Immer wieder die Familie als Angelpunkt
– Anna Veronica Wutschel über die TV-Serie “Die Brücke III”.
Das bewährte Erfolgsrezept voll ausschöpfen, dem Zuschauer in abgewandeltem Gewand das Gleiche, aber nicht dasselbe vorsetzen und ihn mit Gespür für die erzählten Charaktere an die Serie binden – so scheint das Konzept der Macher von “Die Brücke – Transit in den Tod”. Auch in der dritten Staffel wird der Zuschauer dementsprechend mit äußerst brutalen Morden konfrontiert, die die Polizei erst nach und nach als Serie eines Einzeltäters identifizieren kann. Erneut wird dem tödlichen Treiben eine sozial-politische Motivation untergeschoben, die ebenso relevant wie unbedeutsam sein mag. Ermittelt werden muss in Dänemark und Schweden, was ebenso erneut die stete Überquerung der titelgebenden Øresund-Brücke erfordert. Und wieder lässt diese bilaterale Kooperation viel Raum für die bekannten Neckereien zwischen den Dänen, die gern als allzu entspannt und lässig angesehen werden, und den Schweden, die eher als überkorrekte, präzise Bürokraten gelten.
Gemordet und ermittelt wird, wie es für den Scandi-Noir – so lautet das unvermeidliche Label, das man den skandinavischen Krimis auferlegt hat – üblich ist, in tiefster Finsternis, die insofern tatsächlich beklemmend wirkt, als dass man als Zuschauer zuweilen einfach das Licht im Bildschirm anknipsen möchte, um mehr als nur ein paar vorbeihuschende Schemen erkennen zu können. Allerdings ist diese offensichtlich unvermeidbare Dunkelheit des Bildes ebenso intensiv wie exquisit in blasser Grau-Blau-Ästhetik inszeniert. Und die Mordserie in der dritten Staffel ist wie bereits bei den beiden Vorgängern völlig überkonstruiert und letztlich extrem unglaubwürdig.
Der größte Trumpf ist Saga
Doch den Skript-Autoren gelingt es auch in der dritten Runde mit viel Fingerspitzengefühl, dieses überdimensional erbaute Konstrukt fintenreich und mit viel Tempo zu erzählen. Äußerst reflektiert und abwechslungsreich wird dargestellt, wie sich das Große immer wieder im Kleinen spiegelt und wie das Private das große Gefüge immer auch mitstatuiert. Komplex fragil fließend sind diese reziproken Relationen, die Perspektiven und Wahrnehmungen verzerren und verschieben.
Aber “Die Brücke III” hält noch einen weitaus größeren Trumpf in der Hand: Dabei handelt es sich selbstverständlich um ihre Protagonistin Saga Norén. Diese sollte eigentlich, so verriet kürzlich einer der Drehbuchautoren in einem Interview, bereits am Ende der ersten Staffel sterben. Was für ein Coup, sich diesbezüglich beizeiten umentschieden zu haben und die unter einem leichten Asperger-Syndrom leidende Kommissarin, deren Kompetenz zu emotionaler Interaktion stark eingeschränkt ist, auch weiterhin mit ihrem hoch analytischen Verstand ermitteln zu lassen. Denn ganz sicher hat sich jeder Fan der Serie in die so abweisend wirkende Saga, in ihr ebenso dominantes wie den Beschützerinstinkt auslösendes Wesen ein wenig verguckt. Sofia Helin, so hat es den Anschein, verkörpert die abgründige, reizvolle Vielschichtigkeit ihrer Figur in jeder Staffel noch ein wenig perfekter als zuvor.
Ein neuer Partner
Die dritte Staffel beginnt mit einem obskur inszenierten Mord. Helle Anker, eine umstrittene Gender-Aktivistin, die den ersten geschlechtsneutralen Kindergarten Kopenhagens gründete, wurde ermordet. Ihre präparierte Leiche, der das Herz fehlt, wurde mit Schaufensterpuppen wie zu einem kunstvoll angeleuchteten Tableau arrangiert. Vater, Mutter und Kinder sitzen als Musterfamilie mit übermalten Mündern grotesk grinsend an einem Esstisch. Da das Opfer Dänin war, muss die schwedische Polizei um Amtshilfe aus dem Nachbarland bitten. Und da Sagas einstiger Kollege und Freund Martin Rohde (Kim Bodnia) von Saga am Ende der letzten Staffel des Mordes an dem Mörder seines Sohnes beschuldigt wurde und inzwischen zu zehn Jahren Haft verurteilt ist, muss Saga Hanne Thomsen (Kirsten Olesen) als neue Kollegin akzeptieren. Doch die Kooperation gestaltet sich schwierig, denn die zwei Damen können nicht gut miteinander. Und als Hanne, die sich vom Fall bereits hat abziehen lassen, bei einem letzten gemeinsamen Einsatz, einer Haussuchung, schwer verletzt wird, bekommt Saga zwangsläufig einen neuen Partner zugeteilt.
Henrik Sabroe (Thure Lindhardt) wird als sonderbarer Einzelgänger, als promiskuitiver, tablettensüchtiger Single eingeführt. Doch während die Kamera diesen Mann mit Ponyfrisur, die er im Übrigen später hochgelt, der trotz des Oberlippenbärtchens nahezu jungenhaft wirkt, stetig umkreist, tut der sich mit feinster Beobachtungs- und Kombinationsgabe hervor. Sabroe, den eine Familientragödie enorm belastet, ist nicht weniger auf den Fall fokussiert als Saga.
Saga leidet, das bringt sie uns nahe
Auch Saga leidet an ihrer eigenen Familiengeschichte, denn ihre ungeliebte Mutter taucht auf und macht nicht nur wegen des sterbenden Vaters enormen Druck, dem Saga nicht gewachsen scheint. Während Saga und Henrik auf eher ungewöhnliche Art nicht nur kollegial einen Zugang zueinander finden, ermitteln sie in einer schier endlos scheinenden Mordserie, der fatalerweise auch Sagas Chef, ihr väterlicher Freund Hans Petterson (Dag Malmberg) zum Opfer fällt. Die neue Chefin Linn Björkmann (Maria Kulle) zeigt weitaus weniger Verständnis für Sagas Eigenheiten und stellt deren Vorgehensweise immer wieder in Frage. Das ist sehr clever gemacht, wie Saga, die kaum Kontakt zu ihren Mitmenschen zulässt, in der dritten Staffel die wenigen Bezugspersonen, die sie hat, verliert. Und wie es Sofia Helin und der Kamera gelingt, diesen Verlust in unbeholfenen Bewegungen und quasi ohne Mimik als unerträgliche Qual zum Ausdruck zu bringen.
Saga kann bekanntermaßen mit Emotionen nicht gut umgehen, sie konzentriert sich lieber auf ihre Arbeit. Doch so viele Hinweise der Täter an den Tatorten auch hinterlässt, durchschaut die Polizei nicht, nach welchem Muster die Opfer ausgewählt werden, welches Ziel der Täter verfolgt und welche Bedeutung der Kunstsammlung des Geschäftsmannes Freddie Holst (Nicolas Bro) diesbezüglich zukommt. Verdächtig benimmt sich auch der Lebenscoach Claes Sandberg (Reuben Sallmander), dem Holst einst erst das Vermögen und dann die Frau abknöpfte. Nun wird Sandberg, der sich nach der desolaten Niederlage neu erfand und in seinen erfolgreichen Vorträgen über die klare Chance zum Glück doziert, auch noch von einer lästigen, herrschsüchtigen Stalkerin verfolgt. Was für ein Pech.
Schnell, aber präzise gezeichnet
Die äußerst komplexe, indes gekünstelt in die Länge gedehnte Krimihandlung funktioniert vornehmlich über die Figuren. Die exzellent besetzten Protagonisten durchlaufen variantenreiche Entwicklungen, die trotz aller Tragik auch immer Raum für Komik lassen. Und die unzähligen Handlungsstränge – wenn Fährten sich in Sackgassen verlaufen oder sich plausibel erscheinende Theorien als falsch erweisen – zeigen auf zahlreichen Nebenschauplätzen mit schnell, aber präzise gezeichneter Schraffur das Innenleben unterschiedlichster Charaktere. Gekonnt werden divergierende Entwürfe der Institution Familie immer wieder neu verhandelt. Exemplarisch sollen hier nur zwei Randfiguren Erwähnung finden. Da ist zum einen die Bloggerin Lise (grandios: Sonja Richter), die auf ihrem Videoblog mit extremer Hetze gegen liberal denkende Mitmenschen auf sich aufmerksam macht. Aber auch der junge spielsüchtige Marc (Michael Slebsager, der wie ein junger Ryan Gosling gestylt ist) gibt eine überaus glaubwürdig Performance des Süchtigen ab. Obschon er seine große Liebe, die hübsche Jeanette (Sarah Sofie Boussnina), beständig aufs Spiel setzt, kann er einfach nicht die Finger von den Karten lassen.
Ja, die Dänen und die Schweden können nicht nur hervorragende Skripts schreiben, sie spielen hier auch mal wieder ganz großes Kino vor. Kein Wunder, dass die vierte Staffel heiß ersehnt wird. Nur eine einzige Frage bleibt, wer hat nun eigentlich Gertrud am Ende der zweiten Staffel erschossen? Sollte das nicht noch geklärt werden?
Anna Veronica Wutschel
Die Brücke – Transit in den Tod III. 5 DVDs. Studio: Edel Germany. Darsteller: Sofia Helin; Thure Lindhardt; Dag Malmberg; Sonja Richter u. a. Regie: Henrik Georgsson, Rumle Hammerich. Skript: Hans Rosenfeldt, Erik Ahrnbom, Astrid Øye u. a. 568 Minuten. Sprache: Schwedisch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (Dolby Digital 5.1), Dänisch (Dolby Digital 5.1). Erscheinungstermin: 8.3.2016.