Geschrieben am 9. April 2011 von für Crimemag, Film/Fernsehen

DVD-Review: Preis des Verbrechens

Trial and Retribution

heißt das Original, „Preis des Verbrechens“ die deutsche TV-Fassung. Anna Veronica Wutschel hat DVDs angeschaut …

Anfang der 90er Jahre stellte die Autorin und Produzentin Lynda La Plante mit der preisgekrönten Serie “Heißer Verdacht” („Prime Suspect“) einen veritablen Meilenstein in das darbende TV-Krimi-Einerlei. “Prime Suspect” setzte Maßstäbe mit kompromisslos spannenden Fällen, die authentische Einblicke in den Alltag der Polizei gewährten. Die einzigartige Helen Mirren brillierte in der Rolle der Detective Chief Inspector Jane Tennison als knallharte Lady in einer kalten, dreckigen und chauvinistischen Welt.

Mit seinen nicht minder komplexen, düsteren Fällen knüpft die ebenfalls von La Plante geschriebene und produzierte Serie “Preis des Verbrechens” an den großen Erfolg des Vorgängers an, wandelt jedoch auch auf ganz eigenständigen Pfaden. Dort, wo der Krimi normalerweise ausblendet – nämlich dann, wenn die Handschellen zuschnappen und dem Verdächtigen seine Rechte vorgelesen werden –, verfolgt die Serie als Justizthriller die Arbeit von Polizei und Rechtssprechung, bis das Urteil über den mutmaßlich Schuldigen gefallen ist. Diese Kombination bietet unerwartete Möglichkeiten, atmosphärisch Milieus und Charaktere zu studieren.

Bereits die Rolle des Protagonisten Detective Superintendent Michael Walker (David Hayman) ist vortrefflich ambivalent angelegt. Vermutlich hat noch kein derartiger Fiesling als Polizist seit weit über einem Jahrzehnt (seit 1997) ermitteln dürfen und dabei derartig viel Sympathien einheimsen können. Walker ist ein kluger, taktierender, aggressiver kleiner Bullterrier, der Täter ebenso effektiv wie erbarmungslos jagt. Er ist aber auch ein loyaler Ehemann, Vater und charmanter Liebhaber, der sich kümmert, es sei denn, man kommt Walkers eigenen Interessen in die Quere. Die nämlich setzt der hitzige Old-School-Polizist mit den eisernen, ganz eigenen Prinzipien, zuweilen auch mit erstaunlich krimineller Energie um. Selbstverständlich glänzen die Briten wie üblich bis in die kleinsten Nebenrollen mit hervorragenden Darstellern. Dass es allerdings gelingt, dass niemand auf dem Bildschirm auftaucht, ohne auf die eine oder andere Weise Wahrhaftigkeit auszustrahlen, liegt vor allem auch an den sehr stimmig konstruierten Skripts aus der Feder von Lynda La Plante und Vaughan Kinghan sowie der exzellenten Regie (Aìsling Walsh), die die Storys bis in das kleinste Detail originell umsetzt und das Grauen in all seinen Facetten raffiniert inszeniert. Die beiden auf DVD erschienenen Episoden bieten einen furiosen Einstand – zwei hinterhältig erdachte Fälle, die wie das echte Leben immer noch eine böse Überraschung in der Hinterhand bereithalten. Die Antwort auf die ewige Frage getreuer Krimi-Fans: “Kriegen die den denn nun auch?” wissen die Macher der Serie über drei Stunden bis ins Letzte voll auszureizen.

Beim Line-Up identifiziert: eines der besten Ermittlerteams im TV

“Tod eines Mädchens” ist der erste Fall, der Detective Inspector Pat North (Kate Buffery) mit Detective Superintendent Walker (David Hayman) zusammenführt. Ein fünfjähriges Mädchen verschwindet von einem Spielplatz, und Pat North leitet die Suche nach der Vermissten. Als bald darauf die Kleine ermordet aufgefunden wird, übernimmt Det. Supt. Walker die sich äußerst kompliziert gestaltende Ermittlung. Ohne einen Hinweis auf den Täter wird zunächst der gewalttätige Stiefvater des Mädchens verdächtigt. Bald allerdings gerät der zurückgebliebene Trunkenbold Michael Dunn (Rhys Ifans) ins Visier der Ermittler. Und obwohl die Indizien und Zeugenaussagen für seine Schuld sprechen, findet die Polizei kaum ausreichende Beweise für eine solide Anklage. Als Dunn endlich vor Gericht steht, scheint sein gerissener Top-Anwalt auf dem besten Wege, einen Freispruch zu erwirken.

Mit ebenso starker wie zurückhaltend eingesetzter Symbolik wird in dieser finsteren Folge jedes Register gezogen, um die Hoffnungslosigkeit der Benachteiligten, der Aussortierten in den Vorstadtsiedlungen auszuleuchten. Prägnante Szenen, rasant wie Schnappschüsse, eindringlich wie Dramen, schildern das ergreifende Chaos im Verborgenen. Und darin mag die Stärke der Serie liegen – ohne darüber zu lamentieren, ohne zu räsonieren, vor allem aber ohne den Drive der Story zu blockieren.

Grausam

War der Auftakt der ersten Staffel stark, ist die zweite Folge “Der Herr der Fliegen” wahrscheinlich eine der besten der gesamten Serie. Die überaus grausame Story um einen sadistischen Serienmörder, der seine Opfer quält, verstümmelt und dann tötet, wird in klaustrophobischen Szenen illustriert, die keine Ausflucht zulassen. Zwei brutal malträtierte, ermordete Frauen lassen die Polizei dumm dastehen, da der Mörder praktisch keine (forensischen) Spuren hinterlässt. Das Blatt wendet sich erst für die Ermittler, als die Prostituierte Marilyn Spark (Linda Henry) schwer verletzt den Angriff des Täters überlebt. Ihre ersten Angaben führen zu dem Geschäftsmann Damon Morton (Iain Glen). Der allerdings bestreitet die Tat, lehnt sich entspannt zurück und beobachtet, wie statt seiner seine drei Angestellten willig das Verbrechen gestehen. Ratlos, aber auf Krawall gebürstet, setzt Walker nach, um die Geständnisse zu entkräften und Damon Morton zu überführen.

Gerade in hochkonzentrierten (Verhör-)Szenen erweist sich der Split-Screen – der in zwei oder mehrere Bilder aufgeteilte Bildschirm – als interessante Technik, deren Möglichkeiten nicht erst die Erfolgsserie “24” voll auszukosten wusste; bereits Richard Fleischer brachte diese Methode in “Der Frauenmörder von Boston” (1968)  fulminant zum Einsatz. Wenn mit Perspektiven gespielt wird, die das Geschehen gleichfalls vervielfachen und verdichten, verflechten sich synchron ablaufende Vorgänge wie auch Gegenwart und Vergangenheit zu komplexen, sich komplettierenden, sich widersprechenden Betrachtungen. Wie auf Simultanbühnen agieren die Schauspieler, während gleichzeitig in teilweise vier, fünf Szenen (Rückblenden etc.) weitere Ein- und Ansichten präsentiert werden. Vor allem böse Close-Ups, die es den Darstellern ermöglichen, mit minimaler Mimik die sprichwörtlichen Bände auszudrücken, da die geringste Aktion umgehend eine Reaktion einfordert, intensivieren die Spannung für den Zuschauer.

Lynda La Plante und ihr gesamtes Team bringen menschliche Tragödien überaus tiefgründig und sehr emotional auf die Leinwand. Dass dabei dramaturgisch keine Sekunde die Hochspannung vernachlässigt wird, ist definitiv britische Krimikunst.

Anna Veronica Wutschel

Der Preis des Verbrechens – Trial & Retribution, Volume 1 [4 DVDs]

Studio: Edel Motion. Laufzeit: 404 Minuten. Darsteller: David Hayman, Kate Buffery, Dorian Lough, Rhys Ifans, Iain Glen, Linda Henry. Regie: Aìsling Walsh. Drehbuch: Lynda la Plante, Vaughan Kinghan. Erscheinungstermin: 2010. Produktionsjahr: 1998. Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0). Preis: 29,99 Euro

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