Geschrieben am 2. Januar 2009 von für Comic, Crimemag

Fabien Nury und John Cassaday: Ich bin Legion

Blut & Beißer

1942. Graf Dracula alias Vlad lebt. Oder so. Die Nazis sind entzückt, die Brits wollen auch profitieren und im Grunde ging es im Zweiten Weltkrieg nur um so etwas: Blut, Wölfe und geile Uniformen. Oder so. So könnte man zumindest den Comic Ich bin Legion verstehen. Muss man sogar, befürchtet Thomas Wörtche.

Eine gelungene Ästhetik kann so ziemlich alles retten – möchte man zumindest immer gerne vermuten.

Ich bin Legion
, eine hier und da hochgefeierte und -gehypte Kooperation zwischen französischer Comicszenario-Kunst und amerikanischer Bilderästhetik, könnte der Beleg für diese These sein. Denn das Szenario von Fabian Nury (France) stellt für die Bilder von John Cassaday (USA) eine echte Herausforderung dar. Es geht nämlich mal wieder um die zeitgeistig gerade schicke Verquickung von Nazi-Horror mit allerlei Viechzeuch auf der „fantastischen Ebene“. Hier um Dr.Mengele-hafte Menschenversuche, rumänische Vampire, steuerbare Tötungsmaschinen aus Fleisch und Blut, um Führer- und Wolfskult, um Blut und Bibelsprüche (Markus, 5.9) um KZs, um Widerstand, um Heydrich und das Attentat in der Wolfschanze und um Geheimdienste (auch der britische Geheimdienst spielt mit). Nun ist ja allerspätestens seit Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow aus dem Jahr 1973 das Herumspielen von obskuren Regierungseinrichtungen mit parapsychologischem Fidelwipp (Stichwort: „Voodoo gegen den Führer“) als Thema von Literatur und Marginalie zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges nichts berauschend Originelles mehr, und einschlägige Bücher auf den dünnen Grenzlinien von Trash und Provokation, Satire und Groteske wie Norman Spinrads Stählerner Traum sind ebenfalls schon längst Literaturgeschichte.

Stumpfe Brillanz

Neu ist also allenfalls der pathetische Ernst, mit dem Nury/Cassaday ihr Projekt durchziehen – dass das „Genre“ namens „Historische Horror-Fantasy“ (oder wie man diese Mixtur nennen will) dergleichen zu verlangen scheint, ist kein einleuchtendes Argument dafür, dass so etwas a) sinnvoll sein sollte und b) deswegen schon gelungen ist.
Denn die Brillanz, mit der John Cassaday diese sinnfreie Geschichte über die Spätwirkungen von Graf Vlad (dem Türkenschlächter) in Szene setzt, ist schon beeindruckend. Vor allem das kalte, transparente Farbdesign (vielleicht sollte man da sogar der Koloristin Laura Depuy das ganze Verdienst für die ästhetischen Pluspunkte zusprechen), die dramaturgisch geschickt aufgeteilten Seiten, die rhythmisch sinnvollen Panels stehen im argen Kontrast zu dem schieren Unfug, der uns da erzählt wird. Interessanterweise spielt an manchen Stellen das Handwerk den Machern einen bösen Streich – man kann oft nicht unterscheiden, welche Figuren gerade handeln, denn die Physiognomien gehen daneben, Gesichter und grafische Merkmale werden austauschbar und man neigt dazu, sie zu verwechseln (und das ist in diesem Fall kein Kunstgriff). Die Freude an spektakulären Einstellungen – Mann, von Wölfen eingekreist, gesehen aus der Vogelperspektive; Körper, die in Peckinpah’scher Zeitlupe von Kugeln durchsiebt, platzen und andere Effekte – löst sich von Geschichte.

Autsch …

Das Herumgespiele mit Nationalsozialismus, Vampirismus, Gräuel und realem historischem Horror muss man noch nicht einmal als fade Geschmacklosigkeit aasig finden (obwohl es das in diesem Fall schlichtweg ist: sehr öd & blöd), es funktioniert einfach nicht als Comic. Übrig bleiben ein paar schöne Einzelbilder und –seiten. Der Rest ist unerträglich albern.

Und die franko-amerikanische Kooperation, ach ja, die gibt es schon lange und ein Qualitätsmerkmal per se ist sie ganz sicher nicht. Wir kämen aber auch nicht von alleine auf diese Idee, da musste man uns schon mit dem Marketing für das Album mit Gewalt draufstoßen. Autsch …

Thomas Wörtche
Fabien Nury/John Cassaday: Ich bin Legion
(Je suis Légion/I am Legion, 2004-2008). Deutsch von Kai Wilksen.
Asperg: Cross Cult Comics 2008. 175 Seiten. 26,00 Euro.