Geschrieben am 14. März 2018 von für Crimemag, CrimeMag März 2018

Fast verbotene Werbung: Alkohol & Tobacco aus dem 20. Jahrhundert

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Blaue Stunde: Der Stoff, aus dem die Krimis sind

Alf Mayer hat sich Jim Heimanns und Steven Hellers „20th Century Alkohol & Tobacco. 100 Years of Stimulating Ads“ angeschaut. Die schönsten Anzeigen für Alkohol und Tabak aus einem Jahrhundert. Es scheint weit zurückzuliegen. 

Mal sehen, wie lange es dauert, bis dieses Buch unter dem Ladentisch verkauft werden muss. Nicht wenige der Illustrationen in diesem Buch – allesamt Werbekampagnen aus den USA zwischen 1900 und 1999 – haben etwas beinahe unschuldig Frivoles, ja Pornografisches, mindest Verbotenes. Farbenfroh und unbekümmert wecken und ALL-AMERICAN_ADS_ALC_TOBACCO_JU_INT_3D_49389feiern sie die Lust am Schmauchen und Süffeln, Inhalieren und Betanken, an Lungenzug und Rachengurgel, Rauchkringel und Mundgeruch, an allerlei Oralvergnügen, von dem wir heute wissen, wie schädlich es ist – und das immer wieder auf Zigarettenpackung und Etikett vorgehalten bekommen. Die Getränke-Industrie, da seien Fußball, Volksfeste, die CSU, die NRA, die NBA und Wahlkampfspenden davor, hat (noch) die etwas besseren Hinhaltetaktiken. Aber auch Alkohol-Seen sind ein allmählich austrocknendes Biotop. Werden wir eines Tages wirklich alle nur noch alle Bluna und stocknüchtern sein? Und dann ein Buch mit Anzeigen für Dieselautos mit gemischten Gefühlen betrachten? Mit welchen Augen studieren wohl unsere Urenkel im Jahre 2050 die alten Ausgaben von „Auto, Motor, Sport“ und Ähnlichem? Feinstaubpornos? 

Wer sein schlechtes Gewissen im Zaum hat, tauche in eines der verführerischsten Bücher seit es Korken, Kron- und Schraubverschlüsse, Korkenzieher und Feuerzeuge, Zigarettenschachteln oder Papier zum Selberdrehen, Zellophanhüllen für Zigarren, Maßkrüge, Schnaps- und Whiskeygläser gibt. 392 großzügig gestaltete Farbseiten mit weit mehr als nur dem einen Teufelchen auf dem Cover erwarten Sie. Und ja, auch ich habe einmal geraucht, bis zu 60 am Tag, der Zug am Glimmstengel war integral fürs Hacken in die Tasten der Schreibmaschine und für den Schreibfluss, sogar Johnny Walker schaute gelegentlich vorbei.

Warum ich rauchte und trank beim Schreiben? Na, weil es beinahe jeder tat im 20. Jahrhundert, weil es dafür nicht nur überall Werbung und Vorbilder, sondern auch Gelegenheiten gab, selbst im Kino, beim Arzt oder im Flieger. (Auf australischen Inlandsflügen kann man heute noch offene Weinflaschen frisch vom „Tasting“ auf dem Airport, Bierdosen und was die Gurgel sonst begehrt ungehindert ins Flugzeug tragen.)

Seien wir uns klar: Der Alkohol- und Nikotinpegel der Literaturgeschichte ist derart hoch, dass er noch nie vollständig gemessen wurde. Gewiss, es gibt Einzel- und Sammelbetrachtungen (gute Gruppe: Schriftsteller in Hollywood), es gibt einige nette Bücher, zum Beispiel über das Rauchen im Film, aber der ganzen Wahrheit, welchen Einfluss Tabak- und Alkoholsubstanzen auf unsere Geistesgeschichte haben, der hat sich noch kein Literaturhistoriker, Archivar oder Kritiker gestellt. Alkohol und Tabak aber, das ist der Stoff, aus dem viele, wenn die die meisten unsere Bücher und Filme sind. Wie viele Zigaretten sind wohl das Durchschnittsmaß für einen mitteldicken Roman, wie viele Gin Tonics oder was auch immer an alkoholischem Befeuchtungsmaterial? (Das Malen im Künstleratelier lassen wir hier mal beiseite.) Über 180 Rezepte aus Kriminalromanen, zu denen bei Tisch dann ja auch meist geraucht und geprostet wurde, trug Frank Göhre 1991 alleine für sein „Frühstück mit Marlowe“ zusammen.

„Die Zigarette ist das vollendete Urbild des Genusses: Sie ist köstlich und läßt uns unbefriedigt“, fand Oscar Wilde. „Die Toten Hosen“ singen: „Kein Alkohol ist auch keine Lösung.“ Eine Sonderausstellung über historische Alkoholwerbung im Glasmuseum Spiegelberg titelte 2010: „Nur Küsse schmecken besser.“ 

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Vieles an Literatur wäre kaum ohne Dunst und Duhn entstanden, für die Kriminalliteratur gilt das ganz besonders. Ich weiß wovon ich spreche. Aus einem Toast auf die Vervollständigung des Mac’s-Place-Quartetts bei Ross Thomas erwuchs mir 2013 eine dann sich auf neun Teile ausweitende „Kulturgeschichte des Alkohols im Kriminalroman“ (Links dazu siehe ganz unten), die ich dann letztlich unvollendet ließ. Zu tief das Glas, zu voll die Aschenbecher …

Neulich, bei der zweiteiligen Evokationen von „Gladbeck“ im deutschen Fernsehen, gerade 30 Jahre her, wurde gequalmt, dass die heute obligatorischen häuslichen Rauchmelder in Habachtstellung gingen. Niemand ließ sich so schön Feuer geben wie Lauren Bacall von Humphrey Bogart, der ganze Film Noir wäre ohne Glimmstengel Plakat Fete Manchetteunmöglich, nicht nur Robert Mitchum hing die Kippe unnachahmlich-nachahmlich cool im Mundwinkel. Jeder kann hier sicher gleich zwanzig weitere Kandidaten aufzählen, von Jean Gabin und Ives Montand bis … sagen wir Peter Lorre, der in „Der Verlorene“ einen neuen Kettenrauch-Weltrekord aufgestellt hat. Suff und Qualm gingen auch an der Kritikerzunft nicht vorbei: Fritze Raddatz mit seinem Etui, Friedrich Luft, Brigitte Jeremias, Jean-Patrick Manchette u.v.a.

„Die chemische Analyse der sogenannten dichterischen Inspiration ergibt neunundneunzig Prozent Whisky und einem Prozent Schweiß“, ist uns von William Faulkner überliefert. Unter Beigabe vieler Drinks verfasste er unter anderem das Drehbuch für Chandlers „Tote schlafen fest“ (The Big Sleep). Dessen Hauptdarsteller Humphrey Bogart fand: „Man muss dem Leben immer um mindestens einen Whisky voraus sein.“

Seine angeblich letzten Worte am 14. Januar 1957: „Ich hätte nie von Scotch auf Martini umsteigen sollen.“

Dashiell Hammett, Raymond Chandler, James M. Cain, Patricia Highsmith, Ed McBain, Georges Simenon, Cornell Woolrich, Elmore Leonard, Lawrence Block, Joseph Wambaugh – sie alle studierten den Boden vieler, vieler Gläser. Manche von ihnen wurden trocken, manche nicht. Schon bei dem seit seinen Studententagen einem Zwitschern zugeneigten Edgar Allan Poe stand „Ein Fass Amontillado“ herum. Dostojewskijs Kriminalroman „Schuld und Sühne“ sollte ursprünglich „Der Trinker“ heißen, dem Alkoholismus war darin eine weit zentralere Rolle zugedacht. Dostojewskij wollte Randexistenzen zeigen, vor denen die Gesellschaft die Augen verschloss. Sein Verleger Krajewski jedoch hielt das Thema für nicht literaturfähig. Dostojewskij verlegte daraufhin das Alkoholismusproblem in eine Nebenhandlung, suchte sich einen anderen Verlag. Neuer Held des Romans wurde Rodion Romanowitsch Raskolnikow, der die Gerechtigkeit Gottes hinterfragt. Dem verwitweten und dem Alkohol verfallenen Beamten Marmeladow begegnet er in einer Kneipe. Dessen Tochter Sofja verkauft ihren Körper, um die Familie und die Trunksucht ihres Vaters zu finanzieren.

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Jack Londons autobiografischer Roman „König Alkohol“ von 1913 (Originaltitel: John Barleycorn), ein zeitloser Klassiker der Suchtliteratur, kann auch als eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme des amerikanischen Alkoholproblems gelesen werden. Am Ende des Buches befürwortete Jack London, was dann bald Realität werden sollte. Als der 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (18. Amendment) im Januar 1920 in Kraft trat, glaubten die Verfechter damit die Kur für alles Üble in der Gesellschaft gefunden zu haben. Tatsächlich war die Prohibition eine Investment- und Incentivprogramm für das organisierte Verbrechen, einen US-Präsidenten John F. Kennedy hätte es ohne beide kaum gegeben.

Durch zahlreiche Quellen ist dokumentiert, dass Joseph Kennedy gleich zu Beginn der Prohibition in den Alkoholschmuggel einstieg. Und dann mit Mafia-Hilfe steinreich wurde. Der Alkoholschmuggel war präsidial abgesichert: Nachdem Präsident Warren G. Harding(1921‒1923), selbst ein Alkoholiker, aufgrund seiner unzähligen außerehelichen Affären untragbar wurde, sicherte sein Nachfolger Calvin Coolidge (1923‒1929) dem kubanischen Gangster Esposito und allen von ihm mit Zucker belieferten Abnehmern ‒ darunter Joe Kennedy ‒ Protektion zu, als Gegenleistung für politische Unterstützung.

ju_all-american_ads_alc_tobacco_p201Upton Sinclair focht als „trockener Moralist“ noch 1931 in seinem Roman „Alkohol“ für die Prohibition In seinem „The Cup of Fury“ (Becher des Zorns) beklagte er sich 1954: „Es war mein Schicksal, unter trinkenden Menschen zu leben, unter Romanautoren, Dichtern, Dramatikern und Stars von Bühne und Film. Ich habe mehr als vierzig von ihnen gekannt, die untergingen, elf von ihnen endeten durch Selbstmord. Es ist furchtbar, wie viel Talent und Genie durch Alkohol zugrunde gerichtet wird.“

Cornell Woolrichs zweiter Roman „Sperrstunde“ (Pick-up) von 1955 hatte einen Barkeeper als Hauptfigur, nach der Arbeit geht der erst mal einen trinken. „Mein Name ist Harry Jordan“, stellt er sich der Frau vor, der er in „seiner“ Kneipe drei Kaffee serviert und auf eine Bezahlung verzichtet, weil er sie ohne Handtasche hereinkommen und ihre Not gesehen hatte und nun mit ihr an einer anderen Theke steht.

„Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, und wenn ich nicht arbeite, trinke ich.“ Sie antwortet: „Mein Name ist Helen Meredith. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, und ich arbeite überhaupt nicht. Ich trinke dauernd.“ Er nimmt sie mit in seine Bleibe, eine Pension. „Sie war die attraktivste Frau, die mir seit Jahren begegnet war. Die Tatsache, dass sie Alkoholikerin war, störte mich nicht. In gewisser Hinsicht war ich selbst Alkoholiker. Sie scheute sich nicht zuzugeben, dass sie soff; sie war sich dessen wohlbewusst und sie hatte nicht die Absicht aufzuhören. Sie hatte mir nicht erst sagen müssen, dass sie soff. Einen Alkoholiker erkenne ich innerhalb von zwei Minuten.“

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„Ich vermied es gerade noch so, ein Alkoholiker zu werden“, fasste Simenon in „Als ich alt war“ in einem Eintrag von 1961 seine Jahre in den USA zusammen, er hatte sich dort von 1945 bis 1955 niedergelassen. „Gewisse Leute haben mich mit Rotwein arbeiten sehen, andere mit Apfelmost, Muscadet, Whisky, Grog, mit was weiß ich noch alles. Wer mich betrunken gesehen hat, wird mich immer betrunken sehen, für das Gegenteil gilt das gleiche.“ Mit seinen Maigret-Romanen gewöhnte er sich das Weintrinken an, kam Anfang der 40er Jahre dann auf täglich drei Flaschen Claret.

„Betrunken aber war ich selten“, reklamierte er. „Ich brauchte, besonders zum Schreiben, schon am Morgen einen Aufwecker, und ich war der Ansicht, dass ich anders nicht schreiben könnte. Jenseits der Arbeit trank ich alles, Aperitifs, Cognac, Calvados, Marc, Champagner.“
In Amerika gewöhnte er sich Cocktails mit Gin an, und vor allem Scotch Whisky, und betrat eine Welt, „einen besonderen, beinahe dauerhaften Zustand, in dem man vom Alkohol bestimmt wird, ob es in den Stunden des Trinkens ist oder jenen, in denen man ungeduldig auf das Trinken wartet, beinahe ebenso schmerzerfüllt wie ein Drogenabhängiger auf seinen Schuss. Wer diesen Zustand nicht kennt, wird das Leben in Amerika kaum verstehen. Nicht jeder trinkt, aber … die Massen werden weniger anonym, die Bars wirken anders als schlecht beleuchtete Orte, die Taxifahrer werden freundlicher und Leute weniger bedrohlich.“

CrimeMag-Kolumnist Christopher G. Moore hat einmal versucht, die Zahl der konsumierten Drinks in Ross Thomas’ „Kälter als der Kalte Krieg“ zu zählen und – „it defies belief“ – ungläubig aufgegeben. Ein nettes Detail hierzu ist die antiquarisch ziemlich begehrte britische Hardcover-Erstausgabe von „Cold War Swap“: 1967 von Hodder & Stoughton herausgebracht und mit einem Cover von Peter Calcott versehen, trug sie den Titel „Spy in the Vodka“.

Vier Oscars für ein Wochenende mit Filmriss

Doch zurück ins seh rgroßzügig und übersichtlich gestaltete Buch, das sich in Dekaden gliedert und in zehn informativen Artikeln einen immer wieder neuen Blick auf sein Thema wirft. Quer durch das ganze Buch zieht sich eine fein illustrierte Zeitlinie, die in vielen kleinen Details eine eigene Kulturgeschichte aufblättert. Zum Beispiel:

1912 sinkt die Titanic, einige Passagiere rauchen bis zur letzten Minute, andere hängen bis zuletzt an der Bar.
1915 werden Whiskey und Brandy von der offiziellen US-Medikamentenliste gestrichen.
ju_all-american_ads_alc_tobacco_p0011917 behaupten Tabakfirmen, ihre Zigaretten würden die Moral der Truppe hochhalten.
1919 verbietet der Volstead Act de facto alkoholische Getränke. Die Prohibition beginnt.
1922 zählt New York geschätzte 5.000 illegale Alkoholausschänke.
1928 Diätempfehlung: „Greifen Sie lieber zur Lucky als zu Süßigkeiten.“
1929 beginnt die Sache mit den „Freiheitsfackeln“.
1932 erfindet George G. Blaisdell das Zippo-Feuerzeug.
1933 endet die Prohibition, die unterm anderem Joe Kennedy steinreich machte.
1934 trinkt sich PrivatdetektivNick Charles durch Hammetts „Der dünne Mann“.
1940 stieg der Absatz von Lucky Strikes rasant, nachdem Raymond Loewy das Logo überarbeitet hatte.
Der Bierkonsum nimmt zwischen 1941 und 1945 in den USA um über 40 Prozent zu.
1943 erreicht der Zigarettenkonsum in den USA einen neuen Rekord: 290 Milliarden Zigaretten gehen über die Tresen.
ju_all-american_ads_alc_tobacco_p123Zwischen 1940 und 1945 steigt dank großflächiger Werbekampagnen der US-Tabakkonsum um 75 Prozent an.
1945 streicht „Das verlorene Wochenende“, ein Film über die Sauftour eines Alkoholikers mit Glenn Ford (CrimeMag dazu hier), vier Oscars ein.
1947 trinken die Amerikaner pro Kopf geschätzte 7,68 Liter reinen Alkohol pro Jahr.
1950 spielt James Stewart in „Harvey“ einen Trinker, dessen bester Freund ein unsichtbares Kaninchen ist.
1954 gibt es bereits gesundheitsbedenken gegen das Rauchen. Die neue Marlboro-Kampagne von Leo Burnett setzt sich darüber hinweg.
1965 führen die USA obligatorische Gesundheitswarnungen auf Tabakverpackungen ein.
1968 übernimmt der kernige Marlboro-Mann Darrell Winfield den Job als Werbecowboy.
ju_all-american_ads_alc_tobacco_p3191971 wird in den USA Zigarettenwerbung in Radio und Fernsehen verboten.
1975 streicht die US-Armee die tägliche Tabakzuteilung.
Ebenfalls 1975 hat auch Tom Waits mit Alkohol den Blues, wie man in „Warm Beer and Cold Women“ erfahren kann.
1981 trinkt Karen Allen in „Jäger des verlorenen Schatzes“ alle harten Männer unter den Tisch.
1984 verabschieden die USA ein Gesetz, mit dem das Mindestalter für Alkoholkonsum auf 21 angehoben wird.
1986 gestaltet Andy Warhol eine Kampagne für Absolut Wodka.
1987 taucht erstmals die Comicfigur Joe Camel auf.
1997 Wegen des Vorwurfs, sie richte sich an Jugendliche, wird die Joe Camel-Kampagne eingestellt.
1998 Jeff Bridges als der „Dude“ kippt einen White Russian nach dem anderen in „The Big Lebowski“.

Die Sache mit den Freiheitsfackeln

Die Autoren sind profis. Jim Heimann hat für Taschen schon mehr als ein Dutzend Bücher herausgegeben – zuletzt das hier bei CrimeMag besproche „The Real Los Angeles Noir“ -, eine seiner Spezialitäten ist die Kulturgeschichtsschreibung per Werbeanzeigen und Werbekampagnen. Mit Steven Heller hat er sich einen ausgewiesenen Werbefachmann ins Boot, oder soll ich sagen: ins Glas geholt, er ist Autor von mehr als 170 Büchern über Design, Illustration und Kunst. 

Im Vorwort „Rauch und Rausch“ wird Edward Bernay erwähnt, ein Neffe von Sigmund Freud und Mitbegründer der Public Relations, Autor von „Propaganda“ (1928) und „The Engineering of Consent“ (1955), der nach dem Ersten Weltkrieg von der American Tobacco Company angeheuert wurde, um Frauen zu Raucherinnen zu machen. Bis dahin war dieses Marktpotenzial unerschlossen geblieben. Am 31. März 1929 organisierte er während der jährlichen Osterparade auf der New Yorker Fifth Avenue einen Frauen-Protestmarsch und bezahlte „tendenziell progressive“ Frauen dafür, sogenannte Freiheitsfackeln anzuzünden. Seine Sekretärin Bertha Hunt und andere Frauen steckten sich vor aller Augen auf der Straße Lucky Strikes an und entfachten damit einen prächtig öffentlichkeitswirksamen Skandal. Je mehr Frauen ihre „Fackeln“ anzündeten, desto mehr wurde darüber berichtet. Und das wiederum kurbelte den Verkauf von Luckies an.

Solche Geschichten finden sich zuhauf. Es geht hier schließlich um einstmalige Grundnahrungsmittel.

 Alf Mayer

Jim Heimann, Steven Heller: 20th Century Alkohol & Tobacco. 100 Years of Stimulating Ads. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2018. Format 30.2 cm x 23.8 cm, 392 Seiten, 30 Euro. Verlagsinformationen.

PS. Werbung für Tabakerzeugnisse ist heutzutage in den Ländern der europäischen Union unterschiedlich stark eingeschränkt. Tabakwerbung im Internet, in Zeitungen und Zeitschriften ist seit 1. Januar 2007 einheitlich durch eine EU Richtlinie (2003/33/EG) verboten. Außer Deutschland haben mittlerweile alle Mitgliedsstaaten Gesetze eingeführt, die Tabakwerbung und Sponsoring umfassender verbieten als das in Deutschland noch der Fall ist. Im Tabakkontrollindex der europäischen Krebsligen von 2016 erreicht Deutschland im Bereich Werbe – und Sponsoringverbote nur 4, die restlichen EU Staaten aber zwischen 6 und 13 von 13 möglichen Punkten.
Die Regelungen in Deutschland: Werbespots für Zigaretten und Tabakerzeugnisse sind im Radio und Fernsehen seit 1975 verboten.
Sponsoring von Rundfunk- und Fernsehsendungen durch Zigarettenhersteller ist seit 1. August 1999 durch Rundfunkstaatsvertrag nicht mehr erlaubt.
Tabakwerbung im Kino vor 18 Uhr verbietet das Jugendschutzgesetz seit 2002.
Auf Plakatwänden und Litfaßsäulen darf ab 2020 nicht mehr für Zigaretten und Co. geworben werden. Industrie und Werbewirtschaft kritisieren das Verbot scharf. 
Alkoholwerbung läuft in Deutschland zur besten Sendezeit. Daran wird auch die neue EU-Medienrichtlinie nicht viel ändern. Ein großer Erfolg für die Lobbyisten, die den Glauben aufrechterhalten, Alkohol in Maßen sei gesund.

ju_all-american_ads_alc_tobacco_p365Ein Factsheet der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen hier.

Tabakmuseen gibt es meist nur regional, zum Beispiel in Lorsch oder in Bünde. Stockholm hat ein kleines Spritmuseum, Wien ein Schnapsmuseum. Mit über 400 Exponaten wartet das Schwäbische Schnapsmuseum in Bönningheim auf.
Meine CulturMag-Serie „Alkohol im Kriminalroman“ hier:

Teil I: Lokalrunde! Das Mac’s-Place-Quartett von Ross Thomas ist vollständig.

Teil II: Reise in die Feuchtgebiete. Alkohol im Kriminalroman. Sara Gran, die Prohibition, Jack London, W.R. Burnett, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Jonathan Latimer.

Teil III: Den Krieg betäuben, auch den in sich selbst …Raymond Chandler, der Film Noir, Billy Wilders „The Lost Weekend“, William Wyler, Peter Lorre, Norman Mailer, Sigmund Freud.

ju_all-american_ads_alc_tobacco_p345Teil IV: Bar jeder Vernunft: Die frühen 50er. James M. Cain, Cornell Woolrich, John D. MacDonald, Mickey Spillane, Jim Thompson, Ezekiel C. Gathing, Senator Joe McCarthy, Sterling Hayden.

 Teil V: Gnädig beduselt die Welt ertragen. Charles Willeford, Chester Himes, Patricia Highsmith, Georges Simenon, Wade Miller, John D. MacDonald, Dennis Lehane.

Teil VI: Die Würde behalten – in der Gosse. Ed McBain.

Teil VII: Wambaugh und Anderson: von Vietnam in die Innenstädte. Joseph Wambaugh, Kent Anderson.

Teil VIII: „Nights of poetry and poses“ – Larry Blocks Matthew Scudder (Teil 1).

Teil IX: Durch geschwärztes Glas in die Sonne sehen ‒ Larry Blocks Matthew Scudder (Teil 2).

(Alle Illustrationen – bis auf J.-P. Manchette – mit freundlicher Genehmigung des Verlags Benedikt Taschen und von Jim Heimann und Steven Heller.)

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