Geschrieben am 28. Mai 2011 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Eine Erinnerung an Ernest Tidyman

Ein tödlicher Job

– Eine Erinnerung an Ernest Tidyman, der vor 40 Jahren sein Debüt als Drehbuchautor hatte. Von Frank Göhre.

– Anfang der Siebzigerjahre lebte der Regisseur Martin Scorsese („Good Fellas“, „Casino“, „Departed“ u.a.) für einige Zeit in Los Angeles. Im Haus des Produzenten Fred Weintraub lernte er dessen Tochter Sandy kennen und lieben. Am Abend ihrer ersten Verabredung gingen sie ins Kino:

Shaft
Who’s the black private dick

That’s a sex machine to all the chicks?
(Shaft!)

Shaft ist ein schwarzer New Yorker Detektiv – stolz, stark, ultracool und sexy, äußeres Merkmal: schwarze halblange Lederjacke. Dargestellt wird er in drei Kinofilmen – „Shaft“ (1971), „Shaft’s Big Score“ (1972), „Shaft in Afrika“ (1973) – und in einer leider ziemlich lahmen siebenteiligen Fernsehserie (1973–74) von Richard Roundtree (Richard Roundtree remembers Isaac Hayes). Die beiden ersten „Shaft“-Filme drehte der afroamerikanische „Life“-Fotograf Gordon Parks. Aufgrund ihres kommerziellen Erfolgs lösten sie in den Siebzigerjahre die Produktion einer Menge schwarzer Unterhaltungsfilme aus, die als Blaxploitation Movies in die Filmgeschichte eingegangen sind.

Titelsong und Soundtrack von „Shaft“ elektrisierten an jenem Abend in Los Angeles nicht allein den Rockfreak Scorsese (Regisseur auch von „The Band. The Last Waltz“, „No Direction Home. Bob Dylan“, „Shine a Light. Rolling Stones“ und Cutter beim legendären „Woodstock“ Film) – der Titel riss praktisch jeden Kinobesucher mit und ist heute fester Bestandteil heißer Dancefloor-Nächte. Isaak Hayes bekam 1972 dafür einen Grammy Award und einen Oscar:

Shaft
Who’s the black private dick

That’s a sex machine to all the chicks?
(Shaft!)

You’re damn right
Who is the man

That would risk his neck for his brother man?
(Shaft!)

Can ya dig it?
Who’s the cat that won’t cop out

When there’s danger all about
(Shaft!)

Bei der Verleihung am 10. April im L.A. Dorothy Chandler Pavilion wurde ein weiterer Oscar an den Mann vergeben, der den „James Bond in black“ kreiert hatte – allerdings nicht für eben diese Filmfigur, sondern für „French Connection“ als bestes adaptiertes Drehbuch: „The winner is – Ernest Tidyman!“

Der damals 44-jährige Autor ist in Cleveland, Ohio, geboren und aufgewachsen. In den letzten Kriegsjahren war er in der Army, 1947 wurde er wie sein Vater Journalist und schrieb für die „Cleveland News“. Er durchlief sämtliche Ressorts, bevor er dann Polizeiarbeit und Gerichtsprozesse reportierte – eine harte, aber gute Schule in einer Stadt mit einer immer schon überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate. 1960 ging er nach New York und arbeitete für die „New York Post“ und „New York Times“.

Literweise Kaffee, jede Menge Zigaretten und spätestens nach Redaktionsschluss mehrere harte Drinks gehörten zu seinem Tagesablauf. Er hatte geheiratet, war Vater von zwei Söhnen und führte das Leben eines von seinem Job Getriebenen – mit einem Supergehalt allerdings. Sein Traum aber war, sich als ausschließlich freier Autor einen Namen zu machen und natürlich auch davon leben zu können. New York ist eine teure Stadt. Schließlich riskierte er es und debütierte 1968 mit gleich zwei inhaltlich grundverschiedenen Büchern: „Flower Power“ ist die fiktive Geschichte der jungen Phyllis Greenfield, die von zu Hause ausriss und in Haight-Ashbury, San Francisco, dem Zentrum damaliger Hippies, LSD einwarf und mit Blumen im Haar love and peace zelebrierte. „Unlesbar“, urteilte ein Kritiker.

Der zweite Roman „The Anzio Death Trap“ hatte die reale Landung der alliierten Truppen bei der italienischen Küstenstadt Anzio zum Thema, die Operation Shingle, an der Tidyman als junger Soldat teilgenommen hatte. Auch dieses Buch war nicht gerade der Hammer.

1970 aber schaffte er mit dem für einen Weißen zu Black-Panther-Zeiten und auch grundsätzlich nicht gerade unproblematischen Projekt den Durchbruch. Sein erster „Shaft“-Krimi von dann insgesamt sieben Titeln erschien (Thomas Wörtche über die Neuausgabe der Shaft-Romane) und Tidyman schrieb auch selbst das Drehbuch zu dem ausschließlich in New York gedrehten Film. Er kam am 2. Juli 1971 in die Kinos. Beides – Roman und Film – „funktionierte“, wie heutige Medienmacher es nennen würden, und so ging es fortan mit dem sich auch clever verkaufenden Autor rasant bergauf.

Der „Bullitt“-Produzent Philip D’Antoni beauftragte ihn, das Script nach dem Bestseller seines Autorenkollegen Robin Moore zu erarbeiten. „The French Connection“ ist ein auf Tatsachen basierender Thriller, der die Zerschlagung eines internationalen Drogenrings durch die New Yorker Polizei beschreibt, ausgehend von den Ermittlungen der beiden Kriminalinspektoren Edward Egan und Salvatore „Sonny“ Grosso: „Es war Sonnabend Nacht [7. Oktober 1961], elf Uhr vierzig, als Egan seinen kastanienbraunen Corvair, Baujahr 1961, auf der 60th Street East parkte und mit Sonny den Nightclub betrat  –  ohne die leiseste Ahnung, dass sie sich damit auf eine Odyssee von Intrigen und Machenschaften begaben, die sie während der nächsten viereinhalb Monate nicht zu Atem kommen lassen würde und die erst eineinhalb Jahre später ein Ende haben sollte.“

Ernest Tidyman lieferte ein nahezu perfektes Drehbuch, was angesichts der von Robin Moore doch sehr langweilig erzählten Story nicht hoch genug zu würdigen ist, und D’Antoni gab es dem bis dato nur als Regisseur von Dokumentarfilmen bekannten William Friedkin.

Und Friedkin „machte etwas, was Regisseure in ihrer Karriere normalerweise nur ein einziges Mal, wenn überhaupt, hinkriegen. Er machte alles richtig. Er besetzte den stets sauertöpfisch wirkenden Gene Hackman für die Rolle des bornierten Cops Popeye Doyle [= Edgar Egan] und Roy Scheider als seinen Sidekick Buddy Russo [= Salvatore „Sonny“ Grosso]. Er gab dem Bunuel-Veteranen Fernando Rey die Rolle des eleganten Bösewichts Alain Charnier und hatte damit alle sämtliche Hauptrollen perfekt verteilt.“ (Jürgen Egger in „steadycam“, Februar 2001).

Im Nachhinein allerdings versuchte er Tidymans Leistung mit der Bemerkung zu schmälern, die meisten Dialoge seien erst beim Dreh entstanden – aber das behaupten Regisseure und auch Schauspieler seit jeher immer wieder gern.

Die Herstellungskosten beliefen sich auf 1,8 Millionen Dollar, gedreht wurde in fünf Wochen im New Yorker Winter 1970/71 und bei der Oscar-Verleihung 1972 erhielt „French Connection“ fünf der begehrten Trophäen – bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller (Gene Hackman), bester Schnitt und eben bestes adaptiertes Drehbuch. Tidyman wurde zudem noch mit dem Writers Guild und dem Edgar Alla Poe Award ausgezeichnet.

Der Film spielte allein in den USA 26,3 Millionen Dollar ein, dazu kamen 12 Millionen aus dem Ausland und 2 Millionen aus einem Fernsehdeal. Friedkin stieg in die Top Ten der Hollywoodregisseure  auf und auch Ernest Tidyman machte dem Vernehmen nach einen guten Schnitt. Er war inzwischen geschieden und hatte zum zweiten Mal geheiratet.

Man schreibt und schreibt.
Nur die Anzahl der Nullen auf dem Gehaltsscheck
hat sich geändert.

Ernest Tidyman auf die Frage eines
alten Freundes nach seinem Befinden.

Er skizzierte bereits sein nächstes Projekt. Es war voll auf Clint Eastwood zugeschnitten und nahezu identisch mit dessen Rolle des wortkargen Gunman in Sergio Leones drei Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“ (1964), „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) und dem grandiosen „Zwei glorreiche Halunken“ (1967): Flimmernde Hitze. Ein Reiter kommt ins Bild. Stoppelbärtig, der übliche Westernhut, wadenlanger Mantel. Er reitet in ein kleines Städtchen am Rand der Wüste ein. Drei üble Burschen provozieren ihn. Er erschießt sie. Eine Frau beschimpft ihn. Er vergewaltigt sie und gibt den eingeschüchterten und zugleich faszinierten Bürgern zu verstehen, dass er vorerst bleiben wird. Aus Angst vor drei weiteren aus dem Bezirksgefängnis entlassenen Verbrechern engagieren sie ihn, um sie zu beschützen. Doch im entscheidenden Moment überlässt er sie sich selbst und killt erst dann die drei bösen Jungs – bevor er weiter zieht in die wieder flimmernde Hitze.

Clint Eastwood kaufte die Story für seine erst vor kurzem gegründete Produktionsfirma „Malpaso“ – was auf spanisch „schlechter Schritt“ bedeutet und außerdem der Name eines kleinen Baches war, der damals durch sein Grundstück in Carmel floss (Richard Schickel: „Clint Eastwood. Eine Biografie“, München, 1998).

Eastwood führte dann auch selbst Regie bei dem Film, der 1973 unter dem Titel „High Plains Drifter“ in die Kinos kam und in Deutschland als „Ein Fremder ohne Namen“ lief.

Der Filmkritiker und Westernspezialist Joe Hembus schrieb: „Mit „High Plains Drifter“ drehte er „Für eine Handvoll Dollar“ auf seine Weise noch einmal, die Eastwood -Version der Geschichte vom namenlosen Fremden, der in eine Stadt kommt, unbewegt, ungerührt, unverwundbar, und der da keinen Stein auf dem anderen, keine Visage intakt lässt … Der Fremde ohne Namen ist eigentlich Jesus Christus, gekreuzigt, begraben, aber unsterblich: wiederauferstanden, um ohne zu zögern, aber unter Einhaltung aller Rituale, das jüngste Gericht abzuhalten“ (Joe Hembus, Western Lexikon, München, 1978).

Ohne Ernest Tidyman oder gar Clint Eastwood als Regisseur herabzuwürdigen, kann angemerkt werden, dass beide damals sicher nicht in dieser religiösen Dimension gedacht haben.

Eastwood war ohnehin mit Tidymans letzter Drehbuchfassung nicht zufrieden und gab das Script zur Überarbeitung an seinen alten Kumpel Dean Reisner. Reisner zeichnete dann auch für die Endfassung, durfte aber aufgrund eines Schiedsspruchs der Autorengilde nicht in den Credits aufgeführt werden, was Eastwood nachhaltig verärgerte.

Es ist von daher auch eher unwahrscheinlich, dass Tidyman – wie bei Wikipedia vermerkt – die literarische Vorlage für „Dirty Harry II. Calahan“ geliefert haben soll. Sämtliche anderen Quellen schreiben John Milius sowohl die Idee wie auch zwei Drittel des Drehbuchs zu, dass dann von Michael Cimino abgeschlossen wurde.

Tidyman war zu der Zeit ohnehin noch mit der Romanfassung von „High Plains Drifter“ und parallel mit dem Abschluss und der Dramatisierung seines dritten „Shaft“-Romans (deutsch: „Shaft beim Kongress der Totengräber“, Bielefeld, 2003) voll ausgelastet.

In seiner zweiten Ehe wurde er nochmals Vater von zwei weiteren Söhnen. Sein Tabak- und Alkoholkonsum nahm rasant zu. Er musste sehr viel und sehr schnell schreiben. Es konnte nicht genug Geld ins Haus kommen. Als Oscar-Preisträger aber hatte er keinen Mangel an lukrativen Aufträgen, und es waren in Regel auch Auftragsarbeiten, die er in jenen Jahren zügig erledigte. Neben dem „Totengräber“-Stoff „Shaft’s Big Score“ (1972) und den Büchern für die siebenteilige Fernsehserie waren es Bearbeitungen literarischer Vorlagen wie die des semidokumentarischen Romans „Der einsame Job“ von James Mills – die Story einer brisanten Undercoveraktion mit Richard Gere als Nebendarsteller in seiner ersten Kinofilmrolle – oder auf Action getrimmte Produktionen, bei denen Tidyman mitunter nur Co-Autor war.

Wie auch immer: Tidyman hämmerte ein Drehbuch nach dem anderen in die Maschine, etliche davon wurden nie realisiert, aber immer gut bezahlt. Doch auch die filmografisch Aufgelisteten waren nicht gerade die Highlights seines Schaffens. „Abrechnung in San Francisco“ (1975) mit Roger Moore und Stacy Keach gilt zu Recht als „grobschlächtiges und langweiliges Gangsterdrama“ (Lexikon des internationalen Films); „Der Bulldozer“ (1978) ist einer der typischen Chuck Norris-„Hau drauf“-Filme und auch „Der Weg zur Macht“ (1979), der Aufstieg und Fall des berühmt-berüchtigten Gewerkschafters Jimmy Hoffa, ist filmgeschichtlich nur eine Marginalie. „Mauern des Schweigens“ (1979) hingegen ist dann wieder ein gut und engagiert geschriebenes Gerichtsdrama nach einem authentischen Fall, über den Tidyman bereits fünf Jahre zuvor das True-Crime-Buch „Dummy“ veröffentlicht hatte. Bei dem Film war er Mitproduzent.

Seine zweite Ehe war geschieden worden. Der Vater von vier heran wachsenden Söhnen heiratete zum dritten Mal. Die weiße Motown-Sängerin Chris Clark („Love Gone Bad“) wurde seine neue Frau. Sie war nicht nur Interpretin, sondern schrieb und komponierte auch. Als Co-Autorin des Diana Ross Erfolgsfilms „The Lady Sings The Blues“ (1972) war sie für einen Oscar nominiert.

1980 begann für Tidyman das letztes Lebensjahrzehnt. Drei seiner inzwischen deutlich trashiger gewordenen Drehbücher konnte er noch verfilmt sehen – „Alcatraz“ (1980) als Fernsehspiel, das Horrorspektakel „Guyana Massaker“ (1980) und „Flug aus der Hölle“ (1982) auf Breitwand und in Farbe.

Seine „Shaft“-Krimis hatte er 1975 mit den Sätzen abgeschlossen:

Er betrat die kleine, rechteckige Eingangshalle. Er spürte sofort, dass er nicht allein war. Auf der anderen Seite stand jemand. Er konnte ihn nicht genau erkennen. Aber er sah, dass der Lauf einer Waffe im Licht der Straßenlaternen glänzte. „Hände hoch. Geld her!“– „Hey, Mann“, sagte Shaft müde und erschöpft. „Was soll der Scheiß?“ – Das Glitzern des Metalls wurde zu einer blühenden Flamme, einer orangefarbenen und zinnoberroten Blume. Aber nur einen ganz kurzen Moment lang, den kürzesten, den es gab. Den Augenblick des Todes. (deutsch: „Shaft und die Geldwäscher“, Bielefeld, 2009, mehr hier).

Der Autor Ernest Tidyman trat am 14. Juli 1984 im Alter von nur 56 Jahren ab.
Die offizielle Todesursache war Nierenversagen,
obwohl dies nur ein „knapper“ Sieg des ersten
lebenswichtigen Organs war, das versagte. Er rauchte
und trank sein ganzes Leben.

Tidymans Sohn Nathaniel Rayle

Er rauchte und trank viel zu viel, und  er schrieb neben den sieben „Shaft“-Krimis noch neun weitere Romane. Von seinen Drehbucharbeiten wurden insgesamt einundzwanzig Bücher für TV und Kino realisiert. Er war ein Routinier – alles in allem ein verdammt guter. Hören wir zum Gedenken an ihn noch einmal Isaac Hayes mit Shaft, Live at Montreux:

Frank Göhre

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