Geschrieben am 29. März 2014 von für Bücher, Crimemag, Porträts / Interviews

Robert Hültner ‒ ein Porträt von Elfriede Müller

Robert HültnerDer Verlust der Vernunft, oder: Es wird nie wieder Frühling

‒ Ein Porträt von Robert Hültner, dessen letzten Roman „Am Ende des Tages“ wir hier besprochen hatten …
Von Elfriede Müller

Robert Hültner ist einer der originellsten und politischsten deutschsprachigen Autoren. In seinem Leben vor der Literatur hatte er sich bereits der Produktion von Kultur auf anderen Ebenen gewidmet: Er arbeitete als Schriftsetzer, Regieassistent, Drehbuchautor, Dramaturg, Regisseur von Kurzfilmen und Dokumentationen, betrieb ein Wanderkino durch kinolose Dörfer und restaurierte historische Filme für das Münchner Filmmuseum.

Robert Hültner vermag durch seine Romane deutlich zu machen, dass Bayern nicht immer dieser konservative, satte und reiche Teil der Bundesrepublik gewesen ist, wie sich das Bundesland heute darstellt. In Bayern tobte einst der Klassenkampf, wurde die älteste Monarchie Europas vom Sockel gefegt, Weltgeschichte gemacht und Weltliteratur geschrieben. Das heutige Bayern scheint Hültner auch nicht ständig ertragen zu können, denn er verbringt einen Teil seines Lebens in den französischen Cevennen. Der Autor schreibt historisch-politische Romane, die aufgrund des Serienhelden Inspektor Kajetan auch als Kriminalromane charakterisiert werden können.

Robert Hültner_Inspektor Kajetan und die Sache KoslowskiDie Abenteuer von Kajetan beginnen direkt nach der Niederlage der Münchner Räterepublik mit Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski. Die Ermordung Kurt Eisners steht im Zentrum des Plots, in dem ein Journalist ermordet wird, der vielleicht Genaueres darüber wusste. Diese wie die folgenden Kajetan-Geschichten erzählen beklemmend die Entdemokratisierung einer gerade entstandenen Demokratie. Bei der Aufklärung des Mordes an Eisner wird deutlich, dass die Polizei, der Kajetan zu diesem Zeitpunkt noch angehört, keine neutrale Funktion mehr ausübt und Teil diverser Verschwörungen ist, die alle auf den Krieg zurückgehen, der auch die junge Demokratie überschattet.

Das vor Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski erschienene Walching spielt 1922 und nimmt das Thema einer militarisierten Klassengesellschaft wieder auf. Es geht um den Mord eines jungen Bauernmädchens, hinter dem die Freikorps stehen, der aber drei armen Vagabunden in die Schuhe geschoben werden soll. Hültner behandelt in all seinen Texten den Stadt-Land Konflikt und beides aus der Sicht der unteren Klassen, die in beiden Standorten zu leiden haben, nur unterschiedlich. Kajetan selbst wurde von München aufs Land geschickt, weil ihm Verfehlungen vorgeworfen werden. Diese Verfehlungen bestehen darin, dass er sich keiner politischen Fraktion innerhalb der Polizei zuordnet, sondern der naiven Vorstellung anhängt, einfach seine Arbeit verrichten zu können. Auch auf dem Dorf hat der Krieg zerstörte Menschen und verstümmelte Körper, aber auch politische Strukturen und selbstbewusste Menschen hinterlassen wie die Erben eines Bauernrates, der in der Novemberrevolution entstanden war und gezeigt hatte, dass auch Bauern Klassenbewusstsein entwickeln können: „Hinter der Gleichmut funkeln die Träume, und das Gehirn saugt Worte gieriger, als je ein satt Gebildeter dazu fähig wäre.“ Mit dem Niedergang der Republik geht auch der Abstieg Kajetans einher. Im München von 1924 ist er bereits aus dem Polizeidienst entlassen und schlägt sich mit diversen Jobs durch, bis er sich entschließt, Privatdetektiv zu werden.Robert Hültner_Walching

In Die Godin verliebt er sich in eine Frau aus der Halbwelt, die kurz nach ihrer intensiven Begegnung ermordet wird. In seinen Nachforschungen stößt Kajetan immer wieder auf dieselben Militaristen, Waffenschieber und Kriegsgewinnler, die es verstehen, den Versailler Vertrag zu umgehen. Dieser, mit dem Glauser und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Roman, erweckt ein ungewöhnliches Subjekt zu literarischem Leben: das Wetter, das die bayerische Natur in Szene setzt und den Plot in die eine oder andere Richtung wehen lässt. Kajetans sozialer und beruflicher Abstieg ist verbunden mit seiner steigenden Bildung und Politisierung: „Wie ich überhaupt langsam draufkomm, dass alles ist, wies ist, und nicht, wie es sein sollte.“ Mit Kajetan verändert sich auch das Polizeigewerbe, wird politischer, wird technisch verfeinerter, nicht zuletzt, um die gerade hart erkämpften neuen Errungenschaften wie z. B. das Betriebsrätegesetz wieder einzuschränken. Der schleichende Aufstieg der Nazis wird in allen gesellschaftlichen Bereichen deutlich: Polizei, Kultur, Psychiatrie. In Hültners Geschichten wird die Ordnung nie wieder hergestellt, aber es kann sein, dass Menschen ihre Würde wieder erlangen und über sich hinauswachsen wie die Godin. Diese Revolte einzelner kann jedoch nicht verhindern, dass die Welt sich immer mehr dem Abgrund nähert.

Robert Hültner_Inspektor Kajetan und die BetrügerDie Schlinge um Kajetan wird im Laufe der Zwanzigerjahre immer enger. In Inspektor Kajetan und die Betrüger wird der Privatdetektiv nun beschuldigt, einen Mordanschlag auf seinen ehemaligen Kollegen Zunhammer verübt zu haben. Gezwungen, seine Unschuld zu beweisen, trifft Kajetan auf Täter, die er bereits in früheren Plots im Visier hatte wie den Waffenhändler Major Rupp. Und vor allem eröffnet Hültner in diesem Roman die Perspektive auf die ersten Landkommunen (die Siedlung Neuer Menschen), das sozialdemokratische Genossenschaftswesen und die Gentrifizierung der Zwanzigerjahre – ein Ausblick, der nicht nur historisch gewinnbringend ist. Das gesellschaftliche Gleichgewicht verrutscht immer weiter nach rechts, Fememorde sind an der Tagesordnung: „Etwas hatte in dieser Stadt die Regie übernommen, begann sich wie eine heimtückische Seuche auszubreiten, saugte sich in die Gehirne der Menschen …“ Gleichwohl gibt es auch zu dieser Zeit ungewöhnlich originelle antikapitalistische Kräfte, von denen wir heute wissen, dass ihnen wenig Erfolg beschieden war. Dass sie in München alle aufeinander trafen, überrascht niemanden, aber dass sich Anarchisten, Freikorpsler und Bauernbündler auf dem Land streiten, ist ein besonderes Lesevergnügen. Der Plot wird noch bereichert durch eine Anekdote über Hitlers eisernes Kreuz, das ihm am Ende des Ersten Weltkriegs vom jüdischen Offizier Seligmann verliehen wurde.

Im vorletzten Roman­ Inspektor Kajetan kehrt zurück ist der Inspektor auf der Flucht, da er zu viel über Korruption und politische Intrigen bei der Münchner Polizei erfahren hat: „Einer wie er konnte nicht gegen einen Feind gewinnen, der sein Netz wie eine Spinne über die Stadt gesponnen hatte, überall und nirgends lauerte und dessen Beweggründe ihm fremd waren. Keine Vernunft war mehr darin zu erkennen; was er davon wahrnahm, war nichts als Dummheit. Und grenzenlose Brutalität.“ Wieder erhebt sich das Klima in Gestalt eines bayerisch-österreichischen Schneesturms zum Subjekt des Romans und verhindert Kajetans Flucht ins österreichische Ausland. War die Polizei in den vorausgehenden Romanen noch scheinbar politisch unabhängig, so befindet sie sich jetzt – vor allem ihre politischer Abteilung – fest in den Händen der Nationalsozialisten. Kajetan trifft auf der Flucht an der österreichischen Grenze einen Kommunisten, dem fälschlicherweise der Mord eines Spitzels in die Schuhe geschoben werden soll. Wieder helfen diesem und Kajetan die Bauern des bayerischen Bauernbundes aus der Patsche. Dem einen erfolgreich, dem anderen nicht mehr. Auch wenn Kajetan nochmal davonkommt, strömen doch immer mehr in die Suppenküchen der SA.

Robert Hültner_Der Hüter der köstlichen DingeAußerhalb jeder Reihe erschien 2001 Der Hüter der köstlichen Dinge, ein von Hültners Aufenthalt in den Cevennen geprägtes Werk über deutsche Antifaschisten in der Résistance. Der deutsche Soldat, Spitzel und Deserteur Johann Huck, ein einfacher bayrischer Bauernsohn im besetzten Frankreich, ist der Antiheld dieses Bildungsromans über und gegen den Krieg. Dieser ungewöhnliche Roman weist alle Stärken der Kajetan-Reihe auf und kann frei von Krimiplot und Polizeigeschichten literarisch in der Würde und Verbundenheit der Besiegten schwelgen. Der Roman ist diskret einer aus Deutschen und Österreichern bestehenden Einheit der Résistance gewidmet, die sich an der Befreiung von Nîmes beteiligte und den Oppositionellen, Deserteuren und Juden, die von 1940-44 von südwestfranzösischen Bauernfamilien versteckt wurden. Von deren Alltag handelt dieses wunderbare Buch.
In all den erwähnten Büchern gelingt Hültner ein literarisch meisterhafter Balanceakt zwischen der Gewissheit, dass der Nationalsozialismus siegen wird, und der postnationalsozialistischen Erkenntnis, dass es auch hätte anders kommen können. Hültner zeigt die Kontingenz der Geschichte, indem er im Kampf der kleinen Leute die Geschichte rekonstruiert.

Elfi Müller

Robert Hültner: Der Hüter der köstlichen Dinge. München: btb Verlag 2008. 416 Seiten. 9,50 Euro. Mehr Informationen zum Autor und vom Verlag. Porträt-Foto: © Peter von Felbert.

Die Kajetan Reihe:

  • Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski. München: btb Verlag 1998. 224 Seiten. 7,95 Euro.
  • Walching, München: btb Verlag 1997. 192 Seiten. 7,99 Euro.
  • Die Godin, München: btb Verlag 1999. 288 Seiten. 9,99 Euro.
  • Inspektor Kajetan und die Betrüger. München: btb Verlag 2006. 288 Seiten. 9 Euro.
  • Inspektor Kajetan kehrt zurück. München: btb Verlag 2009. 288 Seiten, 17,95 Euro.
  • Am Ende des Tages. München: btb Verlag 2013. 320 Seiten. 19,99 Euro.

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