Geschrieben am 12. September 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 16

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Todesart: Erhängen . Die meisten Menschen, die sich umbringen wollen, nehmen sich einen Strick. Es ist immerhin ein schneller Tod. In Krimis finden wir den Selbstmörder gern am Baum im Wald oder am Balken auf dem Dachboden. Aber man kann sich viel leichter erhängen.

In dem Moment, wo die Schlinge am Hals die Venen und Arterien abklemmt, bekommt das Hirn keinen Sauerstoff mehr und kollabiert. Man verliert beinahe augenblicklich das Bewusstsein. Tot ist man zwar noch nicht, aber man ist unter keinen Umständen noch fähig, sich selbst aus der Schlinge zu befreien.

Dabei genügt ein Druck in der Schlinge auf die empfindlichen Stellen am Hals von gut 3,5 Kilogramm (es gibt allerdings auch höhere Zahlen). Und der menschliche Kopf wiegt schon zwischen 4 und 5 Kilo. Kein Selbstmörder muss den berühmten Schemel unterm Fuß wegstoßen. Es genügt, sich hinzustellen, die Schlinge um den Hals zu legen und dann die Knie zu beugen. Der fast augenblickliche Hirnkollaps verhindert, dass man die Beine wieder strecken kann. Und kein Mörder muss, um einen Selbstmord vorzutäuschen, das Opfer mühsam am Dachbalken aufknüpfen. Es reicht, wenn er dem bewusstlosen Opfer auf dem Boden die Schlinge um den Hals legt und sie soweit hochzieht, dass Kopf und Oberkörper nicht mehr den Boden berühren.

Wird ein bereits Toter aufgeknüpft, merkt es allerdings der Gerichtsmediziner. Beim sogenannten atypischen Erhängen wird er jedoch erst stutzig, wenn er am Hals zwei Strangfurchen findet, eine vom Erdrosseln, die andere vom vorgetäuschten Erhängen. Oder wenn er Verletzungen findet, die sich das Opfer nicht selbst beigebracht haben kann. Kleine Schlagverletzungen an Fingerknöcheln oder Fingern sind wiederum keine Zeichen äußerer Gewalt, sie entstehen, wenn bei Todeskrämpfen die Hände am Baum, an der Wand oder sonst wo anschlagen.

Wenn man einen Erhängten findet, lohnt es sich übrigens, ihn sofort abzunehmen und die Schlinge zu lockern. Das Gehirn ist erst nach fünf bis fünfzehn Minuten irreversibel geschädigt. Der Individualtod könnte also noch nicht eingetreten sein, der biologische Tod sowieso nicht. Das Herz kann bei Erhängten noch bis zu einer halben Stunde weiterschlagen. Im Kopf läuft dann das Leben wie im Zeitraffer ab, berichtet ein Medizinstudent, der es im Selbstversuch mit Abhängen ausprobiert hat. Nicht nachmachen!

Frauen nehmen übrigens immer ihr langes Haar aus der Schlinge, bevor sie sich erhängen. Steckt es noch drin, dann war es kein Selbstmord. Männer haben nicht selten eine finale Erektion mit Ejakulation. Und dem Erhängten läuft die Nase. Es bildet sich manchmal sogar ein kleiner Speichelsee unter seinen Füßen.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

| Zur Homepage von Christine Lehmann