Geschrieben am 5. Juni 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Ein Streifzug durch Südafrikas Krimi-Szene

Wo Vielfalt aufeinanderknallt

Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft sind de facto gigantische Multiplikatoren. Ein paar Aufmerksamkeitssplitter bleiben auch für die Kultur, davon ein paar für die Literatur und von diesen wiederum ein paar für die Kriminalliteratur. Im Falle Südafrikas sogar ganz speziell für die Kriminalliteratur. Thomas Wörtche hat sich den Trend angeschaut.

Ohne die globale Bedeutung von literarischen Schwergewichten wie Nadine Gordimer, André Brink und J. M. Coetzee schmälern zu wollen – Kriminalautoren wie Deon Meyer und in dessen Erfolgssog Roger Smith, Andrew Brown oder Margie Orford haben binnen einiger Jahre einen mindestens analogen Bekanntheitsstatus bei einem breiteren internationalen Publikum erreicht.

Man kann nun darüber streiten, ob und wie betrüblich oder erfreulich es sei, dass Genre-Autoren den Mainstream überholen, beziehungsweise ob und wie sie die literarische Repräsentanz einer Weltgegend übernehmen. Dass Südafrika auf jeden Fall eine Art El Dorado für Kriminalliteratur sein könnte, scheint nach allem, was wir über das Genre wissen, evident. Kriminalliteratur entsteht immer dort, wo sich Gesellschaften im Umbruch befinden, wo es gärt. Am besten in urbanen Gegenden, dort, wo sich Gesellschaften unter Druck verdichten, wo Vielfalt aufeinanderknallt.

Südafrika hat mit seiner rasend hohen Mordrate (man behauptet: im Moment die höchste der Welt in Gegenden ohne Krieg und Bürgerkrieg und unter einer formal stabilen Regierung, wobei angesichts des kollabierenden Mexikos dieser traurige Wettstreit nicht zu entscheiden ist), mit erschreckenden Zahlen von Vergewaltigung und Raub, mit einer erheblich korrupten Polizei, mit Verslumung und Ghettoisierung, mit hoher Arbeitslosigkeit und erschütterndem arm/reich-Gefälle, mit unzähligen Ethnien und zunehmender Migration aus anderen afrikanischen Staaten und den ganzen unappetitlichen Hinterlassenschaften der Apartheid alles, was nach literarischer Bearbeitung in Form von Kriminalliteratur geradezu brüllt.

Internationale Formeln …

Betrachtet man zum Beispiel die beiden international sehr erfolgreichen Thriller von Roger Smith (Kap der Finsternis, und mehr noch Blutiges Erwachen), dann kann man einen solchen Zusammenhang kaum von der Hand weisen. Smith’ Kapstadt gleicht einer Postdoomsday-Landschaft, wie aus einem Roman von Philip K. Dick – ein graues, stinkendes, blakendes Meer aus Wellblech und Müll, bewohnt von gewalttätigen, seelisch und körperlichen verstümmelten und verkrüppelten Menschen, mit Drogen bis zum Wahnsinn vollgeknallt, nur mittels einer Semiotik von Gewalt kommunizierend, auf der einen Seite – und in umzäunte, bewachte, gesicherte Ghettos der herrschenden Klasse selbst eingesperrte Leute, die ihren Reichtum auf so korrupte und böse Art und Weise erworben haben, dass selbst ihre teuren Kosmetika und Eau de Colognes den Gestank von Aas und Verwesung nicht übertäuben können.

Ein ähnliches Tableau bietet das Johannesburg, das uns Richard Kunzmann im ersten Band seiner nach den Hauptfiguren sogenannten Mason/Tshabalala-Trilogie, Blutige Ernte, bietet. Der vermutlich nicht zufällig nach Dashiell Hammetts Schlüsselwerk der Kriminalliteratur Red Harvest aus dem Jahr 1929 von Kunzmann Bloody Harvest genannte Roman beschreibt auch Jo’burg als eine beinahe unbewohnbare Stadt mit riesigen No-go-Areas, in denen das blanke Gesetz der Gewalt herrscht und deren Bosse und Slumlords mit einer korrupten Polizei und Politik im prächtigen, gewinnstrebenden Einvernehmen verbunden sind.

So wie Hammett grundsätzlich die analogen Strukturen von Big Business und Organisierter Kriminalität zusammen gedacht hat, versucht Kunzmann, alle (süd-) afrikanischen Problemfelder in kriminalliterarische Kompatibilitäten zusammen zudenken: Slum, Migration (besonders aus dem voodoo-notorischen Westafrika), Drogen, Korruption, ordnungspolitisches Niemandsland, internationale Vernetzung von Verbrechen und ein ungeheuer hohes alltägliches Gewaltlevel. Dazu kommt bei Kunzmann explizit das Thema Religion, Voodoo, Kult und Zauberei. In seiner Darstellung amalgamiert sich da viel Westafrikanisches mit einheimischer Hexerei. Die ganze erzählte Welt ist durchdrungen von exzessiv grausamen Ritualen, von der kriminellen Macht der Zauberer, von Numinosem, Visionärem, Transzendentem.

Das alles kontrastiert Kunzmann auch noch durch das explizite Christentum seiner Hauptfiguren. Die Schwarz-Weiß-Verteilung seiner Figuren – Detective Harry Mason, Brite, ist skeptisch und europäisch-aufgeklärt, borniert; sein Partner Jacob Tshabalala ist Bantu, kommt aus einer Zauberer-Familie, ist wiedergeborener Christ und spirituell „offen“ – klinkt sich, bei aller möglichen Realitätstüchtigkeit dennoch in ein Afrika-Bild ein, nach dem die schwarze Bevölkerung überwiegend abergläubisch ist und sich folgerichtig von charismatischen Figuren, wie in Kunzmanns Roman von dem Albino-Gangster ohne Namen, tyrannisieren lässt, wenn nur genug Dämonie und Hexerei inszeniert werden.

Ähnlich bei Roger Smith’ Blutiges Erwachen. Dort wird die farbige Bevölkerung in den Cape Flats (einem besonders üblen Ghetto) von den Gewaltritualen der Gangs derart tyrannisiert, dass rationales Handeln innerhalb dieses „Narrativs“ kaum noch möglich ist. Realitätstüchtig angesichts der Lebensumstände mag auch dieser Aspekt sein, als Erzähldominante des Romans aber bedient ein solches Narrativ globale Klischees, die ein großes Unbehagen vor nicht-weißer Irrationalität artikulieren oder zumindest bedienen.

Giga-Klischees

Beide Autoren, Kunzmann und Smith, komprimieren, könnte man sagen, so viele reale Südafrika-Aspekte in ihren Romanen, dass durch diese Komprimierung schon fast eine Überklischeeisierung passiert, die dann –ironischerweise – auf den internationalen Märkten gerne genommen wird, weil die Bücher eben alles, was wir uns über die „Hölle Südafrika“ heimlich gedacht haben und aus Furcht vor Vorurteilen nicht zu denken wagten, hier mit der Autorität der ortsansässigen Schriftsteller beglaubigt wird. Ohne komische Brechungen oder andere „uneigentliche“ Verfahren strahlt diese Art von Literatur etwas Starr-grimmiges, Naturalistisches, gar Veristisches und deswegen etwas unbehaglich Autoritäres ab. Lachen verboten!

Kein Wunder also, dass der derzeitige Doyen der südafrikanischen Kriminalliteratur, Deon Meyer, neulich in einem Statement davon sprach, dass seine Fiktion meilenweit von den Realitäten entfernt sei. Damit wollte Deon Meyer nicht den Befund dementieren, Südafrika sei eine zutiefst problematische Gesellschaft mit allen oben aufgezählten kriminellen Strukturen. Meyer wollte eher darauf hinweisen, dass sich die ausgefuchsten Plotführungen, in denen alle diese Elemente von Ritualmord bis Menschenhandel in einen speziellen narrativen Zusammenhang gebracht werden, nicht deswegen schon besonders „realistische“ Romane seien, die man beinahe wie Verbrechensreportagen lesen könnte. Durchaus eine leise Kritik an den Kollegen und Kolleginnen, zu denen man auch die eher Thriller-Standard strickende Margie Orford und Jassy Mackenzie hinzudenken darf.

Eine Chronik in Thrillern

Deon Meyer selbst spielt schon ein wenig außer Konkurrenz, denn seine Romane sind entweder eher hochauflösende Auseinandersetzungen mit der südafrikanischen Geschichte oder eben formal interessante Storys, deren literarische Fügung aus ihrer Literarizität keinen Hehl machen, wie sein jüngstes Buch Dreizehn Stunden – eine Art „Echtzeit-Thriller“ – beweist. Mit seiner Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er seit 1994, als sein erster, noch etwas unsicherer Roman erschien, an einer Chronik der Kaprepublik in Thrillern arbeitet (und nicht an einer Kriminalitätschronik), knüpft er an die Tradition an, die ein Wessel Ebersohn und der große James McClure begründet und in die sich hin und wieder auch Autoren wie André Brink eingeklinkt haben.

Natürlich bringt auch ein kleiner Boom, eine sekundäre Welle inmitten des WM-Tsunamis nicht alles und nicht alles Interessante zu uns: Es gibt eine Riege auf Afrikaans schreibender Kriminalschriftsteller und -schriftstellerinnen, es gibt Autoren, die auf Zulu schreiben und von denen wir höchsten ein paar kurze, in englischen Anthologien versammelte Texte kennen.

Nicht übersetzt auch die eher pragmatisch an einzelnen, konkreten Verbrechen interessierten Romane von Mike Nicol und solche wie die von ihm zusammen mit Joanne Hitchens geschriebene Serien. Die Übersetzungen dieser Bücher mögen noch ausstehen, falls der Boom sich auch noch nach der Weltmeisterschaft hält und falls die deutsche Nationalmannschaft nicht frühzeitig ausscheidet. Man erlaube mir diesen skeptischen Blick auf die Interdependenzen von großen Ereignissen und einem neurotischen Buchmarkt, mit dem ich durchaus nicht unbedingt recht behalten möchte.

Bemerkenswert auf jeden Fall erscheinen mir noch zwei Autoren, die beide tief in die Geschichte hinabsteigen, um zu einem stimmigen Bild des heutigen Südafrikas und seiner Kriminalität zu kommen: Andrew Brown gründet seinen kapitalen Roman Schlaf ein, mein Kind in den Anfangsjahren der Kapkolonie im 17. Jahrhundert, und Malla Nunn geht mit ihrem Swaziland-Thriller Ein schöner Ort zu sterben zu den verheerenden Apartheits-Entscheidungen der 1950er Jahre zurück. Beide Romane bedienen keinen irgendwie gearteten Sensationalismus, keine Exzesse, keine Show-Werte, keine Zeitgeistigkeiten und keine Markterfordernisse. Ihre Geschichten diktieren ihre Form.

Und dass Malla Nunn die einzige nicht-weiße Autorin unter all den hier aufgezählten Verfassern von Kriminalliteratur ist, sollte uns sehr zu denken geben.

Dieser Text ist auch in leicht veränderter Form in den Literaturnachrichten N° 105 erschienen.

Thomas Wörtche

Roger Smith: Blutiges Erwachen (Wake Up Dead, 2010). Roman.
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger & Peter Torberg.
Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta. 357 Seiten. 19,90 Euro.

Roger Smith: Kap der Finsternis (Mixed Blood, 2009).
Deutsch von Jürgen Bürger und Peter Torberg.
Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta 2009. 356 Seiten. 21,90 Euro.

Richard Kunzmann: Blutige Ernte (Bloody Harvest, 2004)
Übersetzt von Silvia Visintini.
Droemer/Knaur 2009. 507 Seiten. 8,95 Euro.

Deon Meyer: Dreizehn Stunden (13 Uur, 2008)
Übersetzt von Stefanie Schäfer.
Rütten & Loening 2010. 470 Seiten. 19,95 Euro.

Andrew Brown: Schlaf ein, mein Kind (Coldsleep Lullaby, 2008)
Übersetzt von Mechthild Barth.
btb Verlag 2009. 382 Seiten. 9,00 Euro.

Malla Nunn: Ein schöner Ort zu sterben (A beautiful place to die, 2009)
Übersetzt von Armin Gontermann.
Ruetten und Loening 2009. 407 Seiten. 19,95 Euro.

| Literaturnachrichten N° 105