Geschrieben am 14. Februar 2009 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Edward Bunker im Porträt

,,Na, was erwartest du?“

Edward Bunker – Häftling, Autor und Darsteller. Ein Porträt von FRANK GÖHRE

Der Mann ist gleich zu Beginn des Films im Bild: Ein markantes Gesicht mit Schnäuzer, skeptisch blickende Augen, die grauen, halblangen Haare gescheitelt. Er trägt ein schwarzes Jackett, ein weißes Hemd und eine ebenfalls schwarze, schmal gebundene Krawatte. Der Mann sitzt mit sieben weiteren Männern beim Frühstückskaffee im Uncle Bob’s Pancake House. Und während die Sieben über Madonna und über große Schwänze und wer, zum Teufel, ist Toby? quasseln, saugt er an seiner schon auf Daumenlänge herunter gerauchten Zigarre und gibt nur zwei-drei Mal einen knappen Kommentar ab. Nach einem längeren Disput über den Sinn oder Unsinn Coffeeshopkellnerinnen ein angemessenes Trinkgeld zu geben, steht er mit den anderen auf und verlässt mit ihnen das Pancake House, während im Off aus dem Radio zu hören ist: „Das war die Partridge-Family mit ‚Doesn’t Somebody Want To Be Wanted’, gefolgt von Edison Lighthouse mit ‚Love Grows Where My Rosemary Goes’. Und weiter geht’s mit K-Billys Super-Oldie-Hitparade der 70er Jahre …“
In Quentin Tarantinos Regiedebüt „Reservoir Dogs“ (1992) wird der wortkarge Zigarrenraucher von Edward Bunker gemimt. Als Mr. Blue latscht er los, um mit den Jungs einen Überfall durchzuziehen. Doch der Coup geht voll in die Hose. Die Bullen sind viel zu schnell zur Stelle.

Realität …

Damit hat der Darsteller Edward „Eddi“ Bunker langjährige Erfahrung.
1933 geboren, ist er in einer der schäbigen Ecken Hollywoods aufgewachsen. Über sein häusliches Umfeld heißt es lapidar: „zerrüttete Alkoholikerfamilie“. Mit zwölf gehen bereits etliche Diebstähle und Betrügereien auf sein Konto. Er wird in Besserungsanstalten und kurzfristig auch ins Jugendgefängnis gesteckt. Dort lernt er vor allem eins: in Zukunft cleverer zu sein. Doch wieder auf der Straße ist er längst noch nicht clever genug. Bandenkriminalität und Drogendeals bringen ihm schon bald die Verurteilung zu einem Jahr Knast ein. Er flieht aus dem Bau, wird gleich wieder geschnappt und kriegt es jetzt knüppelhart: zehn Jahre Zuchthaus San Quentin. Er ist gerade mal 18 Jahre alt, sieht verdammt gut aus und bekommt von einem der Aufseher zu hören:

„Zuerst finden Sie einen Freund. Er macht keine Annäherungsversuche. Dann werden Sie von einem anderen, vielleicht einer Bande, unter Druck gesetzt. Sie wollen Ihnen Ärger machen, und Sie denken, dass es auf eine gewaltsame Auseinandersetzung hinausläuft. Zu uns können Sie nicht kommen, glauben Sie, also wenden Sie sich an Ihren Freund, und er kommt wie der Ritter in schimmernder Rüstung angeprescht … setzt sein Leben für Sie aufs Spiel, meinen Sie. Doch dann stellt er Sie vor die Wahl – Hosen runter, oder er liefert Sie der Bande aus … Wir haben eine Menge Tiere hier. Die fressen Sie bei lebendigem Leib auf.“(Edward Bunker, „The Animal Factory“, 1977. Dt.: „Ort der Verdammnis“, 1996)

Edward Bunker schlägt sich so gut wie eben möglich durch. Die Kraft zum Überleben geben ihm allein die Schmöker in der Gefängnisbibliothek, Klassiker wie Shakespeare und Dostojewski, aber auch viel Triviales. Er liest wie besessen und beginnt dann auch, selbst zu schreiben.

Nach viereinhalb Jahren wird er auf Bewährung entlassen. Er kehrt in die „Stadt der Engel“ zurück, fest entschlossen, sich jetzt den Anforderungen der Freiheit auf solide Art zu stellen: „Urplötzlich begriff ich, dass ich wieder zu Hause war. Ich konnte es kaum glauben. Eifrig wie ein Kind presste ich meine Nase gegen die getönte Scheibe (des Busses) und starrte hinaus. Jeder Straßenblock kam mir bekannt vor, und doch war jeder einzelne wieder eine erneute Überraschung. In West Hollywood wechselten wir auf einen anderen Boulevard. Zur Linken befand sich nun der Sunset Strip, und ich konnte die mit weißen Appartements übersäten grünen Hügel sehen. Mit großer Wucht drängten sich mir Erinnerungen auf. Hier hatte sich in dem Jahr vor meiner Verhaftung mein Terrain befunden … wie sinnlos und wenig erfüllend auch immer dieses Leben gewesen sein mag, es war ein konstanter Rausch.“ (Edward Bunker, „No Beast So Fierce“, 1973. Dt.: „Wilder als ein Tier“, 1995)

I hate every inch of you …

Es ist das Jahr 1956 und Edward Bunker ist ernsthaft bemüht, einen ordentlichen Job zu bekommen und in der bürgerlichen Gesellschaft Fuß zu fassen. Aber es sind lediglich Gelegenheitsarbeiten, für die er angeheuert wird, nichts Festes. Öde Plackerei für wenig Kohle. Ein verwegener Versuch, in den Filmstudios eine Anstellung als Dramaturg zu ergattern, scheitert kläglich. Für einen Mann mit einer Vergangenheit in Amerikas brutalstem Knast gibt es keine Arbeit in der Traumfabrik – noch nicht. So bleibt ihm nur der Weg zurück in die Kriminalität. Bunker taucht wieder in die frühere Szene ein, organisiert bewaffnete Raubüberfällen, erpresst Schutzgelder und fälscht Schecks. Das heißt erhöhtes Risiko und läuft nicht lange glatt. Als er dem LAPD (Los Angeles Police Department) schließlich in Netz geht, wird er zum zweiten Mal in San Quentin eingebuchtet. Diesmal stehen ihm vierzehn Jahre bevor. Es werden letztlich nur sieben, aber auch die treiben ihn von Tag zu Tag mehr zur Verzweiflung und Raserei. Die Rassenkonflikte haben sich verschärft, die Häftlinge liefern sich blutige Schlachten:

„Er sah ein paar Weiße und Chicanos durchs Tor laufen und in der Menge verschwinden und hörte Sekunden später, dass ein Chicano von den Schwarzen zu Tode getrampelt worden war. Die beiden Rassengruppen wichen jetzt voneinander zurück … Das Stimmengewirr hörte sich an wie das Brüllen einer Rinderherde vor einer Stampede. Sekunden später brach die Hölle los. Mit einem dumpfen Knall landete einen Tränengasgranate zwischen den beiden Gruppen und trieb sie noch weiter auseinander, als sie explodierte und ihr hochwirksames Gas verströmte … Wie ein wildes Tier, das von unerforschlichen Dämonen getrieben wurde, vollführten die zwölfhundert Weißen und Chicanos einen Schwenk im Uhrzeigersinn, bis sie an der Mauer des Esssaals standen. Durch das Tränengas vom Nordflügel vertrieben, standen die Schwarzen jetzt dort, wo die Weißen vorher gestanden hatten … ‚Einschluss! Einschluss! Sofortiger Einschluss!’ plärrte der Lautsprecher.“ (Edward Bunker, „The Animal Factory“, 1977. Dt.: „Ort der Verdammnis“, 1996)

Es ist einer von unzähligen Krawallen und Aufständen in der Geschichte San Quentins und Bunker hält sich dabei nicht raus, schlägt um sich und wütet wie alle anderen auch. Er wird in verschärfte „Absonderungshaft“ gesteckt und nutzt die Isolation, um jetzt noch intensiver zu schreiben, als bei seinem letzten Aufenthalt hinter Mauern.

Null …

Vier Romane und einige Dutzend Kurzgeschichten entstehen. Edward Bunker hofft nun, sich nach seiner Entlassung als Autor etablieren zu können. Er schickt die Manuskripte an Verlage und Redaktionen, wartet und wartet und wartet. Null Reaktion. Wieder in Freiheit hört er auch nichts. Erneute Versuche, auf ehrliche Art Geld zu verdienen, sind ebenso frustrierend. „Na, was erwartest du?“, muss er sich von seinen alten Kumpeln sagen lassen. „Bei dem, was du auf dem Zettel hast. Scheiß drauf. Einmal auf der anderen Seite, heißt für immer auf der anderen Seite. Du hast keine Wahl.“

Also steigt er wieder ein. Es wird jetzt ein sich über mehrere Jahre hinziehender Trip. Er raubt den Safe einer Bar aus. Die Bullen sind hinter ihm her. Nach einer wilden Verfolgungsjagd quer durch L.A. stellen sie ihn. Bei seiner Verhaftung spielt Bunker verrückt. Er behauptet, 1884 geboren zu sein und Roosevelt soeben vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor gewarnt zu haben. Ein psychiatrisches Gutachten wird eingeholt. Der Befund: „Akuter, chronisch schizophrener Paranoiker mit akustischen Halluzinationen und Verfolgungswahn.“ – Verfolgungswahn, okay. Damit aber ist der Raub nicht vom Tisch. Bunker wird in das Spezialgefängnis von Vacaville eingeliefert. Er zieht die Schizo-Nummer weiter durch, labert an die Zellenwand wie zu einem Spiegelbild:

„Träume … so ’n Blödsinn. Du gehst nicht nach Vegas, du gehst nirgendwo hin. Ich wird dir sagen, was du machen wirst. Du suchst dir ’n Job, ja, irgend ’n kleinen Job, wo man dich ausnutzt, ausquetscht wie ’ne Zitrone, Tabletts abkratzt in ’ner Cafeteria, oder du scheuerst Toiletten, und du wirst dich an diesen Job klammern, als ob er Gold ist. Weil er Gold ist! Du kannst es mir glauben, er ist Gold. Hörst du mir eigentlich zu? Und wenn dein Boss am Ende des Tages im Laden erscheint, um zu sehen, wie du gearbeitet hast, dann siehst du ihm garantiert nicht in die Augen. Wie ’n getretener Hund blickst du runter, weil du nicht sehen willst, wie er vor Angst vor dir zittert, wenn du aufspringst und ihn packst und ihn ins Gesicht schlägst und so lange auf ihn einhämmerst, bis er um sein armseligen Leben winselt. Deswegen wirst du nach unten sehen! Hör mir zu, wenn ich mit dir spreche, du Wichser! Dein Boss aber geht rum und sieht sich alles genau an. Er sagt, oh, du hast da drüben einen kleinen Fleck übersehen, und hier, hier hast du gar nichts getan, und was ist mit dem Schmutz da drüben? Keinen Ton sagst du, weil du Angst hast, dass er dich feuert. Und dann stürzt du dich auf diesen Fleck, und danach kratzt du den Dreck an der anderen Stelle ab, bis er zufrieden ist und alles strahlend glänzt. Jeden Freitag gibt er dir deinen kümmerlichen Lohnscheck. Wenn du soviel Dreck schrubben kannst, dann bist du auch in der Lage und wirst Präsident der Chase Manhattan Bank oder von Ford. Aber du musst Dreck schrubben!“ („Runaway Train“, Drehbuch Edward Bunker, Djordje Milicevic und Paul Zeindel)

Dealen & Schreiben …

Edward Bunker wird zur Wiederaufnahme der Gerichtsverhandlung nach Los Angeles zurückgebracht. Es gelingt ihm, die geforderte Kaution zu beschaffen und macht sich dann wieder davon. Ein Jahr lang pendelt er zwischen L.A. und San Francisco hin und her und baut ein „kleines Drogenimperium“ auf. Damit nicht genug will er schwer bewaffnet eine Bank ausrauben. Drogenfahnder aber haben sich schon an ihn gehängt und greifen ihn ab. Die Staatsanwaltschaft plädiert auf fünf Jahre wegen versuchten Banküberfalls und auf weitere sechs Jahre wegen Drogenhandels.
Noch vor der Urteilsverkündung erreicht Bunker die Nachricht, dass einer seiner in San Quentin geschriebenen Romane zur Veröffentlichung angenommen wurde. Es ist No Beast So Fierce (Dt.: Wilder als ein Tier).

Das Buch erscheint 1973, als Bunker bereits im Zuchthaus von Marion, Illinois, seine Strafe absitzt. Es wird durchweg positiv besprochen, mit dem Aufhänger natürlich, dass es ein brandgefährlicher Krimineller geschrieben hat, ein Mann, der aufgrund eigener Erfahrungen vom Leben und Sterben in Los Angeles Unterwelt erzählt: „Max Dembo wird aus dem Gefängnis entlassen – unter bestimmten Auflagen – und er versucht (ohne große Überzeugung), ein ehrbarer Bürger zu werden. Aber das Leben eines Kriminellen fordert seine eigenen Rechte. Nach ein paar selbstzerstörerischen Unternehmungen, entschließt sich Max endgültig für den bewaffneten Raubüberfall: Er taucht ein in den Sumpf von L.A., wo sich die Verbrecher aus dem schlimmsten Milieu herumtreiben. Es folgen Gewaltausbrüche, die sich jeglicher Kontrollen entziehen … Der Roman ist ein Meisterwerk des Roman noir“, schreibt James Ellroy, nachdem er Edward Bunker als „Seelenverwandten“ für sich entdeckt hat.

Noch in Illinois hinter Gittern arbeitet Bunker schon an einem neuen Roman und kann jetzt auch längere Artikel in ›The New Yorker‹, ›Los Angeles Times‹, ›The Nation‹ und ›Harper’s Magazin‹ unterbringen. Es sind teils wütende, teils warnende Berichte über die Haftbedingungen und den Rassenhass in amerikanischen Gefängnissen. Die dadurch ausgelösten Diskussionen in den Medien beschleunigen Bunkers vorzeitige Entlassung.

Im Alter von 42 Jahren beginnt sein nun wirklich neues Leben. Hollywoods Studiobosse unterbreiten ihm jetzt die Angebote, um die er einst gebettelt hat. No Beast So Fierce ist bereits optioniert. Edward Bunker schreibt mit den Scriptprofis Alvin Sargent und Jeffrey Boam die endgültige Drehbuchfassung. Die von Dustin Hoffman und anderen Stars gegründete Firma „First Artist“ produziert den Film gemeinsam mit Warner Brothers. Hoffman spielt den vom Bewährungssystem zermürbten Knacki Dembo. Vor dem Dreh zieht der für seine akribische Rollenvorbereitung bekannte Schauspieler nächtelang mit Bunker durch dessen L.A., eignet sich Mimik und Gestik der in Spelunken herumhängenden Ganoven an. Und Bunker hat dann auch an seiner Seite einen ersten Auftritt als Nebendarsteller. Er spielt im typischen Milieuoutfit der 70er Jahre – Föhnfrisur, gepunktetes Hemd mit breitem, offenen Kragen. Lederjackett – den Ex-Knacki Mickey. Der Film kommt 1978 unter dem Titel „Straight Time“ („Stunde der Bewährung“) in die Kinos. Er wird kein Hit, aber Filmfreaks halten ihn für den besten Dustin Hoffman-Streifen: „Geprägt von einer nervösen Intensität, die nachhaltig beeindruckt.“ (›Newsweek‹).

Im Geschäft …

Edward Bunker ist fortan gut im Geschäft. Sein im Gefängnis Marion/Illinois beendeter Roman The Animal Factory ist 1977 erschienen. Die Filmrechte sind schon verkauft. Bunker unterschreibt den Drehbuchvertrag und sackt ein fettes Honorar ein. Doch die Realisation zieht sich hin. Es gibt Produktionssprobleme und Unentschiedenheiten bei der Besetzung. Erst 1999 fällt die erste Klappe. Unter der Regie von Steve Buscemi spielen Edward Furlong und Willem Dafoe den Neuling und den älteren Knastologen. Die sexuelle Spannung zwischen den Beiden durchzieht den gesamten Film und macht ihn zu einem beklemmenden Kammerspiel. In einer Nebenrolle ist Mickey Rourke als Drag Queen zu sehen, und auch Edward Bunker ist wieder als Darsteller dabei – in der Rolle des Häftlings Buzzard:

„Ein grauhaariger Chicano schwang am Ende des Stockwerks den Besen. Seine Hakennase und die vorquellenden Augen hatten ihm vor Jahrzehnten den Spitznamen ‚Buzzard’ eingetragen, aber für einen Sechzigjährigen schien das nicht so ganz passend, deswegen kürzten es die meisten Mitgefangenen auf ‚Buzz’ ab.“ (Edward Bunker, „The Animal Factory“, 1977. Dt.: „Ort der Verdammnis“, 1996)

„Animal Factory – Rache eines Verurteilten“ wird in Deutschland nur in einigen Programmkinos gezeigt. Als DVD ist der Film seit 2003 im Handel.
Edward Bunkers größter Erfolg als Drehbuchautor ist „Runaway Train“ („Express in die Hölle“). Es ist die Geschichte der Häftlinge Oscar und Buck. Sie fliehen im tiefsten Winter aus einem Hochsicherheitsgefängnis im verschneiten Alaska, verstecken sich auf einem zur Abfahrt bereitstehenden Zug und glauben schon, es geschafft zu haben. Doch der Lokführer hat einen Herzanfall und kippt tot auf die Gleise. Der Zug aber fährt los, wird schnell und immer schneller. Er rast auf eine Katastrophe zu.

Entwickelt hat die Story der japanische Regisseur Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“, „Ran“ u.a.). Er ist 1969 in den USA, stößt auf einen „Life“-Artikel und schreibt auf dieser Grundlage ein Treatment: Führerloser Express mit blinden Passagieren, menschliche Dramen angesichts einer aussichtslos erscheinenden Situation.

Kurosawa sucht Drehorte für den Film und entscheidet sich für die Eisenbahnlinie Syracuse-Albany. Das Projekt soll sein erster Farbfilm werden, scheitert aber letztlich aus finanziellen Gründen.

Edward Bunker bekommt das Kurosawa-Script Anfang der 80er Jahre zu lesen. Er soll gemeinsam mit Djordje Milicevic und dem Pulitzer Preisträger in der Sparte „Drama“, Paul Zindel, das Drehbuch schreiben. Bunker bringt dabei einige Motive aus seinem Roman The Animal Factory ein. Und er entwickelt auch eine Rolle für sich selbst: In dem 1985 uraufgeführten Film mit Jon Voight als Oscar und Eric Roberts als Buck, spielt er den Mentor und Beschützer Jonah, der den Fluchtweg mit ausgekundschaftet hat, selbst aber schwer verletzt im Knast zurückbleiben muss:

„Seine Lippen waren zusammen gepresst, aber zu einem tapferen Grinsen verzogen, und die Augen hatte er zusammen gekniffen, weil sie brannten. Sein Freund war weg, und er war zurück geblieben, doch es war immer noch besser, dass es einer geschafft hatte als überhaupt keiner.“ (Edward Bunker, „The Animal Factory“, 1977. Dt.: „Ort der Verdammnis“, 1996)

„Runaway Train“ wird mehrfach ausgezeichnet. Jon Voight und Eric Roberts werden für den „Oscar“ nominiert, Henry Richardson für den Schnitt. Beim „Golden Globe Award“ ist der Film unter den Nominierungen der Kategorie „Bester Film – Drama“. Edward Bunker ist zurecht stolz auf seine Drehbuch- und Schauspielarbeit. Der Regisseur Andrej Konchalovsky verpflichtet ihn dann auch gleich als Darsteller in seinem nächsten Film „Shy People – Bedrohliches Schweigen“.

Seitdem ist Bunker jährlich in 2–3 Filmen und auch Fernsehspielen zu sehen: „Mittelgroß, kompakt und muskulös. Er wirkt kantig und lebenserfahren. Sein Gesicht zeigt, dass er Grausamkeit und Leid erfahren hat; aber seine Augen funkeln.“ (William Styron, Autor von Die Bekenntnisse des Nat Turner)

Edward Bunker bekommt von den Hollywoodstudios weiterhin lukrative Aufträge: Drehbuch und Stoffentwicklung, Überarbeitung, inhaltliche, dramaturgische und technische Beratung (u.a. bei „Heat“ von Michael Mann), – die gesamte Palette. Dem Vernehmen nach zählt auch die Adaption von James Ellroys Suicide Hill (Dt.: Hügel der Selbstmörder) zu seinen Arbeiten. Sein Terminkalender jedenfalls ist randvoll.

1982 erscheint sein bereits in San Quentin geschriebener Roman Little Boy Blue, die Geschichte eines während des Zweiten Weltkriegs aufwachsenden „Problemkindes“ – Bunkers eigene Erfahrungen und Erlebisse auf der Straße und in Heimen. Mit Little Boy Blue, No Beast So Fierce und The Animal Factory ist Bunkers Leben bis zu seiner letzten Entlassung aus dem Knast weitgehend erzählt.

Von der Filmindustrie inzwischen nahezu total vereinnahmt kommt er kaum noch dazu, einen längeren Prosatext zu schreiben. Es vergehen 14 Jahre bis Bunker wieder ein Buch vorlegt, den Hardboiled Thriller Dog Eat Dog, 1996 (Dt.: Der letzte Coup, 2002). Matthias Penzel berichtet über eine Kneipenlesung des Autors in L.A.:

„Als Bunker heute Abend ankommt, ist es im Filthy MacNasty’s so voll, wie es der Zecher auf dem Bordstein draußen ist. Der Schweiß tropft von der Decke. Bunker liest von Mad Dog McCain, der sich das Kokain langsam spritzt, während die Matratze Feuer fängt – letzteres nur am Rande erwähnt, da nur am Rande wahrgenommen. Das Abschlachten der Freundin wird von Bunker umso dreidimensionaler in den Raum gestoßen, Mord Numero 2 ist da nur konsequent, genauso das ohnmächtige Wegsacken neben der Leiche, das klebrige Blut überall. Alles so eklig, dass sich mancher Zuhörer wegdreht, sich einen Weg auf die Straße knufft oder boxt. Bunker trägt das mit einer Dichte vor, so messerscharf, dass man hört und fühlt, wie die Klinge auf Widerstand stößt. Und das sind nur wenige Elemente des ersten Kapitels …“

Es geht so weiter. Drei Schwerverbrecher entführen ein Kind, geraten mit ebenso harten Typen aneinander, schießen und stechen sich den Weg frei, und ziehen eine immer breiter werdende Blutspur hinter sich her: Eine Orgie der Gewalt. Ein Roman, voll im Trend der seinerzeit zuhauf auf den Markt geworfenen Blut & Schrecken-Thriller. Es ist nicht auszuschließen, dass Hollywood sich erst einmal auch die Rechte an diesem Stoff gesichert hat.

1999 erscheinen dann noch seine Memoiren Mr. Blue: Memoires Of A Renegade.
Nach wie vor aber arbeitet er an Filmscripten und wirkt als Darsteller bei diversen Produktionen mit. 2002 realisiert Jennifer Peterson die Dokumentation: „The Good the Bad and the Bunker“. Sie geht mit Edward Bunker an die Orte seiner Jugend und die Schauplätze seiner Verbrechen. Bunker erzählt mit leiser Stimme und mitunter sanft lächelnd, was wo geschah und wie es damals, vor vielen, vielen Jahren, zuging auf den Straßen von L.A. Er macht bereits einen müden Eindruck. Schon seit längerer Zeit leidet an Diabetes. Am 19. Juli 2005 stirbt Edward Bunker im Alter von 72 Jahren nach einer Operation in Burbank, Kalifornien.

In diesen Tagen ist aus seinem Nachlass einer der vier (!) Romane erschienen, die er in San Quentin geschrieben hat und von denen damals nur No Beast So Fierce und Little Boy Blue veröffentlicht wurden. Lockruf der Nacht (Originaltitel Stark) wird vom Liebeskind Verlag, München, als Edward Bunkers Debütroman präsentiert, was im Hinblick auf das vierte, offenbar noch nicht entdeckte Manuskript, fraglich ist.Lockruf der Nacht ist die 1962 in Oceanview, Kalifornien, spielende Story eines kleinen Junkies, den die Bullen unter Druck setzen. Er soll ihnen seinen Dealer ans Messer liefern. Zwangsläufig gerät er zwischen die Fronten und muss all seinem Grips zusammen nehmen, um mit heiler Haut aus der Nummer herauszukommen.

Bunker erzählt das im Vergleich zu seinen Knastromanen überraschend flott und locker. Es ist allerdings auch nichts nachhaltig Beeindruckendes, nichts Ungewöhnliches an diesem Roman – eine Geschichte halt, wie unzählig andere des Genres. Aber okay – wenn damit das Interesse an Edward Bunker neu oder auch erstmals geweckt wird, hat es allemal was Gutes.

Frank Göhre


Edward Bunker

Bibliographie:

Edward Bunker, Wilder als ein Tier (No Beast So Fierce, 1973), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995.

Edward Bunker, Ort der Verdammnis (The Animal Factory, 1977), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt,1996.

Edward Bunker, Little Boy Blue, St. Martin’s Press, 1997.

Edward Bunker, Mr Blue: Memoirs of a Renegade, No Exit, 1999.

Edward Bunker, Education of a Felon: A Memoir, St. Martin’s Press, 2001.

Edward Bunker: Der letzte Coup (Dog Eat Dog, 1996), München: Heyne 2002.

Edward Bunker: Lockruf der Nacht (Stark, 2007), Liebeskind, Februar 2009


Filmographie:

Darsteller:

Nice Guys (High Hopes, 2005), R: Joe Eckardt, D: Jason Mewes, Lacey Chabert, Andy Dick, Danny Trejo

Champion (2005), R: Joe Eckardt, D: Danny Trejo, Dennis Hopper, Val Kilmer, Robert Rodriguez, Steve Buscemi, Antonio, Banderas, Cecily Gambrell, Edward Bunker. USA

Spiel ohne Regeln (The Longest Yard, 2005), R: Peter Segal, D: Adam Sandler, Chris Rock, Burt Reynolds, USA.

13 Moons (2002), R: Alexandre Rockwell, D: Steve Buscemi, Karyn Parsons, Peter Dinklage, David Proval, USA.

Family Secrets (2001), R: Sally Champlin, D: Angela Jones, Tim Redwine, Pamela Bellwood, USA.

Animal Factory – Rache eines Verurteilten, (2000), R: Steve Buscemi, D: Willem Dafoe, Edward Furlongl, Danny Trejo, USA.

Shadrach – Die Heimkehr des Fremden (1998), R: Susanna Styron, D: Harvey Keitel, Andie MacDowell, John Franklin Sawyer, USA.

Chamäleon (Caméléone, 1996), R: Benoît Cohen, D: Chiara Mastroianni, Jackie Berroyer, Seymour Cassel, USA.

Liebe bis zum Tod (Somebody to Love, 1994), R: Alexandre Rockwell, D: Harvey Keitel, Rosie Perez, Samuel Fuller, Quentin Tarantino, USA.

Gefallene Engel [TV-Serie] (Fallen Angels, 1995), R: Peter Bogdanovich, Tom Cruise, Alfonso Cuarón, John Dahl, Keith Gordon, Tom Hanks, D: Mädchen Amick, Barbara Howard, Kiefer Sutherland, USA.

Distant Cousins (1993), R: Andrew Lane, D: Mel Harris, David Keith, William Katt, USA.

Böse Schatten (Love, Cheat & Steal, 1993), R: William Curran, D: John Lithgow, Eric Roberts, Mädchen Amick, USA.

Best of the Best 2 – Der Unbesiegbare (1993), R: Robert Radler, D: Eric Roberts, Phillip Rhee, Chris Penn, USA.

Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992), R: Quentin Tarantino, Darsteller: Harvey Keitel, Tim Roth, Steve Buscemi, USA.

Nacht der Entscheidung, (Miracle Mile, 1989), R: Steve De Jarnatt, D: Anthony Edwards, Mare Winningham, John Agar, USA.

Der Sunset-Killer (Relentless, 1989), R: William Lustig, D: Judd Nelson, Robert Loggia, Leo Rossi, Meg Foster, USA..

Karate Tiger IV – Best of the Best (1989), R: Robert Radler, D: Eric Roberts, Phillip Rhee, James Earl Jones, USA.

Tango & Cash (1989), R: Andrei Konchalovsky, Albert Magnoli, D: Sylvester Stallone, Kurt Russell, Teri Hatcher, USA.

Black Scorpion (1988), R: Robert A. Ferretti, D: Cliff De Young, Kay Lenz, Zoe Trilling, USA.

Shy People – Bedrohliches Schweigen (1987), R: Andrei Konchalovsky, D: Jill Clayburgh, Barbara Hershey, Martha Plimpton, USA

Running Man (1987), R: Paul Michael Glaser, D: Arnold Schwarzenegger, Maria Conchita Alonso,Yaphet Kotto, USA.

Slow Burn (1986), R: Matthew Chapman, D: Eric Roberts, Beverly D’Angelo, Dennis Lipscomb, USA.

Runaway Train (1985), R: Andrei Konchalovsky, D: Jon Voight, Eric Roberts, Rebecca De Mornay, USA.

Hunter [TV-Serie] (1984), R: Corey Allen, Bob Bralver, Don Chaffey, James L. Conway, Peter Crane, James Darren, D: Fred Dryer, Stepfanie Kramer, Darlanne Fluegel, USA.

The Long Riders (1980), R: Walter Hill, D: David Carradine, Keith Carradine, Robert Carradine, USA.

Stunde der Bewährung (Straight Time, 1978), R: Ulu Grosbard, Dustin Hoffman, D: Dustin Hoffman, Theresa Russell, Gary Busey, USA.


Drehbuch:

Stunde der Bewährung (Straight Time, 1978), R: Ulu Grosbard, Dustin Hoffman, D: Dustin Hoffman, Theresa Russell, Gary Busey, USA.

Runaway Train (1985), R: Andrei Konchalovsky, D: Jon Voight, Eric Roberts, Rebecca De Mornay, USA.

Animal Factory – Rache eines Verurteilten (2000), R: Steve Buscemi, D: Willem Dafoe, Edward Furlong, Danny Trejo, USA.


Produzent:

Animal Factory – Rache eines Verurteilten (2000) (Koproduzent), R: Steve Buscemi, D: Willem Dafoe, Edward Furlong, Danny Trejo, USA.

Erstellt von Ana-Marija Pasic