrieb. Ein Anruf im Kino bestätigte den Filmtitel und Anfangszeit und Ende der Vorstellung… Zwei der Hauptverdächtigen, so erschien es den Detektiven, hatten ein wasserdichtes Alibi.“
Ein völlig anderer Film: „Kings Lösegeld“ im Fernsehformat
Ed McBain selbst adaptierte „Kings Lösegeld“ für die NBC-Fernsehserie vom „87. Polizeirevier“, dies ein Jahr bevor Kurosawa sich mit drei weiteren Autoren an die Drehbucharbeit für „Zwischen Himmel und Hölle“ machte. Die TV Ausstrahlung war am 19. Februar 1962, McBain hielt sich damals in Kalifornien auf, es war die Zeit, in der er mit Hitchcock über „Die Vögel“ brütete. Wenn man diesen TV-Film sieht, die Nummer 21 der insgesamt 30 Folgen vom „87. Polizeirevier“, wird verständlicher, warum die Serie in McBains feinsinnigen Erinnerungen an die Hitchcock-Zeit („Hitch and Me“, London 1997; nie in den USA erschienen) mit keinem Wort erwähnt wird.
Gegenüber dem Kino, vor allem gegenüber einem Hitchcock oder Kurosawa, ist es eine fast belanglos durchschnittliche serielle Arbeit, eingeengt in Budget, Zeitkorsett, Drehorten und Darstellerpersonal, in der Wirkungskraft nicht nur vom Format her beschränkt. Den 143 japanischen Breitwandminuten stehen hier 60 Minuten amerikanisches Allerwelts-Fernsehspiel der frühen 1960er gegenüber.
Die TV-Gesellschaften finanzierten sich durch Werbung, ganze Sendereihen wurden von Unternehmen gesponsort, McBain selbst hatte bereits für solche von General Electric und Kraft geschrieben. Sonderliche Kapitalismuskritik ist also nicht zu erwarten, da war der Roman schärfer und bissiger. „Mrs. America“, heißt es dort, „der stupideste Konsument der Welt. Man muss die Frauen anreizen.“ Der Unternehmer Douglas wehrt sich im Roman: „Ihr wollt den Namen Granger für billige Schuhe benutzen? Ihr wollt Schund herausbringen? … Wenn ich anfange, Abfall zu produzieren, dann ist mein Leben einen Dreck wert.“
Auch die spätere Mrs. Reagan ist im Cast
Die Fernsehfassung erspart sich solch eine Ethik-Disskussion, die Adaption steigt mitten im Verbrechen ein, mit jenem Verbrecherpärchen, das bei Kurosawa nur tot in der Gartenvilla aufgefunden wird. Hier werden Eddie und Cathy bereits mit den ersten Sätzen zum moralischen Scharnier. „Was willst du? Wie weit willst du dafür gehen? Steigst du aus bei Mord?“, fragt Cathy, die dachte, ihr Freund sei mit dem bösen Sy zu einem Bankraub unterwegs gewesen, vom Kidnapping schockiert ist und sich um den Chauffeurssohn kümmert. „Du bringst ihr das lieber bei, Eddie“, sagt der böse Sy, der Trompete spielt und Jazz hört, „ein nutzloses Hobby“ – dies eine Referenz an die gefährliche Jugendkultur in „Die Saat der Gewalt“. Ein Echo von James Cagney in „White Heat“ sind seine Sätze: „I want to be somebody. I want the money!“ Eddy dagegen mache mit seinen Radiosachen etwas Vernünftiges. Er hat einen Empfänger gebaut, mit dem der Polizeifunk abgehört werden kann – in der Romanvorlage ist das ein anfangs mysteriöser Erzählstrang.
18jährige Teenager sind in der TV-Version die von den Entführern verwechselten Jungs, gut doppelt so alt wie bei Kurosawa und wie im Roman. Der Fernsehroutinier Charles McGraw spielt den Schuhfabrikanten Thomas King, man darf nicht an Mifune dabei denken. (McBain brachte ihn als beschwichtigenden Fischer in einer Kneipenszene in den „Vögeln“ unter.) Kings Frau wird von Nancy Davis gespielt, der späteren Mrs. Reagan, es geht schon recht präsidial zu in der zwei Mal von außen zu sehenden Südstaatenvilla. Drinnen brennt Feuer im Kamin, draußen wischt man sich den Schweiß von der Stirn, filmisch wird so manches grobe Holz gehackt. Die Kamera ist indifferent, oft nah an den Personen, zeigt kein Gefühl für Räume. Die beiden Hauptschauplätze, Fabrikantenvilla und Verbrecherappartment, wirken wie tote Studiosets. Fernsehspiel eben. Brotaufstrich.
Der Kapitalist selbst ist der beste Cop
Thomas King ist ein Machtmensch, er stellt die Polizisten derart in den Senkel, dass Carella (Steven Lansing) sagen muss, er sei hier, um einen Job zu machen und er würde sich ja auch nicht in Kings Job einmischen. „Mich würde es zerstören“, erlaubt Detective Kling sich anzumerken, als King wütend erst die Lösegeldzahlung für das falsche Kind ablehnt. „Sie fühlen sich nobel, der Retter zu sein“, schnauzt er Carella an. Der sitzt für die Geldübergabe mit King im Auto, weiß aber nichts vom Autotelefon (damals noch eine sehr seltene Sache), über das die entscheidende Anweisung kommt. Mit einem Zettel an einer Mautstation informiert Carella seine Leute – kann man aus dem Auto nicht anrufen, mit eben dem Telefon, über das der Entführer gerade Weisung gab?
Egal, King selbst schlägt den Entführer nieder, holt sich sein Geld zurück, was Carella dazu bringt, ihn zu fragen: „Why don’t you join the Force?“ Das werde zu schlecht bezahlt, entgegnet King. Eddie und Cathy entkommen, weil der entführte Junge sie deckt, Lohn der kleinen Menschlichkeit. Sy wird zum Tode verurteilt, kommt nicht mehr weiter vor. King taucht mit seiner Frau am Arm auf dem 87. Revier auf, um die Botschaft der Moritat zu verkünden: „Verbrechen lohnt sich nicht. Man muss dafür bezahlen!“ Er entschuldigt sich bei Carella, was, wie Kings Frau bemerkt, in ihren 18 Ehejahren sonst noch nie vorgekommen sei.
Ein Lollipop-Ende gegenüber dem, was Kurosawa aus diesem Stoff gemacht hat.
Alf Mayer
Offenlegung: Alf Mayer ist zusammen mit Frank Göhre Autor von „Cops in the City. Ed McBain und das 87. Polizeirevier. Ein Report“, in dem dieser Text in gekürzter Form enthalten ist. Erschienen ist das Buch beim Verlag CulturBooks, der von dem LitMag-Herausgeber Jan Karsten und von Zoë Beck geleitet wird.
Zwischen Himmel und Hölle (Originaltitel: 天国と地獄, Tengoku to Jigoku / High and Low), Japan 1963. Regie: Akira Kurosawa; Buch: Eijiro Hisaita, Ryuzo Kikushima, Akira Kurosawa, Hideo Oguni, nach Ed McBains Roman „Kings Lösegeld“ (King’s Ransom) von 1959; Übersetzung der Vorlage: Hayakawa Shobo; Kamera: Asakazu Nakai, Takao Saito; Schnitt: Akira Kurosawa; Musik: Masaru Satō; mit: Toshiro Mifune, Tatsukya Nakadai, Kyoko Kagawa, Tatsuya Mihashi, Isao Kimura, Kenjiro Ishiyama, Takeshi Kato u.v.a.; Länge: 143 Min.; Schwarz-Weiß, Cinemascope (Toho Scope), Format 2:35 zu 1.
Adaptierte Vorlage: Ed McBain (d. i. Evan Hunter): Kings Lösegeld. Krimi mit dem 87. Polizeirevier (Originaltitel: King’s Ransom). Deutsch von Gitta Bauer. Ullstein, Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1980, 172 S.
US-Fernseh-Version innerhalb der Serie “Polizeirevier 87“ (87th Precint), nach den Romanen und Charakteren von McBain, 2 Staffeln, 1961-62, in 14 und 16 Folgen, Drehbuch von McBain für 5 Folgen.
Lady in Waiting (2.10. 1961, Drehbuch)
Line of Duty (23.10.1961, Drehbuch)
The Heckler (18.12. 1961, Drehbuch)
King’s Ransom (19.2. 1962, Drehbuch)
Girl in the Case (30.4. 1962, Drehbuch)
2007 auch für das japanische Fernsehen verfilmt.