Geschrieben am 15. November 2008 von für Comic, Crimemag

Éric Liberge: Mardi Gras-Unter Knochen: Band I. Willkommen

Quecksilber-Cocktails

Im Reich der Toten feift man sich gerne ein paar Quecksilbermixgetränke rein. Wenn man nicht gerade versucht, für eine leicht angeknackste Rippe ein paar neue Speichenknochen zu kriegen. Ein beinharter Kosmos, den uns der französische Comic-Künstler Éric Liberge da entwirft. Vergnügt betrachtet von Thomas Wörtche

Vergessen wir Frédéric Boutets nette Prosa-Idyllen aus dem Reich der Skelette („Wenn wir gestorben sind“) und schalten kurz zurück zu José Guadalupe Posada, dem genialen mexikanischen Graphiker und Illustrator (1852–1923), von dem auch unser Lagartijo stammt.

Zu Posadas noch heute in Mexiko ungeheuer populärem Bilder-Universum gehören seine calaveras, Skelette, die das tun, was sie eigentlich nur am Día de los Muertos tun: ein normales Leben leben. Saufen, essen, töten, intrigieren, lieben und hassen … Natürlich sind sie dann auch Vehikel von Spott, Satire, Parodie, Ironie und Träger politischer oder ideologischer Positionen. Der Kosmos der calaveras ist unsere Welt, zeitlich leicht post mortem verschoben.

Post mortem

Éric Liberge hat nun seinen eigenen Kosmos mit seinen eigenen calaveras geschaffen, die ganz nahe Verwandte der Posadaschen Knochenmenschen sind. Victor Tourterelle, Held unserer vierbändigen Geschichte, deren erster Band bei Splitter erschienen ist, war Kartograph, bevor er sich, auf dem Spielzeugauto seines Sohnes ausrutschend, im Badezimmer das Genick gebrochen hat. Als in Hamlet-Pose dasitzende Allegorie in gut barocker Vanitas-Tradition grübelt er über sein Schicksal, das alsbald vom Postboten 23 heftig beschleunigt wird. Tourterelle heißt ab sofort Mardi-Gras Aschermittwoch, weil er zu dieser Zeit gestorben ist und hat, als Kartograph (J.L. Borges lässt grüßen) sofort die Begehrlichkeiten eines Geheimbundes, der die letzten metaphysischen Dinge lösen will, erweckt. So schlittert der gute Kartograph mit seiner Fähigkeit zum Ausflippen in eine politthriller-hafte, völlig absurde und sehr komische Intrige über die Topographie des Jenseits und das tiefe Wesen des Kaffees. Albern ist das alles seltsamerweise nicht, aber im besten Sinne spaßig. Und ästhetisch sehr befriedigend, weil die brillant reproduzierten Bilder (Tinte, nur sehr spärlich und akzentuiert koloriert) mit den tausend einfallsreichen und witzigen Details ein Thesaurus für die Augen sind. Schaulust pur.

Thomas Wörtche

Éric Liberge: Monsieur Mardi Gras – Unter Knochen: Band I. Willkommen (Mardi-Gras Descendres 1: Bienvenue, 2004). Deutsch von Thomas Strauss. Bielefeld: Splitter 2008. 64 Seiten.13,80 Euro.